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Ausgabe:

1957

Spalte:

358-362

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Die ökumenische Diskussion 1957

Rezensent:

Fuchs, Emil

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357 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 5_ 358

synoptische Folge Mt. 27, 18; Mk. 15, 10; Lk. 23, 4. Eusebius
Parallelisiert dieses Stück für die Verse Mt. 27, 16. 17. 18 mit
Mk. 15, 7.8.9. 10 und Joh. 18,39, während er Lk. 23, 4 nur
mit Joh. 19, 4 vergleicht. Die sich auf diesen „synoptischen
Blättern findenden Sektionszahlen fügen sich dabei ohne Schwierigkeiten
in die oben bei den anderen Blättern erwähnte Unterteilung
ein.

Leider legt der Editor auf diese inhaltlichen Probleme wenig
Gewicht, er untersucht weder die Art der Parallelisierung, noch
stellt er, wie wir es eben flüchtig taten, Vergleiche mit anderen
Systemen an. Er konstatiert einzig, daß sich hier ein Schreiber
wohl mühte, „to produce an early equivalent of Tischendorf's
or Huck's synopses" (S. 19). Aber auch in bezug auf das Problem
der Auslassungen auf den anderen Blättern erklärt er sich
für „unable to find the clue" (S. 17) und begnügt sich, die Meinung
der früheren Bearbeiter bzw. Rezensenten zu zitieren. Eine
sehr vorsichtige Stellungnahme findet sich nur S. 20, Anm. 4,
nämlich, it „seems ... that both the Synopsis leaves and the
'continuous* leaves are the work of the same man".

Dabei scheint eine genauere Betrachtung weitere, allerdings
vage Schlüsse zuzulassen. Bei der ersten Gruppe von Blättern
weisen sich nämlich die längeren zusammenhängenden Partien
weitgehend als Sondergut der betreffenden Evangelien aus. So
bieten die zusammenhängenden Folien 68r — 69 v den Text
Joh. 7, 45 — 8, 44 (ohne Ehebrecherin). Das oben bereits inhaltlich
beschriebene Blatt 70 mit Mt. 12, 36 ff. könnte die Vermutung
nahelegen, daß die Lücken eben jene synoptischen Stücke
sind, die dann mit den entsprechenden Stücken der anderen
Evangelien gesondert geschrieben wurden. So sind von Mt. 12,
36—3 8 wenigstens vss 36. 37 Sondergut, während vss 39—42
(Zeichen des Jona) durchaus als synoptisches Stück angesehen
werden muß. Die einsetzenden vss 43—45 sind allerdings auch
bei Lk. enthalten. Die Lücke 12, 46— 13,35 umfaßt dagegen
Stücke, die durchweg alle in anderen Evangelien Parallelen haben
, wenn man die Gleichnisse „Unkraut unter dem Weizen"
(Mt. 13,24-30) und „Die selbstwachsende Saat" (Mk. 4,26
—29) parallelisiert. Mt. 13, 36—46 ist dagegen reines Sondergut.
Gewiß ist bei diesem Erklärungsversuch manche Gewaltanwendung
nötig, ja bei manchen Blättern stößt er auf noch größere
Schwierigkeiten, und vielleicht ist die Fragestellung viel zu modern
und der Gesichtspunkt des Schreibers bei der Zuordnung
der Stücke ein ganz anderer, uns heute verborgener. Selbst vom
„Diatessaron" des Ammonius, das nach Eusebs Schilderung im
Brief an Karpian vielleicht als unserer Hs ähnlich vorgestellt werden
muß, wissen wir nur wenig über Prinzip und Aufbau, obwohl
manches davon über Euseb und seine Harmonistik auf uns gekommen
sein mag. Die Vermutung des Editors jedenfalls, daß
es nicht zufällig sei, wenn der synoptische Teil nur Stücke aus
deT Passionsgeschichte enthalte (S. IX), scheint m. E. falsch; denn
Foll. 72. 65 („fortlaufender" Text) umfaßt durchaus Teile von
Joh. 18 und 19, die eindeutig der Passionsgeschichte zuzuordnen,
aber weitgehend spezifisch johanneisch sind. Leider ist das vielleicht
entscheidende Blatt 65 nicht voll entziffert und bricht schon
mit Joh. 19, 4 ab, so daß eine Evidenz für obige Hypothese nicht
zu erreichen ist. Jedoch das Fol. 90v („Synopse") zitierte Stück
Joh. 18, 28 fehlt Fol. 65 ganz sicher, wie auch die 71 v bzw. 89v
zitierten Stücke Joh. 18, 3 8 und 19, 1 hier fehlen. Doch die crux
interpretum: Joh. 18, 37 findet sich in beiden Teilen. Aber auch
Mt. 27, 27 — 30 ist auf zwei in der „Synopse" einander unmittelbar
folgenden Folien (89v und 66r) ausgeschrieben. Es bliebe
der auch vom Editor (S. 8) ausgesprochene Hinweis auf die sehr
nachlässige Art des Schreibers, die neben einer unsorgfältigen
Schrift an Auslassungen von Buchstaben und Wortteilen ohne
übliche Anlässe viele Beispiele aufweist (vgl. S. 13 f.) und der
abweichende Irrtümer vom vorgenommenen Zuweisungsprinzip
und DittogTaphien durchaus zuzutrauen sind.

