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Ausgabe:

1957 Nr. 3

Spalte:

195-199

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Amand de Mendieta, Emmanuel

Titel/Untertitel:

La Presqu'île des caloyers 1957

Rezensent:

Scharf, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 3

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So glänzend in diesem Buch — bis auf die angedeuteten Verzeichnungen
— die politischen Verwicklungen und Entwicklungen
dargestellt sind, so vermißt man doch die Aufhellung jener
Gründe, aus denen her der Glaube zum gestalteten Leben wird.
Warum haben sich eigentlich die Mensdien gefangennehmen, berauben
, foltern, köpfen, hängen, verbrennen, zu Galeerensklaven,
zu Zwangsarbeitern madien, von Hab und Gut, aus Hof und
Heimat vertreiben lassen? Kann man nicht mehr die Kräfte der
Frömmigkeit aufzeigen, die Formen des Glaubens in Gebet, Lied,
Andacht, Sitte, Brauch, Gottesdienst, Unterricht, im Reden und
Leben darstellen, in der Seligkeit des Glaubens, in der Gemeinschaft
mit Christus, in der Nachfolge Jesu, in der vom Geist erfüllten
, kämpfenden und leidenden Gemeinde, also im Kirchenbewußtsein
, und im Wissen um die Geschichte, in der die Wirklichkeit
des Reiches Gottes und die Feindschaft der Welt einander
gegenübertreten, in der der Antichrist sichtbar wird, wenn die,
die sich Christen oder Stellvertreter Christi nennen, sich der satanischen
Mittel der Gewalt wider die Gläubigen bedienen? Und
könnte nicht solche Geschichte des Glaubens, der Frömmigkeit,
diese innere Geschichte nicht auch jene nüchterne Klugheit einbeziehen
, die den Protestanten weithin kennzeichnet, mit der
man die Verhältnisse durchschaut, und jene zähe Tatkraft, mit
der das Leben bewältigt wird, wie es etwa an der Gestalt des
„Raxkönigs" Georg Hubmer aufzeigbar ist?

So muß man sagen: die eine Hälfte der Arbeit ist in hervorragender
Weise geleistet. Für die andere gilt das Wort, das
Raupach (I S. 45) vor 224 Jahren schrieb: „Insonderheit habe
offt bedauert, daß von der innerlichen Beschaffenheit dieser Evangelischen
Kirchen ... so gar weniges aufgezeichnet gefunden."

Wien Gottfried Fitz er

Amand de Mendieta, Emmanuel, Dr.: La presqu'ile des Caloyers.
Le Mont-Athos. Preface de M. P. P a s c a 1. Bruges: Desclee de
Brouwer [1955]. IX, 388 S., 1 Kte. gr. 8°. bfr. 240.—.

An Griechenlands Nordküste, wo die waldreiche Halbinsel
Chalkidike wie eine erstarrte Riesenhand ihre drei Finger weit
vorstreckt in die blauen Fluten des Ägäischen Meeres, verbirgt
6ich in einer durch Fels, Brandung und Weglosigkeit geschützten
„Dornröschenlandschaft" ein Arcanum unserer Zeit: die Mönchsrepublik
des „Heiligen Berges" Athos. Das Relief des Athosge-
birges, das mit seiner eigentümlichen geologischen Formation
den östlichen „Ringfinger" bildet, durchzieht von NW nach SO
6anft ansteigend die gesamte Halbinsel und türmt sich im äußersten
Südostzipfel zu dem 2 000 m jäh aufsteigenden majestätischen
Athosgipfel empor, dessen in der Morgen- und Abendsonne
rötlich glühendes Riesenhaupt den Seefahrern weithin über das
Meer als Wegweiser dient. Kein Wunder, daß der stolze Berg die
Phantasie der lebhaften Levantiner von jeher stark beschäftigt
hat. Die altchristliche Legende sah in ihm den Berg der Versuchung
, und als im 10. Jahrhundert der heilige Athanasios die
menschenverlassene und weglose Naturfestung zum Refugium
seiner weltflüchtigen Mönchsgemeinschaft ausersah, war das im
Grunde nur die letzte, freilich auch zukunftsträchtigste Auswirkung
der uralten, numinos begründeten Anziehungskraft des geheimnisvollen
Platzes. Ida und Olymp verfielen der Vergessenheit
, der Athos übernahm ihr Erbe und hat seit tausend Jahren
im Bewußtsein der Gläubigen nichts von seinem magischen Glanz
als Mittelpunkt und „Akropolis der Orthodoxie" eingebüßt.
Weite Teile der östlichen Christenheit sehen in dem nördlichsten
und einsamsten Bergriesen aus der Trias der griechischen Götterberge
, an dessen Fuß sich die Brandung bricht und dessen Gipfel
über den Wolken träumt, noch heute den geheimnisvollen
„Mittler zwischen hier und dort", das alte Sehnsuchtsziel ungezählter
Pilgerscharen, mochte auch der Weg dorthin noch so
oft durch kriegerische Zeitläufte oder politische Spannungen versperrt
gewesen sein.

