Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 3

Spalte:

216

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Gilen, Leonhard

Titel/Untertitel:

Das Gewissen bei Jugendlichen 1957

Rezensent:

Holtz, Gottfried

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

215

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 3

216

Buess, Eduard: Zur Prädestinationslehre Karl Barths. Zollikon-Zü-
rich; Evang. Verlag 1955. 64 S. 8° = Theologische Studien, hrsg.
v. Karl Barth, H. 43. DM 3.95.

Die theologische Erörterung um K. Barths Erwählungslehre
geht weiter. Die vorliegende Betrachtung greift mit behutsamer,
sorgfältiger Kritik in sie ein. Sie bietet zunächst eine knappe Übersicht
über Barths maßgebende Konzeptionen (ausgezeichnet ist
die Formel, Barth habe erkannt, „daß die Bibel in all ihren Aussagen
und also in der ganzen sie konstituierenden Bewegung und
Richtung zweierlei ausschließt: den dem Menschen gegenüber
indifferenten Gott und den Gott gegenüber indifferenten Menschen
"; S. 33). Der Verf. macht sich Barths Erwählungslehre, die
für ihn (mißverständlich genug) „selber schon Wort, Gebot
und Verheißung" ist (S. 25) im Sinne eines „gehorsamen
und nach außen völlig ungeschützten Vernehmens und Bekennens
" zu eigen (S. 30) und rühmt ihr (worin Rez. ihm zustimmt)
nach, daß sie „den Tempel vom Götzenbild des menschenlosen
Gottes" reinige (S. 36) wie umgekehrt die Theologie „von allem
offenen und heimlichen Säkularismus" (S. 39). Kritik übt er nicht
an der „Botschaft" Barths, sondern an ihrer „dogmatisch-wissenschaftlichen
Fassung" (42); er ist sich allerdings darüber im klaren
, daß beides zusammenhängt. Materiell wendet er ein, daß
Barths systematische Darlegungen „einen Zug ins Ungeschichtliche
" haben (47). Dementsprechend korrigiert er Barths These
von Jesus Christus als dem erwählenden Gott im Sinne des „in
ihm" von Eph. 1, 4; 3, 11: Subjekt der Erwählung ist der Vater
(51), in der Einheit mit dem Sohn, aber eben der Vater! Ebenso
korrigiert der Verf. Barths Konzeption der Erwählung Israels
und der Gemeinde — die Bibel vollzieht die von Barth vorgenommene
Zusammenordnung geschichtlich und läßt
daher zeitlich auseinanderfallen, was Barth systematisch zusammenzieht
. Endlich: der Verf. setzt aus, daß Barth, was den
einzelnen betrifft, der „Z e i 11 i c h k e i t" der „ewigen Entscheidung
" Gottes nicht genug Rechnung trage (S. 57). Insgesamt
: Barth bringt nach dem Verf. „die zeitliche Spannung, in
der das göttliche Wählen laut dem biblischen Geschichtszeugnis
geschieht, systematisch nicht genügend zur Geltung" (S. 63). Man
wird dem Verf. in dieser Kritik im ganzen folgen müssen, und
offenbar hat dies auch Barth selbst in seiner Weise getan, indem
er diese Studie in eine von ihm herausgegebene Reihe aufnahm.

Döttingen O. Weber

Voigt, Gottfried: Gespräch mit Harnack. Zur kritischen Auseinandersetzung
mit dem „Wesen des Christentums". Berlin: Evang. Verlagsanstalt
[1954]. 112 S. 8". Hlw. DM 4.—.

Der Verfasser, Studiendirektor des Predigerseminars der
Sächsischen Landeskirche in Lückendorf, unternimmt es hier, das
theologische Gespräch über Harnacks „Wesen des Christentums"
vor deT heutigen Gemeinde zu führen. Das Buch ist aus einem
von der Evangelischen Akademie Meißen veranstalteten Vortragszyklus
heraus entstanden. Es ist dem Verfasser gut gelungen, die
in der Auseinandersetzung mit Harnacks Auffassung des Christentums
für die heutige Gemeinde entscheidenden Punkte herauszuheben
und sie in ernsthafter und verantwortlicher Abwägung
von These und Antithese fruchtbar zu behandeln. Dies geschieht
in klarer Verständlichkeit, die den theologischen Sachfragen
nichts von ihrer Tiefe und Differenziertheit nimmt, vielmehr um
so sprechender heraustreten läßt. Wir haben hier ein gutes Beispiel
dafür, wie man schwierige und differenzierte theologische
Fragen vor der Gemeinde behandeln kann, ohne falscher Popularisierung
und billiger Simplifizierung anheimzufallen!

Der Aufbau ist klar und die Akzentuierung treffend. Die
Darlegungen gehen in ruhigem, sachlichem und gründlichem
Ernst, wobei Harnack durchweg ehrfürchtig respektiert wird. Vor
allem werden die von ihm aufgeworfenen Fragen sehr ernst genommen
. In der kritischen Auseinandersetzung mit ihnen wird
zugleich die Auseinandersetzung mit dem theologischen Denken
seiner Zeit geführt. Die Auseinandersetzung selbst geschieht behutsam
. Viele Anliegen Harnacks werden an ihrer Stelle positiv
gewürdigt. Da, wo mit entschlossener Bestimmtheit Nein gesagt
wird (und dieses Nein gilt schließlich der ganzen Grundauffassung
Harnacks), geschieht dies mit tiefer sachlicher Begründung und

aus verantwortlicher Motivierung, ohne falsche polemische Leidenschaftlichkeit
. Der Eindruck ist dadurch um so nachhaltiger.

