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Ausgabe:

1957 Nr. 4

Spalte:

253-256

Autor/Hrsg.:

Dinkler, Erich

Titel/Untertitel:

Hans von Sodens Vorträge und Aufsätze 1957

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 4

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gesamten Überlieferung und des Sprachgebrauchs des Verfassers
einer vielleicht nicht mit letzter Sicherheit zu fällenden Entscheidung
zu Grunde gelegt werden, wobei die Erörterungen Schmids
zu allen wichtigen Stellen unentbehrlich sind (ein Stellenverzeichnis
erschließt diese Erörterungen). 2) Der Apparat des Nestleschen
Neuen Testaments muß für die Apokalypse dahin umgestaltet
werden, daß die Lesarten derjenigen Handschriften gestrichen
werden, die als schlechte Zeugen ihrer Textgruppe erkannt sind
(z. B. P, 046, min. l). Stattdessen muß der Text des Ökumenius-
Kommentare (= min 205 3) und des Andreas-Kommentars regelmäßig
verzeichnet werden. Nur so kann der Benutzer aufgrund
der uns jetzt zur Verfügung stehenden Kenntnisse sich selber ein
Urteil bilden. Daß Schmid mit seinen Forschungen noch nicht alle

Probleme des Apokalypse-Textes gelöst hat, betont er selber und
nennt als offenstehende Fragen die Stellung der alten Übersetzungen
zu den aufgedeckten griechischen Textgruppen und die
Frage, ob es überhaupt einen „westlichen" Text der Apokalypse
gegeben hat (S. 12, Anm. 2). Aber alle weitere Erforschung des
Apokalypse-Textes wird auf Schmids grundlegenden und in mancher
Hinsicht auch abschließenden Untersuchungen aufbauen müssen
.

An kleinen Versehen sind mir nur ganz wenige begegnet: I, 1,
S. 245, Z. 3 und Z. 5 v. u. ist Anm. 1 und 2 zu lesen (statt 83 und 84);
II, S. 5, Anm. 1 lies „Studien 40 f."; II, S. 21, Z. 15 lies ;,Aland"
statt „von Dobschütz"; II, S. 176, Z. 9 lies „das klassische aQxzoq";
II, S. 243, Anm. 1 lies „wav".

Hans von Sodens Vorträge und Aufsätze

Von Erich D i n k 1 e r, Bonn

Freudig und dankbar nimmt man die nunmehr in zwei Bänden
abgeschlossen vorliegenden Gesammelten Aufträge und Vorträge
Hans von Sodens in die Hand1. Dem Herausgeber, Hans von
Campenhausen, und auch dem Verlag J. C. B. Mohr (Siebeck) gebührt
Dank für diese Edition, die das wissenschaftliche und auch
kirchliche Werk des wohl begabtesten und auch kongenialsten
Schülers A. von Harnacks abzurunden vermag. Wenn man noch
die leider seit vielen Jahren vergriffenen „Akademischen Predigten
" des Autors, seine Literaturberichte in der „Theologischen
Rundschau" sowie Buchbesprechungen in dieser Zeitschrift und
im „Gnomon" hinzunimmt, so ergibt sich ein markantes Bild der
Persönlichkeit: der ursprünglich dem Liberalismus entstammende
Universitätslehrer ist zugleich führender Prediger, Kirchenmann
in kritischer Zeit innerhalb der Bekennenden Kirche und unbestechlicher
Wissenschaftler. Unzähligen seiner Studenten und
Kollegen lebte er den Mut zum Bekennen vor in einer
Zeit, die es weder als national, noch als der objektiven
Wissenschaft würdig erachtete, Theologe zu sein. Charakteristisch
ist der von Bultmann im Vorwort zum I. Band zitierte Satz aus
einem Brief v. Sodens aus dem Jahre 193 5 an den Reichskultusminister
: „Der Herr Minister kann der Natur der Sache nach
theologische Entscheidungen weder gebieten noch verbieten, und
es ist nicht an dem, daß die eigene Verantwortung der Theologie
an der staatlichen Zuständigkeit des Herrn Ministers ihre
Grenze fände, sondern umgekehrt."

I.

Eingangs ist zu sagen, daß mit wenigen Ausnahmen die hier
gesammelten Aufsätze und Vorträge früher kaum der Allgemeinheit
zugänglich waren. Die Mehrzahl wurde zwischen 1927 und
1945 verfaßt; nahezu alle Aufsätze und Vorträge nehmen aktuelle
Fragen von Theologie und Kirche auf, und zwar in einer
Weise, so daß auch angesichts der scheinbar veränderten Lage heute
die Aktualität der Fragestellung um nichts gemindert ist. Der
erste Band behandelt „Grundsätzliches und Neutestamentliches",
der zweite Band „Kirchengeschichte und Gegenwart". Alle Beiträge
werden zusammengehalten durch die Gesichtspunkte .Freiheit
in der Wahrheit des Glaubens an Christus' und .Wahrheit
in der Freiheit des Glaubens an Christus'. - Wenn wir die Leitgedanken
in dieser Formulierung voranstellen, so gehen wir damit
zurück auf die für das ganze Lebenswerk v. Sodens beispielhafte
Marburger Rektoratsrede von 1927: „Was ist Wahrheit?
Vom geschichtlichen Begriff der Wahrheit", eine akademische Ansprache
, die mit Recht vom Herausgeber an den Anfang gestellt
wurde; gibt sie doch bei aller gebotenen Diskussion des philosophisch
-theologisch geprägten Begriffes ein ganzes Programm ab.
Bedenkt man, daß diese Rede zeitlich Heideggers „Sein und Zeit,
Teil I" vorangeht, so wird sogleich deutlich, wie bei Schülern von
Harnack, Husserl und Scheler einerseits, im Kreise von Barth,

