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Ausgabe:

1957

Spalte:

302-303

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Titel/Untertitel:

Christliche Existenz und Erziehung 1957

Rezensent:

Niebergall, Alfred

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14jährigen gehöre, weil manche Darstellungen de6 Alten Testamentes
auf junge Menschen in der Pubertätskrise verwirrend
■wirken könnten. Auch seien die apostolischen Briefe dem kindlichen
Verständnis nicht völlig zugänglich, abgesehen von dem
Philemonbrief (S. 180). Aufschlußreich sind die Erörterungen über
die Bibelzirkel der katholischen Jugend. Auch für die evangelische
Religionspädagogik sind die Erörterungen über Bibel- und Katechismusunterricht
wertvoll. Der Untirricht in der biblischen
Geschichte wird dem Katechismus übergeordnet (S. 186), und zwar
in dem Sinne, daß der gesamte Religionsunterricht biblisch ausgerichtet
sein müsse (S. 187). Der Verf. entwickelt die pädagogischpsychologische
Stufenfolge von den Schulanfängern bis zu den
Abschlußjahren. Für die gesamte religiöse Erziehung ist Jesus
Christus Urbild, Vorbild und Nachbild (S. 174).

Von hoher Bedeutung sind die Ausführungen über Psychologie
und Pädagogik des Gebetes. Zunächst handelt es sich um
das persönliche Gebet und um die Gebetserziehung. Die Gebetshaltung
ist ebenso wesentlich wie die liturgische Funktion des
Gebetes. Das Kind lernt in der Mutterschule beten, und zwar
vom 2. Lebensjahre an (S. 234), ein Gedankengang, der sich mit
der Mutterschule von Comenius berührt. In den ersten Schuljahren
soll neben dem gebundenen Gebet auch das freie Gebet zu
seinem Recht kommen - ein Vorschlag, den man nicht völlig
kritiklos hinnehmen kann. Daß während der Pubertätsentwicklung
Gebetsscheu und Verschlossenheit spürbar werden, ist zutreffend
. Beachtlich ist die Erfahrung, daß das Reifealter gegenüber
dem Rosenkranzbeten Zurückhaltung übe (S. 241), wie überhaupt
auf die Gefahren des Gebetsmechanismus hingewiesen werden
müsse (S. 244). Die Kinder in der Vorpubertät beten in dem
Verlangen nach Geltung und aus dem Erlebnis der eigenen Bedeutung
(S. 250). Die individualistische Tendenz verdichtet sich
zum tragischen Erlebnis der Individuation in der Reifezeit. Gestaltet
sich die Glaubensentwicklung positiv, so findet das endliche
Ich das unendliche Du Gottes (S. 252). Die Gebetsübung
muß gefordert, jede Gebetsdressur aber vermieden werden (S. 268).
Die Darlegungen über das Gebet werfen bedeutsame Probleme
auf, und zwar nicht nur im Hinblick auf die katholische Theologie
. Auch die evangelische Theologie wird sich mit den dargelegten
Untersuchungen eingehend zu beschäftigen haben.

