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Ausgabe:

1957 Nr. 5

Spalte:

355-358

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Johannes Climacus, 'Codex Climaci rescriptus Graecus': a study of portions of the Greek New Testament comprising ... (Ms. Gregory 1561

Titel/Untertitel:

L) 1957

Rezensent:

Junack, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 5

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gleich über die Meinungen der älteren Literatur. Mag man des öfteren
auch ein Fragezeichen an den Rand malen, die kluge und lebendige Art
der Betrachtung setzt den Texten immer wieder interessante Lichter
auf und führt im Gruppieren und Vergleichen zwanglos zu praktischtheologischen
Erkenntnissen, die — ein seltener Vorzug in diesem
Genre 1 — weder unwissenschaftlich noch oberflächlich nodi langweilig
sind. Es ist bewegend zu hören, daß der Verf. die entscheidenden Gedanken
zu seiner Schrift gerade als Gefangener konzipiert hat — „dans
les etables, les houblonnieres et les forgts du Sudetenland, en un temps
oü le bagage de l'homme ne comprenait point de lourde Törä." — Bei
einer neuen Auflage, die hoffentlich nicht ausbleiben wird, sollte unbedingt
ein Stellenregister beigegeben werden, damit man sich in der
Fülle der behandelten Texte, die thematisch geordnet sind, auch einigermaßen
zurechtfinden kann.

Heidelberg H. v. Campenhausen

Duesberg, H.: Horoscope du Mouvement Biblique.
Nouvelle Revue Theologique 89, 1957 S. 3—15.

Lobez, Pierre: Literary genres in the Bible.
Theology Digest IV, 1956 S. 67—71.

Schade, Gerhard: Bedrängnisse beim Übersetzen der Bibel. Die abstrakten
Wörter in der Bibelrevißion.

Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen
Sprache 1957 S. 63—77.

NEUES TESTAMENT

Moir, I.: Codex Climaci Rescriptus Graecus (Ms. Gregory 1561, L),
Cambridge: Cambridge University Press 1956. XII, 117 S. und 8 Tafeln
= Texts and Studies N. S. II 30 s.

Als communis opinio galt noch in den zwanziger Jahren,
daß große Überraschungen in Textbezeugung und Textkritik nach
den Majuskelfunden des vorigen Jahrhunderts und der Sichtung
der Papyrusbestände in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts
nicht mehr zu erwarten stünden. Obgleich diese Meinung
in ihren Grundzügen auch heute noch gilt, kann man doch nicht
umhin, gewisse Modifikationen an dieser These vorzunehmen.
Die Entdeckung und Publikation der Chester-Beatty-Papyri
(P»s. «o. 47) war ejne e(^te Sensation und richtete den Blick
erneut auf die Teils und sonstigen Grabungsstätten Ägyptens.
Die Erwartungen auf größere Funde für den neutestamentlichen
Bereich scheinen jetzt erfüllt zu werden, kündigt doch die Biblio-
theca Bodmeriana, Cologny bei Genf, die Publikation eines Papyrus
durch Victor Martin an, der die ersten vierzehn Kapitel
des Johannes-Evangeliums enthalten 6oll und „n'est en tout cas
pas po6terieur au III6 siecle"1. Aber selbst unter den Höhlenfunden
vom Toten Meer könnte vielleicht in bezug auf neutesta-
mentliche Hss noch manche Überraschung verborgen sein, berichtet
doch G. Vennes von Fragmenten aus den Evangelien und
der Apostelgeschichte, die sich unter den anderen Handschriftenresten
befunden haben sollen und deren Veröffentlichung noch
aussteht (vgl. K.Aland in ZNW45 (1954) 187).

Daß jedoch der Textkritik gewisse Überraschungen selbst
von Seiten der bekannten Handschriften bereitet werden können
, beweist vorliegende Edition. Die in ihr bearbeitete Handschrift
ist durchaus schon längere Zeit bekannt: Der Palimpsest-
kodex „Climaci Rescriptus" (Cambridge, Westminster-College)
ist zum kleinen Teil 1895 in Cairo, zum größeren „from a Berlin
scholar" (H. v. Soden, Carl Schmidt?, evtl. sogar A. Deißmann,
vgl. CR. Gregory, Vorschläge, 1911, S. 36) 1905 erworben und
1909 in den Horae Semiticae VIII ziemlich eingehend beschrieben
und ediert worden. Doch legte die damalige Editorin, Agnes
Smith Lewis, das Schwergewicht auf die Folien, deren untere
Schrift ein palästinensisches Fragment nicht nur der Evangelien,
sondern auch von bis dahin in diesem Dialekt unbezeugten Teilen
des Apostolos bot (vgl. C. R. Gregory, Textkritik III, 1909,
S. 1303 nr. 11). Zwar war auch schon damals eine Transkription
von vier griechischen Blättern mit Bibeltext beigegeben,
doch konnten weder die Editorin noch die Rezensenten mit diesen
Zeilen etwas anfangen. So mutmaßte A. S. Lewis, daß es

*) Zusatz in der Korrektur: Inzwischen ist diese Edition erschienen
und hat ihre ersten vorläufigen Würdigungen gefunden. In ThLZ 1957,
Sp. 161—184 hat K. Aland einen Bericht über diesen Papyrus Bodmer II
und seine Edition gegeben.

sich bei den Blättern um einen Entwurf für eine Evangelien-Harmonie
handelte (Horae Semiticae VIII, S. XVI); C.R.Gregory,
durch dessen Hände buchstäblich tausende von neutestamentlichen
Handschriften gegangen sind, nahm die Handschrift als
nicht eigentliche Texthandschrift in die Liste der Lektionare mit
Fragezeichen auf und vermutete hier „eine Zusammenfassung
des Textes der Evangelien" (Textkritik S. 1374 f. nr. 1 1561);
der nicht minder kundige Eberhard Nestle bekannte, „ich verstehe
nicht, was diese aus dem Zusammenhang gerissenen Stellen
bedeuten sollen" (Theol. Literaturblatt 30 (1909) 353).

