Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 4

Spalte:

310-312

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Rathke, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Benutzung der Paulusbriefe bei Ignatius von Antiochien 1957

Rezensent:

Rathke, Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

309

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

310

Müller, Hans Martin: Die Heilsgeschichte in der Theologie des
jungen Luther. Diss. Erlangen 1956, 176 S.

Die bisherigen Versuche, Luthers Geschichtsauffassung darzustellen,
scheiden nicht methodisch zwischen Welt- und Heilsgeschichte. Diese
Untersuchung dagegen geht bewußt von der Frage aus, welche Bedeutung
Luther der Kategorie des Geschichtlichen in seiner Theologie beigemessen
hat. Aus methodischen Gründen beschränkt sie sich dabei auf
die Zeit zwischen 1510 und 1518, hier wiederum auf die vier großen
Vorlesungen: über die Psalmen, den Römerbrief, den Galaterbrief und
den Hebräerbrief.

Den Einstieg bildet die Frage nach der Hermeneutik des jungen
Luther; denn an diesem Punkt stößt man auf ein Luther selbst bewegendes
Problem. Es wird der Nachweis geführt, daß die Hermeneutik
des jungen Luther, die christologische Deutung des Alten Testaments
unter Zuhilfenahme des vierfachen Schriftsinns, sich auf eine bestimmte
Geschichtsauffassung zurückführen läßt. Diese Geschichtsauffassung
teilt Luther mit dem Mittelalter. Sie wird bestimmt durch die „Figuralstruktur
" (Auerbach) der geschichtlichen Ereignisse. Danach besteht an
Stelle einer kausalen oder kontinuierlichen Beziehung zwischen zwei geschichtlichen
Ereignissen eine „figurale". D. h. ein geschichtliches Ereignis
ist eine „figura", es bedeutet, ohne sein Eigenleben einzubüßen,
zugleich ein anderes, das es vorankündigend oder bestätigend wiederholt
. Die Kategorien der Kausalität und des historischen Kontinuums,
die unser geschichtliches Denken beherrschen, waren dem Mittelalter
größtenteils fremd. Dagegen hatte die Figuralstruktur im Laufe der Zeit
eine Bedeutung gewonnen, die den geschichtlichen Ereignissen weitgehend
ihr Eigenleben nahm und die Geschichte zu einem bloßen Bilderbuch
umstempelte, das ein himmlisches Drama spiegelnd abbildet.

Diese Geschichtsauffassung liegt auch der lutherschen Hermeneutik
in ihren Ursprüngen zugrunde. Doch wandelt Luther die Figuralstruktur
der Wirklichkeit in zweierlei Hinsicht entscheidend ab. Erstens projiziert
er sie auf ein historisches Kontinuum: die Ereignisse des Alten
Testaments haben damit für ihn nicht nur eine Bedeutung als „Figuren
" der eigentlichen heilsschaffenden Geschehnisse, sondern auch einen
heilspädagogischen Eigenwert; sie sollen das alttestamentliche Gottesvolk
auf das Kommen des Heilands vorbereiten. Die zweite Abwandlung
der traditionellen Geschichtsanschauung betrifft Luthers Interpretation
des alttestamentlichen Prophetismus. Danach spricht ein Prophet
nicht deswegen von Christus, weil er durch die „Figuren" hindurch die
ewigen Geheimnisse Gottes schaut, sondern weil er im selben Glauben
an die Treue Gottes steht wie die Christen.

Diese bereits in der Psalmenvorlesung entwickelte Geschichtsanschauung
hat Luther auch in der Römerbriefvorlesung vertreten. Hier
wird jedoch besonders deutlich, daß seine Hermeneutik noch aus einer
anderen Quelle gespeist wird, die allerdings auch ihre Querverbindungen
zur Gcschichtsanschauung aufweist, aus dem augustinischen spiritus-
litera-Schcma: Nur der kann die Schrift auslegen, der den Spiritus besitzt
, um den Spiritus der Schrift zu erkennen. Dieser Geistbesitz wird
von Luther in Abkehr von der Tradition in eigenwilliger Form interpretiert
: Den Geist besitzt der, welcher Christus innerlich konform geworden
ist, ein Vorgang, der mit der Rechtfertigung gleichzusetzen ist.
Luthers hermeneutische Grundsätze und ihre Querverbindungen zur
Geschichtsauffassung werden also nur dann deutlich, wenn man sie mit
Christologie und Rechtfertigungslehre in einer Linie sieht.

