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Ausgabe:

1957 Nr. 6

Spalte:

429-431

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schoeps, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis 1957

Rezensent:

Goppelt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 6

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abgelaufen sein soll. Ist das Matthäusevangelium zwischen 60
und 70 in Palästina geschrieben — der Apostel Matthäus ist nicht
sein Verfasser — so das Markusevangelium von Joh. Markus
(zwischen 64 und 70 in Rom), das Lukasevangelium kurz vor 70
(auch für dieses Evangelium sei an Rom als Abfassungsort zu
denken, vgl. 2. Tim. 4, 11). Für das vierte Evangelium erarbeitet
Michaelis als Ergebnis: „Das Selbstzeugnis de6 Johannesevangeliums
weist mit einer Eindeutigkeit auf den Zebedaiden Johannes
als Verfasser hin, die die der entsprechenden Angaben in Mk.-,
Mt.-, Lk.-Ev. weit übertrifft." Ein ernsthafter Einwand gegen
diese Verfasserschaft könne nicht erhoben werden. Was die
Apostelgeschichte angeht, die um 70 herum in Rom geschrieben
sein soll, so weise Apg. 28, 31 nicht auf das baldige Lebensende
des Paulus hin, da eine zweite römische Gefangenschaft anzunehmen
sei (S. 142). Es ergib sich daraus mit einer gewissen Folgerichtigkeit
, daß der Autor nun in einer ausgiebigen Behandlung
der Pastoralbriefe (S. 232-261) diese für echt erklärt und im Zusammenhang
damit eine Chronologie entwickelt, welche für das
Leben des Paulus folgende Daten ergibt: Frühjahr 61 Freilassung
aus der ersten römischen Gefangenschaft, evtl. Spanienreise, Unterbringung
der Reiseroute in den Pastoralbriefen zwischen Herbst
61 und Sommer 63 (Frühherbst 63 Beginn der zweiten römischen
Gefangenschaft, Herbst 63 Abfassung des zweiten Tim.-briefes,
der damit wohl das letzte Schriftstück des Paulus sein dürfte).
Den Philemonbrief möchte Michaelis samt Epheser, Kolosser und
Philipper in eine Gefangenschaft zu Ephesus verweisen (54 auf
55). Der Jakobusbrief ist um die Mitte des 5. Jahrzehnts geschrieben
und die älteste uns erhaltene urchristliche Schrift aus
der Zeit vor der paulinischen Mission (S. 282).

Auch wenn man dem Autor des öfteren widersprechen
möchte, erfährt man durch seine gründliche und umsichtige Darstellung
reiche Belehrung. In seiner konservativen Grundeinstellung
steht er Theodor Zahn in vielem näher als der heute viel
benutzten Einleitung von Feine-Behm, obwohl auf sie häufig zustimmend
Bezug genommen wird. Mit dem neuesten Werk von
Martin Albertz erfolgt eine kritisch ablehnende Auseinandersetzung
.

Berlin Erich Fase her

S c h o e p s, Hans-Joachim, Prof.: Urgemeinde, Judentum, Gnosis. Tübingen
: Mohr 1956. IV, 88 S. gr. 8°. DM 9.80.

Durch sein bekanntes Werk über „Theologie und Geschichte
des Judenchristentums", Tübingen 1949, wollte Schoeps nicht
nur einen vernachlässigten Winkel der „Geschichte des frühen
Christentums" aufhellen, sondern erreichen, daß diese „in manchen
Stücken umgeschrieben werden müsse" (op. cit. IV). Er
wollte erweisen: Das häretische Judenchristentum ist ein der
Großkirche sachlich ebenbürtiger Zweig des Urchristentums, der
die Traditionen der Urgemeinde vielfach besser gewahrt hat als
jener; es ist gleich jener antignostisch und selbst nicht gnostisch!
Auf diese zwei zugespitzten Thesen konzentrierte sich naturgemäß
die Kritik der Rezensionen. Ihr gegenüber versucht Schoeps
diese Thesen in den vorliegenden Untersuchungen weiter zu klären
und zu erhärten.

Das Hauptwerk hatte die Geschichte des Judenchristentums
erst vom Jahre 70 ab dargestellt und seine Verbindung mit der
Urgemeinde nur thetisch angedeutet. Diese Verbindungslinie soll
nun der erste Teil dieser Untersuchungen ausziehen. Man hatte
dem Verfasser vorgeworfen, er habe hier allzu wenig differenziert
; deshalb legt er nun seine Auffassung über die Richtungen
in der Urgemeinde und ihr Verhältnis zum häretischen Judenchristentum
dar: Die seit Heitmüller entwickelten Hypothesen
über ein hellenistisches Christentum vor Paulus und seine Ansätze
in Jerusalem sind unhaltbar. „Erst mit dem Auftreten des
Paulus haben sich (in der Urgemeinde) allmählich Traktionen'
ausgebildet" (S. 6). Und nun muß Schoeps zugestehen daß auch
die Mittelpartei der Zwölf einschließlich des Herrnbruders Jakobus
Paulus wenigstens als „Mitarbeiter" anerkannte; nur die
Judaisten, die ihn ablehnten, wurden die Ahnherren der Ebioni-
ten der Kerygmata Petru (KIDI Mit dieser Skizze versucht Schoeps
das immer noch herrschende Schema der religionsgeschichtlichen
Schule zu durchbrechen, aber er läuft Gefahr, wieder in

