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Ausgabe:

1957 Nr. 3

Spalte:

214

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Macht und Recht 1957

Rezensent:

Schott, Erdmann

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213

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 3

214

Bei dem starken Echo, das z. Zt. gerade Forschungen zum
Frühmittelalter erwecken, dürfen diese Hefte trotz ihres bescheidenen
Äußeren größter Beachtung sicher sein. Freilich sind sie
von sehr unterschiedlichem wissenschaftlichem Rang. Neben einer
so gediegenen und gewissenhaften Untersuchung wie der von
V. H. Elbern über den Adelhausener Tragaltar (Formenschatz und
Ikonographie, Nr. 6—8, 1954) steht eine so flüchtig gearbeitete
Skizze wie die von Graf Pückler-Limburg über die Klosterkirche
, das „Münster" von Frauenchiemsee. Daß die bisherigen
Forschungen darüber (vor allem im alten bayerischen Inventar I, 2,
1902; von H. Röttger im Münchner Jb. 1931 und, neu zusammengefaßt
, bei Dehio-Gall ,,Oberbayern", 1952) dessen Baugeschichte
noch nicht völlig geklärt haben, ist begreiflich, da ohne völlige
Freilegung der Maueroberfläche und ohne Eingriffe in die Mauersubstanz
auch nur annähernde Klarheit über einen so problematischen
Bau gar nicht zu gewinnen ist. Aber es ist ganz unmöglich
, wegen der bloßen Existenz eines freistehenden Turmes in
den Grundriß der Kirche von Frauenchiemsee den Grundriß der
Plankirche von St. Gallen hineinzusehen, wenn im übrigen dieser
Grundriß völlig anders aussieht als jene Planidee. Auch was
sonst über die Baugeschichte vorgetragen wird, bleibt unsicher
begründete Vermutung. Die Frage z. B., wie die Pfeilerform —
rechteckig mit halbrunden Vorlagen — zu einer karolingischen
Entstehungszeit stimmen könnte, wird gar nicht erwogen. Eine
Kritik der Darlegungen des Verf.s im einzelnen ist hier nicht am
Platze. Mögen also auch die Anomalien des Grundrisses ältere
Reste zur Voraussetzung haben, als man bisher annahm (Kernbau
11. Jhdt.), so ist doch das Rätsel dieser Baugeschichte keineswegs
durch das vorliegende Heft gelöst worden.

Die Studie von K. Wessel über einen Grabstein des
8. Jahrhunderts in Eisenach beschränkt sich auf die Vorstellung
dieses interessanten Denkmals und die Begründung der Datierung
desselben, sowie' auf die Abbildung eines zweiten nahe verwandten
Steines, der leider im übrigen nicht näher gewürdigt
wird. Wenn W. schreibt, daß über die Herkunft des Steines nichts
bekannt sei, so ist das freilich etwas voreilig. Sie ist nur im Laufe
des letzten Krieges teilweise in Vergessenheit geTaten. Beide
Grabsteine stammen aus einer Friedhofsmauer in Tonndorf, Landkreis
Weimar, wo sie beim Abbruch dieser Mauer zu Beginn der
40er Jahre zutage kamen. Der damalige Vertreter der thüringischen
Denkmalpflege, Dr. Wolfgang Wennig, beabsichtigte ihre
eingehende Veröffentlichung. Die Nachkriegsereignisse haben ihn
bisher daran gehindert. Er war sich mit dem Rez. darüber einig,
daß die Steine in karolingische oder gar merowingische Zeit zu
setzen seien. Darf man also W.s Datierung ins 8. Jahrhundert zustimmen
, so sicher ebenso seiner Meinung, daß es sich um einen
Grabstein sächsisch-thüringischer Arbeit handelt. Die historischen
Fragen, die sich hier auftun - christliche Grabsteine bei Weimar
im 8. Jahrhundert! — verdienten wohl noch eine nähere Erörterung1
, ebenso die Motive des 2. Steines: Lateinisches Kreuz auf
Halbkreisbogen (Weltkugel?) mit begleitenden Kreuzscheiben in
den oberen Ecken. Auch für diese Motive lassen sich fränkisch-
langobardische Parallelen aufzeigen, doch treten sie auch im insularen
Bereich auf.

Im jüngsten Heft der Sammlung stellt H. Paulus selbst
einen vorläufigen Katalog der karolingischen Flechtwerksteine
deutscher Provenienz zusammen. Man vermißt dabei einen Hinweis
auf die von ihm selbst im 1. Heft veröffentlichten Starnberger
Fragmente. Die Arbeit ist um 60 verdienstlicher, als beabsichtigt
ist, diesen Katalog auch für andere mitteleuropäische
Länder zu erstellen. Von einer Würdigung der Steine ist daher
noch abgesehen. Sie wird sich vor schwierigen Fragen sehen, zu
deren Lösung die Forschung erst allmählich die Voraussetzungen
zu erarbeiten im Begriff ist.

Berlin Edgar Lehmann

*) Prof. Dr. G. Neumann/Jena weist mich in diesem Zusammenhang
darauf hin, daß Tonndorf wahrscheinlich zur Urausstattung des
Bistums Erfurt gehört hat. Vgl. Martin Hannappel, Das Gebiet des
Archidiakonats Beatae Mariae Virginis Erfurt am Ausgang des Mittelalters
. Jena 1941. S. 49 f. u. 53.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

D o m b o i s, Hans und W i 1 k e n s, Erwin: Macht und Recht. Beiträge
zur lutherisdien Staatslehre der Gegenwart [hrsg.]. Berlin: Luth. Verlagshaus
1956. 201 S. gr. 8°. Lw. DM 14.50.