Erst die Verfeinerung der Technik erlaubte es, weitere, jedoch
noch nicht alle Folien der Hs, die in bezug auf die untere
Schrift als unleserlich oder teilweise sogar als vorher unbeschrieben
und leer galten, durch ultra-violettes Licht zu entziffern.
Das Rätsel des geschriebenen Textes wurde dadurch zwar nicht
gelöst, doch ergibt sich nun eine breitere Basis, auf der vielleicht
eine Lösung zu finden sein wird.

Neben Fragmenten einer gleichzeitigen Hs mit Josua 4, 3—11
und Psalm 135, 13b-136, 9 und 140,1 - 142,1, deren Veröffentlichung
noch aussteht (Moir, S. IX), finden sich auf 34 Blättern
dieser Hs, die in ihrer Gesamtheit mit zwei syrischen Traktaten
des Abtes Johannes Climacus vom Sinai (ca. 600) überschrieben
ist, Teile aus allen vier Evangelien, besonders aber aus
Mt. und Joh., geschrieben von einer Hand des späten 7. Jahrhunderts
. Die Form der Textdarbietung scheint aber bisher einmalig
. Auf 18 der genügend entzifferten Blätter stehen längere Partien
aus Mt. und Joh., die merkwürdige Sprünge aufweisen. Ohne
jegliche äußere Lücke folgen z.B. auf Fol. 70r v Mt. 12, 36—38
und 12,43—45 aufeinander. Nach 12,45 springt der Text wiederum
, nun aber bis 13, 36, um dann bis 13, 46 fortzufahren, wo
das Blatt abbricht. Die Verse 12,39-42 und 12,46—13,35
sind ohne ersichtlichen Grund fortgelassen, ja ohne daß auf den
Sinn des Textzusammenhanges Rücksicht genommen wird. Die
Absichtlichkeit der Auslassung wird durch Sektionszahlen deutlich
, die in ihrer Zahlenfolge in gleicher Weise springen.

Aber auch diese Zahlen sind voller Rätsel. Sie stimmen mit
keinem der bisher bekannten Sektionssysteme überein, vor allem
gliedern sie den Text in weit stärkerem Maße auf als alle bisher
bekannten Systeme. Während das verbreitete Eusebianische System
die vier Evangelien in 355, 233 (241), 342 bzw. 232 Abschnitte
zerlegt, findet sich bei Mt. 27, 37 die Zahl 568 (Euseb 335), bei
Mk. 15, 26 die Zahl 396 (Euseb 214), bei Lk. 23, 38 die Zahl
560 (Euseb 324) und bei Joh. 21, 1 die Zahl 490 (Euseb 219).
Nestle nannte diese Zahlen bereits damals „rätselhaft" und
wußte keine Parallele, auch keine syrische dafür (a.a.O., Sp. 353).
Die noch während des Druckes vom Verf. geäußerte Vermutung,
daß sich vielleicht in Lektionaren ein ähnliches System finde, ist
lt. Korrekturnachtrag von E. C. Colwell, einem der wenigen Kenner
dieses Gebietes, nicht bestätigt worden (Moir, S. 21).

Doch noch ein weiteres Phänomen findet sich in diesen Fragmenten
. Während sich auf jenen 18 Blättern dieser merkwürdig
unterbrochene Text findet, bieten 6 Blätter eine augenscheinliche
Evangelien-S ynopse. Diese Aussage mag zunächst verblüffen,
doch ist jeglicher Zweifel ausgeschlossen: Fol. 95 rv (nach dem
Zusammenhang der syrischen Oberschrift gezählt) bietet z. B. ein
Fragment des Kreuzigungsberichtes. Mit kleinen Zwischenräumen
, die an anderen Stellen deutlich mit den Namen der folgenden
Evangelienstücke ausgefüllt sind (Rubriken?), folgen auf
Mt. 23, 35. 36: Mk. 15, 24; Lk. 23, 34b; Joh. 19, 23. 24, auf
Mt. 27, 37: Mk. 15, 26; Lk. 23, 38 und auf Mt. 27, 38: Mk. 15,
27.28; Lk. 23, 32-34a; Joh. 19, 18. Obgleich von uns der
Reihe Mt. 27,37 usw. noch Joh. 19,19 zugeordnet werden würde,
beweist ein Blick in eine moderne Synopse, am besten in eine
Vierevangelien - Synopse, wie sie im Auftrag der Württembergischen
Bibelgesellschaft von K. Aland vorbereitet wird,
daß die synoptische Parallelisierung kaum sachgerechter vorgenommen
werden konnte. Im Gegensatz zu modernen Synopsen
scheint allerdings wie bei Eusebius der (fortlaufend gebotene
?) Grundtext das Matthäus-Evangelium gewesen zu sein.
Daß dennoch das Eusebianische System in dieser Handschrift
nicht irgendwie nachgewirkt hat, beweisen zwei Tatsachen: Auf
dem nicht vollständig entzifferten Blatt 96r umfaßt z. B. eine