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Ausgabe:

1957 Nr. 4

Spalte:

284-286

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Staatsidee im Kulturkampf 1957

Rezensent:

Hermelink, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

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ser letzte Teil weicht naturgemäß am stärksten von der älteren
Fassung ab: Die Darstellung reicht von der Reformation bis zur
Gegenwart, z. T. bis zum Jahr 1956.

Bekanntlich war das Bihlmeyersche Werk seinerseits eine
Neubearbeitung der alten Kirchengeschichte von Funk. Der dritte
Band dieser Neubearbeitung (erstmals 8./9. Auflage 1934) ist in
der ThLZ noch nicht besprochen worden. Nachdem er aber nun
schon mehr als zwanzig Jahre im Gebrauch bewährt ist, erübrigt
sich eine umfassende Rezension.

Tüchle hat, von außen gesehen, die ältere Fassung nicht wesentlich
geändert. Die Literaturangaben sind allerdings überall
auf den neuesten Stand gebracht, alte Unebenheiten geglättet
(z.B. in dem Abschnitt über die katholische Mission S. 43 5 f.).
neue Forschungsergebnisse eingearbeitet (z. B. in dem Abschnitt
über den Bauernkrieg S. 31). Dabei ist der Eingriff gelegentlich
nicht tief genug gegangen, z. B. wenn es im Schlußteil heißt, das
Ausmaß der Wirtschaftskrise anfangs der dreißiger Jahre unseres
Jahrhunderts sei „bisher unbekannt" (484). Auch der Bemerkung
, das Rheinland sei bis 1930 „teilweise sogar durch Schwarze"
besetzt gewesen (ebd.), hört man an, daß sie 1934 geschrieben
ist. Überhaupt fragt sich, ob nicht der ganze letzte Teil, von
§ 224 an, hätte neu gefaßt werden sollen. Es liegt in der Natur
der Sache, daß eine Darstellung der jüngsten Vergangenheit die
Gewichte ungleich verteilt. Wir sehen 1956 den Ersten Weltkrieg
(der übrigens oft noch „der Weltkrieg" heißt — S. 449. 468. 481)
und die Nachkriegszeit anders als Bihlmeyer vor zwanzig Jahren.
Aus dem gleichen Grund mag man fragen, ob nicht der neue Bearbeiter
besser mit dem Jahr 1945 geendet hätte.

Wichtiger als diese Einzelheiten ist, daß Tüchle eine leichte
Verschiebung der Grundposition des Bihlmeyerschen Werkes vorgenommen
hat, wobei er Tendenzen des modernen Katholizismus
berücksichtigt. Das gilt einerseits für die Darstellung der Reformation
, in der die irenische Tendenz, die das Werk von Anfang
an ausgezeichnet hat (vgl. die Besprechung der ersten Auflage
durch Loofs, ThLZ 1886, Sp. 438 f.), seit 1934 verstärkt worden
ist. So wurde gleich auf S. 2 die alte Formulierung, der Name
.Reformation' für die Bewegung des 16. Jahrhunderts sei „nicht"
berechtigt, ersetzt durch ein „nur zum Teil". Und die Gesamtwürdigung
Luthers (5 3) ist aufgehellt durch Hinzufügung des Satzes
: „Er wagte den Einsatz seiner ganzen Existenz und vermochte
durch die von ihm ausgelöste Bewegung die Geschicke der Kirche
in neue Bahnen zu lenken."

Andererseits ist aber auch die katholisch-konfessionelle Prägung
des Buches deutlicher geworden. Es reduzierte freilich die
„Kirchengeschichte" schon immer weitgehend auf die Geschichte
der katholischen Kirche (was die vergleichbaren evangelischen
Darstellungen, mit umgekehrtem Vorzeichen, nicht anders machen
). Dazu kommt bei Bihlmeyer ein ausgeprägter Optimismus
gerade gegenüber der Kirchengeschichte der letzten hundert Jahre.
Und dieser Optimismus ist jetzt noch eindeutiger geworden, insbesondere
in dem neuen Schlußwort (5 56), das nicht mehr, wie
bei Bihlmeyer, gegen den Augenschein, sondern mit ihm den
Glauben an den einstmaligen Triumph der Kirche ausspricht.

Es ist begreiflich, daß nach unserer Meinung die nur beiläufige
Behandlung des Protestantismus die Proportionen verzerrt.
Leider haben sich in die Darstellung der neuesten evangelischen
Kirchengeschichte auch einige Ungenauigkeiten eingeschlichen.
So ist die Beziehung zwischen der Gründung der EKiD und der
VELKD nicht richtig gesehen (544); und die Angabe, die „dialektische
Theologie" verwerfe „schroff. .. die analogia fidei"
(547), beruht auf einer auffälligen Verwechslung. Schließlich bedauert
man einige Lücken. Von der modernen skandinavischen
Theologie ist z. B. mit keinem Wort die Rede; ebensowenig etwa
von der neueren Geschichte des französischen Protestantismus;
und ein Mann wie Dietrich Bonhoeffer ist nicht erwähnt.

Trotz dieser Einwände kann man aber im großen und ganzen
das Urteil nur wiederholen, das beim Erscheinen der früheren
Bände der Neubearbeitung ausgesprochen wurde: Das Werk zeichnet
sich durch konziliante Sachlichkeit ebenso aus wie durch
gründliche Sorgfalt, und es ist begrüßenswert, daß es nun wieder
geschlossen vorliegt.