Die „Beiträge zur lutherischen Staatslehre der Gegenwart",
die hier vorgelegt werden, stehen z. T. mit dem Buchtitel nur in
losem Zusammenhang, auch werden Überschneidungen nicht immer
vermieden, aber gerade diese lose, unabgeschlossene und un-
geglättete Form der Veröffentlichung spiegelt gut die theologische
Situation wider. Mehr als „Beiträge", die viele Fragen offen lassen
, können z. Z. von den Verfassern (Theologen und Juristen)
zur lutherischen Staatslehre nicht gegeben werden.

Einen starken Anstoß hat der Diskussion über die Staatslehre
im lutherischen Lager das Referat gegeben, das Bischof
Berggrav auf der Tagung des Lutherischen Weltbundes 1952 über
„Staat und Kirche in lutherischer Sicht" gehalten hat. Auf Berggrav
wird darum von den Verfassern immer wieder ausdrücklich
Bezug genommen, und zwar sowohl auf seine These vom prinzipiellen
Recht zum Aufruhr wie auf seine scharfe Kritik am Wohlfahrtsstaat
. Zunächst referieren L. G o p p e 11 und W. T r i 11 -
h a a s knapp über „Der Staat in der Sicht des Neuen Testaments"
und „Die lutherische Lehre von der weltlichen Gewalt und der
moderne Staat". Dann behandelt F. K. S c h u m a n n das Problem
„Widerstandsrecht und Rechtfertigung". Dabei entwickelt
er den Gedanken: „Eine Regel von der Form: wenn der Fall so
oder so liegt, dann darfst oder mußt du Widerstand leisten —
müßte den Menschen in die Selbstrechtfertigung hineintreiben"
(40);

von da her sei Luthers Zurückhaltung in der Widerstandsfrage
zu begreifen. Aber, so fragen wir dagegen, wird damit nicht
jedes konkrete Gebot unmöglich? Muß nicht trotz der Rechtfertigung
allein durch den Glauben und der Ablehnung des Verdienstbegriffs
der Begriff des guten Werkes festgehalten werden? Und
zeigt nicht Schumann selber einen Ausweg aus dem Dilemma,

wenn er schließlich sagt:.....der Christ... soll. . . immer dabei

bleiben, daß ... sein gottgewolltes Werk ihn nicht rechtfertigt,
sondern allein die Gnade Gottes..." (43)? Also doch: gottgewolltes
Werk! Kann ich mich dann aber noch der Frage entziehen,
ob nicht in bestimmten Fällen der Widerstand von Gott gefordert
ist, freilich in dem Wissen darum, daß mich kein gottgewolltes
Werk rechtfertigt, sondern allein die Gnade? „Prinzipielles
Recht zum Aufruhr?" lautet das Thema des nächsten Beitrages,
^n E. Klügel beisteuert. Rom. 13 und Luther werden von
ihm ausführlich gewürdigt mit dem Ergebnis, daß die Themafrage
verneint wird. „Aus der Entscheidung einer konkreten Lage kann
nicht ein Prinzip gemacht werden" (72). Andererseits ist Passivität
nicht die rechte Haltung, sondern es bedarf „der Erfindungsgabe
und der inneren Freiheit, um dem christlichen Beruf in der
politischen Ordnung gerecht zu werden" (74). U. Scheuner
untersucht „Begriff und Entwicklung des Rechtsstaates", R. Nürnberger
analysiert historisch „Exousia, Macht und Recht im modernen
Staat". Am umfangreichsten ist der Beitrag H. Dom-
b o i s' über „Politische und christliche Existenz", der stark die
Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat betont: „Der Staat
lebt nicht nach den Weisungen der Kirche, sondern von den
Früchten ihrer geistlichen Existenz" (146). Die beiden letzten
Aufsätze gehören sachlich eng zusammen: „Probleme des Wohlfahrtsstaates
" von E. W i 1 k e n s und „Innere Mission und Wohlfahrtsstaat
" von K.-F. Weber. Das Buch schließt mit einem
..Bericht" von H. Dombois.

Der doppelte Wert dieser Veröffentlichung liegt erstens darin
, daß der Leser ein Bild von dem Ringen um die theologische
Staatslehre im deutschen Luthertum der Gegenwart erhält, und
zweitens in dem sachlichen Gewicht der einzelnen Artikel, die
im ganzen einen wertvollen Beitrag zu der heute im Gang befindlichen
Diskussion darstellen.

Einige Fehler sind zu berichtigen: S. 46 vorletzte Zeile lies „Limitierungen
" statt „Limitimierungen"; S. 54 Z. 32 lies „temeritate" statt
„temeritata"; S. 55 Z. 9 lies „enim" statt „enium"; S. 76 Anm. 1 lies
..charitatis" statt „Charatatis"; S. 103 Z. 29 f. wird Paulus falsch zitiert
: „to ergon tou nomou" ist den Heiden ins Herz geschrieben
(Rom. 2, 15), nicht „ta tou nomou"; S. 105 Z. 25 lies „III." statt
„XIII.".

Halle/Saale E. Schott