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Ausgabe:

1957 Nr. 3

Spalte:

204-206

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Höß, Irmgard

Titel/Untertitel:

Georg Spalatin 1957

Rezensent:

Franz, Erich

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Seite 1, Seite 2

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203

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 3

204

der Titel der Arbeit sagt, läßt L dem in der Leonina der S. c. g.
beigedruckten Kommentar des Franciscus Sylvestris jeweils eine
eigene Würdigung zuteil werden. Er resümiert sein Urteil über
ihn dahin, daß seine Lehre (nach Beseitigung bestimmter Mängel)
„dem ursprünglichen Gedanken des hl. Thomas von allen Kommentaren
am nächsten gekommen ist".

Unter diesen vielfachen Gesichtspunkten handelt L. also den
Inhalt der Gnadenlehre nach der Reihenfolge ihrer Themen in
der S. c. g. ab.

Auf zwei von den umfassenderen Untersuchungen einzelner
Probleme oder Problemkomplexe sei noch besonders hingewiesen
. Die eine gehört noch in den Abschnitt „Vorfragen" und betrifft
den Begriff des desiderium naturale ad videndum deum per
essentiam, mittels dessen Thomas den Menschen von der natürlichen
Ebene bis zu jenem übernatürlichen Ziel der visio führt.
Die Darstellung verfolgt die Aporien, in denen sich die Exegese
des Begriffs seit Cajetan bewegt hat, bis in die Gegenwart und
mündet in einen auf O'Connor, The eternal question . . . (1947)
gestützten eigenen Lösungsversuch.

Die andere Untersuchung ist die des Problemkomplexes,
der mit dem Thema „Gnade und Willensfreiheit" gegeben ist
und die Praedestinationsfrage einschließt. Er zeichnet sich durch
6eine Ausführlichkeit und gute Durchgliederung aus, die alle
Seiten dieses wichtigen Gegenstandes in Erscheinung treten läßt.

Da die oben ausgeführten Gesichtspunkte, unter die L.
seine Arbeit stellt, teilweise den aktuellen Interessen der gegenwärtigen
katholischen Thomasdiskussion bzw. der kirchlichen
Apologetik entspringen, entzieht sich die Frage, wieweit die Arbeit
in dieser Hinsicht ihre Ziele erreicht hat, dem Urteilsvermögen
des Rezensenten.

Was die historischen Fragen anlangt, so war schon eingangs
ausführlicher gezeigt, wie eindringlich L. das Verfahren des Thomas
, die Gnadenlehre als Teil einer apologetischen Darstellung
der katholischen Wahrheit zu entwickeln, vorzuführen verstanden
hat.

Die andere historische Frage nach der theologischen Stellung
der Gnadenlehre der S. c. g. innerhalb der literarischen Produktion
des Thomas überhaupt wird man sich nicht exakter beantwortet
denken können, als es hier in einer gewissenhaften Feststellung
der Differenzen zwischen den verschiedenen Werken des
Thomas geschieht. Vor allem fällt L. nicht der Vermischung dieser
Differenzen anheim, die Franciscus Sylvestris in seinem Kommentar
vollzieht, sondern er analysiert sie mit kundiger Hand.
Die Differenzen erstrecken sich nicht nur auf den Gebrauch verschiedener
termini in den verschiedenen Werken, sondern auf
einen Bedeutungswandel, den die gleichen früher und später von
Thomas gebrauchten termini selbst durchlaufen, wobei der ter-
minus gratia selbst keine Ausnahme macht. Der Nachweis, daß
der innere Grund zu diesen Wandlungen in der zunehmenden
Ari6totelisiening des thomistischen Denkens liegt, ist glaubhaft
geführt.

Endlich entschlägt sich L., um die Eigentümlichkeit der Gnadenlehre
des Thomas zu charakterisieren, auch nicht des probaten
Mittels, sie zur franziskanischen in Gegensatz zu stellen, wobei
ja immer etwas Richtiges zu Tage kommen muß.

Rostock K. Weiß

Canterbury, Anselm von: Cur Deus Homo. Warum Gott Mensch
geworden. Lateinisch und deutsch. Besorgt und übersetzt von F. S.
Schmitt, O.S.B. München: Kösel 1956. X, 155 S. gr. 8°.

Kein Geringerer als der Herausgeber der kritischen Anselmausgabe
hat es übernommen, Anselms Cur Deus Homo durch
eine zweisprachige Ausgabe einem weiteren Leserkreis zu erschließen
. Eine knappe, aber sehr inhaltsreiche Einleitung unterrichtet
über Anselms Lebensgang, Schriften und Arbeitsweise, sowie
insbesondere über die Entstehungsgeschichte dieses seines Hauptwerkes
und dessen Nachwirkungen, aber auch über Anselm« Gesprächspartner
Boso. Schmitt sieht in dem Werk „den (wohl ersten
) Versuch einer systematischen Apologetik" (X). Von hier
aus nimmt er etwas ausführlicher zu der in der Forschung umstrittenen
Frage Stellung, ob Anselm seinen Beweisgängen eine