Ein Hauptverdienst dieses gediegenen Büchleins besteht darin
, daß es im Verlaufe der Auseinandersetzung mit Harnack da,
wo bei ihm Entscheidendes kritisiert oder vermißt wird, dies
seinerseits positiv tiefer und besser darzulegen versucht. Dadurch
entsteht Schritt für Schritt unversehens eine Begründung und
Entfaltung der Hauptpunkte des „Wesens des Christentums" aus
heutiger reformatorisch orientierter Theologie heraus, die für
heutige Nichttheologen von großem Wert ist, und die auch der
Theologie zu der noch nicht erledigten Auseinandersetzung mit
der Harnackschen Auffassungsweise wichtigste Hinweise gibt.

Münster/Westf. Ernst Kinder

PSYCHOLOGIEUNDRELIGIONSPSYCHOLOGIE

Gilen, Leonhard, Prof. Dr., S. J.: Das Gewissen bei Jugendlichen.

Psychologisdie Untersuchung. Göttingen: Verlag für Psychologie Dr.
C. J. Hogrefe [1956]. lloS., 8 Tab. gr. 8°. DM 9.50.

Das Material der Untersuchung ist durch einen Fragebogen
gewonnen, der in den Jahren 1948—1950 verschieden alten Schülern
verschiedenartiger Schulen, doch überwiegend katholischer
Konfession vorgelegt ist. Aus den ca. 2000 Eingängen wurden
von Gilen die Antworten der Siebzehnjährigen bearbeitet.
Untersuchungen zu andern Altersstufen sind geplant. Der Fragebogen
war kurz und schlicht so formuliert: „1. Woran siehst Du
das gute Gewissen? Gib ein Beispiel! 2. Woran siehst Du da6
schlechte Gewissen? Gib ein Beispiel! 3. Was hat das Gewissen
wohl Adam und Eva, Kain und Abel, Petrus und Judas gesagt?
4. Hast Du Dein Gewissen schon einmal ganz deutlich gespürt?
Wie war das? Wie alt warst Du damals? 5. Welches ist die früheste
Erinnerung an Dein Gewissen? Wie war das damals? Wie
alt warst Du?" Im Anhang werden charakteristische Antworten
von 26 Jungen und 34 Mädchen im Wortlaut wiedergegeben. Der
Hauptteil erarbeitet aufgrund des Materials die Psychologie des
Gewissens bei Siebzehnjährigen. Den religiösen Gefühlen im Gewissenserlebnis
wird eingehende Beachtung geschenkt. Andere
Themen: ethische Gefühle, Schuldgefühle, soziale Gefühle, Minderwertigkeitsgefühle
. Nicht nur der Psychologe, sondern ebenso
der Pädagoge und Jugendseelsorger wird sich angezogen fühlen.

Als schwierig und mangelhaft empfinden wir, daß die naive,
vorwissenschaftliche Auffassung des Gewissens grundlegend sein
mußte, weil das Fragebogenverfahren eine andere Möglichkeit
nicht zuließ. Kann wirklich in einer Stunde — diese Zeit wurde
zur Beantwortung gewährt — aus der naiven Situation der Fragen
heraus Entscheidendes zur Phänomenologie des Gewissens
gesagt werden, nicht nur Vordergründiges und Fragmentarisches
, zumal durch die Frage 3 die religiöse Phantasie zu Hilfe
gerufen war? Die engen Grenzen, die dem Fragebogenverfahren
gesetzt sind, dürften deutlich sichtbar geworden sein. Darum bedürfen
gewiß die Ausführungen der Ergänzung aufgrund andern
Materials, das aus dem Gesprächsverfahren gewonnen ist. Wir
erwähnen, daß A. und G. Clostermann, Das weibliche Gewissen,
2. Aufl. 1953, ihr Aufsatzmaterial durch freie Aussprache ergänzt
hatten (es handelte sich hier um Kinder im Alter von 11—14
Jahren).

Wertvoll für die Mitarbeitenden ist der Vergleich und die
Einordnung der Ergebnisse in die Resultate der Mitforschenden,
von denen Ensslen, Heidegger, Scheler, Ch. Bühler, Lersch und
F. Krüger bevorzugt werden. Girgensohn und Gruehn werden
nicht erwähnt, hoffentlich nicht aus Abneigung aufgrund von
Schulgegensätzen. Es kann auffallen, daß unsere Untersuchung in
dem im Kopf angegebenen Verlag erscheint, nicht im „Archiv
für Psychologie der Arbeit und Bildung", als dessen erster Band
Gruehn, Die Frömmigkeit der Gegenwart, erschien, das Mitarbeiter
verschiedener Konfessionen vereinigt und das der katholische
Verlag Aschendorff in Münster betreut.

Rostock o. Holtz