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Ausgabe:

1957

Spalte:

354-355

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Voeltzel, René

Titel/Untertitel:

Le rire du Seigneur 1957

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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353 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 5_ 354

Predigtideal kennzeichnet: im Sabbatgottesdienst spricht der in
den Satzungen Erfahrenste, mit gleichmäßiger Stimme, überlegt
und besonnen, ohne „wie die Redner oder die heutigen Sophisten
" mit Wortgewalt zu prunken; er hat vielmehr dem Gedankengehalt
genau nachgespürt und dolmetscht ihn so (vgl. auch
Spec. leg. II 62 f., Omn. prob. 81-84 [Th. 9 A. 23]). Das klingt
eher nach einer Polemik gegen die entwickelte Rhetorik der Dia-
tribe (wie sie nach O. Perler5 in 4. Makk. vorliegt). Gewiß ist
die Redeweise in Philons allegorischer Genesisdeutung kunstreicher
, lebhafter als in anderen seiner Schriften, beteiligt Leser
und Autor stärker am Gang der Darlegungen usw. Aber auch die
allegorischen Schriften haben (darauf geht Th. nicht ein) Partien,
die im Gleichmaß einer Abhandlung dahinfließen, so wie andererseits
die überwiegend ethische Thoraauslegung Philons nicht
des rednerischen Schmuckes entbehrt. Ein Urteil über den Predigtcharakter
der Schriften Philons ist zumindest nicht zu gewinnen
ohne die vergleichende Analyse größerer Abschnitte (so wie etwa
B. die rhetorischen Partien bei Paulus kurz von anderen abhebt,
die übrigens ebensogut seine Predigtweise kennzeichnen können
'). Im ganzen ist Philon — wenn man stilistisch von seinen
Schriften auf seine Predigten schließen darf — seinen in Vit.
cont. 31 geäußerten Grundsätzen nicht untreu geworden. Gewisse
Stilmittel ergeben sich ja überhaupt einfach von der Sache her
(z. B. das Reden in Antithesen), andere sind dem Rede- und
Schreibstil gemein usw.

In Kap. I (40-63) hat Th. den Rahmen B.s übernommen und
ordnet in ihn anstelle des philosophischen bzw. des paulinischen
Materials nun das der jüdisdi-hellenistischen Quellen ein. Die
Ergebnisse B.s 6ind im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt,
auch die bei B. erläuterte Fachterminologie zur Rhetorik; manches
versteht man erst völlig, wenn man B.s Dissertation neben
die Th.s legt, und zwar sowohl Kap. I wie Kap. II der Arbeit B.s.
Wie Th. Wendungen und Urteile B.s nicht nur formal auf die
Synagogenpredigt überträgt, sondern auch mitunter aus B.s
Kap. I und II zusammenarbeitet, ist geradezu erstaunlich.

In Kap. II (64—84) wird die Verwendung des Alten Testaments
als Grundlage der Predigt (Gesamttext und Einzelbeleg)
aufgezeigt, die Art der Zitierung besprochen (besonders die verwendeten
Formeln) und (im Anschluß an C. Siegfried ) die allegorische
Deutung skizziert. Hier erscheinen die Schlüsse von der
Literatur auf den Gottesdienst im allgemeinen durchaus glaubhaft.