Luther verschafft in seiner Christologie z. Zt. der Römerbriefvorlesung
der Kategorie des Geschichtlichen in charakteristischer Weise
Raum. Aus der Tradition übernimmt er drei Begriffe für die Bedeutung
Christi: „exemplum", „sacramentum", „exemplar". Mit dem Begriff
„exemplum" hatte Augustin die innergeschichtliche Beziehung zwischen
Christus und den Gläubigen gekennzeichnet. Die eigentliche Heilsbedeutung
Christi bleibt hier außer Ansatz, so daß dieser Begriff ausgeschieden
werden muß. Der Begriff „sacramentum" umschrieb (ebenfalls ursprünglich
für Augustin) dagegen diese eigentliche Heilsbedeutung:
Christus ist in diesem Sinne ein für die sinnliche Welt wirksames Abbild
der intelligiblen Wirksamkeit Gottes zum Heile der Menschen.
Luther lehnt diese Bedeutung Christi im Rahmen seiner heilsgeschichtlichen
Anschauung ab. Er faßt dagegen Christus als „causa salutis", sein
Tod und seine Auferstehung bewirken die Gerechtigkeit des „neuen
Menschen" nicht als intelligiblen Wert, sondern als reale Tatsache.
Christus ist für Luther also nicht in erster Linie Abbild, sondern Person
, die real in die Geschichte einwirkt. Damit gewinnt er seinen Ansatz
, die Gott-Mensch-Beziehung nicht metaphysisch, sondern hcils-
geschichtlich darzustellen. Dabei stellt sich Luther gleichfalls gegen die
traditionelle Interpretation des dritten Begriffs, des „exemplar". Hier
war Christus „Muster", „Vorbild" der Handlungsweise Gottes gegen
die Menschen. Am Beispiel Staupitz' wird gezeigt, wie diese Anschauung
zu einer Lehre von der „imitatio Christi" verleitet, die hier im
Gegensatz zu Augustin Heilsbedeutung gewinnt. Luther hat zwar diesen
imitatio-Gedanken abgelehnt, die exemplarische Bedeutung Christi
jedoch in seine Leidenstheologie positiv eingebaut. Dabei löst aber die
hier ausgesprochene Analogie-Beziehung (das, was Christus geschieht,

geschieht urbildlich für den Gläubigen) die oben erwähnte Kausal-Be-
ziehung nicht auf.

In der Rechtfertigungslehre bringt Luther in entsprechender Weise
die Kategorie des Geschichtlichen zur Geltung. Das Wesen des Gerechtfertigten
als „simul iustus et peccator" darf weder dialektisch noch
evolutionistisch mißverstanden werden. Vielmehr entspringt es ganz
und gar der heilsgeschichtlichen Situation des „Interim", in dem der
Gläubige sich befindet: zwischen dem fleischlich-geistigen und dem endgültigen
Advent Christi. Von da aus kommen wir zu einer neuen Interpretation
des „Total- und Partialaspekts" (Joest) in Luthers Rechtfertigungslehre
.

Entscheidende neue Gedanken tauchen zu diesen Problemen in der
Galater- und Hebräerbriefvorlesung nicht mehr auf. Luther baut hier
besonders seine heilsgeschichtliche Periodenlehre weiter aus: Die Inkarnation
Christi bezeichnet den Angelpunkt von „tempus legis" und
„tempus gratiae", welches einst vom „tempus gloriae" abgelöst werden
wird. Zugleich ordnet Luther innerhalb dieser Struktur das figurale
Schema ganz dem Verheißungscharakter der Geschichte unter: die Figuren
des Alten Testaments sind nicht bloß formale Vorankündigungen
des Christusereignisses, sondern Glauben heischende Verheißungen.
Auch im „tempus gratiae" ist solch ein Glaube noch nötig: Er muß sich
gegen den Augenschein der geschichtlichen Entwicklung bewähren und
saugt seine Kraft aus der Geschichte der Glaubensväter, unbeschadet
seines göttlichen Ursprungs, der ihn zu einer „passio nostra" macht.
Die dazugehörige „actio Dei" sieht Luther ganz aus seiner heilsgr-
schichtlichen Auffassung heraus in der Menschwerdung Christi vor sich,
in seinem Leiden und seiner Auferweckung.