auch für den Ungläubigen zwingende, logische Notwendigkeit
beigelegt hat, oder ob und inwiefern diese Beweisgänge den
Glauben schon voraussetzen. Nach Schmitts Andeutungen scheint
diese Alternative falsch zu sein: Beachtet man den apologetischen
Charakter der Schrift, so wird deutlich, daß einerseits der Glaube
allererst das Motiv der Beweisführung ist, daß andererseits aber
die ,rationes necessariae' nicht nur als Billigkeitsgründe, sondern
als „eigentliche, strikte Beweise" zu verstehen sind. Zwar bleibt
die Frage offen, ob der Glaube nach Anselm als Voraussetzung
des Denkens für dieses grundlegend bleibt, oder ob die logische
Einsicht über den Glauben hinausschreitet und dann unabhängig
von ihm in sich selbst schlüssig ist. Aber der von Schmitt betonte
apologetische Charakter des Werkes ermöglicht doch, sonst schwer
vereinbare Formulierungen Anselms als Einheit zu sehen. Schmitts
Urteil über Anselms Methode fällt in Übereinstimmung mit der
üblichen katholischen Einschätzung recht kritisch aus: „Daß Anselm
in seinem Streben, den Glauben rationell zu erfassen, weiter
ging, als zulässig ist, läßt sich nicht leugnen - schon von seinem
Lehrer Lanfrank ist das beanstandet worden — ohne daß
von einem eigentlichen Rationalismus die Rede sein kann, den
er gerade aufs schärfste bekämpfte" (VIII).

Die Übersetzung hält sich bewußt eng an den Wortlaut:
auch die langen Perioden Anselms werden bewahrt. Dadurch ist
die Wiedergabe vorzüglich geeignet, den Leser zum Verständnis
des auf den gegenüberliegenden Seiten fortlaufend abgedruckten
lateinischen Textes anzuleiten. Trotz dieser Anlehnung an den
lateinischen Wortlaut und Satzbau ist zudem meistens eine flüssige
Verdeutschung gelungen. So entstand eine gediegene, bisherigen
Wiedergaben überlegene Leistung. Einige Einzelheiten
überraschen: So, daß S. 133 ratio durch Ordnung übersetzt wird.
.Oportuit' sollte vielleicht in einer Anselmschrift besser durch
.erforderlich' wiedergegeben werden, damit .notwendig' für
,necesse' reserviert bleibt (127).

Zum Text der Übersetzung sind Verweise innerhalb des
Werkes, sowie auf andere Schriften und gelegentlich auch auf
Quellen Anselms angemerkt. Am Schluß der Einleitung werden
einige Literaturhinweise gegeben, die vielleicht noch etwas reichlicher
bemessen sein durften.

Heidelberg Wolfhart Pannenberg

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

H ö s s, Irmgard: Georg Spalatin 1484—1545. Ein Leben in der Zeit
des Humanismus und der Reformation. Weimar: Böhlau 1956. XVI,
467 S., 7 Taf. gr. 8°. Lw. DM 27.-.

Spalatin, eigentlich Georg Burckhardt aus Spalt b. Nürnberg,
ist eine der liebenswürdigsten Gestalten der Reformationsgeschichte
. Daß er als Geheimsekretär und Vertrauter Friedrichs
des Weisen und zugleich persönlicher Schüler und Freund Luthers
der Sache der Reformation unschätzbare Dienste geleistet hat,
war von jeher bekannt. Das Verdienst aber dieses außerordentlich
gründlichen, aus ersten Quellen schöpfenden Werkes ist, dies
im einzelnen an vielen Beispielen nachgewiesen zu haben. Dadurch
wird die Hauptthese der Verf., daß die Gefährdung Luthers
größer, der rettende Einfluß Spalatins noch entscheidender gewesen
sei, als bisher angenommen wurde, überzeugend bewiesen.
Das Bild des hochgebildeten Gelehrten, des bescheidenen und
taktvollen Hofmannes, der mit großer Umsicht und diplomatischem
Geschick drohenden Gefahren vorbeugte und hinter den
Kulissen alle Fäden der Diplomatie in seiner Hand hielt, tritt in
helles Licht. Er mußte auf der einen Seite die dämonische Gewalt
des vorwärtsdrängenden Luther mäßigen und zügeln, auf der anderen
den Kurfürsten bei der Stange halten, der ein treu ergebener
Sohn der Kirche war, stolz auf seinen ablaßträchtigen Reliquienschatz
wie auch auf seine junge Universität, niemals aber
öffentlich als Beschützer oder gar Förderer Luthers auftreten
wollte und durfte. Beiden Männern gegenüber kam es mehrfach
zu schweren Belastungsproben der Freundschaft, welche nur durch
die geschickte Diplomatie Spalatins, verbunden mit seiner aufrichtigen
Bewunderung für Luther, überwunden wurden. Spalatin
ist jederzeit ein treuer Freund seiner Freunde, der sich auch