Kap. III (8 5—116) erkennt im „kommunikativen ,wir'" (in
der jüdischen Homilie Bekenntnis des gemeinsamen Stehens vor
Gott [92]), in der Anrede mit Substantiv (oder substantiviertem
Adjektiv) oder einfachem Du (generell, wenig persönlich) bzw.
Ihr, aber auch in Paränesen in der dritten Person Stilelemente
der hellenistischen Synagogenpredigt. Ein „Dispositionsschema"
für sie ist „am deutlichsten greifbar in der Anlage des" Hebr.:
der Hauptteil ist „eine sachlich-theologische Darlegung mit gelegentlich
eingestreuten oder mit der Darlegung verschmolzenen
kurzen Mahnungen" (1,10—10,18), „die eigentliche Homilie";
ihr folgt ein kurzer, rein paränetischer Teil (10, 19 — 13, 21) mit
„Mahnungen für das Gemeinde- und Familienleben" (87, vgl.
106). Die Übereinstimmung dieses Schemas mit dem paulinischen
Briefschema (88) rechtfertigte doch wohl höchstens die These, daß
die christliche Predigt nach ihm gestaltet gewesen 6ei (aus
Philon könnte man z. B. teilweise auf eine Aufeinanderfolge von
literaler und allegorischer Deutung schließen). Aus Did. 16, Hermas
und Test. XII will Th. folgern, daß „im paränetischen Schlußteil
der Homilie wohl eschatologische Mahnungen eine besondere
Rolle" spielten (106, vgl. 68). Noch umfänglicher ist allerdings
nach Th. die ethische Mahnung in den Schemata der Zwei Wege,
der Lasterkataloge, der Haustafeln (108—110, 101 f.). Endlich
nimmt Th. Aussagemeihen von Gottes Taten an seinem Volk
oder von beispielhaftem Verhalten von Menschen in dessen Geschichte
für die hellenistisch-jüdische Predigt in Anspruch (z. B.
Hebr. 11; Th. 111-115).

5) Das vierte Makkabäerbuch, Ignatius von Antiochien und die
ältesten Märtyrerberichte, Rivista di Archeol. Crist. 25 (1949) 47—72,

bes. 57 f. 60. Die Lit. in Anm. 3.4. 5 nicht bei Tfk

") Vgl. auch Ed. Norden, Die antike Kunstprosa 2 (1918) 507—509.

') Philo von Alexandria als Ausleger des Alten Testaments (1875). I Hiob oder Kohelet - längere eigene Erwägungen vor und orientiert zu-

Der Stil der religiösen Schrift hat natürlich mancherlei Verwandtschaft
mit dem der Predigt (die Gegenüberstellung wissenschaftlich
—predigtmäßig, die Th. gelegentlich vollzieht, dürfte
nicht einmal für Philon sachgemäß 6ein); aber er hat auch seine
eigenen Gesetze. Daß man in den von Th. angezogenen Quellen
nichts „über die konkrete Situation der Hörer" erfährt, „außer
einigen ganz allgemeinen Zügen", 6timmt m. E. einerseits für Jak.
und Hebr. nur cum grano salis, andererseits hängt es für die meisten
anderen Schriften eben einfach damit zusammen, daß sie literarische
Veröffentlichungen darstellen; man kann daraus allerlei
folgern (z. B. daß sie darin den Predigtcharakter abgestreift
haben), aber ganz gewiß nicht dies, daß „in der jüdisch-hellenistischen
Homilie der Ton ein sehr sachlicher und strenger" war (88).
Dasselbe will Th. aus der „Seltenheit... persönlicher Appelle an
die Hörer" entnehmen (96)1

Das Verdienst des Verf.s besteht indessen nicht nur darin,
daß er die Frage nach den formalen Eigentümlichkeiten der Predigt
bzw. der religiösen Literatur der Diaspora überhaupt angeschnitten
und Anregungen für ihre weitere Erörterung gegeben
hat. Er hat vielmehr auch wertvolle Sammelarbeit dafür geleistet
und schließlich über die Formalien hinaus auf einige wichtige sachliche
Gesichtspunkte aufmerksam gemacht, deren Beachtung unsere
Beschäftigung mit der Verkündigung des Diasporajudentums
und dem Verhältnis der christlichen Verkündigung6weise zu jener
bereichern werden.

