Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 6

Spalte:

471-473

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Johannes

Titel/Untertitel:

Kirchhof und Friedhof 1957

Rezensent:

Holtz, Gottfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

471

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 6

472

Evangelische Theologie, Pastoralblätter, in der Reformierten
Kirchenzeitung und in den Eichholzschen Meditationsbänden
.Herr, tue meine Lippen auf!' usw.). In Gutachten über den Auftrag
der reformierten Kirche, der evangelischen Union, der Fakultäten
und Kirchlichen Hochschulen läßt sich 6eine theologische
Linie erkennen. Intensive Mitarbeit ifit dem reformierten Bund
zugute gekommen, dessen Bedeutung im Kirchenkampf bekannt
ist. Er übernahm die Leitung des Coetus reformierter Prediger,
und seine Coetus-Briefe zeigen ihn in der Wahrnehmung theologischer
Verantwortung in Leitung und Seelsorge. Seine Mitarbeit
in den verschiedensten Synoden machte ihn zum kritischen
Mahner, wo es sich um da6 Errichten und Überwerten von Ordnungen
handelte oder wo das Konfessionsproblem drohte. Er
wich auch dem Unionsproblem nicht aus: „Wer Union sagt, meint
die Einheit der Kirche Jesu Christi. Wir bejahen die permanente
Krise der Unionskirchen, wenn sie nur eine echte Krise ist und
wir in solchem Gericht bereit sind, der richtenden Wahrheit des
Wortes Gottes zu begegnen und uns von dieser Wahrheit weisen
und zurechtweisen zu lassen. Seien wir, ob in der Unionskirche
oder der Bekenntniskirche, dessen eingedenk, daß der Herr uns
richten wird! Wir sind permanent gehalten, dieser Krisis zu gedenken
und jede Kirche permanent in dieser Krisis zu sehen"
(S. 72 f.). Seine Stellung wollte in der Frage der Abendmahlsgemeinschaft
bewährt sein. In treffenden Formulierungen wußte
er die Gefährdung der Kirche bei Namen zu nennen. So fürchtete
er nach 1945 den Vertrag mit der Macht und mit dem Einfluß
des Geldes (S. 88). Er spricht von der Verhärtung alter Fronten,
von der Los-von-Barth-Bewegung, von den Nöten um die Frage
der Remilitarisierung: „Wir werden gefragt und wissen kaum
zu antworten, wenn wir uns nicht schon im Bunker des Militarismus
oder des Pazifismus — vermeintlich atomsicher — eingerichtet
haben" (S. 74). Es ist also kaum eines der erregenden Probleme
der letzten Zeit außer acht geblieben, und ein Überblick
über das Leben und Wirken dieses Mannes kann wie eine Einführung
in die Kirchengeschichte der letzten Jahre gelesen werden
. Das rechtfertigt die Herausgabe des Gedenkbandes, denn er
dient nicht nur der wehmütigen Erinnerung, sondern nötigt, in
den Lebenskampf der Kirche heute mit einzutreten.

Berlin Martin Fischer

Schweizer, Johannes, Dr.: Kirchhof und Friedhof. Eine Darstellung
der beiden Haupttypen europäischer Begräbnisstätten. Linz: Oberösterreich
. Landesverlag 19 56. 276 u. XXXII S., 42 Taf. u. 3 5 Pläne
u. Zeichn. gr. 8°.

Über die Geschichte des Kirchhofes liegt wenig Literatur
vor, die über die Lokalgeschichte hinauswiese. Immerhin besitzen
wir das verdienstvolle Werk von Herbert Derwein, Geschichte
des christlichen Friedhofes in Deutschland, 1931. Zu ihm gesellt
sich nun das neue Buch. Sein Verfasser ist von Beruf Garten- und
Landschaftsarchitekt. Er hat mit dem vorliegenden Werk in der
philosophisch-historischen Fakultät Basel promoviert. Die Veröffentlichung
geht ohne den gelehrten Apparat hinaus; der Leser
wird auf das Baseler Manuskript und auf Abschriften in der
Hand des Verf.s verwiesen, die zur Einsichtnahme zur Verfügung
ständen, — ein Verfahren, das seine Nachteile hat und dem man
keine Nachfolge wünscht. Da Literatur und Quellen auf 15 engbedruckten
Seiten aufgeführt werden, wären die Hinweise leicht
zu geben gewesen. Nun tappt man oft im Dunkeln.

