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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

493-496

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Antwort 1957

Rezensent:

Hillerdal, Gunnar

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

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gepredigt werden müssen, daß dem darin sich manifestierenden
..Extra me", der seinshaften Eigenschwere dieses Gegenüber, und
in diesem Sinne seiner dynamisch-personalen „Substanz" und
..Realität" volle Genüge geschieht. Der Verflüchtigung in die
bloße Funktion, der Beschränkung auf das bloß existenzielle Bedeuten
hat die gegen-ständliche Vor-stellung so gegenüber zu
treten, daß das ontische Prius der anderen Seite innerhalb der
Glaubensrelation in ihrer uns bestimmenden, aber zugleich in
sich selbst ruhenden und bewegenden Seinsmächtigkeit voll herauskommt
.

Religionsphilosophisch mag man den Seinscharakter dieser
notwendig weltlich vorgestellten Unweltlichkeit als „mythisch"
bezeichnen. Dann ist aber aller Entmythologisierung insofern eine
Grenze gesetzt, als die Verkündigung grundsätzlich der mythischen
Ausdrucksweise nicht entraten kann, um jenes dem
Glauben gegenübertretende, unweltliche Sein benennen zu können
. In der Fleischwerdung des Logos als dem Grundansatz aller
neutestamentlichen Offenbarung ist dieses weltliche Gestaltgewinnen
des Unweltlichen theologisch prinzipiell gesetzt. Dahinter
zurückgehen zu wollen, hieße den göttlichen Akt der Offenbarung
selbst in Frage stellen. Erst in zweiter Linie hat die Verkündigung
nach der uns heute gemäßen mythischen Ausdrucksweise für
die neutestamentliche Offenbarung zu fragen. Dabei wird uns
die existenzialanalytische Interpretationsmethode Bultmanns dann
wichtige Dienste leisten, wenn sie uns zu einer adäquaten Übertragung
der biblischen Aussagen nicht nur ihrer Glaubensfunktion
, sondern zugleich ihrer „Substanz" nach führt. Daß sie uns
in dieser zweiten Hinsicht aber theologisch und homiletisch nicht
im Stich läßt, das fordert, Bultmann über Bultmann hinaus zu
denken.

Um auf ein vorangegangenes Beispiel zurückzugreifen: Von
dem „ich will euch wiedersehen" als Grund und Inhalt unserer
Freude (Joh. 16, 22) läßt sich nicht abstrahieren, ohne dem Verheißungsgehalt
dieses Wortes Abtrag zu tun. Keinesfalls darf dieses
„Wiedersehen" als leere Behauptung hingestellt werden. Wohl

aber ergibt sich aus dem Erkannt- und Gesehensein von Christus,
wovon ja der Glaube weiß, aufgrund jener Verheißung die escha-
tologische Zuversicht auf ein endgültiges Verbundenwerden mit
dem erhöhten Herrn — und nicht bloß mit einer agnostizistischen
Ewigkeit! — für das ich den „mythischen" Ausdruck des Wiedersehens
gar nicht entbehren kann, obwohl und gerade weil ich
weiß, daß solches „Schauen" und „Geschautwerden" nichts „Welt-
J liches" mehr bedeuten kann. Unter solchen Aspekten wird man
Stück für Stück die „mythische" Redeweise der Bibel theologisch
durchdenken müssen, ohne ihre historische Bedingtheit darüber
zu verleugnen. Sie ist als Form eines nicht nur auf „Existenz",
sondern zugleich auch auf „Substanz" ausgerichteten Bezeugungsgehaltes
notwendig.

Die Kritik Bultmanns entläßt auch den Homileten nicht in
die Bequemlichkeit. Sie zwingt uns unter gewissenhafter Berücksichtigung
dessen, was Bultmann seinerseits kritisch zu sagen hat,
in die weitgehend noch ungelöste Aufgabe, ausgehend von der
Existenzialinterpretation ihre Grenzen zu überschreiten und dahin
vorzustoßen, wo die uns bewegende „Sache" in ihrem außer
uns liegenden Anspruch ihrer vollen biblischen Bezeugtheit nach
zu suchen ist. Die hier geforderte Übertragung verlangt nach einer
Form der Vergegenständlichung, die sich in Vor-stellungen zu
vollziehen hat, an denen das alles bloße Selbstverständnis trans-
zendierende Offenbarungshandeln Gottes als das eigentliche Zentrum
der Verkündigung in seiner uns bindenden Gegenwartsmächtigkeit
zum Ausdruck kommt. In diesem Sinne werden die
neutestamentlichen Vorstellungen, ohne ihren notwendig „mythischen
" Charakter zu verleugnen, interpretiert werden müssen.
Sie werden damit als „imago verbi" ihren Bezeugungscharakter
bewahrea So nur kann das Schriftprinzip des Protestantismus
allen reduzierenden Tendenzen gegenüber aufrecht erhalten bleiben
, und so nur kann im Gottesdienst dem bedenklichen Auseinanderfall
dessen, was verlesen, und dessen, was gepredigt
wird, gesteuert werden.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[Barth, Karl:] Antwort. Karl Barth zum 70. Geburtstag am 10. Mai
1956. Hrsg. von Ernst Wolf, Ch. von Kirschbaum und Rudolf Frey.
Zolükon-Zürich: Evangelischer Verlag [1956]. XI, 963 S. gr. 8°. Lw.
DM 47.—.