Auch zu diesen Problemen und Schwierigkeiten gibt der Verf.
keine Hinweise, ja die Tatsache, daß Mt. 27, 27-30 und Joh. 18,
37 zweimal geboten werden, kann man neben dem transkribierten
Text nur einem „Index of New Testament Passages"
auf den letzten Blättern des Buches, nicht aber der Inhaltsangabe
der Hs in der Beschreibung oder dieser selbst entnehmen. So

muß jeder Interessent an den Problemen der Textdarbietung sogar
die textlichen Grundlagen selbst legen, allenfalls daß ihm
für die Zusammengehörigkeit der Blätter Lagenskizzen (S. 97 f.)
erste Anhaltspunkte bieten, da die Blätter in der hier wieder
völlig nebensächlichen Reihenfolge der syrischen Blattzählung
ediert werden.

Dafür ist jedoch die vom Editor gebotene Beschreibung der
Handschrift wirklich eingehend, wenn auch nicht sehr übersichtlich
. Aus ihr sind einige, nicht unwesentliche Richtigstellungen
zu der von A. S. Lewis zu entnehmen, so daß auch ein Benutzer
des palästinensischen bzw. des syrischen Textes, der an der Beschreibung
der Hs interessiert ist, an dieser Arbeit nicht vorübergehen
kann.

Ebenfalls große Sorgfalt hat der Editor auf die textliche Untersuchung
der Hs verwendet. Nach einer Kollation gegen den
Textus receptus (S. 75—82) diskutiert er eingehend die Lesarten,
die nicht eindeutig von den Hauptzeugen 8 BCD geboten werden
(S. 8 5—93). Dabei ergibt sich für die Textzugehörigkeit dieser
Hs durchaus kein geschlossenes Bild, sie stellt vielmehr einen
diesen Jahrhunderten eigentümlichen Mischtyp dar. Außer einer
nicht unbeträchtlichen Anzahl von Sonderlesarten ohne bisher
bekannte Bezeugung — ein Faktum, das vielleicht weitere Aufmerksamkeit
beanspruchen kann, aber eher auch zu Lasten des nachlässigen
Schreibers geht — ist die Affinität des Textes zu N eigentlich
recht deutlich, und zwar zum unkorrigierten Sinaiticus. So
tritt die Hs als einziger Zeuge zu 2 von dessen Sonderlesarten
hinzu und unterstützt weitere, bisher schwach bezeugte Varianten
. In Mk. dagegen ist das Zeugnis der alten Majuskeln und auch
von N weniger hervortretend, hier haben 0,fam. 13 und 565 den
Vorzug, so daß der Editor mit einem gewissen Recht für Mk. von
einer „connection with the 'Caesarean' group" reden kann (S. 88).

Überhaupt scheint die Stärke des Verf.s in einer minutiösen
Registrierung der äußeren Fakten zu liegen, der man einerseits
überhaupt die schwierige Entzifferung der Hs und ihre tadellose
Darbietung zu danken hat1, die aber auch die genauen Einzelheiten
der Hs in zahlreichen Indizes zusammenfaßt: Alle
Kontraktionen, alle Itazismen wurden zahlenmäßig erfaßt, eine
Liste der eigentümlichen Sektionszahlen mit den dazugehörigen
lncipits und eine statistische Zusammenstellung der Textbezeugung
machen die äußeren und textlichen Eigentümlichkeiten deutlich
, aber auch die dem Verf. bei der Durcharbeitung der Text-
Ausgaben von S. C. E. Legg und der Kollation von 565 durch
Belsheim aufgefallenen Fehler werden registriert.

So kann man ohne Bedenken dem Editor Dank und Anerkennung
aussprechen für eine Ausgabe, die sich durch lapidare
Kürze und krasseste Nüchternheit auszeichnet, Eigenheiten, die
allerdings eine Fülle von Problemen dieser Hs unausgesprochen
ubergehen. Aber vielleicht wird gerade dadurch die Edition mit
wem vorbildlichen Textabdruck Grundlage für eine Reihe spätrer
Arbeiten sein, denn sowohl wegen der Form der Textdarbietung
wie auch wegen des Textes selbst wird die Hs künftig
w°hl manches Interesse auf sich ziehen, steht sie doch augenblicklich
unter den — zu Unrecht — vernachlässigten Lektionaren
völlig isoliert und gehörte eigentlich in die Majuskelliste. Weiterhin
aber wäre es ein begrüßenswerter Fortschritt, wenn diese
Arbeit ein Anfang wäre und ähnliche, vielleicht nicht weniger
überraschende Editionen von bisher unbeachteten Palimpsest-
Handschriften anregte.

Berlin Klaut Junack

*) Ein Vergleich zwischen dem Text der Hs, wie er auf beigegebenen
Spezialphotos gelesen werden kann, und der Edition ergab keine
Korrekturen, an anderen Stellen fanden sich Kleinigkeiten, die der Benutzer
selbst als augenscheinliche Druckfehler erkennt.

Bartsch, Hans-Werner, Pastor Dr. theol.: Kerygma und Mythos.
IV. Bd.: Die ökumenische Diskussion. Hamburg: Reich 1955. 238 S.
gr. 8° = Theologische Forschung H. 8. DM 12.—.

Dieser Band ist Stimmen gewidmet, die zeigen, wie Bultmanns
Gedanken in nichtdeutschen Ländern aufgenommen und vera -bei-
tet wurden. So haben diese Aufsätze darin ein besonderes Interesse
für uns, daß sie einen Einblick geben in die kirchliche und theo-