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Ausgabe:

1957

Spalte:

257-262

Autor/Hrsg.:

Winter, Paul

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1957

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Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

38. Das aramäische Oenesis-Apokryphon

Von Paul Winter, London

Die letzte der vier Lederrollen aus Qumrän-Höhle 1, die
durdi den syrischen Metropoliten Mar Athanasius J. Samuel nach
den Vereinigten Staaten von Amerika verschickt worden war, hat
sich lange der Aufrollung und Entzifferung ihres Inhaltes widersetzt
. Nachdem diese Rolle — zusammen mit der längeren Jesaia-
Rolle, dem Sektenkanon und dem Pescher Habakkuk — im Jahr
1954 vom Staate Israel angekauft und nach Jerusalem gebracht
worden war, wurde sie endlich 1956 von J. Biberkraut in Jerusalem
geöffnet. Es stellte sich heraus, daß die Rolle keine Xamech-
Apokalypse' enthält, wie amerikanische Forscher auf Grund teilweiser
Entzifferung der ersten Kolumne angenommen hatten1,
sondern eine volkstümliche Darstellung eines Teiles von Genesis
(Kap. 5, 28 — Kap. 15, 4) mit vielen Ausschmückungen und Erweiterungen
de6 kanonischen Textes in der Art, wie sie sonst im
Jubiläenbuch, im Liber Antiquitatum Biblicarum des Pseudo-Phi-
lon, gelegentlich in den Targumim und generaliter im Midrasch
anzutreffen sind. Der Text ist in aramäischer Sprache geschrieben.
Mit der Herausgabe des Textes wurden Nahman Avigad und
Jigael Jadin betraut. Sie benannten die Urkunde Genesis-Apo-
kryphon aus der Wüste Juda.

Da bei dem Zustand der Lederrolle und ihrer Beschriftung
eine verläßliche Auflösung des Textes der vorhandenen 22 Kolumnen
innerhalb einer kurzen Zeitspanne nicht möglich war,
entschlossen sich die mit der Herausgabe beauftragten Forscher,
zunächst die am leichtesten entzifferbaren Kolumnen des Genesis-
Apokryphon zu publizieren und damit den Inhalt des letzten der
in Qumrän Höhle 1 aufgefundenen Schriftwerke wenigstens zum
Teil einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen". Der
vorgelegte Band besteht aus drei Teilen. Ein hebräisches Vorwort
auf SS. n — t und eine in hebräischer Sprache von den
Herausgebern verfaßte eingehende Beschreibung der Schriftrolle
selbst, sowie eine Inhaltsangabe sämtlicher erhaltenen Kolumnen
auf SS. ab--1 dienen als Einleitung. Kritische Beobachtungen
über die Beziehungen des Inhalts der Kolumnen XIX—XXII zu
den Schriften des Alten Testaments, der Apokryphen und den
Targumim stellen Ansätze eines apparatus criticus zum Text der
genannten Kolumnen dar. Hierauf folgt eine neuhebräische Übersetzung
des Textes der Kolumnen II, XIX, XX, XXI und XXII auf
SS. a- *tb. Der mittlere Teil des Bandes enthält die eben genannten
fünf Kolumnen in Facsimile Druck 6amt einer bequem
lesbaren Transkription des aramäischen Textes. Die Benutzbarkeit
des Buches für weitere Kreise ist erhöht durch die Beifügung
einer englischen Übersetzung des Vorworts (S. 7—9), der Beschreibung
und summarischen Inhaltsangabe der Rolle (S. 12—39)
sowie einer englischen Übersetzung des bisher veröffentlichten
aramäischen Textes (S. 40—48). Die sehr glückliche Übertragung
ins ,Bibel-Englische' ist Frau Sulamith Schwartz Nardi in Jerusalem
zu verdanken. Mehrere Abbildungen der Rolle vor ihrer Aufrollung
und während des Wiederherstellungswerkes an dem
brüchigen Material zeigen auch dem Laien, welch minutiöse, mühevolle
Arbeit der Herausgabe vorangegangen ist.

Die volle Bedeutung des Genesis-Apokryphon wird sich erst
nach langem und eingehendem Studium erschließen lassen. Der
Inhalt der nun vorgelegten fünf Kolumnen läßt ahnen, daß dieses
Studium lohnenswert sein wird. Was den Inhalt des veröffentlichten
Teiles der Schriftrolle betrifft, so haben wir in Kol. II eine

Form eines Gespräches zwischen Lamech und seinem Weib Bath-
Enosdv' berichtet, während uns im Henochbuch eine Erzählung
Henochs, in die Teile seines Gesprächs mit Methusalah eingeflochten
sind, vorliegt. Aus den schlecht erhaltenen Zeilen 19—25 der
Kol. II ergibt sich, daß auch im Apokryphon über eine Unterredung
zwischen Lamech und Methusalah und darauf eine zweite
Unterredung zwischen Methusalah und Henoch berichtet wurde4.
Sprache und Stil des auf Kol. II wiedergegebenen Textes heben
sich auffallend ab von dem auf den späteren Kolumnen enthaltenen
Bericht.

Der Text von Kol. XIX bis XXII entspricht im allgemeinen
dem Inhalt der Geschichten in Genesis Kap. 12 bis Kap. 15, 4.