Der Titel der großen Festschrift zu Karl Barths 70. Geburtstage
in deutscher Sprache — wie bekannt liegt auch eine Festschrift
in englischer Sprache vor — deutet auf einen bestimmten
Plan der Herausgeber hin. Die Festschrift soll auf den lebhaften
Widerhall hinweisen, den Barth vielleicht mehr als irgendein
anderer heute lebender Theologe und Verkündiger gefunden hat.
Im großen und ganzen ist dies auch vortrefflich gelungen. „Antwort
" ist zu einem Buche geworden, das einen großen Teil der
Theologie und Geistesgeschichte der letzten Jahrzehnte widerspiegelt
. Gleichzeitig erfüllt es die Funktion, ein recht persönliches
„Buch der Huldigung" von Freunden und Verehrern zu
6ein.

Was die äußere Form betrifft, ist das Buch in folgende Unterabteilungen
eingeteilt. Zuerst kommt eine Sammlung „Episto-
lae" an den Jubilar (S. 1-26). Daran schließt sich eine ansehnliche
Sammlung theologischer Studien unter dem Titel „In opvs
ipsum" an, die sich auf Barths theologische Arbeit beziehen oder
nahe damit zusammenhängen (S. 27—434). Der nächste Abschnitt
, „Opvscula varii argvmenti" (S. 435—828), hat, wie der
Name sagt, einen mehr gemischten Charakter. Hier werden so verschiedene
Themen wie „Kierkegaards Hinterlassenschaft an die
Theologie" (Hermann D i e m), „Das Verständnis der Taufe bei
den süddeutschen Täufern" und „Das Wort Gottes und die moderne
Tontechnik" verhandelt, um nur einige Themen unter vielen
herauszugreifen. Der letzte Hauptabschnitt nennt sich „In
vitam et actionem" (S. 829-942) und vermittelt neben früheren
Briefen aus der Feder Barths eine Reihe hauptsächlich persönlicher
Eindrücke des Theologen und Kirchenmannes Karl Barth.

Schließlich trägt Barths treue Mitarbeiterin, Charlotte von
Kirschbaum, eine „Bibliographia Barthiana" bei (S. 943

- 960).

Aus der Reihe der einleitenden Briefe ist der von J. L.
Hromadka, Prag, der interessanteste. Hromadka erinnert an den
aufsehenerregenden Brief, den Barth ihm während der Prager
Krise (193 8) schrieb, und der damals, wie bekannt, nach der
Veröffentlichung sehr verschiedene Reaktionen hervorrief.
Hromadkas Brief beleuchtet kirchliche und politische Verhältnisse
. Das folgende Zitat gibt in gewisser Weise die Thematik
des Briefes an: „Unsere Theologie hat aufgehört, eine bloß akademische
Angelegenheit zu sein" (S. 5).

Aus der Abteilung „In opvs ipsum", die eine Reihe von vortrefflichen
Studien enthält, greife ich einige Beiträge heraus, die

— Wie ich meine — von besonderem Interesse sind. So lautet der
Titel von G. E i c h h o 1 z' Beitrag „Der Ansatz Karl Barths in
der Hermeneutik". H. J. Kraus schreibt über „Das Problem
der Heilsgeschichte in der .Kirchlichen Dogmatik' ". W. N i e s e 1
behandelt das Thema „Karl Barth und der Heidelberger Katechismus
". Otto Weber, der uns u. a. durch sein „Kompendium
" oder wie man auch sagen könnte durch seine verkürzte
Auflage der „Kirchlichen Dogmatik" bekannt ist, schreibt über
..Kirche und Welt nach Karl Barth". H. J. I w a n d trägt eine
denkwürdige Studie „Vom Primat der Christologie" bei, in der
er die Bedeutung des von Barth unternommenen Hereinziehens
der anthropologischen Fragestellungen im Lichte der Christologie
auf dem Hintergrunde der Diskussionslage des vorigen Jahrhunderts
skizziert, einer Diskussion, die von solchen Namen wie
I. A. Dorner, Chr. F. Baur, G. Thomasius sowie Harnack zur
Jahrhundertwende bestimmt war. Der Katholik H. U. v o n
Balthasar, der die vielleicht von Barth selbst am höchsten
geschätzte Darstellung seiner Theologie geliefert hat, nennt seinen
Beitrag „Christlicher Universalismus". Darin gibt er u. a.
folgendes Urteil ab: „Wir haben in Karl Barth einen Protestantismus
kennengelernt, der im Gegensatz zum Dogmatismus vieler