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Ausgabe:

1957

Spalte:

7-12

Autor/Hrsg.:

Dilschneider, Otto Alexander

Titel/Untertitel:

Christliche Ethik in der konkreten Entscheidung 1957

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Sicherheit in der Bestimmung des für Luther Charakteristischen
aus. Vajta weist nach, daß das Liturgische für Luther fest verwurzelt
ist in seiner evangelischen Grundanschauung. Vajta will
den systematischen Zusammenhang von Luthers Ganzheitstheologie
und seiner Theologie des Gottesdienstes herausstellen.
Luthers Gottesdienstverständnis steht in organischem Zusammenhang
mit seiner Lehre von der Schöpfung, seiner Christologie,
Ekklesiologie und Rechtfertigungslehre. Der erste Teil des Buches
reißt die Grundzüge der Theologie des Gottesdienstes auf
und gibt eine Bestimmung des Verhältnisses von Gottesdienst
und Götzendienst. Luthers Polemik gegen das Meßopfer entspringt
seiner grundsätzlichen Anschauung vom Gottesdienst.
Gottesdienst ist Ausdruck für ein beneficium, und nicht für ein
sacrificium. Das Gottesbild ist das des barmherzigen, und nicht
das des zornigen Gottes. Die Gabe des Gottesdienstes besteht
nicht im sacrificium, sondern im testamentum, und der Brauch
des Gottesdienstes geschieht durch Glauben, und nicht durch
Werke. Der zweite Teil entfaltet Luthers positive Gottesdienstanschauung
durch die Bestimmung seiner Auffassung von der
Verkündigung des Wortes, von Christi Gegenwart im Abendmahl
und vom Dienst der Kirche in der Welt.

Zum Schluß stellen wir die Frage: Welches ist das besondere
Gepräge der skandinavischen Lutherforschung? Das ist schwer
zu sagen, da sie natürlicherweise nicht auf eine einzige Formel
gebracht werden kann. Man wird wohl sagen müssen, daß die

I skandinavische Lutherforschung keine so heftigen Spannungen
kennt wie die deutsche. Sie zeichnet sich nicht durch große neue
Lutherkonzeptionen aus und kennt auch nicht den Tiefsinn der

j deutschen Lutherforschung, sie ist aber vielleicht nüchterner und
hat konsequent jede Verehrung des speziell Deutschen, das an
Luthers Person haften könnte, unterlassen. Die skandinavische
Lutherforschung kann dazu beitragen, einen lutherischen Konfessionalismus
zu bekämpfen, der zwar nicht formell, aber doch

j praktisch Luther über die Schrift stellt und Luthers Verständnis
des Evangeliums als letzten, endgültigen Ausdruck evangelischer
Deutung des christlichen Glaubens betrachtet. Im Ganzen muß
die Lutherforschung sich selbst die sehr ernste Frage stellen, ob
sie nicht dazu beiträgt, Luther dort hinzustellen, wo nach römischer
Anschauung die Kirchenväter stehen — ein Verständnis,
das Luther auf das schärfste bekämpft hat, da die Schrift (Christus
) allein Licht und Norm der Kirche ist.

Christliche Ethik in der

Von Otto A. D i 1 s
Nachdem bereits zum ersten Band der Ethik von Thielicke
ein Bericht gegeben wurde', liegt nunmehr der zweite Band des
Werkes vor, der 1955 erschienen ist und den Untertitel trägt:'
„Entfaltung"2. Die erste und grundsätzliche Frage, die sich dem
Leser des Werkes stellt, richtet sich auf die Gesamtlage desselben,
und zwar sowohl was die Disposition als auch die methodische
Konzeption anbetrifft. Fassen wir zunächst einmal die Stoffanordnung
ins Auge. Thielicke geht von der Stellung des Menschen
zur Welt aus, und das will genauer sagen von den beiden zwischen
Ich und Du und zwischen Ich und Welt. Nur in dieser per-
sonenhaften Beziehung von Mensch und Mitmensch einerseits
und von Mensch und Welt andererseits ist ethisches Handeln und
Entscheiden möglich, brechen ethische Probleme auf. Von hier
aus baut sich das Gesamtwerk auf. Wir werden in einem ersten
Teil über das Verhältnis von Ich und Welt und in einem zweiten
Teil über das Verhältnis von Ich und Du ethisch orientiert
(S. 45). Aus dieser Anordnung formen sich nun folgende Unterteile
und Abschnitte des Werkes: I. Thematik von Ich und Welt
(Grundsätzliche Betrachtungen S. 15—5 5) — II. Die Konfliktssituationen
(Der Kompromis, Die Grenzsituationen S. 55—327).—
III. Wesentliche Bereiche der Welt (Biologie, Arbeit, Politik, Geschichte
S. 328—622). Damit schließt dieser zweite Band. In
einem noch zu erwartenden dritten Band soll diese Thematik von
Ich und Welt fortgesetzt werden, und zwar mit folgenden Bereichen
: Selbstbehauptung in der Welt (Autorität, Ehre, Tapferkeit
, Toleranz) — Die Freiheit in der Welt (Spiel, Kunst, Feier,
Humor) — Die Vermenschlichung der Welt (Kultur, Zivilisation,
Technik). Erst wenn dieser Bereich von Ich und Welt damit abgehandelt
ist, schließt sich daran das Thema II von Ich und Du
mit folgenden Themen: Die unmittelbaren Ich-Du-Bezüge (Die
Familie, Sinn und Geheimnis der Geschlechter) — Die mittelbaren
Ich-Du-Bezüge (Die Lehre von der gesellschaftlichen, der politischen
und der wirtschaftlichen Ordnung). Damit haben wir zunächst
einmal einen Gesamtüberblick über die Stoffanordnung
des Werkes gegeben.

