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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

21-26

Autor/Hrsg.:

Meyer, Rudolf

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1957

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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(137), als ,.Erlebnis" (140) — und die Erkenntnisbezogenheit des
Glaubens (82—8 5) heutigem evangelischem Denken entgegenkommt
; ganz zu schweigen von den hilfreichen poimenischen Weg-
Weisungen über ,,Hoffnung und irdisches Leid" (127—113). — Besonders
beachtlich erscheinen mir die weithorizontierten Ausführungen
über „das gemeinschaftliche Beten" (180 ff.): auf der einen
Seite: größte Ehrfurcht vor dem aus ehrwürdigen Traditionen
erwachsenen liturgischen Beten — „Liturgie ist gebetete Wahrheit
" (R. Guardini) —, auf der anderen: gesundes Empfinden für
die Notwendigkeit der Neugestaltung gottesdienstlicher Formen.
Man möchte manchem evangelischen Liturgie-Theoretiker und
-Praktiker Einsichten wie diese wünschen: „Die aus einer anderen
Kulturwelt stammenden Formen können erstarren, so daß sie dem
lebendigen Menschen von heute nichts mehr zu sagen haben und
als Petrefakten einer längst überwundenen Zeit höchstens noch
sein archäologisches Interesse in Anspruch nehmen. Niemand kann
vor dieser Gefahr die Augen schließen. Man denke nur etwa an
die inhaltlich unvergleichbar tiefe und mit Zeremonien überreich
ausgestattete Karsamstagsliturgie. Wie wenige bringen trotz aller
Belehrung Verständnis für sie auf! Der moderne Mensch hat nun

einmal nicht mehr das Organ für die Symbolsprache der Antike".
So steht die Ehrfurcht vor geheiligter Form in Spannung mit dem
„Bedürfnis des heutigen Menschen nach Formen des Gottesdienstes
, die unmittelbarer Ausdruck seines religiösen Bedürfnisses
sind". Grundsätzlich hat die Kirche „heute dasselbe Recht, neue
Formen zu schaffen, wie sie es ehedem getan. Es ist nur eine praktische
Frage der Zweckmäßigkeit" (18 3). „Auch der liturgische
Eifer ist von der Gefahr des Formalismus und der Veräußerlichung
bedroht" (186). Wieviel neuromantische Repristination eines
restaurativen Liturgismus könnte der evangelischen Kirche heute
erspart bleiben, wenn sie etwas von dieser nüchternen Weisheit
katholischer Theologie zu lernen imstande wäre!

Aufs Ganze gesehen: Poschmanns Werk bietet eine lehrreiche
Darstellung aller echten Motive, Gestalten und Tendenzen
katholischer Frömmigkeit. Infolge seiner im Grundsätzlichen unnachgiebigen
dogmatischen Haltung bedeutet es allerdings für jeden
ernsthaften evangelischen Theologen zugleich unbewußt eine
indirekte historische und sachliche Rechtfertigung der Reformation
Luthers und seiner Daseinsdeutung und somit den ungewollten
Aufweis ihrer bleibenden Gültigkeit.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

37. Die Fragmente der Höhle I

Von Rudolf Meyer, Jena

Die Reihe „Discoverics in the Judaean Desert" stellt eine [ Verf. auf die anfängliche Fehldatierung der Krüge ein, die durch
Gemeinschaftsarbeit ersten Ranges seitens des Jordan Department die Grabungen in der Ruine von Qumrän — November und De-
of Antiquities, der Ücole Biblique et Archeologique Francaise I zember 1951 — korrigiert worden ist. Auch ergänzt er, soweit
sowie des Palestine Archaeological Museum dar. Der nunmehr [ dies möglich ist, seine Ausführungen durch wertvolles Vergleichsvorliegende
erste Band „Qumran Cave I"1, von der Clarendon i material. Da inbezug auf die 1 Q-Keramik die Münzfunde von
Press reich ausgestattet und drucktechnisch ein Meisterstück, j Qumrän den Ausschlag geben, ist anzunehmen, daß die Gegenenthält
die Funde der Höhle 1 von Chirbet Qumran (1 Q), so
weit sie nicht bereits durch M. Burrows2 und E. L. SukeniW ediert
worden sind oder noch gesondert veröffentlicht werden.

Im ersten Teile, „The Archaeological Finds", wird
der archäologische Tatbestand in Form von Einzelbciträgen, de-

stände im 1. Jhdt. n. Chr. deponiert worden sind, wobei Verf.
das Jahr 70 als die unterste Grenze annimmt. Bezüglich der
Zweckbestimmung der Krüge, die den Hauptteil der Funde darstellen
, ergibt sich: Obwohl die Sitte, Dokumente in Gefäßen
aufzubewahren, sowohl geographisch wie zeitlich weit verbreitet

nen zum Teil erläuternde Zeichnungen beigegeben sind, behan- ] lst> so liegt doch in Chirbet Qumrän keinerlei Anhaltspunkt da-
delt. Einleitend (S. 3-7) weist G. L. Harding darauf hin, daß j fur vor, daß die zahlreichen Krüge speziell für die Aufbewahrung
systematische Grabungen die anfänglichen Vorstellungen von v°n Handschriften angefertigt worden seien; vielmehr handelt

Alter und Vorgeschichte des 1 Q-Fundes wesentlich korrigiert
haben. So ist 1 Q nur eine von mehr als 30 Höhlen, die im
1. Jhdt. n. Chr. in Gebrauch waren. Die näheren Umstände freies
sich hierbei primär um gewöhnliche Haushaltgegenstände.

