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Ausgabe:

1957 Nr. 5

Spalte:

383-384

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Auer, Alfons

Titel/Untertitel:

Der Mensch hat Recht 1957

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Seite 1

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383

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 5

384

Guardini, Romano: Der Dienst am Nächsten in Gefahr. Würzburg:
Werkbund-Verlag [1956]. 33 S. gr. 8°. Kart. DM 2.70.

Kol, Alph. van: Moraalproblemen: Afgoderij, waarzeggerij, toverij.
Bijdragen. Tijdschrift voor Philosophie en Theologie 18, 1957
S. 41—62.

L e c 1 e r c q, Jacques: Can a layman be a saint?

Theology Digest IV, 1956 S. 3—8.
Marino, A. Di: Why is lying forbidden?

Theology Digest IV, 1956 S. 9—12.
Nell-Breuning, Oswald von: Katholische und evangelische Soziallehre
— ein Vergleich.

Una Sancta 11, 1956 S. 184—195.
Pemberton, Prentiss L.: An Examination of Some Criticisms of

Talcott Parsons' Sociology of Religion.

The Journal of Religion XXXVI, 1956 S. 241—256.
Rondet, H.: A theology of work.

Theology Digest IV, 1956 S. 37-41.

KIRCHENRECHT

Auer, Albert, O.S.B.: Der Mensch hat recht. Naturrecht auf dem
Hintergrund des Heute. Graz: Styria [1956]. 398 S. 8°. Lw. DM 15.30.

Fechner, Erich: Rechtsphilosophie. Soziologie und Metaphysik des
Rechts. Tübingen: Mohr 1956. XX, 303 S. gr. 8°. DM 22.-;
Lw. DM 26.—.

Zwei wichtige Beiträge zur heutigen lebhaften Debatte über
das Wesen de6 Rechts liegen uns hier vor. Beide sind dadurch
gekennzeichnet, daß sie den Positivismus ablehnen, der gegenwärtig
in der Literatur nur wenige Vertreter findet, ja der nach
1945 weithin zum Schimpfwort geworden war (juristische Vertreter
des Positivismus aus jüngster Zeit zitiert F. auf S. 185 ).
Beide stehen, auch darin typisch für heute, im Zeichen des Naturrechts
, das sie für die Gegenwartsproblematik fruchtbar machen
möchten. Aber hier scheiden sich auch ihre Wege. Während A. als
guter Katholik „linientreu das metaphysisch fundierte Naturrecht
vertreten" will (S. 7), lehnt F. ausdrücklich den „Begriff eines
vorgegebenen statischen Naturrechts" ab zugunsten eines Naturrechts
„mit werdendem Inhalt, an dem der Mensch entscheidenden
Anteil hat" (S. 261). Aber auch A. begnügt sich, darin anders
als „da6 behauptungsfrohe Mittelalter" (S. 185), mit wenigen
unveränderlichen Sätzen und ist im übrigen bestrebt, das Naturrecht
als „geschmeidig und individualisierend" (S. 161) zu erweisen
.

Im einzelnen wäre folgendes hervorzuheben:
A. teilt seine Arbeit in drei Teile. Im ersten gibt er eine versierte
kritische Darstellung der modernen Richtungen des Natur-
rechtsdenkens vom thomistischen Standpunkt aus. Diesen thetisch
zu entfalten, unternimmt er also nicht, verweist dafür vielmehr
auf die lehrreiche Abhandlung von J. Fuchs, Lex naturae, 1955.
Im zweiten Teil spricht A. von der naturrechtlichen Axiomatik
und den Menschenrechten. Diese werden von ihm besonders akzentuiert
, wie er bereits durch den Buchtitel andeuten will.
„ .. . der moderne, vom alten bewußt sich unterscheidende Standpunkt
, daß das Naturrecht primär vom Menschen her gesehen
wird und nicht von der Gesellschaft" (S. 8), ist auch sein eigener.
Der dritte Teil behandelt eine Reihe von weiteren aktuellen
Einzelfragen wie: Wirtschaft und Eigentum, Kapitalismus, Sozialismus
, Mitverantwortung, Mitbestimmungsrecht, Gewinnbeteiligung
, Großraumwirtschaft. Hierbei wird, soweit ein Laie in Wirtschaftsfragen
darüber urteilen kann, viel Erwägens- und Beherzigenswertes
in allgemeinverständlicher Sprache gesagt. Aber die
Grundthese A.s, daß nämlich das Naturrecht als Ausdruck der lex
aeterna (S. 55) das hier anzuwendende Kriterium sei, bleibt unbewiesen
. A. bekennt sich zu dem problematischen Satz: „ ... es
kann, vom Standpunkt des Naturrechts aus gesehen, in jedem bestimmten
Fall nur eine bestimmte Lösung geben und keine andere
. Selbst nebensächliche Materien werden aus dem Naturrecht
deutbar sein müssen" (S. 188 f.). Gewiß werden wir ihm darin
zustimmen, daß für alle genannten Probleme ethische Gesichtspunkte
— z. T. entscheidend — belangreich sind. Aber daß die
Ethik allein die Lösung übernehmen kann, wie es die Naturrechtsthese
A.s will (Recht ist für ihn „ein Teil der Ethik" S. 99), das
muß mit guten Gründen bezweifelt werden.