die Betrachtungsweise der Epoche Weizsäcker - Dobschütz zurückzufallen
. Leider wird die Skizze in den nächsten Abschnitten nur
in der Weise gefüllt, daß die schon im Hauptwerk analysierten
Aussagen der A77 über die frühchristliche Zeit historisch zusammengeordnet
werden. Durch sie wird sicher die judaistische Polemik
gegen das Apostolat des Paulus aufschlußreich beleuchtet,
aber ihre Darstellung des Stephanuskonfliktes und der urgemeindlichen
Verkündigung ist historisch doch ungleich fragwürdiger als
die entsprechenden Berichte der Apg.: Z. B. ißt die Lehre von
den beiden Parusien, die sie den Vertretern der Urgemeinde in
den Mund legen, dem ganzen NT fremd, aber für die Apologeten
des 2. Jahrhunderts typisch. Auch die Theorie von der Verdrängung
der Opfer durch die Taufe gehört kaum in die Urgemeinde
, wohl aber in das jüdische Täufertum. Man hätte gewünscht
, daß Schoeps sein bedeutendes Werk durch eine Darstellung
des Judenchristentums vor 70 ergänzt hätte. Diese nachtragsmäßige
aphoristische Ausgestaltung einer dort materiell am
Rande stehenden Hypothese will nicht recht befriedigen.

Gewichtiger sind die Ausführungen des 2. Teils. Sie suchen
den ungnostischen Charakter der KU, den Schoeps entgegen der
üblichen Auffassung behauptet, zu verteidigen. Er relativiert die
neuere Forschung zur Gno6is durch einen Überblick über ihre
divergierenden Ergebnisse und stellt dann selbst an einem Querschnitt
durch die gnostischen Systeme des 2. Jahrhunderts, vor
allem an den Valentinianern, die Wesensmerkmale der Gnosis
heraus, um daraus zu folgern: Von der Gnosis aus kann es „keinerlei
Übergang zum Judentum oder Christentum geben". Deshalb
sollte das „Gerede von jüdischer oder christlicher Gnosis
aufhören" (S. 39). Manche neutestamentlichen Schriften enthalten
wohl Anklänge an die Gnosis, aber das sind entlehnte Begriffe
, denen kein gnostischer Inhalt entspricht. Bei der scheinbar
gnostischen Ausdrucksweise im Judentum aber liegt nicht einmal
diese äußeTe Anlehnung vor; hier hat sich vielmehr eine zur
Gnosis nur „homologe" eigenständige Begriffsbildung vollzogen.
Diese setzt als ein Strom heterodoxer jüdischer Tradition an der
Auslegung bestimmter Schriftstellen ein und erstreckt sich von
der älteren Haggada und von Philo bis zur jüdischen Mystik des
Mittelalters. Die angeblich „gnostischen" Elemente der KIT gehören
, wie Schoeps an ihren Hauptthemen mit zahlreichen Belegen
zu zeigen versucht, in diesen Strom und nicht in die gnostische
Tradition, die davon getrennt vom Iran her zu den gnostischen
Schulen des zweiten Jahrhunderts verläuft. Die KU nehmen diese
heterodoxe jüdische Tradition auf, um die von der wirklichen
Gnosis aufgeworfenen Fragen apologetisch zu beantworten; ihre
•.gnostische" Thematik beruht auf einer der Großkirche voran-
eilenden Apologetik. Darnach geht es Schoeps also nicht nur um
einen präziseren Gebrauch der Bezeichnung Gnosis, sondern um
ein weitreichendes religionsgeschichtliches Ürteil. Dieses ist m. E.
nicht haltbar. So gewiß die Gnosis und die biblische Gottesvorstellung
einander sachlich ausschließen, so gewiß suchte nicht nur
Marcion, den Schoeps als einzige Ausnahme nennt, beides über
Begriffsentlehnungen hinaus zu verbinden. Ja es wird immer deutlicher
, daß 6ich erst durch die Berührung des Judentums und des
Christentums mit dem hellenistischen Synkretismus gnostische
Vorstellungselemente gebildet haben. Das beweisen allein Erscheinungen
wie die Irrlehrer, die in den Korintherbriefen, im
Kolosserbrief und in den Pastoralbriefen bekämpft werden. Sie
nötigen uns, von einer judenchristlichen Gnosis zu reden. So wird
man auch weiterhin im häretischen Judenchristentum eine no-
mistische und eine gnostische Richtung unterscheiden und die KU
mehr der letzteren zurechnen müssen. Die haggadischen Parallelen
zu den gnostischen Elementen in den KIT, auf die Schoeps nochmals
mit Nachdruck verweist, vermögen deren genuin jüdischen
Charakter nicht zu erweisen; denn einerseits sind sie 6elbst nicht
unabhängig von der zur Gnosis hinführenden religionsgeschichtlichen
Bewegung und andererseits gehen die entsprechenden Aussagen
der KIT erheblich über sie hinaus.

Eine Lücke, die bisher in der jüdischen Vorgeschichte der A77
blieb, versucht ein die Untersuchungen abschließender Anhang zu
schließen. Eine Reihe auffallender Berührungen zwischen den A77
und den nunmehr veröffentlichten Handschriften von Qumrän
erweisen, daß diese Ebioniten „in Erbfolge essenischen Gedankengutes
stehen". Hier kommt Schoeps zu ganz ähnlichen Ergebnis-