Einige Druckfehler: S. 47 Z. 16 v.o. „1908/12" statt „1908/22".
S. 396 Z. 17 v.o. „Abmahnung" statt „Abmachung". S. 547 Z. 9 v.u.

„Künneth" statt „Künnath". Ferner S. 291 Z. 21 v.u. S. 492 Z. 7 v.o.
S. 511 Z. 24 v.u. S. 519 Z. 19 f. v.u. — Hugo von Landenberg hat
nicht bis 1528, sondern bis 1530 bzw. 1532 regiert (zu S. 47 und 61).—
Auf S. 63 wäre unter „St. Gallen" zu ergänzen: W. Näf, Vadian und
seine Stadt St. Gallen, 1 (1944).

Heidelberg B. Moeller

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Münster (1914
—1954). Münster: Aschendorff 1955. 44 S. 8° = Schriften der Gesellschaft
zur Förderung der Westfäl. Wilhelms-Universität zu Münster
H. 34. DM 1.90.

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Westfälischen
Wilhelms-Universität konnte am 15. Oktober 1954 auf ein
vierzigjähriges Bestehen zurückblicken. Bei diesem Anlaß veranstaltete
sie einen akademischen Festakt mit einem Vortrag
des Dekans der Fakultät Prof. D. Dr. Robert Stupperich über den
Weg der Fakultät durch vier Jahrzehnte. Es ist nicht alltäglich,
daß man ein vierzigjähriges Bestehen in dieser Weise feiert. Wer
sich darüber wundert, wird es verstehen, wenn er das vorliegende
Heft liest. Es ist das erste Mal, daß die Fakultät Gelegenheit nehmen
kann, mit einem Bericht über ihr Werden und Ergehen, über
ihr Wirken und Wollen herauszutreten, und wenn sie es tut, so
geschieht es, wie Stupperich es formuliert, „aus der Überzeugung
heraus, daß wir nicht nur uns, sondern auch denen, die mit un-
serm Leben und Wirken verbunden sind, eine Rechenschaft darüber
schulden, was im Rahmen unserer Universität in der Evangelisch
-Theologischen Fakultät geschehen ist und wie wir dieses
Geschehen verstehen".

Die Geschichte der Fakultät ist auch nicht alltäglich. Das gilt
schon von ihrer Vorgeschichte, die bis in die (der Zeit vorauseilenden
) münsterschen Universitätspläne des Freiherrn vom
Stein zurückreicht, und dann von den Vorgängen, die mehr als
ein Jahrhundert später endlich 1914 zu ihrer Gründung führten.
Und nun die 40 Jahre ihres Bestehens! Gewiß, die preußische
Regierung hatte den kleinen Kreis der Fakultätsmitglieder mit
guter Überlegung und viel Verständnis zusammengestellt. Stupperich
charakterisiert jeden einzelnen in seiner Eigenart und zeigt,
wie sie in ihrer Gesamtheit die Haltung der Fakultät bestimmten
. Aber: Eröffnung der Fakultät am 15. Oktober 19141 Man
erinnere sich der damaligen Kriegslage, und man bedenke, was
der Erste Weltkrieg für alle deutschen Universitäten bedeutete
und was er für eine in seinem Beginn neu eröffnete Fakultät bedeuten
mußte, deren erste Entwicklungsjahre die vier Kriegsjahre
waren. Es ist klar, daß in diesen Jahren und ebenso in den gerade
für Westfalen besonders schlimmen Nachkriegsjahren bis zur
Überwindung der Inflation an eine angemessene Entfaltung der
münsterschen Fakultät trotz der unermüdlichen entsagungsvollen
Arbeit ihrer Professoren nicht zu denken war. Dann aber gelangte
sie in raschem Anstieg zu großer Blüte. Es waren die Jahre
bis 1933, die auch in Stupperichs Darstellung als ihre Blütezeit
erscheinen. Eine kurze Zeit freilich! Stupperich gelingt es, trotz
der gebotenen Kürze, das Gesicht der Fakultät zu zeichnen, wie
es sich in diesen Jahren gestaltete. Dann kam der Niedergang,
der mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus begann, schon
bei Beginn des Zweiten Weltkrieges weit vorgeschritten war und
infolge einer Kombination von Faktoren, die hier nicht dargestellt
werden kann, einen Tiefpunkt 1945 erreicht hatte, der so
ungewöhnlich war, daß es 6ich, wenn die Fakultät wieder aufleben
sollte, nur um einen völligen Neubau vom Fundament auf
handeln konnte. Stupperich macht in großen Zügen den Zustand
der Trümmerstätte und das Wunder des Neubaus (man kann es
nicht anders bezeichnen) einsichtig und darf seinen Festvortrag
mit Hoffnung und Zuversicht schließen. Die Art, wie er seinen
Gegenstand behandelt, enthebt ihn der lokalgeschichtlichen Sphäre
und erweist ihn als universitätsgeschichtlich und theologiegeschichtlich
bedeutsam.

Münster/Westf. Johannes Herrmann

Bornkamm, Heinrich: Die Staatsidee im Kulturkampf. München:
R. Oldenbourg 1950. 72 S. 8° = Sonderdruck a. Historische Zeitschrift
Bd. 170, 1 u. 2. Kart. DM 3.80.

Die Untersuchung H. Bornkamms über „Die Staatsidee im
Kulturkampf" ist schon während des letzten Krieges entstanden.
Sie ist zweimal bei einem Luftangriff auf München und in einer