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Ausgabe:

1957 Nr. 4

Spalte:

272-275

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Das Gespräch mit der Philosophie 1957

Rezensent:

Fuchs, Emil

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

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zösischen Übersetzung von P. Lavergne O. P. in Frankreich eine
weite Verbreitung gefunden hat. Der Text dieser Synopse ißt jeweils
der Auslegung der einzelnen Perikopen vorangestellt und
das Ganze mit zahlreichen Photos, Grundrissen und Karten der
biblischen Orte ausgestattet. Wie nicht anders bei diesem Altmeister
der katholischen Exegese, dem verdienten Begründer der
Ecole biblique (und ihres Organs, der Revue biblique), zu erwarten
, wird der Leser reichlich mit dem Ertrag philologischer, historischer
, archäologischer Arbeit bekannt gemacht. Doch ist diese
ganz in den Dienst einer erbaulichen Auslegung gestellt, unter
der deutlich hervortretenden apologetischen Tendenz, die historische
Zuverlässigkeit der Evangelienüberlieferung und die Wahrheit
der altkirchlichen und katholischen Lehrentscheidungen zu
beweisen. In dieser Richtung wird die Exegese mit Bedacht immer
wieder ausgezogen und in gut katholischem Sinn zu Fragen der
Lehre Stellung genommen, 6ei es zu den Aussagen des späteren
Zwei-Naturen-Dogmas, der dauernden Jungfräulichkeit Mariens
und der Bestreitung der leiblichen Geschwister Jesu, der katholischen
Lehre über Schrift und Tradition, den Primat des Petrus
und seiner Nachfolger auf dem römischen Stuhl, das Verhältnis
von kirchlicher und weltlicher Gewalt usw. Zwar wäre es unbillig
, den exegetischen Gehalt des Werkes nur nach diesen Indizien
zu bestimmen, doch zeigen sie deutlich die festen Grenzen,
in denen 6i<h die historische Arbeit des Verf.s bewegt.

Was das Buch jedoch für die heutige exegetische Forschung —
erfreulicherweise darf man weithin sagen: über die Grenzen der
Konfessionen hinweg — unbeschadet der genannten Vorzüge
merkwürdig gestrig erscheinen läßt, ist die Tatsache, daß Charakter
und Differenzierung der Evangelien von L. noch kaum in ihrer
grundsätzlichen Bedeutung erkannt sind und diese, wenn auch im
Bewußtsein der Problematik des Unternehmens, doch wieder zu
einer Evangelienharmonie zusammengestellt und zur Grundlage
für ein „Leben Jesu" gemacht werden. Trotz der auch vom Verf.
zugegebenen Tatsache, daß sich ein solches nicht im Stil einer Biographie
schreiben läßt, werden die Perikopen aller vier Evangelien
doch auch hier wieder nach diesem unmöglichen Schema
gleichsam auf eine Fläche aufgetragen und historisierend miteinander
verknüpft, wobei in der Regel Lukas und die johanneische
Chronologie für die Abfolge der Ereignisse, Markus für die Darstellung
der Einzelgeschichten und Matthäus für die ursprüngliche
Fassung der Reden Jesu zugrunde gelegt werden. Da6 Ergebnis ist
jedoch alles andere eher als eine wirklich zusammenhängende
Geschichte Jesu, sondern ein überaus willkürliches Mosaik von
Geschichten und Reden aus allen Evangelien. So erscheinen z. B.
Vaterunser und die Sprüche vom Sorgen unter der Überschrift:
„Vom Laubhüttenfest bis zum Aufbruch zum Fest der Tempelweihe
" oder das Logion von der engen und weiten Pforte, die
Gleichnisse vom Verlorenen und vom ungerechten Haushalter
u. a. unter der Überschrift „Vom Fest der Tempelweihe bis zum
Aufbruch zum letzten Osterfest." Diese und ähnliche Beispiele
zeigen die zähe, verhängnisvolle Nachwirkung der alten Evange-
lienharmonistik und der neueren Leben-Jesu-Fiktion, mit der erst
die formgeschichtliche Forschung, mit der L. sich nicht mehr
auseinandersetzen konnte, befreiend aufräumte. Unbeschadet der
Fülle exegetischer und historischer Belehrung, die das Buch bietet,
fordert es darum im ganzen und einzelnen ständig zur Kritik
heraus. So gibt dieses Buch einen Eindruck davon, wie sehr gerade
eine bewußt konservative Gelehrsamkeit häufig genug zu
den fragwürdigsten Experimenten führt, sei es durch die gewaltsame
Harmonisierung von Texten, sei es durch die Harmonisierung
der biblischen Texte mit den Aussagen der späteren dogmatischen
Tradition. In der Tat gilt für die Erforschung der Evangelien
das 6<höne Wort Heraklits, das L. selbst als Motto für sein
Buch gewählt hat: 'Ag/uovlr) ä<pavrjs qpaveQfjs xgehzcov. Doch
zeigt sein eigenes Werk nur allzu sehr, wie schwer es ist, sich mit
der Unsichtbarkeit dieser „besseren Harmonie" zu begnügen, und
wie stark der Drang, sie eben doch in eine „sichtbare" zu verwandeln
.

