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Ausgabe:

1957

Spalte:

249-254

Autor/Hrsg.:

Kümmel, Werner Georg

Titel/Untertitel:

Der Text der Offenbarung des Johannes 1957

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endigt der Verf. schließlich mit der Feststellung, daß ich nur die
Konsequenzen aus dem Luthertum ziehe, das notwendig, trotz
allen Sträubens, im „Liberalismus" enden muß.

Ich schließe mit Dank für dieses Buch. Ich bin überzeugt,
daß es zur Klärung der gegenwärtigen Lage der Theologie Wesentliches
beitragen kann.

Der Text der Offenbarung des Johannes

Von Werner Georg Kümmel, Marburg/Lahn

„Die Textkritik der Apokalypse sieht sich zwei scheinbar
gegensätzlichen Tatbeständen gegenüber: Übereinstimmung der
Herausgeber über einen kritischen Text, natürlich mit Abweichungen
, die jedoch relativ geringfügig sind. Im Gegensatz dazu:
völliger Gegensatz zwischen den Kritikern, wenn es sich darum
handelt, die Handschriften und Übersetzungen in Familien zu
ordnen." So charakterisiert die letzte umfassende Darstellung der
neutestamentlichen Textkritik die Situation der modernen Forschung
gegenüber den Problemen, die die Überlieferung des Textes
der Apokalypse bietet1. Die in ihren Resultaten stark auseinandergehenden
Untersuchungen von B. Weiß, W. Bousset,
Hermann von Soden, R. H. Charles3 sind in den neueren Kommentaren
nicht fortgeführt worden, und von den neueren Arbeiten
zur Textkritik bietet nur das schon genannte Lehrbuch von
Lagrange eine begründete eigene Lösung de6 Problems. Dabei befinden
wir uns dem Text der Apokalypse gegenüber seit mehr als
25 Jahren in der einzigartigen Lage, daß die Lesarten aller Handschriften
, Übersetzungen und Kirchenväter zu jedem Wort der
Apokalypse durch H. C. Hoskier vollständig veröffentlicht worden
sind3. Freilich ist dieser Thesaurus lectionum darum weitgehend
unwirksam geblieben, weil Hoskier bedauerlicherweise
nicht die allgemein anerkannte Bezeichnung der neutestamentlichen
Handschriften verwendet, sondern eine eigene Zählung.
Erfreulicherweise hat die damit gegebene Erschwerung in der Benutzung
des gewaltigen von Hoskier vorgelegten Materials Josef
S c h m i d (München) nicht davon abgehalten, 6ich bald nach dem
Erscheinen der Sammlung Hoskiers daran zu machen, die gesamte
Überlieferung der Apokalypse aufgrund der Ausgabe Hoskiers
und eigener Kollationen zu untersuchen, zu gruppieren und auf
ihren textkritischen Wert zu prüfen, und das Resultat dieser mehr
als 25jährigen Arbeit liegt nun in drei umfangreichen Bänden
vor*. Schmid hat mit dieser Arbeit eines Menschenalters für die
Textkritik der Apokalypse eine Grundlage geschaffen, wie wir
sie für keine andere Schrift des Neuen Testaments besitzen, und
damit nicht nur ein schwieriges Kapitel der Kirchengeschichte aufgehellt
, sondern auch der Exegese einen sichereren Boden bereitet,
als er bisher zur Verfügung stand, und sich dadurch den Dank
aller an der wissenschaftlichen Erforschung des Neuen Testaments
Interessierten erworben.

Schmid hatte schon früher seine umfassende Kenntnis der
Textüberlieferung der Apokalypse bewiesen, als er neu entdeckte
Handschriften zu dem von ihm in Gruppen gegliederten bisher
bekannten Text in Verbindung 6etzte5, die späten Handschriftengruppen
herausstellte" und die Handschriftenliste Hoskiers er-

*) M.-J. Lagrange, Critique textuelle. II. La critique rationelle
, 1935, 579.

3) B. Weiß, Die Johannes - Apokalypse, 1891; W. Bousset,
rv t™S<?e Studien zum Neuen Testament, 1894; W. Bousset,
j cffenbarun£ Johannis, "1906, 148 ff ; R H C h a r 1 e s, A Critical
and Exegetical Commentary on the Revelation of John, I, 1920;
Hermann von Soden, Die Schriften des Neuen Testaments in
lhrer^ ältesten erreichbaren Textgestalt, I, 3, 1910, 2042 ff.
' „ ) H. C. Hoskier, Concerning the Text of the Apocalypse, I.
II., 1929 (die Textausgabe füllt den 2. Band mit 649 S. in Großformat!).

) Josef Schmid: Studien zur Geschichte des griechischen Apokalypse
-Textes. 1. Teil. Der Apokalypse-Kommentar des Andreas von
Kaisareia. Einleitung XII, 376 S.; Text VIII, 296 S. 2. Teil. Die alten
Stämme. XII, 258 S. München: Karl Zink Verlag, 1955/1956 = Münchner
Theologische Studien, im Auftrag der Theol Fakultät München
hrsg. von F. X. Seppelt, J. Pascher, K. Mörsdorf I Hist Abt. 1. Ergänzungsband
. DM 150.—.

