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Ausgabe:

1956 Nr. 3

Spalte:

162-165

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Staehelin, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi 1956

Rezensent:

Schuster, Hermann

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161 Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 3 162

merksamkeit wird dabei jenen Listen geschenkt, die mit der Pi-
stis beginnen und mit der Gnosis oder Agape enden. Das Schema
als solches wird wiederum aus der Popularphilosophie abgeleitet.
Jüdischen Einfluß soll jedoch die Spitze in der Gnosis als höchster
Tugend verraten. Im Christentum hat dann weithin die
Agape den Platz der Gnosis okkupiert. Wir lassen uns an dieser
Stelle auf die Argumentation nur so weit ein, wie sie Paulus selber
betrifft. Da scheint sie mir aber irreführend und abwegig zu
sein. Wohl kennt der Apostel das Schema der Tugendlisten und
benutzt es, um in charakteristischer Modifikation die Fülle der
Geistesgaben als die Wirklichkeit der neuen Welt zu beschreiben.
Aber wenn er das tut, sind Gnosis und Agape Charismen unter
anderen. Die Antithese von Gnosis und Agape in l.Kor. 8 und
13 darf von da aus nicht verstanden werden. Denn hier ist die
Liebe gar nicht eine mit andern vergleichbare und schon gar nicht
eine höchste Tugend, wie G. Bornkamm im Jahrbuch der Theol.
Schule Bethel 1937 sehr eindrücklich gezeigt hat. Als Macht der
Gnade und Lebensbereich des neuen Aon steht sie hier vielmehr
allen menschlichen Möglichkeiten schroff gegenüber. Der Erklärungsversuch
des Verf. scheitert also hier

Davon wird auch die Deutung des Schlußkapitels betroffen,
das sich um die Auslegung von Eph. 3, 18 f. konzentriert. Ihr
bahnt eine Analyse des Sorna- und Pieromabegriffes in den Deu-
teropaulinen den Weg, die nochmals in einer Deduktion aus dem
Stoizismus endet, wie das auch recht einleuchtend für das Verb
„begreifen" geschieht. Die betonte Herausstellung des „Hauptes
", die unsere Briefe von Paulus unterscheidet, wird dagegen
aus dem Semitischen erklärt, wo Haupt und Herrschaftsstellung
zusammenfallen. Der Leibgedanke umschreibt Einheit und Ganzheit
der Welt, der Pieromabegriff drückt den Sachverhalt aus, den
Seneka in die Worte faßt: opus suum et extra et intra tenet. Die
apokalyptische Vorstellung des „Gott alles in allem" aus l.Kor.
15, 28 wird hier in die Gegenwart übertragen. Mystik liegt wie
in den entsprechenden Stellen der Hermetika völlig fern. Es werden
stattdessen Anschauungen und Formeln griechischer Welterfassung
nüanciert auf die Gotteswelt übertragen.

Nach dieser Bereinigung des Vorfeldes wendet sich der Verf.
der Eph.-Stelle zu. Die Ableitung der hier aufgezählten vier Dimensionen
aus der apokalyptischen Vorstellung von der kubus-
förmigen Himmelsstadt wird recht schnell und nicht zwingend mit
der Bemerkung abgelehnt, Paulus sei nicht an den einzelnen Dimensionen
, sondern nur an ihrer Gesamtheit interessiert.
Rom. 8, 39 legt dem Verf. die Vermutung nahe, daß die Astralsprache
Pate gestanden und der Apostel eine ursprüngliche zwei-
oder dreigliedrige Formel um der Vollständigkeit willen aufgefüllt
habe. So stehen wir im gleichen Milieu wie beim Pleroma-
begriff. Paulus bekämpft mit dem Monismus der Popularphilosophie
die Spekulationen seiner judenchristlichen Gegner über
die Vielzahl der himmlischen Mächte. Die exegetische Frage nach
dem Verhältnis der Verse 18 und 19 wird dahin beantwortet,
daß nicht eine Stufenfolge, sondern Parallelität vorliege. V. 18
hat demnach übertragenen Sinn: Für den Christen ist die Liebe
die Gestalt der himmlischen Welt, die es zu erfassen und zu begreifen
gilt, und zwar als die Gnade des erhöhten und siegreichen
Christus. Die christliche Erkenntnis findet in ihr ebenso ihren
Gegenstand wie ihre Grenze. Wird damit noch das Schema Pistis-
Gnosis-Agape festgehalten, so ist Agape nun doch nicht mehr
als Tugend verstanden und die Erkenntnis nicht mehr ausschließlich
wie im Judentum an die Schrift gebunden. Die Position des
1. Kor. wird also gleichzeitig vorausgesetzt und überhöht.