Das Schlußkapitel, das sich mit der Sakramentserziehung
befaßt, wird seine wesentliche Resonanz in der katholischen Gemeinde
finden. Einige Gedanken werden auch den evangelischen
Theologen anregen. So wird die Frage der Beichte vor Laien erörtert
(S. 288). Die Bewegung der Laienmönche, die Beichte hörten
, gTiff aus dem Bereich der Ostkirche auch auf das Abendland
über, bis das Tridentinum diese „ungesunde Übung" verhinderte.
In den evangelischen Gemeinden wird die Frage der Laienbeichte
auf Anregung der Arzt-Seelsorger-Bewegung hin diskutiert. Hier
wird man das Urteil des Verf.s nicht unbedingt akzeptieren können
. Seiner Warnung vor einer Übersteigerung der religiös-seelischen
Kräfte werden wir beipflichten müssen (S. 296). Der Seelsorgepsychologe
äußert Bedenken gegen die Frühkommunion,
rechtfertigt sie aber aus der „umgestaltenden Kraft der Übernatur
" (S. 314). Sehr instruktiv ist die Feststellung, daß die
kirchengesetzliche Verpflichtung zur Kinderbeichte theologisch
«triftig sei. Für die Kinder, die nicht schwer sündigen können,
«ei die Beichte nicht heilsnotwendig, stelle jedoch eine „heilsame
Übung und hohe Form frommer Andacht" dar (S. 318). Wie das
"Psychogramm" der Erstbeichtenden gestaltet sein soll, wird
nicht ganz deutlich (S. 319). Bei der Betrachtung des Ehesakra-
rnentes wird die frühzeitige Erziehung zur Ehe gefordert, weil
schon in früher Jugend der schicksalhafte Grund zu Glück oder
Unglück künftiger Ehen gelegt werden könne (S. 328—329).

Das Werk zeichnet sich als Konzeption durch klare Dis-
Ponierung und anschauliche Strukturierung der großen Problemgebiete
aus. Man vermißt die systematische Einarbeitung der
Tiefenpsychologie, wenn Freud und Jung auch gelegentlich erwähnt
werden. Auf das Ganze gesehen, ist das Buch eine völlig
gelungene Synthese tiefgehender psychologischer Erkenntnis mit
reicher pädagogisch-seelsorgerlicher Erfahrung.

Berlin Ernst Jahn

Schreiber, Georg, Prälat Prof. D. Dr., u. Haue, Kurt, Prof. Dr.
Dr.: Christliche Existenz und Erziehung. Ehrengabe des Deutschen
Instituts für wissenschaftliche Pädagogik zu Münster/Westf. an den
Hochw. Herrn Prälaten Univ. Prof. Dr. theol. Dr. phil. Johann Peter
Stcffes zur Vollendung seines 70. Lebensjahres am 27. 8. 1953. Münster
: Aschendorff [1954]. 175 S. gr. 8". DM 11.— ; Lw. DM 13.50.
Entsprechend der weitgesteckten Lebensarbeit des Jubilars,
die von der Leitung des katholischen „Deutschen Instituts für
wissenschaftliche Pädagogik" in Münster über das Interesse an
schul- und kulturpolitischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen
; bis zu der Herausgabe der „Zeitschrift für Missionswissenschaft
und Religionswissenschaft" reicht, enthält die Festschrift
eine Reihe von philosophischen, theologischen, sozial-pädagogischen
und politischen Beiträgen.

In Auseinandersetzung mit Heidegger und Jaspers untersucht

F. Rintelen das Verhältnis von „Existenz und Glaubensakt": Während
für die Existenz-Philosophie alles außcrexistenzielle Sein keine
Bedeutung hat, geht es bei dem Glaubensakt um einen existenziellen
Akt, wobei der Glaube mit den Worten des Vatikanums als „eine
übernatürliche Tugend" definiert wird, „durch die wir auf Antrieb und
Beistand der Gnade Gottes glauben, daß das von ihm Offenbarte wahr
ist". Zur Lösung des alten „Streites um die christliche Philosophie"
schlägt H. E. Hengstenberg den Terminus „Sophia" vor, der
die „spezifische Einung von Philosophie und christlicher Theologie" bezeichnen
soll, ohne daß die Grenzen zwischen Theologie und Philosophie
verwischt werden. Diese „Sophia", also „die Philosophie unter
Erleuchtung der Theologie und die Theologie im Medium der Philosophie
" wird in Analogie zu dem Verhältnis von Geist und Leib und
der hypostatischen Union Christi entfaltet. H. Volk geht der Frage
nach, inwieweit man das Christentum als optimistisch bezeichnen kann,
und stellt fest, daß es sich bei diesem Ausdruck um eine Kategorie
handelt, die ebenso wenig wie der Pessimismus biblischen Charakter
trägt. Der christliche Glaube weiß sowohl um die Trübsale dieser
Zeit wie um die künftige schon jetzt hervorleuchtende Herrlichkeit.
L. D e i m e 1 handelt „Über die Hingabe", die er sowohl als personal-
wie gemeinschaftsbildenden Akt des ergänzungsfähigen und ergänzungs-
bedürftigen Menschen versteht. Anstelle des Heideggerschen „Mitseins
schlägt er den Terminus „Für-sein" vor. Die Hingabe an Gott
ist „die höchste und einzig notwendige Hingabe". Sie entzündet sich
an der Hingabe Christi an uns, der den Inbegriff der Hingabe darstellt.