"H- Schmid, Der Apokalypse-Text des Kodex 0207, Bibl.
Zeitschr 23, 1935, 187 ff.; Der Apokalypse-Text des Chester Beatty Papyrus
p , Byzantinisch-neugriechische Jahrbücher 11, 1934/35 65 ff

gänzte7. Wer schon an diesen Arbeiten die Genauigkeit, Vorsichtigkeit
des Urteils und logische Folgerichtigkeit dieser textkritischen
Arbeiten Schmids bewundern lernte, wird sein Urteil an dem
diese Resultate aufnehmenden und in weitem Rahmen verwertenden
zusammenfassenden Werk Schmids bestätigt finden. Wie
Schmid es sich in seinen früheren Arbeiten nicht verdrießen ließ,
auch jüngere und jüngste Formen des Textes zu untersuchen,
weil es notwendig ist, „die jüngsten Schichten zuerst abzutragen,
um auf diese Weise methodisch fortschreitend zu den älteren und
ältesten Formen vorzudringen"", so schickt er auch jetzt den für
die Textkritik direkt fruchtbar zu machenden Untersuchungen
über die alten Textgruppen erst eine umfangreiche Vorarbeit voraus
, nämlich die Untersuchung der Überlieferung und die Rekonstruktion
des Textes des Apokalypsenkommentars des Bischofs
Andreas von Kaisareia.

W. Bousset hatte festgestellt, daß eine größere Anzahl von
Handschriften eine besondere, von der Überzahl der späten Handschriften
abweichende Textform aufweise, und daß diese Handschriften
fast alle den Apokalypsetext im Zusammenhang des
Apokalypsekommentars des Andreas von Kaisareia (6. Jhdt) enthalten9
. Hermann von Soden hatte diesen Text als eine der von
ihm angenommenen drei Textformen der Apokalypse angesehen,
aber weder Bousset noch von Soden war es gelungen, diese Textform
sicher zu rekonstruieren. Schmid hat nun sämtliche Handschriften
, die diesen Kommentar enthalten, untersucht und gruppiert
und gibt über diese mühsame Arbeit in der ersten Hälfte
des 1. Bandes seiner Studien Auskunft. Er geht so vor, daß er
zunächst die Textzeugen, nach Gruppen geordnet, beschreibt,
dann die Beziehungen dieser Gruppen zueinander untersucht und
dabei auch besonders auf den von den Handschriftengruppen gebotenen
Apokalypsetext achtet. Es ergibt sich folgendes: Die
Handschriften des vollständigen Kommentars lassen sich großenteils
in 11 Gruppen ordnen; vereinzelte Handschriften enthalten
keinen oder einen aus einer anderen Überlieferung stammenden
Text der Apokalypse; Umarbeitungen des Kommentars enthalten
auch einen anderen Apokalypsetext. Alle Handschriften, die den
von Andreas im 6. Jahrhundert aufgenommenen Text bieten, gehen
auf das Original seines Kommentars zurück. Da nun aber in
den Handschriften des Kommentars derApokalyps etext vielfach
durch andere Textformen beeinflußt und verändert worden
ist, kann man den wirklich von Andreas verwandten Text nur
dort sicher erkennen, wo er 6ich aus dem Kommentar erschließen
läßt. Angesichts dieser Wandlung des Apokalypsetexts in den
Kommentarhandschriften gibt es daher „dort, wo der Kommentar
schweigt, für uns keinen sicheren Weg . . . zurück zum Original
selbst" (332). „Damit ist dann gesagt, daß sich Av (d. h. der
Apokalypsetext des Adreaskommentars), der eine der beiden späteren
Typen des griechischen Apokalypse-Textes, nicht mehr restlos
mit gleicher Sicherheit wiedergewinnen läßt wie der K
( = Koine)-Text" (338).

Aufgrund dieser Feststellung und Charakterisierung der
Handschriftengruppen des Kommentars kann nun Schmid im
2. Halbband des ersten Bandes sich für die Textausgabe auf 44
Handschriften beschränken, ohne daß dadurch der Vollständigkeit
der Überlieferung Abbruch getan wäre. Die Textausgabe ist so
angelegt, daß unter dem Text in einem ersten Apparat die Zitate
nachgewiesen werden, ein 2. Apparat die Lücken der Handschriften
angibt, während der umfangreiche dritte Apparat die Varianten
aller benutzten Handschriften verzeichnet. Zu den Va-

7) J. Schmid, Unbeachtete Apokalypse - Handschriften, Theol.
Quartalsschrift 117, 1936, 149 ff.; Zur Liste der neutestamentlichen
") J. Schmid, Untersuchungen zur Geschichte des griechischen I Handschriften, Ztsch. f. d. Neut. Wiss. 34, 1935, 308 f.
Apokalypse-Textes. L Der Apokalypse-Text des Arethas von Kaisareia 8) Der Apokalypse-Text des Arethas (s. Anm. 6), 3.

und einiger anderer jüngerer Gruppen, Texte und Forschungen zur by- ') W. Bousset, Textkritische Studien zum Neuen Testament,

zantinisch-neugriechischen Philologie 17, 1936. ! 1894, 5 f.