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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

508-509

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Buber, Martin

Titel/Untertitel:

Sehertum 1957

Rezensent:

Schoeps, Hans-Joachim

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Seite 1, Seite 2

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507

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

508

gedanke geboren. Vom Messiasgedanken, der im AT eine nicht sehr
große Rolle spielt, muß man die Hoffnung auf den Davididen der Endzeit
unterscheiden; wieder anderen Ursprungs ist die Menschensohn-
Vorstellung von Dan. 7. Mit diesen Zukunftsgestalten hat wiederum
der leidende Gottesknecht Deuterojesajas nichts zu tun. Durch das inbrünstige
Hoffen auf das zukünftige Reich Gottes werden diese Vorstellungen
aber im Laufe der Zeit miteinander verbunden, vor allem
dann auch dadurch, daß Jesus Christus alle diese Hoffnungen, sie in
seiner Person und seinem Werk zusammenfassend, erfüllt hat.

So führt R. seinen Leser an allen wesentlichen Glaubensgedanken
Israels entlang und versteht es, ein klares und abgerundetes
Bild der Hauptzüge der alttestamentlichen Religion zu
zeichnen. Die Auseinandersetzung mit abweichenden Ansichten
tritt dabei stärker in den Hintergrund, ist aber nicht völlig ausgeschaltet
. Der Fachgelehrte möchte sie sich an manchen Stellen
eingehender wünschen, jedoch ist das Buch, wie schon gesagt, auf
einen weiteren Leserkreis abgestimmt. Darum ist der durchlaufende
Text möglichst freigehalten von allem gelehrten Beiwerk
und in einer schönen und einprägsamen Sprache geschrieben, die
auch der der englischen Sprache wenig Kundige ohne Schwierigkeiten
lesen kann. Dem Fachgenossen dient ein ausführlicher Anmerkungsapparat
, der ihm wieder einmal die erstaunliche Belesenheit
R.s deutlich macht. Ein 18 Seiten umfassendes Sach-,
Autoren- und Bibelstellenregister macht die Benutzung des
Buches noch bequemer.

Bei einem so weitgespannten Thema kann es nicht anders
sein, als daß sich zu den einzelnen Ausführungen eine Reihe Fragen
stellen und Einwände anbringen lassen. Es ist hier nicht der
Ort, in eine eingehende Auseinandersetzung mit den Thesen des
Verfassers einzutreten. So möchte ich mich damit begnügen, nur
einige wenige Fragen zu stellen und Bedenken anzumelden:

1. R. erkennt der Mose-Sinai-Religion eine sehr große Bedeutung
zu (für R.s Sicht der Frühgeschichte Israels sei auf das
Buch „From Joseph to Joshua", Oxford 1950, verwiesen; vgl.
die Besprechung Otto Eißfeldts ThLZ 76, 1951, Sp. 281-285).
Hier muß die seinerzeit von Eißfeldt gestellte Frage noch einmal
wiederholt werden: Nimmt R. Angaben, die zunächst einmal nur
überlieferungsgeschichtlich gewertet werden dürfen, nicht allzu
schnell als historisch zuverlässige Zeugnisse in Anspruch? Daß
die Überlieferung über Mose und sein Werk für die Späteren eine
überragende Rolle spielt, steht außer Frage. Wie steht es aber
mit der Historizität der Ereignisse um Mose? Es sei an die kräftigen
Fragezeichen erinnert, die zuletzt M. Noth hier gesetzt
hat. Es ist zwar längst nicht ausgemacht, daß Noth mit den
radikalen Abstrichen, zu denen er sich durch seine von der Überlieferungsgeschichte
her bestimmte Methode genötigt sieht,
recht hat. Aber man sollte über seine Fragen nicht allzu schnell
hinweggehen; bei R. findet sich leider nur eine kurze, ablehnende
Bemerkung zu diesem Fragenkreis (S. 41). Mit dieser Hervorhebung
der Mose-Religion hängt es wohl zusammen, daß R. diejenigen
Züge der at.lichen Religion, die er positiv wertet, möglichst
weit hinaufdatieren und keimhaft in Mose angelegt sehen
möchte. Ob sich das wirklich überall so durchführen läßt?

2. R. liegt die unmittelbare Bedeutung des at.lichen Glaubensgutes
für uns sehr am Herzen. Mit dieser Überzeugung von
der unmittelbaren Gegenwartsbedeutung auch des ATs hängt es
wohl zusammen, daß R. das sog. „Unterchristliche", dessen Existenz
er allerdings nicht leugnen kann, als für eine at.liche Theologie
unerheblich ausklammert. Als Maßstab für das, was in diese
Theologie des ATs hineingehört, dient ihm die einigermaßen
problematische Größe ,,the genius of Israel's religion". Insofern
ist die Tendenz dieses Buches derjenigen von Baumgärtels ,,Die
Eigenart der at.lichen Frömmigkeit" (1932) gerade entgegengesetzt
. Man lese z. B. einmal nach, wie R. das Vorhandensein
des Vergeltungsdenkens in Israel möglichst verharmlosen möchte
(S. 105 ff.). Wer Israels Religion beschreibt, sollte sich nicht
vor der ungeschminkten Darstellung auch des Fremden und Anstößigen
scheuen.

