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Ausgabe:

1957

Spalte:

277-279

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Maier, Franz Georg

Titel/Untertitel:

Augustin und das antike Rom 1957

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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277 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4_ 278

Ausgaben zu zitieren, und das Fehlen eines Literaturverzeichnisses
erschwert dem Niditfachmann, dem die Abkürzungen unverständlich
bleiben müssen, das evtl. beabsichtigte Nachschlagen. Aber
dies sind im Grunde Kleinigkeiten, die bei einer neuen Auflage
berücksichtigt werden könnten. Wir haben allen Grund, dem Verf.
für seine geistliche Gabe dankbar zu sein, die einen so großen
inneren Reichtum nur aufweisen kann, weil hinter ihr das geduldige
Quellenstudium eines langen Lebens steht.

Mainz Walther Völker

Maier, Franz Georg: Augustin und das antike Rom. Stuttgart: Kohlhammer
[1955]. 221 S. gr. 8° = Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft
H. 39. DM 18.—.

Maiers Buch nimmt das Ergebnis der Augustindeutung Kam-
lahs auf, daß Christentum und politische Selbstbehauptung miteinander
unvereinbar seien. Doch während die These Kamlahs
ursprünglich als Argument gegen das Christentum gemeint war,
kehrt 6ie bei Maier ihre Spitze gegen die Formen staatlicher
Selbstbehauptung.

Der Verf. untersucht, nachdem er das Problem umschrieben
hat, zunächst die Stellung Augustins zur antiken Bildung und
Kultur (S. 17-36) und trägt sodann Augustins Äußerungen über
Rom aus der Zeit vor 410 zusammen (S. 36-42). Der Hauptteil
des Buches besteht in einer fortlaufenden Interpretation von De
civitate Dei unter dem Gesichtspunkt der Kritik Augustins an
Rom (S. 76-198), vorbereitet durch eine Darlegung des antiken
Romgedankens (S. 43—48) und eine Besprechung der vier Predigten
, die Augustin über den Fall Roms gehalten hat (S. 55—68).
Dem Briefe 138, der das Verhältnis von Staatsgesinnung und Gebot
des Evangeliums behandelt, ist ein besonderes Kapitel gewidmet
(S. 69-75). Abschließend wird die Haltung Augustins
gegenüber dem Zusammenbruch des Imperiums in Nordafrika
dargestellt (S. 198—206), und eine Zusammenfassung der Ergebnisse
unter dem Stichwort „Das Romproblem als Problem des
christlichen Humanismus" geboten (S. 206-214). Ein reichhaltiges
Literaturverzeichnis ist beigegeben (S. 215—219).

Die Auseinandersetzung Augustins mit Rom, die durch die
Krise des Jahres 410 heraufbeschworen wird, gilt nicht nur der
geschichtlichen Gestalt des Imperiums, sondern zugleich der Romidee
, welche das Römertum als Norm menschlicher Lebenshaltung
betrachtete und den Gedanken der Roma aeterna als Trägerin der
Weltordnung entwickelt hatte.

Das Römertum als Lebensform wird von Augustin in drei
Richtungen bekämpft: hinsichtlich des Götterglaubens, des römischen
Tugendideals und des geschichtlichen Handelns (S. 84).
Durch den Götzendienst erweist sich Rom als Erscheinungsform
der civitas terrena, deren Kennzeichen der Abfall von Gott ist.
Die römische Tugend, so glänzende Beispiele auch die Geschichte
bietet, hat keinen wirklich sittlichen Charakter, da sie auf einen
falschen Endzweck, den irdischen Ruhm, hingeordnet ist. Die On-
tologie Augustins, nach der jedes Seiende an sich ein Gut ist, ist
für seine ethischen Urteile irrelevant. Selbst wenn die sittlichen
Handlungen an sich gut sind, müssen sie bei Fehlen des wahren
Bezugspunktes als böse verurteilt werden. Das geschichtliche
Handeln des römischen Reidies schließlich ist von Ruhmsucht und
Herrschbegier geleitet und darum verwerflich. Dem verklärten
Bilde Roms stellt Augustin ein Gemälde von Schuld, Irrtum und
Vergehen gegenüber und greift damit das Herzstück der römischen
Überlieferung an.

Insbesondere kritisiert Augustin den Gedanken der Roma
aeterna, die berufen ist, Gerechtigkeit und Ordnung in den irdischen
Dingen zu wahren. Sowohl die heidnische Ausprägung dieses
Gedankens, die, von Cicero und Virgil herkommend, in den
Kreisen um Symmachus erneut auflebte, wie auch die christliche
Romideologie, welche auf die eusebianische Reichstheologie zurückgeht
, wird von ihm entschieden abgelehnt. Rom ist die Gegengröße
der civitas Dei. Augustin fühlt sich nicht als Römer,
sondern als Wortführer der christlichen Gegenbürgerschaft. So
gelangt Maier zu dem Ergebnis, daß Augustin das antike Römertum
als geschichtliches Gebilde, wie als Form menschlicher Lebenshaltung
entschieden verurteilt — nicht aus afrikanischem Nationalbewußtsein
, sondern von seinen grundsätzlichen theologischen

Anschauungen her. Augustins Kampf gegen Rom ist „der Kampf
gegen einen autonomen Humanismus, der im Widerstand gegen
Gott einen natürlichen guten Willen des Menschen behauptet und
damit die Unfähigkeit aller Kreatur ohne Gottes Gnade, die absolute
Hoheit Gottes gegenüber Wollen und Vollbringen des
Menschen leugnet. Darum ist das Problem Rom das Problem des
christlichen Humanismus, der immer von einer gewissen Eigenständigkeit
und natürlichen Güte menschlichen Lebens und
menschlicher Ordnung ausgeht" (S. 209). Der Verf. macht mit
Recht darauf aufmerksam, daß Augustins Auseinandersetzung mit
Pelagius wie mit den Römern im Tiefsten zusammengehört.

