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Ausgabe:

1957 Nr. 4

Spalte:

297-299

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brinktrine, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Schöpfung 1957

Rezensent:

Schultz, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

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bezeugen, daß dieser Versuch, theologische Grundbegriffe und
Problemstellungen „philosophisch" zu sehen, sie also sich unter
Absehung von kirchlichen und dogmenhistorischen Voraussetzungen
„unmittelbar" zu vergegenwärtigen, außerordentlich eindrücklich
und verheißungsvoll erscheint. Aber gerade dann vermißt
man um so schmerzlicher, daß die Verfasserin auch nach
über dreißigjähriger Beschäftigung mit dem Thema der Mystik
keinen Weg gefunden hat, sich auch nur mit den Elementen der
theologischen Arbeit und Tradition bekannt zu machen. Daß ihr
der Begriff der unio personalis bekannt wäre, das gibt sie mindestens
in keiner Weise zu erkennen. Und daß mit der Beschränkung
des Mittlergedankens auf den Bereich der Schau und der
Erkenntnis der christliche Mittlergedanke nicht begriffen ist, das
"werden der Verfasserin gerade auch ihre theologischen Gewährsleute
bestätigen müssen.

Bleibt noch eine Frage. In der Tat hat das Christentum, das
ja unfraglich hohe Zeugnisse zur Geschichte der Mystik beigetragen
hat, auch immer eine erhebliche Hemmung gegenüber der
Mystik gehabt. Das hat verschiedene Gründe. Einmal nähern 6ich
in der mystischen Erfahrung (phänomenal jedenfalls) Schöpfer
und Geschöpf bis zur Grenzverwischung. Die Terminologie der
Mystik (Einstrahlung, Einung, Entwerdung usw.) zeigt das deutlich
. Dadurch aber wird die Einzigartigkeit der Schöpfermacht
Gottes bedroht. Es entsteht die Frage, der vor allem die protestantische
Theologie offen war: Ist der „Wesensgrund" wirklich
Gott? Auch G. W. streift unter Berufung auf Teresa von Avila
■die Möglichkeit einer satanischen Täuschung (S. 252). Vor allem
aber ist alle Theologie des Wortes naturgemäß mystikfeindlich.
Das mystische Schweigen ist fernab dem „Wort". Die von G. W.
S. 173 u. ö. erwähnten „göttlichen Ansprachen" scheinen mir
eben im Blick auf diese scharfe Fragestellung zu undeutlich beschrieben
zu sein, als daß hier etwas zur Lösung dieser wichtigen
Problematik beigetragen wäre.

So kann die Aufnahme des Buches nur eine sehr kritische
sein. Wir übergehen noch einmal sehr betont den Versuch, unter
Hinweis auf parapsychologische und telepathische Phänomene
Stufen zum Verständnis mystischer Erfahrung zu errichten. Meine
Haupteinwände sind, streng an der Sache gemessen, diese beiden:
Die Beschreibung der mystischen Phänomene ist, trotz der Breite
des Buches, nicht ausreichend. Ich erinnere nur — um mich nicht
zu wiederholen — noch an die beiläufige Art, wie S. 18 3 die Lehre
von der scintilla animae gestreift wird — der S. 198 mehrfach erwähnte
„Funke" meint offenbar nicht dasselbe, wahrscheinlich gar
nichts Präzises. Oder ich nenne als eine kaum zu verwindende
Lücke, daß die schon früh bemerkte rätselhafte Zeiterfahrung des
Mystikers offenbar als Problem gar nicht gesehen ist. Der andere
Mangel ist, wie gesagt, die theologische Unbekümmertheit, die
im Gegensatz zu der Beflissenheit auf parapsychologischem Geriet
angesichts der Neigung zu weittragenden theologischen Urteilen
oft peinlich berührt.

Trotzdem ein bemerkenswertes Buch! Unerachtet der Schwierigkeit
, die 6ich durch die begrenzte Evidenz mystischer Phänomene
ergibt, ist die Methode der Phänomenologen, „selbst hinzusehen
", für die oft nur aus Büchern lebenden Theologen heilsam
. Wir danken der Verfasserin die in ihrem Buche liegende
Aufforderung und, trotz aller Kritik, Anregung und Anleitung
hierzu.

Oöttineen W. Trillhaas

HoN Brinktrine. Johannes: Die Lehre von der Schöpfung. Paderborn:
Schöningh 1956. 367 S. gr. 8°. DM 17.— ; Lw. DM 20.—.