Man wird einwenden, der Verf. habe sich seine Sache reichlich
leicht gemacht, indem er die Deuteropaulinen nur von einer
Stelle aus anfaßte, die Frage der mystischen Komponente in der
hellenistischen religiösen Betrachtung des Universums sei durch
ihn sehr schnell und apodiktisch entschieden worden, die Ablehnung
der Deutung „Wesensfülle" beim Pieromabegriff überzeuge
schon im Blick auf V. 19 und Kol. 2, 9 nicht, der durch
das Sakrament konstituierte Christusleib, in welchem man nach
Kol. 2, 10 ff., Eph. 2, 5 ff. mit Christus begraben werde, auferstehe
und in das Himmlische versetzt sei, dürfe nicht ganz so
leicht vom Rationalismus der Popularphilosophie her seine Ableitung
finden, auch hier würden die sonstigen Theologumena bis
hin zur Syzygienlehre von Eph. 5, 2 5 ff. in schlechterdings unmöglicher
Weise übergangen. Es ließe sich fragen, ob Eph. 3, 14 ff.
nicht geprägtes liturgisches Gut wiedergibt und infolgedessen hier
das Problem der Verwendung mythischer Motive und Termini
in der urchristlichen Liturgie zu bedenken gewesen wäre. Doch
genügt es wohl, darauf aufmerksam zu machen, daß selbst die
Analyse des Verf. Eph. 3, 18 nicht bedeutungslos machen kann.
Gegenstand der Erkenntnis ist hier die himmlische Welt, also
gerade das, was Gegenstand auch der gnostischen Erkenntnis ist,
dem sonst in diesem Buche vorausgesetzten Gnosisbegriff jedoch
widerspricht. Am Ende stehen wir also erneut vor der Frage des
Anfangs. Kann man gnostische Elemente aus den Paulinen und
Deuteropaulinen wirklich völlig ausscheiden?

Meine Kritik ist dem vorliegenden Werke insofern nicht
gerecht geworden, als sie nur das tragende Gerüst, gleichsam das
Skelett der Untersuchung, beachtet hat und beachten konnte. So
möchte ich zum Schluß wenigstens nochmals bemerken, daß das
nach meiner Meinung Beste und Wichtigste des Buches in der
Einzelexegese und Detailanalyse zu sehen ist. Dadurch wird das
Werk zu einem der aufschlußreichsten und förderlichsten Beiträge
der neueren Paulusforschung.

Qöuingc.i _ Ernst Käsemann

Bammel, Ernst: Herkunft und Funktion der Traditionselemente in
l-Kor. 15, i—n.

Theologische Zeitschrift 1 1, 1955 S. 401—419.

C u 11 m a n n, Oscar: The Significance of the Qumran Texts for Research
into the Bcginnings of Christianity.
Journal of Biblical Literature 74, 1955 S. 214—226.

E h r h a r d t, Arnold: Zur Theologie der neutestamentlichen Textkritik.
Evangelische Theologie 15, 1955 S. 553—563.

H u s t o n, Hollis W.: Mark 6 and 11 in P45 and in the Caesarean
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K e n n a r d, J. Spencer, Jr.: The Burial of Jesus.

Journal of Biblical Literature 74, 1955 S. 227—238.
K r a f f t, Eva: Die Personen des Johannesevangeliums.

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Löwe, Richard: Das Selbstbewußtsein des Apostels Paulus.

Monatschrift für Pastoraltheologie 44, 1955 S. 385—395.
Maiworm, Jos.: Fremde Gestalten des Verklärten.

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M a n s o n, T. W.: The Lord's Prayer.

Bulletin of the John Rylands Library 38, 1955 S. 99—113_
Marcus. Ralph: „Three of Life" in Essene (?) Tradition. /)

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KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES

S t a e h e I i n, Ernst: Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kir-
d>e Jesu Christi. Zeugnisse aus allen Jahrhunderten und allen Kon
fessionen zusammengestellt. L: Von der Zeit der Apostel bis zur
Auflösung des Römischen Reiches. II.: Von der Christianisierung der
Franken bis zum ersten Kreuzzug. III.: Von Bernhard von Clairvaux
bis zu Girolamo Savonarola. Basel: Reinhardt 1951/1955. XII, 429 +
XI, 384 + X, 548 S. gr. 8°.

Das vorliegende Werk will, wie es im Vorwort heißt, die
„wichtigsten Zeugnisse aus allen Zeiten und allen Teilen der Kirche
Jesu Christi sammeln, die dieses vorläufige und dieses vollendete
Reich Gottes zum Gegenstand haben. Es will dadurch auf
seine Weise mithelfen, der gegenwärtigen Kirche die wesentlichen
Wahrheiten und Wirklichkeiten, in die sie Gott gestellt hat, eindrücklich
zu machen, sie zu einem Durchdenken aller damit zusammenhängenden
Fragen anzuregen und so zugleich wahrhaft
ökumenische Gemeinschaft in ihr zu fördern". Der Verfasser
weiß, daß er ein „kühnes Wagnis" unternimmt, besonders weil
die gebotene Auswahl immer mancherlei Bedenken unterliegt.
Wir hören weiter, daß dies Werk auf wissenschaftlichem Grunde
ruhen möchte, aber doch so gestaltet werden soll, daß es weitesten
Kreisen innerhalb und außerhalb der Kirche Jesu Christi zugänglich
ist. Deshalb werden die Texte alle in Übersetzung geboten,
und es werden ihnen die nötigen Einleitungen, die dem ungelehrten
Leser das Verständnis eröffnen, vorangestellt. Auch werden