• j 'rrt"mer des Literaturverzeichnisses (Namen, Titel, Zahlen)
sind nicht unerheblich; die zahlreichen Fehler der Interpunktion hängen
wohl mit der photomechanischen Vervielfältigung zusammen (ebenso
wie die m. W. regelmäßige Schreibung Proselythen, Apophtegma, Tanait
und die einmalige Zitierung Aboda Zara Bd. III, S. 3; gemeint ist in
Wirklichkeit Ab. Z. 42b [33 A. 169]). Der Text ist offenbar nach dem
Uiktat nur unvollkommen durchgesehen worden (H. Dorn für Ha-
dom usw.).

Halle/Saale Oerhard Delling

Voeltzel, Ren£, Dr.: Le Rire du Seigneur. Enquätes et remarques
sur la signification theologique et pratique de I'ironie biblique. Stras-^v
bourg: Editions Oberlin [1955]. 180 S. 8°. ffr. 600.—.

Dieses reizvolle Büchlein ruht auf guten philologischen Fundamenten
und breitet einen reichen Stoff in einer Weise vor uns aus, daß
jeder gebildete Bibelleser dadurch willkommene Förderung und ernsthafte
Anregung empfangen kann. Der Verf. erhebt nicht den Ansprudi,
eine bestimmende Linie der biblischen Theologie entdeckt zu haben,
aber er betont mit vollem Recht, daß die Phänomene des Lachens, des
j>Pottens und der Ironie, um die es ihm geht, in der Bibel einen sehr
breiten Raum einnehmen und eine u. U. sehr ernsthafte Rolle spielen.
" handelt zunächst vom Spott der Gottlosen und den unerlaubten Forcen
des Lachens und Verlachens überhaupt (I), dann vom Lachen und
der paradoxen, „ironischen" Handelnsweise Gottes selbst (II) und von
der „ironie de la foi" bei denen, die ihm anhangen (III), und schließt
mit einer Betrachtung über den biblischen Realismus und Recht und
j>Wn der Ironie für die Christen. Die Masse des Stoffes liegt durchaus
beim Alten Testament; aber der Verf. ist bemüht, dessen innere Übereinstimmung
mit dem Neuen, die „chaine ininterrompue de I'ironie biblique
" vor allem zu betonen. Er übersieht zwar nicht, daß die gröberen
Formen der Verspottung im NT verschwinden und daß die Beispiele,
die er bringt, überhaupt auf recht verschiedenen Ebenen liegen; aber
mir scheint, er ist der Gefahr einer gewissen Einebnung auch so nicht
immer ganz entgangen. Die gnostische Vorstellung von der Täuschung
der Dämonen beim Abstieg des verkleideten Gottessohnes in die Welt
!äßt sich beispielsweise doch nur mühsam mit den alttestamentlichen
Entrückungsgeschichten in eine Linie stellen (S. 86 f.). Dazu kommt die
außerordentlich weit gespannte Vorstellung des Ironischen, die alle alt-
testamentlichen Täuschungs- und Betrugsgeschichten und sogar die Symbolhandlungen
der Propheten noch mit umgreift. Im Neuen Testament
führt das Messiasgeheimnis zu einer ironischen Haltung Jesu, und alle
Gleichnisse sind im Sinne des Verf.s „ironisch" (S. 94). Eine solche
Überdehnung entspricht zum mindesten im Deutschen nicht dem Wesen
des Begriffs.

Die Vielfalt der gemeinten Erscheinungen werden theologisch vorzüglich
unter den Gesichtspunkt des „Pädagogischen" gefaßt (S. 67.
78 ff- 121. 123. usw.), d.h. sie ordnen sich letzten Endes alle dem geheimnisvollen
Heilsplane Gottes ein. Es fragt sich freilich, ob diese
Deutung des Lachens Gottes, das keinesfalls (?) als bloßer Ausdruck
göttlicher Freude verstanden werden soll (S. 72), auch dem ursprünglichen
Sinn der Texte immer ganz gemäß ist. Aber der Verf. bemüht
sich, nirgends zu schnell zu urteilen, bringt gelegentlich — etwa zu