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1957 Nr. 4

Kategorie:

Praktische Theologie

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

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der oft so erschreckenden Eintönigkeit und schematischen Aus-
gefahrenheit der üblichen Kasualreden entgegenzusteuern. Daß
bei diesen vielen Stimmen sich nicht unerhebliche Leistungs- und
Niveauunterschiede abheben, ist selbstverständlich. Die theologisch
dominierende Linie ist vom württembergischen Luthertum
bestimmt.

Der homiletische Begriff des Kasus, der der Sammlung zugrundeliegt
, ist in seiner weitesten Form verstanden. Er umfaßt
nicht nur die einzelnen Amtshandlungen inbegriffen Beichte und
Abendmahl, sondern auch sonstige „Gelegenheitsreden" des
Pfarrers, er zählt darunter die Ansprachen an Kranke und Jugendliche
sowie die Verkündigung durch den Rundfunk und rechnet
auch Advent und Weihnachten, Passion und Ostern (warum
dann nicht auch Pfingsten?) unter die mit Predigt, Ansprache
oder Andacht zu versehenden „Fälle". Das überschreitet den
üblichen Begriff des Casuale, hat aber seine praktische Wichtigkeit
. Die Einteilung der einzelnen Gruppen der Kasualreden unterscheidet
nicht nur die allgemeinen und besonderen Fälle, sondern
berücksichtigt auch betonterweise das Kirchenjahr.

Die Tauf reden, die im lutherischen Verständnis der Taufe
an der Kindertaufe bewußt festhalten, zeigen erfreulicherweise
keine Neigung, das Sakrament zugunsten einer christlichen Lebensweihe
zurücktreten zu lassen. Obwohl, und zwar berechtigterweise
, auch der erste Glaubensartikel berücksichtigt bleibt,
ist die Linie von der Geburt zur Wiedergeburt, vom Geschenk
des Lebens zu seiner Berufung in Christus und zu seiner Gemeinde
klar und deutlich gezogen. Auch die T r a u- und Grabreden
rücken trotz voller Offenheit für das menschlich Bewegende
unter dem Ernst der biblischen Texte von der Versuchung
bürgerlich-ornamentaler Verklärung und Menschengefälligkeit bewußt
ab. Über den Umfang der Berücksichtigung der individuellen
Situation im Rahmen der Verkündigung sind die theologischen
Meinungen der verschiedenen Autoren offensichtlich geteilt. Den
Beicht- und Abendmahls reden sind zwei grundsätzliche
Aufsätze vorangestellt, ein ärztlicher über die anthropologische
Deutung und Bedeutung der Beichte von Dr. med. Groeger,
Düsseldorf, und ein theologischer über das Abendmahl und seine
Bedeutung in der Gegenwart von Dr. Schrey, Tübingen. Darin
tut sich wiederum das Bemühen des Herausgebers kund, in dieser
Sammlung nicht nur Muster zu geben, sondern zur Besinnung auf
die besondere Aufgabe der Kasualrede in unserer Zeit aufzurufen
. Im Anhang ist auch ein liturgisches Formular für die Einzelbeichte
beigegeben.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Ansprachen
an die Jugend. Im Vorwort heißt es da auf S. 11: „29
Mitarbeiter in der Schule, im Pfarramt und in der Jugendarbeit
wollen hier zeigen, wie sie versucht haben, sich den jungen Menschen
von heute zu stellen". Hier ist viel gewagt und sicher noch
nicht alles gelungen. Aber der Mut zu neuen Wegen bietet
reiche Anregung.

Der Anknüpfungspunkt spielt hier eine große, aber auch gefährliche
Rolle. Man setzt ein in geschickter Bezugnahme auf sensationelle
Ereignisse, zeitgenössische Literatur und Filme, um von da den Weg
zum „Wort" in Absetzung oder Überhöhung zu finden. Mitunter überlagert
und verbiegt aber ein solcher Start, vor allem wenn er reißerisch
wird, das, was eigentlich gesagt werden soll (z.B. S. 284 „Ein «'{^'8'
artiges Engagement-") oder führt in überzogener Gleichnis- und Schlag-
wortsprache zu Geschmacklosigkeiten. So etwa, wenn nach einem guten
Ansatz: „Achtet auf die Bannmeile Gottes" Jesus allegorisierend zum
Bademeister wird (Bd. V, S. 112), oder als Schluß einer Auslegung von
I. Petr. 5, 7 in einer Schulandacht gesagt wird: „Ich erkläre meinen
Austritt aus dem Großverein der Sorgenmacher" (S. 118), oder Jesus der
Weinstock im Kontrast zum Rohrstock, Zierstock, Taktstock und
Krückstock interpretiert wird (S. 186 ff.). Ohne den aktuellen Anknüpfungspunkt
gerade für die Jugendansprache etwa ablehnen zu wollen
: es gibt auch den klaren Ausgang vom Text in unmittelbarer Le-
bensbezogenheit, z.B. „Der Ruf Jesu" (über Mark. 1, 16—20. Bd. V.
S. 172 ff.), und dieser Weg braucht nicht weniger eindrucksvoll zu sein.

Die Ansprachen für Kranke werden vor allem
dem Seelsorger wertvolle Dienste leisten, obwohl sie darüber
hinaus unter Berücksichtigung der in den Kliniken zusammengewürfelten
Menschen auch den zur Besinnung führenden missionarischen
Ton gut zu treffen wissen.