3. Für R. ist Jesus Christus die Erfüllung (fulfilment) dessen,
was das AT etwa über den idealen König, den Messias, den
Menschensohn, den leidenden Gottesknecht sagt. Von dem aber,
was sich in Christus nicht „erfüllt" hat — und das ist doch überaus
viell —, schweigt R., oder, wo er dann doch einmal davon

spricht (S. 200), verweist er auf die Wiederkunft Christi, die das
noch Ausstehende einlösen werde. Kann man bei dieser Sicht
noch beharren, nachdem Fr. Baumgärtel diese ganze „Erfüllungs-
Theologie" so radikal in Frage gestellt hat („Verheißung", 1952,
S. 132 ff.)?

4. Und nun der m. E. wichtigste Einwand: Bei R. wird die
Grenze zwischen Religionsgeschichte und Theologie nicht deutlich
. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht, daß er den sonst in
wissenschaftlichen Abhandlungen gebräuchlichen Gottesnamen
des ATs „Jahwe" meidet und fast immer von „Gott" spricht.
Wie soll man das verstehen? Ist es nur Rücksicht auf den des
Hebräischen unkundigen Leser? Oder stellt sich R. mit den Menschen
, deren Glauben er in seinem Buche behandelt, in der Weise
gleichsam auf eine Ebene, daß er die Gottheit, die jene Menschen
als tatsächlich existent betrachteten, darum einfach „Gott" nennt
— womit denn über die Wahrheit des Glaubens an die Existenz
dieses Gottes noch nichts ausgesagt wäre? Es würde sich dann
um eine „rhetorische" Identifizierung mit Israel handeln, die
aber keine sachliche sein muß. Aber es scheint mir, daß der Grund
für diese Verfahrensweise doch noch ein anderer ist: R. setzt
Jahwe ohne Vorbehalt mit dem geoffenbarten Gott des Christenglaubens
gleich; Jahwe ist für ihn der allein existente Gott. So
gebräuchlich diese Gleichsetzung auch ist und so leicht sie sich
theologisch anscheinend begründen läßt — wenn man nicht gar
eine Begründung für überflüssig hält! —, so muß doch gefragt
werden: Ist diese Identifikation ohne Vorbehalt richtig? Ist das,
was im AT debar JHWH heißt, immer und überall Wort des lebendigen
Gottes, an den wir glauben? Oder bedeuten die Erfahrungen
, die der at.liche Mensch mit der Gottheit Jahwe
machte, nicht auch zum guten Teil eine Verhüllung Gottes statt
einer Offenbarung? Ist der Jahwe des ATs nicht auch manchmal
so etwas wie eine „larva Dei"? M. a. W.: Die Grenze der at.lichen
Religion liegt nicht etwa nur darin, daß die Menschen des
alten Bundes nicht fähig oder nicht willens waren, die Offenbarung
Jahwes als die Offenbarung des lebendigen Gottes zu
erfassen; sie liegt in erster Linie darin, daß sich das, was das AT
als Offenbarung Jahwes sieht, und die Selbsterschließung des
lebendigen Gottes keineswegs absolut decken. Hier liegen theologische
Probleme, die doch wohl vielschichtiger und schwieriger
sind, als es nach dem Aufriß R.s scheint.

Doch diese Fragen sollen den Dank an den verehrten Verfasser
für seine schöne und abgerundete Gabe nicht mindern, sondern
noch unterstreichen.

Auf S. 117 Anm. 3 ist „The Remnant in Isaiah" zu ändern in „The
Rcmnant in Arnos". Andere Druckfehler sind auf einem beigefügten
Blatt „Corrigenda" aufgeführt.

Marburg/Lahn F. Hesse

B u b e r, Martin: Sehertum. Anfang und Ausgang. Köln/Olten: Hegner
[1955]. 74 S. kl. 8°. Lw. DM 5.80.

Im ersten dieser beiden „Versuche" — er stammt aus dem
Jahre 193 8 — wird eine Exegese der Anwendung dessen gegeben,
was Buber in einer früheren Arbeit den „Leitwortstil in den Erzählungen
des Pentateuch" genannt hat. An der Abrahamsgeschichte
wird unbeschadet aller Quellenscheidungen die innere
Sinneinheit der „Toledot" von Abraham aufgewiesen, der ein
Seher und Prophet gewesen ist. Es vereinigen sich in ihnen „drei
Überlieferungen: die vom Volk bewahrte Überlieferung einer
Sippe über ihren Ahnen, die von der Lehre bewahrte Überlieferung
über eine göttliche Kundgebung des Wegs an dessen Anfange
, und die vom Prophetenstand bewahrte Überlieferung
über die Urzeit der göttlichen Gabe" (45).

Der zweite „Versuch" aus dem Jahre 1954 rückt die Pro-
phetie, die die Welt in Alternativen stellt und zur Umkehr aufruft
, in einen Vergleich mit der zukunftslosen pessimistischen
Apokalypse, die mit inneren Wandlungen nicht mehr Techne und
in der sich religiöser Verfall dokumentiere. Beiläufig wird festgestellt
(68 ff.), daß Karl Marx nicht aus einem prophetischen,
sondern aus einem apokalyptischen Urgrund stamme. Die Interpretation
der Apokalyptik um die Zeitenwende — Buber geht
von IV Esra aus, denkt aber auch an Johannes — als „Unglaube