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Ausgabe:

1957 Nr. 5

Spalte:

364-367

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Das XIII. und XIV. Jahrhundert 1957

Rezensent:

Simon, M.

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 5

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Die Schwierigkeiten der Kriegs- und Nachkriegszeit verursachten
natürlich eine erhebliche Verzögerung des Planes, konnten
doch in den Jahren 1940—1948 nur zwei Lieferungen erscheinen
. Erst im Jahre 1953 wurde der zweite Band, der die Artikel
mit dem Anfangsbuchstaben C enthält, mit der Lieferung 17 abgeschlossen
, während die Lieferung 7, mit der jener beginnt, bereits
im Jahre 1937 ausgegeben wurde. In dieser verhältnismäßig
langen Zeitspanne ist ein imposantes Werk mit 2 708 Spalten und
mehreren hundert Artikeln entstanden. Dabei konnte es nicht
ausbleiben, daß in der Schriftleitung des Lexikons ein Wechsel
eingetreten ist. Seit der Lieferung 14 (1952) ist es mit der Theologischen
Fakultät der französischen Jesuiten in Enghien (Belgien)
verbunden und wird von den Patres Ch. Baumgartner und M.
Olphe-Galliard betreut. Naturgemäß sind auch zahlreiche neue
Mitarbeiter gewonnen worden, während andere durch ihren Tod
ausgeschieden sind. Dabei stellen die Franzosen das Hauptkontingent
, die anderen Länder folgen in weitem Abstand, und Deutschland
ist vollends nur durch vier Gelehrte vertreten (Weihbischof
Dr. Landgraf, zwei Jesuitenpatres aus Frankfurt (Main) und
P. Paulus Volk aus Maria Laach).

Vergleicht man die letzten Lieferungen mit den früheren, so
gewinnt man den Eindruck, als habe man größeren Nachdruck auf
die historischen, bes. patristischen Partien gelegt.
Zu den erprobten älteren Spezialisten Bardy, Cavallera, Lebreton
sind eine Reihe jüngerer Kräfte gestoßen: Danielou, du Manoir,
Roques u. a., die auf ihren Spezialgebieten ein beachtliches Wissen
entfalteten. Dies macht sich besonders deutlich in dem bisher
längsten Artikel des Lexikons Contemplation (Sp. 1643—2193 =
550 Spalten/) bemerkbar. Hier werden die geschichtlichen Zusammenhänge
ausführlich dargelegt (Sp. 1762—2057), wobei den
Kirchenvätern eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet
wird (Sp. 1762—1934). Ausgehend von terminologischen Erörterungen
unterscheiden die Autoren zwischen einer Mystik des
Lichtes und de6 Dunkels. Als Hauptvertreter dieser werden
Gregor v. Nyssa (Danielou) und Pseudo-Dionysius Areopagita
(Roques) liebevoll gewürdigt, ja von letzterem wird ein Aufriß
seiner gesamten mystischen Frömmigkeit vorgelegt, der zwar
skizzenhaft ausgefallen ist, aber doch erstmalig das Ganze zu umspannen
sucht. Die gelehrten Autoren begnügen sich nicht mit
einer Zusammenfassung unserer bisherigen Erkenntnisse, sondern
führen die Forschung weiter. Ich hätte nur zwei Bedenken anzumelden
. Kann man wirklich von einer Mystik des Dunkels sprechen
, ist dafür die Basis nicht viel zu 6chmal? Kann sich diese
These doch nur auf einige wenige Stellen bei Gregor v. Nyssa und
dem Areopagiten stützen, während die gleichen Väter in anderen
Abschnitten offensichtlich eine Mystik des Lichtes vertreten. Ich
komme in anderem Zusammenhang auf diese Frage zurück. Sodann
habe ich den Eindruck gewonnen, daß Evagrius zu sehr in
den Mittelpunkt gerückt, daß auch Origenes ganz von ihm her
gesehen und als Intellektualist beurteilt wird.

Die Partien über die mittelalterliche Entwicklung der Contemplation
sind m. E. nicht so gut gelungen. Zwar sind auch sie
sachkundig abgefaßt, aber bei vielen Schriftstellern — dies gilt
auch für die neuere Zeit — begnügen sich die Verfasser mit einigen
wenigen Bemerkungen, die für eine wissenschaftliche Arbeit
nicht ausreichen; und was für den Gewinn eines historischen Verständnisses
besonders störend ist, ist die auch in früheren Lieferungen
angewandte Methode, die einzelnen Theologen nach
ihrer Ordenszugehörigkeit zu gruppieren und jedes Mal ein Jahrhundert
als höhere Einheit aufzufassen. Ist dieses Verfahren 6chon
recht schematisch, so wird jede Zusammenschau der inneren Entwicklung
, jeder Einblick in das geschichtliche Werden dadurch
unmöglich gemacht, daß der Leser bei jedem Orden den Gang
während eines Jahrhunderts verfolgt, um beim nächsten wieder
von vorn anzufangen. Es ist letzten Endes eine atomisierende
Methode, die nur Teile in der Hand behält und über das „Nebeneinander
" nicht hinausführt. Günstigsten Falles bewirkt sie eine
Reihe in sich abgeschlossener, instruktiver Aufsätze, die aneinandergereiht
werden, aber damit noch lange kein organisches
Ganzes bilden.