Im Abendland freilich war die Kunde von dem „Heiligen
Berg" im Osten lange Zeit fast verschollen.

Trotz vereinzelter geistiger und künstlerischer Wechselbeziehungen
seit dem Reformationszeitalter1 und kommerzieller Berührungen zwi-

*) Vgl. L. H. Heydenreidi, Der Apokalypse-Zyklus im Athosgebiet
und seine Beziehungen zur deutschen Bibelillustration der Reformation,
in: Ztschr. f. Kunstgesdi. 8 (1939), 1—40.

sehen der Athoshalbinsel und den seegebietenden italienischen Stadtrepubliken
in den beiden ersten Jahrhunderten nach dem Fall von Konstantinopel
blieben die Kenntnisse und Vorstellungen der westeuropäischen
Öffentlichkeit vom „Heiligen Berg" bis gegen Ende des
17. Jahrhunderts recht nebelhaft und summarisch. Ihr Umfang erhellt
etwa aus der dem Athos gewidmeten Notiz einer gegen Ende des Jahrhunderts
weitverbreiteten und vielgelesenen Länderbeschreibung2: „So
ist auch wol zu sehen das große Gebürg / welches Athos genennet wird /
man nennet ihn Monte Santo, und halten sich heutigen Tages / eine
große Menge Griechischer Mönch / auf die 20 000, so man Calojeri nennet
/ allhier auf / welche in unterschiedlichen Klöstern ihrer Andacht
abwarten. Die Alten haben vorgeben / diser Berg werffe einen so langen
Schatten von sich / welcher biss in die Insul Lemnos gehe / und man
könne von dem Berg Ida in Natolien / dises Gebürge sehen. Der Persische
König Xerxes wolte die See herum führen / und der berühmte
Bildhauer Stesicratcs (sie!) hat sich gegen den Alexandrum vermessen/
er wolle aus disem Berg einen Mann formiren / welcher in der einen
Hand eine große Stadt hielt / darinn füglich 10 000 Menschen wohnen
können: Aus der andern Hand / soltc er einen großen Fluß in das Meer
lassen."

