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Ausgabe:

1957 Nr. 6

Spalte:

440-443

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Meller, Bernhard

Titel/Untertitel:

Studien zur Erkenntnislehre des Peter von Ailly 1957

Rezensent:

Pannenberg, Wolfhart

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 6

440

Er enthält die Sermones Eckharts, die von Ernst Benz
(S. 1—224) und nach dessen Ausscheiden aus der Arbeit von
Bruno Decker und Joseph Koch herausgegeben sind. Da sie bisher
nur zu einem Teil, noch dazu unkritisch ediert, bekannt waren,
bedeutet der Band über die kritische Darbietung des Textes und
der Übersetzung hinaus eine wichtige Erweiterung der zugänglichen
Eckhart-Texte.

Die „Einführung" berichtet zunächst über die einzige, seinerzeit
von H. Denifle in Kues gefundene, Handschrift der Sermones,
die bisher bekannt ist und die also der Edition zugrunde liegt.
Sie stammt aus dem Besitz de6 Kardinals Nikolaus von Kues, der
sie genau durchgearbeitet und 60gar mit Marginalien versehen
hat; sie ist von einem Schreiber geschrieben, leider sehr fehlerhaft
; offenbar war die Vorlage nur 6chwer lesbar. Die Herausgeber
drucken deshalb die Handschrift nicht einfach ab; sie haben
vielmehr versucht, den Text durch Konjekturen in Ordnung zu
bringen, wobei sie interessanterweise schon solche des Cusaners
selbst benutzen konnten; diese sind natürlich, wie dessen Marginalien
überhaupt, im kritischen Apparat notiert. Während der
Cusaner aber reine Sinnkonjekturen bietet, haben die Herausgeber
versucht, aufgrund von Parallelaussagen in anderen E.-Tex-
ten die Vorlage zu verbessern. Selbst unter dieser Voraussetzung
werden aber manche dies Verfahren vielleicht bedauern; der Rezensent
muß ihm jedoch aufgrund eigener Erfahrung an Abschriften
, die später mit den noch gefundenen Originalen verglichen
werden konnten, recht geben. Es ist wirklich nicht empfehlenswert
, einen sinnlosen Text zu bieten, auch wenn die Handschrift
ihn enthält. Natürlich wird der Wortlaut der Handschrift im
Apparat mitgeteilt, so daß die Nachprüfung möglich ist. — Fraglicher
ist schon, daß auch die Reihenfolge der Sermones gegenüber
der Handschrift geändert ist: Eckharts Brauch in seinen „Entwurfheften
" folgend wurden sie nach dem Kirchenjahr geordnet,
zunächst die Sermones de tempore bietend, dann die Sermones de
6anctis. Auch hier erschließt eine Tabelle aber natürlich den Zusammenhang
der Handschrift.

In einem zweiten Teil der „Einführung" wird das Verhältnis
der Sammlung, der letztlich E.s eigene Entwurfhefte zugrunde
liegen müssen, zu dem von E. geplanten „Opus 6ermonum" untersucht
, mit dem Ergebnis: sie sind offenbar nicht identisch. Vor
allem fehlen in der Handschrift Predigten zum Festteil des Kirchenjahres
, die es gegeben hat, denn E. verweist mehrfach auf sie;
und die Collationen (Ansprachen) zum Festteil des Jahres, die die
Handschrift enthält, müssen als unecht gelten — offenbar hat sie
6chon der Cusaner dafür gehalten, da er sie nicht durchgearbeitet
hat. Der Ersatz des Festteils der Sermones durch unechte, nicht
abgedruckte, Collationen macht die Identität des Handschriftentextes
mit E.s Opus sermonum völlig unmöglich. Interessenten
stehen die Collationen im Kölner Thomas-Institut zur
Verfügung.

Ein dritter Teil schildert die besondere Art und den Aufbau
der Sermones. Ihr Reiz ist nach den Herausgebern, daß sie uns
einen Blick in E.s Werkstatt gestatten, da sie erlauben, von der
Skizze bis zur fertigen Predigt alle Stadien der Arbeit zu verfolgen
. Daß an einem Beispiel vorgeführt wird, was eine kundige
Hand aus den an 6ich spröden Texten der Sermone herausholen
kann, ist besonders begrüßenswert. Zudem zeigen 6ie uns auch
noch die Methode von E.s Schriftauslegung, die zu Vergleichen
mit der Luthers geradezu reizt.

Zur Edition selbst ist damit auch schon das Entscheidende
gesagt. Zu ergänzen ist nur noch, daß selbstverständlich nach
Kräften versucht ist, die Zitate E.s nachzuweisen. Zu bedauern
ist lediglich, daß das Verzeichnis der benutzten Ausgaben im Abkürzungsverzeichnis
in Bd. 3 nachzuschlagen ist. Da hier S. XLI
doch Ergänzungen gebracht werden mußten, wäre ein Wiederabdruck
auch hier doch wohl zu ermöglichen gewesen.