Das vorliegende Werk bildet den dritten Teil der von dem
Verfasser bearbeiteten „Neuen Dogmatik". Es soll den Übergang
bilden zwischen der Lehre von Gott bzw. der Lehre von der
heiligen Dreifaltigkeit und der Lehre von den göttlichen Heilsveranstaltungen
(16). Es zerfällt in zwei Hauptteile. Der erste
Teil handelt von dem Schöpfungsakt als creatio der Welt und
creatio continua. Gegenstand des zweiten, wesentlich umfangreicheren
Teils ist das Schöpfungswerk, das wiederum in drei
Abschnitte aufgegliedert ist, die sich mit der Angelologie, Kosmologie
und Anthropologie befassen. Auffallend — auch für die
katholische Vorstellung — ist hier der über hundert Seiten umfassende
und bis in letzte Einzelheiten sich ergehende Traktat
über die Engel, wodurch der Verfasser nach seinen eigenen Worten
die Bedeutung der Welt des Immateriellen in dem heutigen
Zeitalter des Materialismus zum Ausdruck bringen wollte. Aber
man fragt sich, ob der Verfasser innerhalb einer Dogmatik nicht
noch andere und noch gewichtigere Möglichkeiten gehabt hätte,
dies an sich durchaus berechtigte Anliegen zum Ausdruck zu
bringen, und ob in dieser Überbetonung einer Lehre, die zu ihrem
größten Teil doch nicht durch die Schrift, sondern durch die
kirchliche Tradition und hier besonders — wie das ganze Werk
des Verfassers — durch Thomas von Aquin bestimmt ist, noch
tiefer die immer spürbare katholische Tendenz sich bemerkbar
macht, den Abgrund zwischen dem deus creator und seiner
Schöpfung zu überbrücken. Der Mensch in der Gegenwart wird
es doch wohl bedauern müssen, daß der Abschnitt über Kosmologie
mit seinen gewiß interessanten und an sich bedeutsamen Exkursen
über die Entwicklungslehre, das Weltbild der modernen
Physik und die Entstehung der Lebewesen nicht einmal zwanzig
Seiten umfaßt. Wäre der Verfasser noch tiefer und umfassender
in die Gegenstände seiner Exkurse, besonders auch in die Welt
der modernen Physik, eingedrungen, hätte er erkennen müssen,
daß die Einheit von Theologie und Wissenschaft nicht so reibungslos
vor sich gehen kann, wie er es sich — wieder der katholischen
Einheitstendenz entsprechend — nun denkt, während
er nun unproblematisch einfach feststellt: „Somit kann es keinen
Widerspruch zu der Naturwissenschaft geben" (212).

Die ausgesprochen thomistisch-aristotelische Prägung des
Werkes tritt besonders deutlich in die Erscheinung in seinem
letzten Abschnitt, der die Anthropologie zum Gegenstand hat.
„Der Mensch ist aus einem niederen Teile, dem Leibe, und einem
höheren, der Vernunft- oder Geistseele (anima rationalis) zusammengesetzt
" (220). Damit ist trotz gelegentlicher Kritik an
dem „platonischen Trichotonismus" (224) wie bei Thomas das
antike Schema der Anthropologie übernommen: Die menschliche
Seele ist Substanz, Geist, verfügt über Unsterblichkeit und Willensfreiheit
, ist durch sich und wesenhaft die Form des Leibes
und ist von Gott geschaffen (Kreatianismus). Diesem Schema
werden die biblischen Glaubensbekenntnisse angepaßt. Das wird
besonders deutlich bei der Darstellung der Erschaffung des Menschen
, der Urstandslehre und vor allem des Sündenfalls. Auch
nach dem Sündenfall bleibt der Mensch im Besitz der Vernunft
und Willensfreiheit. Die von dieser Deutung stark divergierenden
Ansichten Augustins und Pascals werden als „sicher zu weit"
gehend abgelehnt (225). Besonders wird der gToße Gegensatz zu
den Reformatoren betont, welche die Erbsünde in der Konku-
piscenz erblickten, welche die „Verderbnis und Schlechtigkeit des
ganzen Menschen" (330) zur Folge hatte. Die Erbsünde aber bewirkt
nur „eine Verwundung der menschlichen Natur" (342).
Der Verfasser führt dann aus, wie sich in der katholischen Theologie
eine strengere und eine mildere Ansicht über die Verwundung
gegenüberstünden. Nach der strengen Ansicht verhalte sich
der gefallene Mensch zum Menschen im 6tatus naturae purae wie
der aegrotus zum sanus. „Die mildere Ansicht, die, wie es scheint,
heute von den meisten Theologen vertreten wird, sagt: „Die Verschlechterung
der menschlichen Natur besteht lediglich darin, daß
der Mensch durch die Entziehung der dona praeternaturalia auf
den reinen Naturzustand herabgedrückt ist" (343). Abschließend
wird nochmals betont, daß durch die Erbsünde die Willensfreiheit
des Menschen nicht verloren gegangen ist, und dann hinzugefügt:
„Gegner unseres Satzes sind die Reformatoren, vor allem
Luther. Der letzte lehrte, daß durch die Erbsünde die Willensfreiheit
des Menschen völlig vernichtet sei, so daß der gefallene
Mensch das Gute oder Böse tun müsse, je nachdem er „von Gott
oder dem Teufel geritten werde" (344).

In der Tat liegt hier der eigentliche Ursprung des Gegensatzes
zwischen katholischer und lutherischer Anthropologie. Der
lutherische Christ wird nur schmerzlich davon berührt, daß der
Verfasser zwar seinen eigenen theologischen Standpunkt klar und
deutlich entwickelt unter Heranziehung eines erstaunlich umfangreichen
dogmengeschichtlichen Materials und der neuen Literatur
, aber nicht den leisesten Versuch macht, den Weg und die
Gründe des theologischen Verhaltens der Reformatoren aufzuzeigen
. Hätte er auch in dieser Richtung — etwa unter starker