Erst im 18. Jahrhundert mit seinem neuerwachten Interesse an
Kunstschätzen, Handschriften und Urkunden aus aller Welt tritt auch
der Athos wieder deutlicher in den Gesichtskreis der slawischen und
westeuropäischen Öffentlichkeit. Nachdem der Russe V. G. Barskij den
Athos in den Jahren 1726—1744 besucht und erstmals eine genauere
Beschreibung der Klöster und ihrer Kunstschätze publiziert hatte, legte
sein Landsmann P. Uspenskij nach einem Besuch im Jahre 1842 ein
erstes Verzeichnis der wichtigsten Urkunden vor, während der Franzose
J.-B. Villoisson die lange Reihe jener Forscher eröffnete, die seitdem
den Heiligen Berg und seine Bücherschätze auf der Suche nach unbekannten
Handschriften zu Editionszwecken durchforscht haben. Im
19. Jahrhundert folgten der deutsche Jurist C. E. Zachariae v. Lingen-
thal (1840), der Kunsthistoriker H. Brockhaus (1888), die serbischen
Gelehrten Avramovic und K. P. D. Petkovic (1848/52) und der Grieche
Sp. Lambros (1880/85), dem die wissenschaftliche Welt die erste brauchbare
Bestandsaufnahme eines großen Teils der Athoshandschriften verdankt
. Im 20. Jahrhundert gewannen über den Rahmen zahlreicher
Einzelbesuche von Gelehrten aus allen Teilen der Welt durch ihre wissenschaftliche
Ausbeute besondere Bedeutung die wissenschaftlichen Expeditionen
der Franzosen (unter G. Millet 1918), Amerikaner (Princeton
University) und Deutschen (unter F. Dölger 1928/30/41), die mit den
Hilfsmitteln moderner Lichtbildtechnik eine systematische Bestandsaufnahme
der vorhandenen kirchlichen Fresken, Handschriftenminiaturen
und Urkundenschätze vorbereiteten.

Neben und zugleich mit diesen vornehmlich vom wissenschaftlichen
Interesse diktierten Forschungsberichten entstand seit dem 19. Jahrhundert
eine umfangreiche und mehr für die weitere Öffentlichkeit bestimmte
Reiseliteratur, die sich weniger mit wissenschaftlichen Problemen
als mit dem menschlich-psychologischen Phänomen des Heiligen
Berges, dem „Athoserlebnis" als solchem, auseinanderzusetzen suchte
(denn den Athos „besucht" man nicht, man „erlebt" ihn, und wem der
Sinn dafür fehlt, der hat vergeblich den Fuß über die Schwelle gesetzt,
über die nach frommer Klosterlegende Maria Portaltissa wacht). An den
Anfang dieser Reihe (nicht zeitlich, aber der Bedeutung nach) gehört
die aus hellsichtiger Naturbeobachtung, feinsinnigem menschlichem Einfühlungsvermögen
, poetischer Farbigkeit und anregender Reflexion
wundersam gemischte schönste Reisebeschreibung des Athos aus der
Feder von J. J. Fallmerayer3 (um 1840). Seinen Spuren folgend suchten
insbesondere seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Gelehrte,
Schriftsteller und Privatreisende das Erlebnis des Heiligen Berges aus
eigener Sicht zu deuten und in Wort oder Bild zu fassen'. Die souveräne
Übersicht und Ausdruckskraft des Vorbilds haben zwar nur wenige
erreicht, doch wäre es unbillig zu leugnen, daß auch diese meist stark
persönlich gefärbten Erlebnisberichte — wenn auch untereinander sehr
unterschiedlich im Niveau — manchen Lichtstrahl zur Aufhellung der

') J. C. Wagner, Delineatio Provinciarum Pannoniae et Imperii
Turcici in Oriente, Eine grundrichtige Beschreibung dess ganzen Aufgangs
/ sonderlich aber dess Hochlöblichen Königreichs Ungarn / und
der ganzen Türkey, Augsburg 1684.

3) Der Heilige Berg Athos, in: Fragmente aus dem Orient, 2. Bd.,
Stuttgart 1845.

*) z. B. H. Geizer, Vom Heiligen Berge u. aus Makedonien, Lpz.
1904, A. Struck, Makedonische Fahrten, Wien 1907, F. Perilla, Le Mont
Athos, Paris 1927, Th. Däubler, Der H. Berg Atho«, Lpz. 1923, F.
Spunda, der H. Berg Athos, Lpz. 1928, R. M. Dawkins, The monks of
Athos, London 1936, K. Pabel, Athos, der H. Berg, Münster 1940,
R. Biach, D. Geheimnis d. H. Berges (1949), "Ayiov "Opoc 'AtpUgmua.
'EUtjv. ArfuovQyia, Sonderheft 149—150 (1954), P. L'Huilliex, Origine
et developpement du monachisme Athonite (Vestnik Russk. Zap.-Evrop.
Patr. Eksarch.) 6 (Märzheft 1955) 33—44.