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Ausgabe:

1957 Nr. 6

Spalte:

419-421

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Helmut

Titel/Untertitel:

Die Religionen Tibets 1957

Rezensent:

Lanczkowski, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 6

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dem, der bei Happich oder einem seiner Schüler gelernt hat. Wer sie
nur nach dem Lesen beurteilt, greift fehl (wie z. B. W. Gruehn in seiner
Kritik in „Der Weg zur Seele", 1950, Heft 6, S. 163—167; vgl.
dazu die Gegenkritik von Friso Melzer, Neubau 1950, Heft 8,
S. 346/47).

Wer erfahren will, was Happich entdeckt und gelehrt hat,
der frage seine Schüler, deren einige in Happichs Meditationsverfahren
einzuführen vermögen: die beiden Professoren der
Praktischen Theologie Otto Haendler (Berlin) und Alfred Dedo
Müller (Leipzig), Bischof Prof. Wilhelm Stählin und Kirchenrat
K. B. Ritter (Marburg). Als letzter Schüler kurz vor Happichs
Tode hat der Verfasser dieser Darstellung bei Happich gelernt.
Veröffentlichungen der Happich-Schüler:

(1) Otto Haendler hat am ausführlichsten über die
Meditation im Dienst der Predigt gehandelt in seinem Buch
„Die Predigt / Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen
" (Berlin, 2. erweiterte Auflage 1948, S. 149—210). Er
macht deutlich, was wirkliche Predigt - Meditation ist. Was
gewöhnlich so genannt wird, ist die (auch notwendige) Predigt-
Besinnung und sollte sich des irreführenden Gebrauchs des
Wortes „Meditation" enthaltenl

(2) Alfred Dedo Müller hat, weil Haendler so ausführlich
geschrieben, sich kürzer fassen können: „Ethik" (Berlin
1937), S. 182-185; „Grundriß der Praktischen Theologie" (Gütersloh
1950), S. 206-209, 334, 337-344.

(3) Karl Bernhard Ritter mit seiner Schrift „Über die
Meditation als Mittel der Menschenbildung" (Kassel 1947).

(4) Wilhelm Stählin in seinem Briefwechsel mit Gerhard
Rosenkranz, wobei dieser die Meditation, die er als asiatisch
-heidnische Praxis verstand (mißverstand), ablehnte: „Ost
und West / Ein Briefwechsel", in dem bedeutsamen Jahresband
„Das Gottesjahr 1938", das als Ganzes der Frage der geistlichen

RELIGION S WISSEN SCHAFT

Hoffmann, Helmut: Die Religionen Tibets. Bon und Lamaismus
in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Freiburg/München: Alber [1956].
VI, 214 S. 16+1 färb. Taf. 8°. Lw. DM 15.80.

Wesentlich bedingt durch den geographischen Charakter seiner
schwer zugänglichen Lage und durch eine diese verstärkende
politische Abgeschlossenheit, ist das einsame Hochland von Tibet
bis heute nicht nur für den Durchschnittseuropäer, sondern auch
weithin für den Geisteswissenschaftler ein unbekanntes Gebiet
geblieben, das nur zu leicht als Stätte einer stagnierenden Geistigkeit
und einer im Formelhaften erstarrten Religion angesehen
wird. Wenn sich nun auch zweifellos dem abendländischen Geiste
bei einer Beschäftigung mit Tibet eine fremde, ganz eigenartige
und in mittelalterlichen Vorstellungen verharrende Kultur eröffnet
, so ist diese völlig andersartige Geistigkeit doch keineswegs
monoton, sondern von jener erstaunlichen Vielfalt, wie sie
ein bekanntes tibetisches Sprichwort so 6chön zum Ausdruck
bringt:

„lung-pa re- re skad-lugs re,

bla-ma re-re chos-lugs re."

„Jeder Distrikt hat seinen eigenen Dialekt,

jeder Theologe hat seine eigene Dogmatik."
Helmut Hoffmann, einer unserer besten Kenner tibetischer
Kultur und Sprache, hat es in dem vorliegenden Buche in meisterhafter
, schlechthin mustergültiger Weise verstanden, eine
fesselnde Darstellung der reichen Geistigkeit Tibets und seiner
das ganze kulturelle Leben beherrschenden Religiosität zu geben.
Gewiß dienten schon frühere Werke anderer Autoren ähnlichen
Zielen. Wir besitzen die systematischen Darstellungen tibetischen
Geisteslebens und tibetischer Religion von L. A. Waddell (The
Buddhism of Tibet or Lamaism, Neuausgabe London 1934) und
Robert Bleichsteiner (Die Gelbe Kirche, Wien 1935) sowie das
im wesentlichen speziell auf den Lamaismus und seine Geschichte
konzentrierte Werk von Günther Schulemann (Die Geschichte
der Dalailamas, Heidelberg 1911). Das Buch von Hoff mann unterscheidet
sich von den genannten Arbeiten nicht allein dadurch.