G. B r o m beschäftigt sich mit „Nietzsches Antichrist", der trotz aller
Ablehnung an der Wiederherstellung des Jesusbildes unserer Zeit mitgewirkt
hat. G. Söhngen bringt „Einige Vorbemerkungen zum Begriff
des Mythos". Anstelle des Naturmythos sieht er bei Plato einen
..Kunstmythos", weil Plato Mythos und Mythologie ontologisch interpretiert
. Das „mythische Weltbild entspricht einer anschaulich-bildhaften
Denkweise. Darum ist noch nicht eine anschaulich-bildhafte Denk- und
Redeweise auch Ausdrude und Beweis eines mythischen Weltbildes".
Diese These wird — leider nur sehr knapp und vorsiditig — an den
Ostergeschichten erläutert.

J- Pascher untersucht die „Früchte" der heiligen Messe. Sie
bestehen in der Vergebung der Sünden und in der Gewährung von übernatürlichen
Gnaden und zeitlichen Hilfen. Der Grund dafür wird in
dem durch die Messe vergegenwärtigten Tod Christi und in dem Mitopfern
der Teilnehmer der Messe, vor allem des Priesters, gesehen. Über
Art, Maß und Empfänger entscheidet die „Intention", ein vor allem
für die Meßstipendien wichtiger Gesichtspunkt. In seinem Beitrag über
die „Erziehung zum europäischen Denken durch die Liturgie" verweist
L. B o p p auf die Feiern im Laufe des Kirchenjahres zu Ehren jener
Heiligen, die im Kampf um Europa gegen Hunnen. Mohammedaner und
Türken sich ausgezeichnet haben. Diese Feste vermögen den mitfeiernden
katholischen Christen zu europäischem Denken zu erziehen.

K. H a a s e nennt als „Drei Wege der sozialen Erziehung" das
sittliche Beispiel geschichtlicher Gestalten und Vorgänge, die ökonomische
Anwendung von Autorität und Gewährung von Freiheit und
die liebende Begegnung des Erziehers gegenüber dem Zögling, die als
der königliche Weg „die erschließende Macht der Erziehung" darstellt.
A. Eickhoff erläutert die Frage „Freiheit und Macht als fundamentales
Problem der Politik" im Anschluß an Ausführungen von G. Briefs,

H. Lilje und P. Dürrenmatt an dem Phänomen des Gruppen-Egoismus,
des Totalismus und des Demokratismus. Nur da kann von echter Demokratie
die Rede sein, wo die personale Würde des Menschen, der
nicht nur ein soziales, sondern auch ein individuelles Wesen ist, und
der Wert der ..Substrukturen" erkannt und gewahrt werden, jene Gemeinschaften
wie Familie, Freundschaft, Nachbarschaft und Religion,
die aus einem Wesenswillen und nicht aus einem „Kürwillen" wie
die modernen Zweckverbände hervorgehen. Angesichts der modernen
, überall zu beobachtenden Arbeits- und Berufsverdrossenheit
geht J. H ö f f n e r der Frage „Mensch und Arbeit im technischen Zeitalter
" nach. Er sieht deren Lösung neben der Schaffung von zweckmäßigen
und ansprechenden Arbeitsstätten, der Verminderung des Arbeits-