In die ganze Fülle der in der pfarramtlichen Praxis sich ergebenden
sonderlichen Anlässe, das Wort zu ergreifen, führt das

umfassendste Bändchen der Gelegenheitsreden. Ob es
sich um Antritts- oder Abschiedspredigten handelt, um die Einführung
von Kirchenvorstehern, um Friedhofs-Glocken oder Orgelweihe
, um Feste der Inneren und Äußeren Mission, um Aussaat
und Ernte, um Erziehungssonntag oder Jahresfest der Frauenhilfe
, um Konfirmation, silberne und goldene Hochzeiten, um
Reden zur Einweihung einer Siedlung oder Jubiläen aller Art,
um Vereins- oder Tischreden: auch die in solchem Sinne gelegentlichen
Worte des Pfarrers wollen theologisch sorgfältig bedacht
sein. Hier ist der Weg vom Peripheren zum Zentralen unserer
Aufgabe oft schwierig genug. Die gebotenen Beispiele beweisen
aber, in welcher oft erstaunlichen Weise gerade hier sich Türen
zur konkreten Verkündigung auftun, und welchen Reichtum elementarer
Lebensbezogenheit die Bibel aufweist. Daß man der
Gefahr, sich auf eine Vorfeldverkündigung zu beschränken, nicht
immer entgangen ist, bedeutet bei säkularen Anlässen nicht unbedingt
ein Manko; wenn nur der Pfarrer an seinem eigentlichen
Ort dafür bürgt, daß er kein bloßer Vorfeld-Theologe ist.

Der achte Band gilt der ,,Verkündigung durch
den Rundfunk". O. K. R. Pressel hat den hier gebotenen
Proben unter der Überschrift „Grundsätzliches und Methodisches"
eine kleine, auf Erfahrungen mit dieser Apparatur und ihrem
Hörerkreis aufbauende Funkhomiletik vorangestellt und einige
sehr nützliche Anweisungen gegeben. Interessant zu beobachten,
wie über diese Berührung von Kirche und Technik und den di-
mit gegebenen Forderungen der Predigtstil beeinflußt wird. Was
hier infolge der gebotenen Kürze an Konzentration und im Hinblick
auf die unsichtbare Hörerschaft, die ja, auch in ihrer konfessionellen
Gemischtheit keineswegs einfach Gemeinde ist, an
Sprecherziehung, an Form der Verbindlichkeit der Aussage und
missionarischer Ausrichtung von uns verlangt wird, gewinnt Bedeutung
auch für unser sonstiges Predigen. Hier kommt man gar
nicht um eine zusammenreißende Themenstellung herum, hier
ist man ab r auch doppelt in Gefahr, den Text „aktuell" zu vergewaltigen
. Die vorliegenden Proben von Funk-Predigten, Andachten
, Kurzansprachen und Vorträgen weisen uns schon ein
gutes Stück des neuen Weges. Und doch wird um der Wichtigkeit
dieser Aufgabe willen, vermutlich von Spezialisten, an der
Sach- und Hörer-gerechten Vervollkommnung dieser Art der
Verkündigung noch weiter gearbeitet werden müssen.

Für Advent und Weihnachten werden Predigten,
Andachten und auch Reden im weltlichen Raum geboten. Die
Botschaft des Evangeliums vor heimatlos Gewordenen, Heimkehrern
, bei einer Betriebsfeier oder im Sportverein so zu sagen,
daß sie in einem solchen Milieu vernommen werden kann, ohne
verbogen zu werden und ohne in einen falschen Ton zu fallen,
fordert ein hohes Maß von missionarischem Geschick. Die vorliegenden
Versuche sind lehrreich gerade in der Handhabung der
Anknüpfung, die da, wo die Gemeinde fehlt, eine gemeinsame
Basis erst schaffen muß. Den letzten Band geben die Passions
- und Osterpredigten und Andachten ab, die mit
einer Betrachtung der Seligpreisungen in der Karwoche abschließen
.

Aufs Ganze gesehen wird man dem Herausgeber und seinen
Mitarbeitern sowie dem Verlag dankbar sein für diesen umfassenden
Versuch, vom Kasus her die Verkündigung des Wortes
Gottes in unser heutiges Leben zu tragen und eine Sprache zu
wagen, die sich gegenüber aller Befangenheit im theologischen
Seminarjargon so erfreulich abhebt. Ihre eigentliche Fruchtbarkeit
wird diese Kasualien-Sammlung allerdings erst da zeitigen, wo
man nicht nur übernimmt, sondern in lebendiger theologisch
homiletischer Auseinandersetzung mit den in Fülle gebotenen
Anregungen selbst an die Aufgabe herangeht, um deren Bewältigung
es hier geht.

Bonn _ Joachim Konrad

Bieneck, Joachim: Die Bekehrungspredigt.

Evangelische Theologie 17, 1957 S. 91—96.
Bismarck, Klaus von: Das diakonische Amt der Kirche im Blick auf

die gesellschaftliche Funktion der Laien. Ein Beitrag zum Thema der

Synode der Ev. Kirche in Deutschland im März 1957.

Monatschrift für Pastoraltheologie 46, 1957 S. 65—76.