Durch die Absage an Rom hat Augustin das Christentum von
der zerfallenden Gestalt des römischen Reiches frei gemacht und
das Römertum durch ein christliches Existenzbewußtsein — das der
Bürgerschaft, welche der zukünftigen Welt entgegenwandeTt —
überwunden.

Man wird den umsichtigen und in die Tiefe dringenden Ausführungen
Maiers weithin folgen dürfen. Und doch erheben sich
Bedenken. Seine Ergebnisse bringen zwar manches heilsame Korrektiv
gegen eine allzu unbekümmerte Deutung Augustins als
patriotischen Römers und Parteigänger des Imperiums, enthalten
aber ihrerseits einen ungelösten Rest.

Der von ihm behauptete Grundsatz, daß Augustin von der letzten
rassung seiner Gnadenlehre her alle irdische Existenz derart entwerten
™sse> daß keine Möglichkeit eigenständigen Handelns und Erkennens
übrig bleibe (S. 212), ist in der augustinischen Theologie nicht durchgeführt
worden. Auch bei der Beurteilung Roms wird, wie Maier selbst
th'u*' e'" letztes Schwanken Augustins sichtbar, in dem sich die Un-
aufhebbarkeit der humanistischen Substanz des Menschen meldet
(S. 213). In dieser Hinsicht gewinnt die von Johannes Straub (besonders
in dem Aufsatz: Augustins Sorge um die regeneratio imperii,
Histor. Jahrbuch der Görresgesellschaft, Bd. 73, 1954, S. 36—60) eingenommene
Stellung besonderes Gewicht. Straub betont zutreffend, daß
Augustins Sorge um das Seelenheil der Christen im Zusammenbruch der
römischen Herrschaft zugleich dem Heil der staatlidien Gemeinschaft
als Bewahrerin der Ordnung galt. Das wird eindeutig durch den Briefwechsel
mit Bonifatius (ep. 189,4; 220,7) und dem comes Darius
(ep. 229,2) erwiesen. Darüber hinaus wünscht Augustin eine geistliche
regeneratio Roms, die es der civitas caelestis einverleiben würde
(sermo 105,2). Ratzinger (in „Volk und Haus Gottes in Augustins
Lehre von der Kirche", München 1954), der sich in manchen Punkten
mit Maier berührt, hat zudem herausgearbeitet, daß die Kirche der
Staat des Volkes Gottes ist. Von da aus wäre an Maier die Frage zu
richten, ob hier nicht doch in der Theologie Augustins selbst ein Einfallstor
für die romanitas offen ist.

Maier kennt die von Straub angeführten Stellen durchaus. Doch
er versucht, sie unter Hinweis auf den Gesamtzusammenhang der Theologie
Augustins oder als situationsbedingte Apologetik zu entwerten.
Er begründet dies Verfahren damit, daß die Auslegung von Augustinstellen
von der Gesamtbeurteilung der augustinischen Gedankenwelt
durch den Einzelforscher bedingt ist (S. 69 Anm. l). Da hier keine Auseinandersetzung
über das Ganze der augustinischen Theologie geführt
werden kann, sei nur für einen wichtigen Punkt eine abweichende Meinung
dargelegt. Maier bedient sich sowohl in dem Kapitel „Augustin
und die antike Bildung" wie in der Bestimmung der augustinischen
Stellung zum römischen Staat des Begriffspaars frui — uti. Diese Formel
, nach der Gott allein genossen werden darf, besage den Gegensatz
zu den Dingen dieser Welt, „der Mensch kann sich für oder gegen das
saeculum, für oder gegen die Hingabe an Gott entscheiden" (S. 210).
„Das rigorose Prinzip des uti — frui entlarvt mißtrauisch in allem Umgang
mit dieser Welt die Gefahr eines versteckten amor sui" (S. 211).
Seine Anwendung auf die weltliche Kultur in De doctrina christiana
entwerte alle antike Bildung audi in ihren innersten Triebkräften und
bedeute den Bruch mit ihr (S. 29). Dem ist entgegenzuhalten, daß Augustin
das Begriffspaar frui — uti der antiken Wertphilosophie und
Güterlehre entnommen hat (Vgl. dazu ZKG 64, 19 52/53, S. 34-60).
Gegenüber dem einzigen Zielgut des summum bonum, das um seiner
selbst willen zu erstreben ist, besteht das „Gebrauchen" der adiaphora
in ihrer Hin-Beziehung auf das höchste Gut. Sie werden dadurch nicht
entwertet, sondern empfangen gerade darin ihren Wert. Somit verwendet
Augustin mit der Formel frui — uti in De doctr. ehr. ein Prinzip der antiken
Ethik. Er bedient sich seiner nicht zum Bruch mit der antiken
Bildung, sondern zu ihrer Einbeziehung in die christiana doctrina.

Ähnliches gilt für das „Gebrauchen" des irdischen Staates. Zwar
ist auch das christliche Imperium für Augustin der civitas terrena zuzuzählen
(Enarr. in ps. 51 u. 54), nicht mehr wegen des Götzendienstes,
sondern wohl deshalb, weil es die irdische beatitudo als Ziel hat. Wenn
nun Maier sagt: „Der Charakter dieses Staates ist nicht gewandelt,
wenn ihn auch christliche Kaiser zeitweilig zum Guten benutzen"