Kol. XIX. Die Zeilen am oberen Kolumnenrand sind nicht
erhalten. Der lesbare mit Z. 8 beginnende Text entspricht der
Stelle Gen. 12,9. Während in Genesis jedoch davon gesprochen
wird, daß ,,Abram weiter nach dem Negeb (Süden) zog", wird
hier im Apokryphon (ebenso im Jubiläenbuch 13, 10) Hebron als
der Ort bezeichnet, an dem eine ausbrechende Hungersnot
(Gen. 12, 10) Abram bewog, nach Ägypten zu wandern. Die Zeilen
14—18a beschreiben einen Traum, den Abram hatte5; in Genesis
ist keine Rede von einem Traum. Auf Z. 18b—21 wird berichtet
, daß Abram diesen Traum der Sarai mitteilte; diese Zeilen
entsprechen weitläufig dem Inhalt von Gen. 12, 11—13. Auf
Z. 22 wird als das Ziel der Wanderung Abrams ausdrücklich "rs
genannt; der Pharao, von dem in der Folge die Rede ist, heißt
auch >pnt ISTm (vgl. Gen. 12, 15-19; Jub. 13, 12). Gemeint ist
offenbar der in Num. 13,22 genannte Ort, in dem das unterägyptische
Tanais" zu erkennen ist. Von den „Fürsten des Pharao"
(Gen. 12, 15) ist im Apokryphon weiter unten einer mit dem
Namen utrpin benannt. Der Rest der Kolumne ist unleserlich.

Kol. XX enthält auf Z. 2—8 eine bisher unbekannte Beschreibung
der körperlichen Reize Sarais, über die der Hrqnws
dem Pharao berichtet, wobei er nicht unterläßt, zu erwähnen, daß
„nebst all ihrer Lieblichkeit viel Weisheit in ihr ist"7. Entzückend
ist allerdings, wenn Hrqnws, nachdem er Sarais Antlitz, Haare.
Augen, Nase, blühendes Aussehen, Brüste, Arme, Hände, Handteller
, Finger, Beine, Schenkel aufgezählt und überdies ihre Weisheit
hervorgehoben hat, seine Rede abschließt mit den Worten
.,und ihre schmalen (?) Hände sind holde"8. Auf den folgenden
Z. 9—io gibt Sarai, der Bitte Abrams zufolge, sich dem Pharao
gegenüber als Abrams Schwester aus (vgl. Gen. 12, 13; im Jubiläenbuch
fortgelassen). Es folgt sodann auf Z. 11—15 ein Bericht
über Abrams Kummer über seine Trennung von Sarai und ein
bisher unbekanntes Gebet des Abram zu Gott, daß er Pharao
verhindern möge, der Sarai beizuwohnen. Die Z. 16—32 entsprechen
, wenn auch nicht immer in der Wortfolge, im wesentlichen
dem Inhalt von Gen. 12, 17—20 und Jub. 13, 13-15a. Die beiden
letzten Zeilen 33 und 34 entsprechen mehr oder weniger dem
Inhalt von Gen. 13, 1-2 und Jub. 13, 14.

Kol. XXI ist sehr gut erhalten. Der Inhalt der Z. 1-22
stimmt in den Hauptzügen mit dem von Gen. 13, 3—18 (vgl.
Jub- 13, 15b), der von Z. 23-34 mit Gen. 14, 1-12 und Jub. 13,
22 und 23 überein. Auf Z. 2 betet Abram zu yrty DN, der den

J) Jubiläenbuch 4.28: Betenös.

Beübung der Geburt Noahs die große" Ähnlichkeit mit Ka- OldT^^i^ (^^Mx^Ät ,t

pitel 106 des Henoch-rJuches aufweist. Im Genesis-Apokryphon des Henochbuches als „Fragment of the Book of Noah" abgedruckt,
allerdings ist das wundersame Aussehen des Noahkindes in der ] Vielleicht ging auch diesem Fragment, das eine Unterredung zwischen

') Vgl. Otto E i ß f e 1 d t, Die Bestimmung der aramäisch geschriebenen
Rolle als das apokryphe Lamech-Buch (ThLZ 75, 1950.Sp. 23—26).

*) rrrftv "-ana mVaaa rr*toMft& rvrnrn s-tVa» A Genesis Apo-

cryphon. A Scroll from the Wilderness of Judaea Description and

Contents of the Scroll, Facsimiles. Transcrip ion and Translation of lestamen< (Beihe te zur ZAW 7 ; Berlin 1953) wäre Abrams Traum
Columns H. XIX-XXII, by Nahman Avigad and Yigael ! vor se.ner Ankunft m Ägypten als .symbohscher Traum zu verstehen.
Yadin. Jerusalem 1956. The Magnes Press of the Hebrew Univcr- > LXX Num. 13^2: .

sity and Heikhal Ha-Sefer (Auslieferung durch: Publication Department *> NfflB KB3n p 60W5 513 0*1

of The Jewish Agency for Palestine, Jerusalem, Israel). > '«T'T 2TI.

Lamech und Methusalah und sodann zwischen Methusalah und Henoch
erwähnt, ein anderes Stück voraus, in dem, wie hier im Apokryphon,
von einer Unterredung zwischen Lamech und seinem Weib berichtet
wurde.

6) Nach Ernst Ludwig Ehrlich: Der Traum im Alten
Testament (Beihefte zur ZAW 73; Berlin 1953) wäre Abrams Traum