Dem Text ist eine Übersetzung beigegeben, für die die
Herausgeber auf starke Kritik gefaßt sind. In Wahrheit ist sie
besonderen Dankes wert. E. zu übersetzen, ist bekanntlich eine
schwierige Aufgabe. Da ist es nur zu begrüßen, hier die Deutung
der Texte von Männern zu haben, die vor anderen mit ihnen vertraut
sind. Sogar ein unselbständiges Benutzen dieser Übersetzung

wäre besser als ein Vorbeigehen an den Sermonen, das sonst vielleicht
doch zu befürchten wäre.

Den Fortschritt, den der Band für die Erforschung E.s bedeutet
, zu untersuchen, ist hier nicht der Ort. Daß er mit den
Materialien, die er bietet, über E. hinaus in die Predigtweise des
Mittelalters überhaupt tiefe Einblicke eröffnet, sei wenigstens am
Rande vermerkt. Wir können zunächst nur die Herausgeber beglückwünschen
, daß ihre mühselige und entsagungsreiche Arbeit
nun bis zu diesem ersten Abschluß gekommen ist, den Band mit
herzlichem Dank an sie entgegennehmen, sowie ihnen und uns
herzlich wünschen, daß sie nun schneller vorankommen. —

Um das gesamte erhaltene Überlieferungsmaterial für die
neue Ausgabe der deutschen Werke E.s auswerten zu können, hat
die deutsche Forschungsgemeinschaft seit 1933 eine ganze Reihe
von Suchreisen durchführen lassen, deren Plan freilich durch den
Ausbruch des Krieges nicht mehr voll realisiert werden konnte.
Über die Reisen und ihre Ergebnisse hat J. Quint im ersten Band
der „Untersuchungen" Bericht erstattet und vor allem die E.Handschriften
beschrieben, sowohl Paralleltexte zu solchen Manuskripten
, die schon durch einen Druck bekannt sind, wie auch bisher
unbekannte. Ich zähle deren 133! Jedoch sind anderswo schon
beschriebene Handschriften ausgeschlossen.

Im ganzen 6tanden 1940 schon über 220 Handschriften für
die deutschen Werke E.s zur Verfügung.

Aber auch Manuskripte, die Werke Taulers, Seuses oder sonstige
mystische Schriften enthalten, sind aufgenommen. Doch
6ind alle Funde, die gemacht sind, in diesem Band noch nicht ausgewertet
, sondern nur kurz beschrieben. Die Auswertung ist der
Ausgabe selbst vorbehalten. Auch die Untersuchung der Echtheit
soll dort erfolgen. Doch sind die bereits vorhandenen Ausgaben
der Texte oder ihr Vorkommen in der Literatur vermerkt.

Hinter dem Band 6teht also eine geradezu enorme Arbeit,
an der keiner vorbeigehen kann, der über die deutsche Mystik
arbeitet.

Hamburg Kurt-Dietrich Schmidt

Melier, Bernhard: Studien zur Erkenntnislehre des Peter von Ailly.

Anhang: Aillys Traktat de Materia Concilii Generalis. Freiburg: Herder
1954. XXXII, 346 S. gr. 8° = Freiburger Theol. Studien H. 67.

Das Bild des Nominalismus hat sich in der Forschung der
letzten Jahrzehnte grundlegend gewandelt. Sowohl hinsichtlich
der Erkenntnistheorie als auch der Gnadenlehre des Ockhamis-
mus hat sich eine zutreffendere und gerechtere Beurteilungsweise
durchgesetzt. So ist es zu begrüßen, daß auch dem großen Kardinal
Peter von Ailly, dem einflußreichen Kirchenpolitiker und
wohl bedeutendsten theologischen Denker des ausgehenden 14.
Jahrhunderts, eine neue, umfassende Untersuchung zuteil geworden
ist.

Die Arbeit Meilers steht jedoch nicht im Zusammenhang
der erwähnten Forschungsrichtung. Sie ist bereits vor einiger Zeit
abgefaßt und älteren Fragestellungen verpflichtet. Meilers Hauptinteresse
gilt nicht dem Ockhamisten Ailly, sondern dem Bewah-
rer älterer, hochscholastischer und speziell — wie Meiler meint —
thomistischer Traditionen. Diese Fragestellung ist gerade in diesem
Fall nicht unsachgemäß. Ailly gehörte zwar zur Schule Ock-
hams, aber er setzte sich mit der ganzen scholastischen Tradition
auseinander und gab auch gelegentlich anderen Meinungen den
Vorzug vor derjenigen des venerabilis ineeptor oder schritt über
Ockham hinaus zu selbständigen Lösungen. Die Auffassungen
Aillys von der natürlichen und der Glaubenserkenntnis, die M.
zum speziellen Gegenstand seiner Untersuchung gemacht hat,
sind für einen Aufweis der Schnittpunkte zwischen hochscholastischen
und ockhamistischen Gedanken bei Ailly besonders geeignet
.

Einleitend entwickelt M. eine knappe Biographie Aillys und
gibt einen Überblick über seine kirchenpolitische Tätigkeit und
seinen wissenschaftlichen Standpunkt. Dabei finden seine Lehre
von der Kirche und seine Stellungnahme in der Frage der Unfehlbarkeit
ihres Lehramtes besondere Aufmerksamkeit1.

*) Die im Anhang auf Grund von vier Handsdiriften erstmals gedruckte
Abhandlung Aillys ,De materia concilii generalis' aus dem Jah-