Übung gewidmet ist. Wilh. Stählin hat bereits 1943 im Deutschen
Pfarrerblatt (Nr. 7, April, S. 49/50) in einem Aufsatz
„Über die Meditation von Bibeltexten" deutlich zu machen versucht
, wie Happichs Verfahren dem Pfarrer, überhaupt dem Theologen
zu dienen vermag. Zu dienen wozu? Den Intellektualismus
zu überwinden und die Fähigkeit zu erwerben, innerlich zu hören
, Gottes Wort wirklich zu vernehmen. Er empfiehlt jedoch —
zu Recht —, solche Übungen zuerst an gegenständlichen Größen
vorzunehmen, damit man die nötige Schulung oder Übung gewinne
, die man für die geistigen „Gegenstände" nötig hat.

(5) Als letzten darf der Verfasser sich selber nennen mit
drei Büchern (deren erstes den Weg Happichs darstellt und weiterführt
): „Meditation / Eine Lebenshilfe" (Stuttgart 1954) —
„Konzentration / Vom Wege, Von der Nachfolge, Vom lebendigen
Wort" (Stuttgart 1955) - „Meditation in Ost und West"
(Stuttgart, Herbst 1957). Dieses letzte Buch legt zehn Wege dar,
östliche und westliche, heidnische und christliche, und beweist
damit: es gibt soviel Meditationswege wie Religionen und christliche
Konfessionen; es mag sogar innerhalb einer Konfession
mehrere Wege geben.

So will auch Happichs Weg nur als einer verstanden werden
. Nicht als ein Weg des Heils, sondern der Hilfe, frei zu werden
vom Intellektualismus. Es geht darum, wieder unmittelbar
zu werden zu den Dingen, zu sich selbst, zum göttlichen Wort.
Zu unterscheiden ist die Meditation greifbarer Objekte (Bilder
, Symbole) und die Meditation des eigenen Innern (mit
dem Ziel der Selbstbegegnung). Voraussetzung ist stets eine bestimmte
Atemtechnik und die Entspannung, die unter dem Namen
des „Autogenen Trainings" weithin bekannt geworden ist.
Des Verfassers Buch „Meditation" enthält die Anweisungen, die
einer braucht, um selbst zu üben.

daß es erstmals eine fortlaufende historische Darstellung aller tibetischen
Religionsformen gibt, sondern auch durch die Einarbeitung
neuester Forschungsergebnisse.

Zwei Punkte sind hierbei m. E. besonders hervorzuheben.
Es ist einmal eine ausführliche Darstellung der beiden Entwicklungsstufen
der Bon-Religion: zunächst in ihrer Form als alttibetischer
Schamanismus, der im Zusammenhang mit einer einst nicht
nur Sibirien und die arktischen Gebiete, sondern weite Teile
Hochasiens beherrschenden animistisch-schamanistischen Religiosität
gesehen werden muß; sodann als ein unter dem Einfluß des
Buddhismus und in Konkurrenz zu ihm systematisiertes Böntum.
Hoffmann konnte hier auf eigenen gelehrten Vorarbeiten aufbauen
, vgl. Quellen zur Geschichte der tibetischen Bon-Religion,
in: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur
in Mainz, 1950.

Für die Darstellung der buddhistischen Religiosität Tibets
scheint es mir besonders wichtig, daß Hoffmann eine recht ausführliche
, bis zu seinen indischen Ursprüngen zurückverfolgte Beschreibung
des Kälacakra („Rad der Zeit") gibt. Denn dieses
letzte in Indien erwachsene und dann auch in Tibet wirksam gewordene
System des Buddhismus, das durch weitgehende Anleihen
an den Hinduismus ausgezeichnet ist und letztlich auf dem
Glauben an die Identität von Makrokosmos und Mikrokosmos
beruht, bildete bislang nur 6elten den Gegenstand buddhologi-
scher Arbeiten.

Angesichts des glänzenden Überblicks über die Religionen Tibets
und der in ihn hineingearbeiteten Fülle neuer Erkenntnisse, wie sie dieses
prachtvolle Buch bietet, können zwei kritische Bemerkungen nicht
negativ verstanden werden. Einmal bietet der Verfasser, abgesehen von
der Schilderung des fünften Dalai Lama, nur eine summarische Übersicht
über die Priesterfürsten des Landes. Der Verweis, daß es sich bei
deren Geschichte um profane Ereignisse handele, bedürfte vielleicht,
wenigstens in einigen Punkten, der Überprüfung im Hinblick darauf,
daß in Tibet Profan- und Religionsgeschichte eine selten starke Einheit
bildeten.

Zum anderen ist eine Bemerkung zur Transkription des Tibetischen
zu machen. Hoffmann gibt mit „sh" sowohl einen etwa dem deutschen
„sch" entsprechenden Laut wieder wie auch das aspirierte „s" in seiner
Verbindung mit vorausgehendem t-Laut (tsh). Im letzteren Falle