In einem dritten Beitrag, „The Linen Textiles" (S. 18—38),
behandelt Frau G. M. Crowfoot ausführlich die Bestimmung

lieh, die zur Verbergung der Handschriften bzw. zu deren Be- j der in 1 Q gefundenen Stoffreste. Man kann die Stoffe folgender

Schädigung geführt haben, sind bisher noch nicht aufgeklärt; nur j maßen klassifizieren: feines Gewebe mit blauem Linienmuster,

soviel läßt sich sagen, daß sie gegen Ende des 1. Jhdt.s n.Chr. j wobei Blau als einzige Farbe, die verwendet worden ist, vielleicht

deponiert worden sind, was nicht ausschließt, daß zahlreiche von i apotropäischen Charakter gehabt hat; ferner unterschiedlich ge

ihnen ein höheres Alter aufweisen. Auch das, was H. über die
Entdeckung der Funde sagt, trägt wesentlich zur Korrektur des
bisherigen Bildes bei. Vor allem zeigt sich hier mit aller Deutlichkeit
die unerfreuliche Rolle, die die Angehörigen des syrischen
St. Markus-Klosters in Jerusalem gespielt haben; auf der
anderen Seite betont H. die hervorragende Unterstützung, die
den Ausgräbern laufend durch die Arabische Legion zuteil geworden
ist. Schließlich berichtet H. über Lage und Zustand der
Höhle 1, ihre genaue Untersuchung sowie über kleinere Funde
daselbst, von denen Phylakterienbehälter und 2 Fragmente eines
Holzkammes Erwähnung verdienen.

Anschließend bespricht R. d e V a u x in einem zweiten Beitrag
, „La Poterie" (S. 8-17), die 1 Q-Keramik. Hierbei geht

U

) Bart hei emy. D., O.P. u. Milik, J. T.: Discoveries in
the Judaean Desert. I.: Qumran Cave I. With Contributions by R. de
Vaux, O. P.. G. M. Crowfoot, H. J. Plenderleith, G. L. Harding. Oxford:
Clarendon Press 1955. XI, 165 S. mit 10 Abb., 37 Taf. 4° = Jordan
Department of Antiquities. ficole Biblique et Archeologique Francaise.
Palestine Archaeological Museum. 63 s.
Vi| JlluA'*) M- Burrows, The Dead Sca Scrolls of St. Mark's Monastery I:
'he Isaiah Manuscript and the Habakkuk Commentary (New Häven
'9 50); II, 2: Plates and Transcription of the Manual of Discipline
(1951). '

') E. L. Sukenik. Osar ha-Megillot ha-Genuzot (Jerusalem 1954);
aers., The Dcad Sea Scrolls of the Heb rew University (1955).

webte, teilweise mit Fransen versehene Stoffe und schließlich das
grobe Gewebe, das man auf die Öffnungen der mit Handschriften
gefüllten Krüge legte, bevor die Deckel aufgepreßt wurden. Der
Datierung der Stoffe wird der Carbon 14-Test von Dr. W. F.
Libby. Chicago, zugrunde gelegt. Danach ergibt sich eine Zeitspanne
von 167 v. Chr. bis 237 n. Chr.; in Verbindung mit den
Münzfunden von Qumrän entscheidet sich auch Verfasserin für
das Ende des 1. Jhdt. n. Chr. als zeitlichen Ansatzpunkt. Ein Verzeichnis
der einzelnen Fragmente schließt die Erörterungen ab,
die besonders auch deswegen interessant sind, weil Verfasserin
auf das religionsgeschichtliche Problem der Einhüllung heiliger
Schriften eingeht und entsprechendes Material aus der rabbini-
schen Tradition beibringt.

Im letzten Beitrag, „Technical Note on UnwTapping of
Dead Sea Scroll Fragments" (S. 39 f.), vermittelt H. J. Plenderleith
einen Einblick in den chemisch-technischen Prozeß
der Erschließung des Handschriftenmaterials sowie der Öffnung
der Lederrollen.

Der zweite Teil des vorliegenden Bandes umfaßt die
Textausgabe, ergänzt durch einen Index der in den 1 Q-Frag-
menten begegnenden Bibelstellen und ein Verzeichnis der in den
außerbiblischen Bruchstücken zu belegenden hebräischen und aramäischen
Wörter (S. 43-165).

Aus der Einleitung (S. 43 ff.) geht u. a. hervor, daß Hunderte
von kleinen und kleinsten Stücken untersucht werden muß-