Die grundlegende Unterscheidung von Kirchhof und Friedhof
bedarf keiner Rechtfertigung; der säkularisierte kommunale
Friedhof ist kein Kirchhof mehr. Da das Buch dem geschichtlichen
Werden folgt, ist der Vorrang des katholischen Kirchhofes gegeben
. Wie seine Geschichte und sein Wesen dargestellt werden,
verdient alle Anerkennung; man spürt deutlich, welcher Kirche
die Liebe des Verf.s gilt. Normgebend für die Gesamtanlage dieses
Kirchhofes ist der Altar als Ort des Opfers auch für die Toten
. Die Ableitung allein aus den altkirchlichen Coemeterial-
kirchen wird als zu einseitig verworfen. „Beim Christentum sucht
nicht das Opfer das Grab, sondern geradezu umgekehrt sucht das
Grab den Ort des Opfers" (21). Die Lehre vom Fegefeuer und
der in diesen Reinigungsort hineinreichenden Gebetsmacht der
Kirche hat die Lehre vom Meßopfer gestärkt. Wir lernen von
daher die sakrale Rang- und Sozialordnung der alten Begräbnisstätten
um die Gotteshäuser verstehen. Der Name „Paradies"
für das Atrium der Kirche wird von der Bestattung her gedeutet;
„in paradisum deducant te angeli" heißt es auch in der Antiphon
der Beerdigungsliturgie. Die Mauer um den Kirchhof soll sich
bisweilen der Schiffsform nähern (vgl. auch Abb. 31); die Toten
sind im Schiff der Kirche wohlgeborgen. Diese Beispiele mögen
genügen, um das theologische Wissen des Verf.s zu beleuchten.
Zu ihm tritt ein bedeutendes kultur- und wirtschaftsgeschichtliches
Wissen, wodurch das Studium überall lohnend wird. Überboten
wird es noch von volkskundlichen Kenntnissen, die uns
das Verständnis vieler abergläubischer Bräuche (z. B. die Totenleuchten
), aber auch die Geschichte der interessanten charakteristischen
Kirchhofsflora erschließen; hier wird die Arbeit ihresgleichen
nicht finden. Selten setzt man Fragezeichen. Wenn im
Schlangensymbol der Ausdruck des Bösen gesehen sein soll (89),
so könnten nur die fehlenden Belege überzeugen. Häufiger dürfts
in der Kirchhofssymbolik die Schlange das Symbol der Unendlichkeit
und des ewigen Lebens sein. Die Aufgabe, den katholischen
Kirchhof als Typus darzustellen, dürfte glücklich gelöst
sein. Ein leises Bedauern mag finden, daß das Anschauungsmaterial
überwiegend nur aus der Schweiz, Österreich und Süddeutschland
stammt. Auch fehlt die Berücksichtigung der slawischen
Völkerschaften in Europa.

Die Darstellung des protestantischen Kirchhofes fällt gegen
das Glanzstück des ersten Teiles ab. Nicht daß es dem Verf. an
dem nötigen dogmatischen und liturgischen Wissen fehlte! Das
Literaturverzeichnis beweist den sicheren Griff zu der guten Literatur
(Eiert, Der christliche Glaube; Graff, Geschichte der Auflösung
; Thielicke, Tod und Leben u. a.). Aber schon der Einsatzpunkt
ist bedenklich, den protestantischen Kirchhof allein
als historische Zwischenform zu sehen, die notwendigerweise
zum säkularisierten Friedhof hätte führen müssen. Mehr als der
Verf. es wahr haben will, ist der protestantische Kirchhof Erbe
des gleichen geschichtlichen Schicksals. Richtig ist, daß mit der
Verwerfung des Meßopfers und der Lehre vom Fegefeuer die
Grundkonzeption der katholischen Kirchhofsanlage hinfiel. Damit
aber war eine protestantische Lösung von der Kirche keineswegs
gegeben, wie die Kirchenordnungen beweisen dürften, an
die sich die Ausbildung sehr stabiler Beerdigungssitten anschloß,
deren Mitte das Gotteshaus war. Von dem Reichtum hier hat
der Verf. keine Vorstellung, wie er auch das klassische Wort der
orthodoxen Theologen an Sarg und Grab nicht kennt (N. Seinecker
, Leychpredigten, 2. Bd., 1591; A. Pankratius, Christliche
Leichpredigten, 4. Bd., 1588 ff.). Dafür wird Luthers Empfehlung
der Hinausverlegung von Begräbnisstätten vor die Tore der
Städte überfordert, denn Luther ist gerade hier kein Revolutionär,
sondern Förderer einer sich vollziehenden Entwicklung. Nicht nur
die Pestäcker und Schlachtfriedhöfe sind frühe Feldbegräbnisstätten
. Selbst Schweizer erwähnt (118), daß Kardinal Albrecht
1528 in Halle den ersten Stadtgottesacker anlegte, und daß Nürnberg
1517 und 1518 Friedhöfe vor die Stadtmauern verlegte.
Damit sind keineswegs die frühsten Termine genannt; sie liegen
6<hon am Ende des 14. Jahrhunderts (Schian, Handbuch für das
kirchliche Amt, 1928, S. 189). Der alte katholische Kirchhof war
zu Luthers Zeit durchaus nicht mehr krisenfest, sondern befand
sich in voller Umgestaltung zur modernen Form. Nur Ahnungslose
werden dem Verf. glauben, daß die Profanierung der Kirchhöfe
, die allerdings leidige Tatsache war, lutherisches Erbe gewesen
ist. Wie kann man Luthers Klage über Verwilderungen auf
dem Wittenberger Kirchhof von 1527 („Ob man vor dem Sterben
fliehen müsse") als Beweis einer von der Reformation ausgehenden
Profanierung ausgeben (107), wenn man zuvor von Gerichten
, Märkten, Verteidigungskämpfen u. a. auf dem mittelalterlichen
Kirchhof berichtet hat! Wie sehr sich das Neuluthertum
gegen Kommunalfriedhöfe ausgesprochen hat, kann man bei
Th. Kliefoth, Liturgische Abhandlungen I, 1854, S. 222 ff. nachlesen
.

Der dritte Teil — „Der Friedhof" — verdient wieder volle
Anerkennung. Über die geschichtliche Entwicklung, die modernen
sanitären, wirtchaftlichen und kulturellen Motive, die Feuerbestattung
, die modernen Friedhofsordnungen, die neuzeitliche
Architektur, die Gestalt der Grabmäler werden wir gut und viel-