Heidelberg Oünther Bornkamm

Bartsch, Hans-Werner: Kerygma und Mythos. III. Bd. Das Gespräch
mit der Philosophie. Mit Beitr. v. K. Jaspers, K. Reidemeister,
R. Bultmann, F. Buri u. H.-W. Bartsch hrsg. Hamburg: Reich 1954.
101 S. gr. 8° = Theologische Forschung H. 5. DM 6.—

Dieser 3. Band von Kerygma und Mythos, das sich ja schon
durch seine früheren Bände weithin große Bachtung gesichert hat,
hat seine Bedeutung durch die Auseinandersetzung zwischen
Karl Jaspers und Bultmann — man kann wohl sogar sagen: durch
den schroffen Angriff von Karl Jaspers auf Bultmanns ganze Position
.

Man wird die Lektüre am besten beginnen mit dem letzten
Aufsatz von Kurt Reidemeister „Über den Ursprung der Theologie
Bultmanns", der mir eine sehr sachliche Festlegung auf das
zu sein scheint, was für Bultmann entscheidend ist und was Jaspers
nicht sieht. Die Anmerkung auf S. 101, die dann wieder Jaspers
nicht gerecht wird, sollte man auslassen und erst zum Schlüsse
lesen.

Reidemeister zeigt, daß Bultmann vor allem einmal aus der
hermeneutischen Situation verstanden werden muß. Er hat die
Frage zu beantworten „wie das philologisch begründete Verstehen
der Schrift mit dem Verstehen der Schrift als das .Wort Gottes
' zu verstehen sei" (S. 96).

Das philologische Verstehen zeigt, daß die Verkündigung
des Neuen Testamentes sich vollzieht innerhalb eines Weltbildes,
das „nicht eine uns noch möglicherweise zustehende Welt" beschreibt
.

Hier wird es Bultmann deutlich, daß es darum geht, zu verstehen
, was den Menschen jener Zeit, innerhalb ihres Weltbildes
„Existentiell" gesagt ist. Das bedeutet ,existentiales* Verstehen.
Geschieht es, daß aus diesem existentialen Verstehen ein existentielles
Getroffensein für uns wird, so ist der „Glaube" geschenkt.
Nun gilt es, dies existentielle Getroffensein weiter zu künden in
der Sprache, die innerhalb des Weltbildes, in dem wir leben. Verstehen
weckende Kraft besitzt.

Dies erläutert Reidemeister am Beispiel des Augustin in einer
sehr klaren und überzeugenden Wei6e.

Nun besteht der Angriff von Jaspers auf Bultmann zunächst
einmal darin, daß er energisch den Gedanken ablehnt, daß wir
heute ein wissenschaftliches Weltbild besitzen, in das hinein ja
Bultmann die Verkündigung stellen möchte. Die Wissenschaft
heute „hat etwa als entscheidendes Kennzeichen, daß sie auf ein Weltbild
verzichtet, weil sie erkennt, daß dies unmöglich ist. Zum erstenmal
in der Geschichte hat sie uns von Weltbildern befreit, während alle
Zeitalter, auch das unsre in seiner Durchschnittlichkeit, in Weltbildern
leben" (S. 12/13).

Wissenschaftliche Weltbilder sind „Verabsolutierungen und
Veirkehrungen. . . nicht Einsicht in das Erkannte, in Sinn, Gehalt
und Grenzen der Wissenschaft" (S. 13).

Muß man ihm hier recht geben, so hat er doch nicht recht
gegen Bultmanns Intention. Man kann diesem dann höchstens
sagen, daß er sich nicht völlig zutreffend ausspricht. Er meint die
Tatsache, daß wir Menschen dieser Zeit in einer Welt leben, die
uns rings umgibt als eine vom technischen Denken verstandene
und beherrschte Welt. In ihr begegnen uns nicht Wunder, die
unsere existentielle Entscheidung fordern. Es ist die organisierte,
technische, nach Ursache und Wirkung verstandene und so gestaltete
Welt, der gegenüber sich unser Entscheiden, unsere Existenz
vollzieht. Wo Menschen in der Sehnsucht nach dem Wunder leben
(Gebetsheilungen u. ä.) und solche erleben, empfinden wir
das nicht mehr als einen Ruf an unsere Existenz — eher als ein
Ausweichen vor ihm.

Diese Wirklichkeit, in der wir leben, muß von uns bewältigt
werden und nicht die Wirklichkeit, in der Dämonen und Engelsmächte
um uns kämpfen.

So kommt ja Jaspers selbst doch auch zu der Erkenntnis, daß
es eine „unfromme, materialistische Anschauung der mythischen
Leibhaftigkeit als einer greifbaren Realität" gibt, d. h. daß wir
die Botschaft des Neuen Testamentes als eine geschichtliche Realität
in ihrer Wunderhaftigkeit nicht mehr hinnehmen können.

Hier aber wird der tiefgehende religiöse Gegensatz zwischen Jaspers
und Bultincnn deutlich. Jaspers will eben den Mythos — jeden
Mythos sozusagen — als „Chiffre" des Ewigen begreifen, hier wird
„das Umgreifende alles Umgreifenden" gegenwärtig, die „Wirklich-