Wir müssen die Frage stellen, ob es Thielicke gelungen ist,
mit dieser prinzipiellen Gliederung von Ich und Welt bzw. Ich
und Du eine wirklich sachgemäße Aufteilung der Stoffbereiche
zu erzielen. Wenn Thielicke die Lebensbereiche so gliedert, daß
er den Du-Bereich und den Welt-Bereich mit dem Menschen konfrontiert
, so mag ihm zugestanden werden, daß er damit die existentielle
Situation des Menschen trifft. Es ist gleichsam eine anthropozentrische
Zuordnung der gesamten Umwelt, die hier ge-

') Siehe Theol. Lit. Zeitg. 1952, Sp. 71/76.

a) Thielicke, Helmut, Prof. D. Dr.: Theologische Ethik.
II. Band: Entfaltung. 1. Teil. Tübingen: Mohr 1955. XVIII, 644 S.
gr. 8°. DM 33.40; Lw. DM 37.40.

;onkreten Entscheidung

h n e i d e r, Berlin

übt wird. Nun darf aber doch nicht übersehen werden, daß die
Du-Bereiche, denen der Mensch gegenüber steht, eine ganz andere
Struktur haben als die Welt-Bereiche, in denen er sich bewegt
. Es geht hier um Strukturen, die bereits das ausgehende
19Jahrhundert herausgearbeitet hat und die schließlich zu einer
Unterscheidung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften
hingeführt haben. Gewiß ist das eine Strukturierung,
die sich innerhalb einer säkularen Wissenschaftswelt vollzieht und
gegen die der Theologe seine Bedenken anmelden könnte. Wie
dem auch sei: Der Theologe, der sich einer solchen umfassenden
Stoffkonzeption, wie Thielicke sie hier in Anschlag bringt, zuwendet
, muß uns eine theologisch legitime Auskunft darüber geben
, wie er die strukturellen Unterschiede sieht, behandelt
und ordnet, die sich zwischen der Personenwelt und ihren Ich-
Du-Beziehungen und zwischen der Sachenwelt und ihren Ich-
Welt-Beziehungen ergeben. Thielicke ist sich dieser Problematik
durchaus bewußt geworden und hat sie auch gelegentlich in Anlehnung
an „Das christliche Weltbild11" zu gestalten versucht
(S. 340—348). Indem er sich hier der von mir dargestellten Zusammenhänge
und Beispiele bedient, wäre es ihm auch ein Leichtes
gewesen, zwischen anthropologischen und kosmologischen
Bereichen zu unterscheiden, um so die Begegnung des Menschen
mit der Personalwelt einerseits und Dingwelt andererseits zu
einer wesentlich gegenstandsgemäßeren und sachbezogeneren
methodischen Ordnung des Ganzen zu machen. Dann wären die
Bereiche wie Biologie, Physik und Technik der Es-Welt zuzurechnen
gewesen, wie die Fülle der anderen Bereiche wie Politik, Familie
, Gesellschaft, Geschichte der Personalwelt zugehören. Bei
alledem geht es ja um mehr als nur um Dispositionsfragen von
Stoffgebieten. Eine Ethik, wie Thielicke sie in Anschlag bringt,
setzt eine theologische Wissenschaftslehre voraus, die von einem
legitimen theologischen Ansatz und Aspekt her das ganze Gebäude
der Wissenschaften gründet und ordnet. Ja, man muß noch
tiefer greifen und mit Dedo Müller sagen: Es geht um die Grundlagenforschung
selber und um eine theologische Theorie des Erkennens
*, wenn man hier in dieser ganzen Breite, wie Thielicke
es unternimmt, eine legitime theologische Kontaktgewinnung von
Glaube und Welt erstrebt. Es muß Thielicke zu Gute gehalten
werden, daß ihm die Fragwürdigkeit seiner Konzeption nicht entgangen
ist, wenn er selber sagen kann: „Das, was er (der Verfasser
) . . . sagte, bezog sich nur auf die Art, das Ganze des Stoffgebietes
anzupacken, und auf einige besondere heikle Problemkreise
, die ihn manchmal dicht an die Grenze des Erliegens und
der Kapitulation zu führen drohten und die ihn überdies gegen-

:i) O. Dilschneidcr, Das Christliche Weltbild 1951. - Siehe Thcol.
Lit. Ztg. 19 56, Spalte 17 — folg.

4) Siehe Thcol. Lit. Ztg. 1956, Spalte 23/24.