) Soden, Hans von: Urchristentum und Geschichte. Gesammelte
Aufsätze und Vorträge, hrsg. v. Hans von Campenhausen.
Bd. l: Grundsätzliches und Neutestamentliches, mit einem Vorwort von
Rudolf Bultmann. Bd. 2: Kirchengeschichtc und Gegenwart. Tübingen:
Mohr 1951/1956. IX, 278 S., 1 Titelb. u. VI, 304 S gr. 8° DM 18.-;
Lw. 21.- u. DM 19.50; Lw. 23.-.

Gogarten, Bultmann anderseits ähnliche Erkenntnisse aufbrachen
, ohne gleichartig normiert oder formuliert zu sein. Denn
deutlich tritt bei v. Soden die Forderung hervor, daß die Wahrheit
ständig vom Menschen nur als Krisis aufgenommen, ertragen
und gelebt werden, niemals jedoch eine bleibende oder zuhandene
Qualität sein kann. Sie ist Denk- und Lebensakt in einem und
konkretisiert sich im Tun. Gewiß darf man, historisch beurteilt,
nicht außer Betracht lassen, daß v. Soden und Bultmann enge
Freunde waren und in echtem Dialog standen. Was das beide leitende
Verständnis von Wahrheit angeht, so möge man nur Bultmanns
Beitrag in Kittel, Theologisches Wörterbuch I s. v. und
v. Sodens Rektoratsrede vergleichen, um den weitgehenden, auf
selbständiger Urteilsbildung beruhenden Consensus zu erkennen.

Nicht ohne programmatische Bedeutung ist es, daß als zweiter
Aufsatz der über „Die Krisis der Kirche" (1931) folgt, weil
schließlich die ganze Lebenskraft des Autors der Wahrheit und
der Kirche, besser gesagt: der Wahrheit in der Kirche galt, ja alle
akademischen Vorlesungen und scheinbar rein philologischen und
historischen Beiträge dieses Ziel im Auge hatten. Dabei wird wiederum
das Wort Krisis so radikal verstanden, daß man heute
kaum etwas hinzuzufügen braucht: „Wir brauchen hier das
Wort Krisis in dem uns vor allem aus dem ärztlichen Sprachgebrauch
geläufig gewordenen Sinn, wonach es im Leben eines Organismus
ein kritisches Stadium bezeichnet, in dem die Frage Leben
oder Tod, Gelingen oder Mißlingen, Wiederherstellung oder
Verfall zur Entscheidung steht. Das Wort Krisis hat ja in diesem
Sinn weiteste Verwendung für alle Lebensvorgänge gefunden und
wird fast zu viel gebraucht, um noch den ganzen Ernst des Begriffes
empfinden zu lassen. Es bezeichnet den ungeheuer ernsten
Moment, in dem die Entscheidungsfrage gestellt wird, den Moment
vor dem Urteilsspruch im Gericht (daher kommt ja das
Wort), aber eben einen Moment, in welchem das Urteil noch
nicht gefällt, die Entscheidung noch nicht gefallen ist, in dem beide
Möglichkeiten, die ungünstige und die günstige, noch gegeben
bzw. uns noch gegeben zu sein scheinen, denen die vielleicht schon
bestimmte Entscheidung noch nicht offenbart ist." Diese Aussage
involviert eine weit ausgreifende Eschatologie, die zwar niemals
als Thema isoliert aufgenommen wurde, aber alle Beiträge
durchzieht. Man darf sie gegenüber O. Cullmanns .Oikonomia'-
Entwurf als .Kairos'-Eschatologie charakterisieren. Besonders
deutlich wird dies in den beiden Aufsätzen „Christentum und
Kultur" und „Vom Wesen der christlichen Kunst". Letzterer handelt
von der altchristlichen Kunst und stellt auf so knappem Raum
wohl die beste Interpretation des Themenkreises dar. Aus dem
neutestamentlichen Bereich ist aufgenommen vor allem die bleibend
wichtige Arbeit „Sakrament und Ethik bei Paulus — Zur
Frage der literarischen und theologischen Einheitlichkeit von
1. Korinther 8—10". Daneben finden wir die so charakteristischen
Aufsätze v. Sodens, die den Wissenschaftler in seiner Verantwortung
für eine tendenzfreie theologische Forschung zeigen, etwa
die Antwort auf das Ludendorffsche Pamphlet „Das große Entsetzen
— die Bibel nicht Gottes Wort", wozu v. Soden bemerkt:
„Vom Standpunkt der Wissenschaft verdient zwar ein so ohne
jede Sachkunde vorgetragener Angriff eigentlich keine Widerlegung
und vom Standpunkt des Glaubens ist ein so frivoles Unter-