Aufs Ganze gesehen trägt das Bild der Heilsgeschichte und ihrer
Strukturen, wie es der junge Luther sieht, durchaus fremdartige, der
Geisteshaltung des Mittelalters verhaftete Züge. Es macht sich daneben
jedoch Luthers energische Tendenz bemerkbar, das auf die Metaphysik
ausgerichtete theologische Denken des Mittelalters in eine neue Form
umzugießen, die als konstituti ven Faktor die Kategorie des Geschichtlichen
aufweist, des Geschichtlichen in seiner „linear'-diesseitigen Bedeutung
. Damit gibt er jedoch der Geschichte eine Tiefendimension, die
bis dahin noch nicht gesehen wurde. Nicht an der Geschichte vorbei,
sondern durch sie hindurch — so baut Luther seine Theologie auf, die
folglich nur auf dieser Grundlage verständlich bleibt.

Ra thke, Heinrich: Die Benutzung der Paulusbriefe bei Ignatius von
Antiochien. Diss. Rostock 1956, II, 126 S.

Ein Überblick über die vorhandene umfangreiche Ignatiusliteratur
(l.Teil) zeigt ein zwiespältiges Urteil über das Verhältnis des Ignatius
zu Paulus: einerseits gilt er als hervorragender Schüler des Paulus,
andererseits legt man ihm eine Umbiegung der paul. Theologie zur Last.

Zunächst wird die Frage literarischer Abhängigkeit untersucht
(2. Teil). Die Möglichkeit einer Benutzung von Pauiusbriefen durch
Ignatius besteht. Zur Zeit der Entstehung der Ignatiusbriefe (110—117)
sind die Paulusbriefe bereits so verbreitet, daß Ignatius sie benutzen
konnte (ausgeklammert bleiben zunächst Past. und paul. Eph.). Daß
,pn.at'us tatsächlich Paulusbriefe kennt, sagen die Ignatianen selbst.
lRöm. 4, 1 wird der paul. Rom. erwähnt. Verzichtet man lEph. 12,2
auf eine willkürliche Textänderung und versteht finjftovevetv — wie
es auch sonst bei Ignatius gebraucht wird — als fürbittendes Gedenken,
so ist die Stelle ein Hinweis auf die Paulusbriefe überhaupt.

Auf Grund von Zitaten bei Ignatius die Kenntnis bestimmter
Paulusbriefe nachzuweisen, ist schwierig. Die vier deutlichen Zitate
(IRöm. 5, l; lEph. 18, 1; IEph. 16, 1; IPhld. 3, 3) entstammen alle
l. Kor., sie bestätigen nur die längst bekannte Tatsache, daß Ignatius
mit l. Kor. besonders vertraut ist. Wichtig aber ist die Art, wie Ignatius
hier zitiert: er benutzt den Paulusbrief stillschweigend, d.h. ohne
Zitationsformel und er benutzt ihn selbständig, ohne genaue Wahrung
von Wortlaut und Sinn. Darin zeigt sich wohl eine gewisse Geringschätzung
der Schrift (besonders auffällig dem AT gegenüber; nur zwei
Zitate aus den Sprüchen), nicht jedoch des Apostels selbst. Im Zusammenhang
mit den genannten Zitaten begegnet eine Reihe von Anklängen
an verschiedene Paulusbriefe und eine Vermischung zahlreicher paul.
Gedankengänge.

Diesen Spuren paul. Gutes wird im folgenden nachgegangen.
Ignatius gebraucht wie Paulus die Form des Briefes und schließt sich im
Briefformular eng an Paulus an. Besonders auffallend ist die Übereinstimmung
der Briefeingänge von paul. Eph. und IEph. Demnach
könnte Ignatius schon einen paul. Eph. kennen. So wie das Briefformular
sind auch andere Formen und Stileigenheiten von Paulus übernommen
: bestimmte Schemata, die Ignatius dann meist mit eigenen Gedanken
füllt, Wortspiele, bezeichnende Begriffspaare, bekenntnishafte
Formulierungen. Auch die Bildersprache beider Autoren wird verglichen.
Doch sind die meisten Bilder, die Ignatius gebraucht und die bereits
bei Paulus erscheinen, Allgemeingut jener Zeit. Schließlich folgt ein
Vergleich des Wortschatzes des Ignatius mit dem der Paulusbriefe. Hier