F. gehört zu den von A. (S. 7) abgelehnten Naturrechtsdenkern
, die ein auf anderer als der thomistischen Grundlage sich erhebendes
Recht vertreten. In der Tat ist F.s Naturrechtsbegriff
sehr aufgelockert.

F.s Arbeit hat acht Teile. Die ersten drei beleuchten nacheinander
die „Fragwürdigkeit des Rechts",- „verschiedene Auffassungen
vom Wesen des Rechts" und die „Unhaltbarkeit der
einseitigen Rechtsauffassungen". Dabei unterscheidet F. „Realauffassungen
" (Biologismus, ökonomische Rechtsauffassung, Machttheorien
, Soziologismus und Positivismus) und „Idealauffassungen
" (Vernunftlehren, Werttheorien, theologische Rechtsauffassungen
). Im vierten Teil arbeitet F. den zutreffenden Gehalt der
verschiedenen Rechtsauffassungen und da6 Zusammenspiel der
rechtsgestaltenden Kräfte heraus und wendet sich im fünften der
Frage nach dem objektiven Charakter der rechtsgestaltenden
Kräfte zu, wobei er sorgfältig abwägt, inwieweit biologische,
wirtschaftliche und politische Tatsachen sowie bestimmte Idealfaktoren
dem Recht vorgegeben sind. Erst im sechsten Teil kommt
das Naturrechtsproblem zur Sprache, und zwar als Problem einer
Rechtsontologie; F. bejaht das Naturrecht nicht als festen Besitz,
sondern als legitime Aufgabe, die objektiven Seinsgrundlager»
allen Rechtes aufzudecken. „Das Naturrecht ist... nicht eine
Selbsttäuschung der Menschheit, sondern Ausdruck ihrer höchsten
Würde, suchen zu dürfen, um in der Lösung der Aufgabe mehr
zu entdecken, als den Lebewesen zu finden vergönnt ist, denen
das Gesetz nicht aufgegeben, sondern gegeben ist. Daher ist die
Aufgabe selbst eine unendliche und das endgültige Ergebnis erst
sichtbar am Ausgang der Geschichte" (S. 221). Im siebenten Teil
bezieht F. die Existenzphilosophie in den Rahmen der Betrachtung
ein und betont dabei, besonders im Anschluß an Jaspers und Heidegger
, daß Entscheidung im Sinne der Existenzphilosophie nicht
Willkür ist. Allerdings ein Naturrecht, das einen Bestand überpositiver
Normen als selbstverständlich voraussetzt, kann der
Existenzphilosoph nicht gelten lassen, wohl aber ein Naturrecht
mit werdendem Inhalt. „Mit jeder schöpferischen Entscheidung
...wird ein Stück Naturrecht" (S. 261). Wieder warnt F. vor
Einseitigkeiten: „Die existentielle Entscheidung betrifft.. . jeweils
nur einen bestimmten engen Ausschnitt seines (sc. des menschlichen
) Daseins. Der Mensch ist auf weite Strecken eingeordnet
und nicht dem Nichts überliefert" (S. 263).

Der achte Teil behandelt abschließend die Rechtsphilosophie
als Soziologie und Metaphysik des Rechts. So wichtig eine Rechtssoziologie
ist, so darf sich doch die Rechtsphilosophie nicht darin
erschöpfen, Soziologie zu sein. Die Soziologie lehrt uns den Zusammenhang
zwischen den Fakten und der Notwendigkeit menschlicher
Entscheidungen erkennen. „Sie vermag auch vorbereitend
zu den unausweichlichen Entscheidungen beizutragen. Aber 6ie
kann nicht selber die Entscheidungen treffen" (S. 277). Hier tritt
die Metaphysik in ihr Recht, 6ofern nämlich alles Fragen nach den
ersten Ursprüngen und den letzten Zusammenhängen in einem
sinnhaften Ganzen metaphysisch ist. „Das Recht gestaltet sich im
Dialog: in dem ununterbrochenen Gespräch zwischen den großen
Rechtsdenkern, von Gipfel zu Gipfel weit über die Völker und
Zeiten hinweg, und in dem tausendfachen Streitgespräch zwischen
den um das Recht (und um ihr Recht) Besorgten, das jeden Prozeß
erfüllt" (S. 285). So muß Rechtsphilosophie eine Verbindung von
Rechtssoziologie und Rechtsmetaphysik sein, ohne daß dabei das
Recht in zwei Seinsbereiche (den des faktisch Seienden und des
ethisch sein Sollenden) aufgespalten werden dürfte. „Das Recht
ist eine in jeder Rechtserscheinung gegebene Einheit, die nach den
beiden Seiten unserer Fragestellung jeweils zugleich soziologisch
und metaphysisch betrachtet sein will" (S. 293).

F.s Arbeit ist sehr gedankenreich und anregend. Allerdingsbleibt
sie wesentlich im grundsätzlichen Bereich; Folgerungen für
die Einzelfragen behält F. späteren Arbeiten vor. Hier wird dann
F.s Ansatz, der an den Rechtsphilosophen hohe Anforderungen,
stellt, die Feuerprobe auf seine Brauchbarkeit bestehen müssen.

Halle/Saale Erdmann Schott