Dazu paßt es, daß katalogartige Aufzählungen von Buchtiteln,
Theologen usw. recht beliebt sind. Sie gestalten die Lektüre
nicht gerade spannend, geben dem Lexikon aber z. T. den Charakter
eines Nachschlagewerkes, nur ist mit diesen bloßen Angaben
für das innere Verständnis nicht viel gewonnen (z. B. die
Übersichten in den Artikeln Cantique des Cantiques (Sp. 101
-109), Charite (Sp. 524-529), Chartreux (Sp. 753-776), Con-
solation (Sp. 1611—1617) usw.).

Eine andere Form der historischen Methode begegnet uns
im Artikel Charite. Hier wird der Liebesgedanke während der
Väterzeit systematisch dargestellt, und bei jedem einzelnen Punkt
werden die passenden Belege aus den Vätern eingefügt, wobei
alles auf eine Fläche gestellt wird und keine Unterschiede zwischen
Ost und West gemacht werden (Sp. 5 30—569). Der Artikel
ist gewiß sehr kenntnisreich, vermittelt aber doch keinen Einblick
in die historische Entwicklung.

Die Artikel über einzelne Persönlichkeiten
sind oft ganz vorzüglich ausgefallen. Als mustergültig sehe
ich den großen Abschnitt über Cassien (Sp. 214-276) an, den
Olphe-Galliard verfaßt hat. Er verrät eine volle Beherrschung der
Literatur, bietet eine gute Charakteristik des Schriftstellers und
liefert eine detaillierte Studie über dessen geistliches Leben, wobei
vor allem die von Evagrius ausstrahlenden Einflüsse aufgedeckt
werden. Trefflich ist auch der kurze Artikel über Cabasilas
(Sp. 1—9), während der über Cyrill v. Alexandrien (Sp. 2672
—268 3), von Hubert du Manoir, einem ersten Sachkenner, verfaßt
, etwas zu knapp ausgefallen ist, der über Nicolaus Cusanus
(Sp. 2003—2004) auf der Oberfläche bleibt und nicht ausreicht.

Weniger gelungen sind die Artikel über Catharina v. Genua
(Sp. 290-324) und Catharina v. Siena (Sp. 327-348). Der Verf.
des ersteren begnügt sich damit, die Hauptgedanken der Genuesin
anzuführen, d. h. eine Sammlung von Zitaten zu bringen (Sp. 30O
—315), wobei jede Untersuchung über die Herkunft fehlt. Die
mystische Lehre der Catharina v. Siena wird noch knapper behandelt
(Sp. 340—345), und die Ermittlung der mannigfachen
Einflüsse bleibt recht summarisch, vor allem wird hier jeder Einzelbeleg
vermißt. Ergiebiger wäre der Versuch einer Kritik der Legende
, er wird aber nur angedeutet, nicht konsequent durchgeführt
(Sp. 331—335).

Ganz aus dem Rahmen des Lexikons fällt der Artikel Calvin
et Calvinisme (Sp. 23—50) heraus, dessen erster Teil die Spiri-
tualite de Calvin behandelt (Sp. 23—34). Gewiß wird dessen Lehre
grundsätzlich abgelehnt (cf. besonders Sp. 34), aber anzuerkennen
bleibt das Bestreben, die Ansichten des Reformators aus einem
Studium der Quelle zu ermitteln, und es fehlt nicht an manchem
schönen Wort einer positiven Würdigung: et l'on sait d'ailleurs
qu'il fut un maitre de vie interieure pour de tres nombreuses
ämes... Sa correspondance est d'une richesse exceptionnelle,
pour connaitre les divers aspects de cette spiritualite (Sp. 31).

Es ist ein reicher und bunter Inhalt, der in diesem umfänglichen
Bande an uns vorüberzieht. Kurze bio- und bibliographische
Notizen über einzelne Persönlichkeiten wechseln mit gewichtigen
historischen und systematischen Aufsätzen, die gelegentlich sogar
den Umfang eines gewöhnlichen Buches überschreiten. Mag uns
auch manches in methodischer Hinsicht fremdartig anmuten, man
wird doch gern zugeben, daß der geduldige Fleiß, das große Wissen
, die ungewöhnliche Einfühlungskraft und die innere Aufgeschlossenheit
für die Fragen des mystischen Lebens, die alle Mitarbeiter
auszeichnet, eine Leistung vollbracht haben, die das Lexikon
als geeignet erscheinen lassen, zugleich als Nachschlagewerk
und als Anregung für weitere Forschungen zu dienen.

Mainz Walther Völker

Bauerreiß, Romuald: Kirchengesdiichte Bayerns. 4. Bd.: Das XIII.
und XIV. lahrhundert. 5. Bd.: Das XV. Jahrhundert. St. Ottilien:
EOS Verlag [1953/1954]. XVII, 227 S. m. Textabb. u. Taf. und XII.
226 S. gT. 8°. Je Bd. kart. DM 9.70; Lw. DM 11.70.

Die ersten drei Bände dieses schönen Werkes wurden bereits
ausführlich von berufener Seite besprochen (ThLZ 75,
(1950) 552 f.; 77 (1952) 89 f., 737 f.). Die bedeutsame Leistung,
die in den ersten drei Bänden vorlag, tritt nun auch im 4. und 5.
Band in Erscheinung. Wieder wird wie damals eine herrschende
Idee als das Leitmotiv deT Kirchengeschichte des betreffenden
Zeitraumes herausgegriffen und gewissermaßen sinnbildlich auf
dem Schutzumschlag dargestellt — für den 4. Band (13. und 14.