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Ausgabe:

1956

Spalte:

157

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Unbekannte Worte Jesu 1956

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Seite 1

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157

verbessern war. Er selber hatte Jülichers Manuskript gründlichst
überprüft und Seite für Seite mit seinen Korrekturen versehen.
Diese Eingriffe waren so umfassend gewesen, daß Aland den
Wunsch ausspricht, die neue ltala-Ausgabe möchte künftighin
als die von Jülicher-Matzkow zitiert werden. „Alleiniger Anteil
Jülichers", so fährt die Einführung fort, „an der Itala ist die Re-
censio, welche jeweils in der oberen Hauptzeile abgedruckt ist.
Eine Begründung für die Recensio kann nicht gegeben werden.
Es war weder W. Matzkow noch dem Unterzeichneten [Aland]
möglich, einwandfrei die Prinzipien zu ergründen, welche Jülicher
bei dieser Recensio leiteten, offensichtlich hat ein stark subjektives
Moment mitgespielt".

Neben dem subjektiven Moment, das bei einer derartigen
Arbeit ja niemals auszuschalten ist, hat nach meiner Kenntnis
der Arbeitsweise Jülichers gewiß eine erhebliche Bedeutung für
seine Urteilsbildung das unverdrossene, jahrzehntelange Studium
der lateinischen Kirchenväter in ihren besten Ausgaben besessen.
So schärfte er seinen Instinkt für die Aufspürung der Eigenart,
Heimat usw. bestimmter Lesarten als Grundlage für weiterreichende
Schlüsse. Daß er über seine Prinzipien keine den Befrager
voll befriedigende Auskunft gegeben hat, mag - neben seinem
hohen Alter — in der schweren Behinderung durch seine Blindheit
in den letzten zwölf Jahren seines Lebens, die ihn den Objekten
mehr und mehr entfremdete, gelegen haben. Vielleicht hat
eT auch die gleiche Erfahrung gemacht, der Ed. Schwartz im Vorwort
seiner Eusebius-Ausgabe Worte leiht: „Die kritische Herstellung
eines so mannigfaltig überlieferten Textes ist eine Kunst,
die sich leichter praktisch üben als theoretisch darstellen läßt.

Qöttingen Waller Bauer

Rosenberg, Alfons: Unbekannte Worte Jesu gesammelt und eingeleitet
. München-Planegg: Barth 1954. 83 S. kl. 8° = Dokumente
religiöser Erfahrung. Kart. DM 4.80; Lw. 7—.

Das für einen weiten Leserkreis bestimmte, sehr gefällig ausgestattete
Büchlein bietet 142 Agrapha, unter inhaltlichen Gesichtspunkten
gruppiert, in deutscher Übersetzung. Damit die
Texte für sich selber sprechen, werden sie nach einer einführenden
Einleitung ohne Erläuterung geboten. Lediglich den beiden
letzten Stücken, nämlich dem „Reigen Christi und Abendmahlshymnus
" aus den Johannesakten (Nr. 141) und dem „Lied von
der Perle" aus den Thomasakten (Nr. 142) ist ein kurzes Nachwort
gewidmet. Aus dem Gesagten ergibt sich schon, daß die
Sammlung nicht in die Verkündigung Jesu selbst, sondern in den
überaus vielgestaltigen Widerhall, den sie in den ersten Jahrhunderten
fand, einführt. Man fragt sich dann allerdings, ob bei dem
außerordentlich weitgespannten Rahmen der Titel des Büchleins
„Unbekannte Worte Jesu" noch berechtigt ist.

Güttingen Joachim Jeremias

D u p o n t, Dom Jacques, Dr. thcol., O.S.B.: Cnosis. La connaissance
religieuse dans les epitres de Saint Paul. Louvain: Nauwelacrts u.
Paris: Gabalda 1949. XX, 604 S. 4° = Universitas Catholica Lova-
niensis. Series II. Tomus 40. fr. 3.300.

Monographien dieses Umfangs erwecken von vornherein Antipathien
, selbst wenn sie nicht derart mit Exkursen und Anmerkungen
gespickt sind, wie das hier der Fall ist. Nach der Lektüre
des Buches stellt man fest, daß sie unbegründet waren. Obgleich
ich die vorgetragene Lösung im wesentlichen nicht akzeptieren
kann, bin ich immer stärker gefesselt und im ganzen wie im einzelnen
belehrt oder zu lohnendem Widerspruch angeregt worden.
Eine zunächst begrenzte, sich dann aber entfaltende und schließlich
die paulinische Theologie zentral erfassende Frage wird hier
mit umfassendem Wissen, ausgezeichnetem Spürsinn und ungewöhnlicher
Entschlossenheit verfolgt. Die Klarheit der Diktion,
die Sorgfalt der exegetischen Analyse, die straffe Konzentration
des Aufbaus, die durch knappe Zusammenfassungen jeden Unterteil
abschließt, erfreuen den Leser in gleicher Weise. Ein umfangreicher
Index erleichtert die Benutzung. Die Auseinandersetzung
mit dieser Arbeit ist für jeden Exegeten zumal des l.Kor. und
der Deuteropaulinen unerläßlich.

Es geht um den Nachweis, daß das paulinische und deutero-
paulinische Verständnis des Begriffes Gnosis nicht durch hellenistische
Mystik, sondern zutiefst durch AT und Judentum geprägt

worden ist. Zwar hatte auch etwa Bultmann das für den Apostel
selber schon weithin und nachdrücklich behauptet. Doch läßt man
sich die Wiederholung gern gefallen, wenn sie so selbständig und
umsichtig wie hier mit einer Fülle von Einzelinterpretationen über
die drei ersten Kapitel hin vollzogen wird, die sich mit den Themen
„connaitre dieu", „avoir ete connu de dieu" und „dans un
miroir, en enigme" befassen. Macht das zweite Kapitel die These
des Verf. evident — „erkanntsein" bedeutet für Paulus nicht unio
mystica, sondern „erwählt sein" —, so gibt das dritte Anlaß, den
Beitrag des Hellenismus zur paulinischen Ausdrucksweise näher zu
bestimmen. Das ganze Werk wird unablässig behaupten, daß das
judenchristliche Erbe durch Formeln der Popularphilosophie ergänzt
worden sei. Dagegen wird Einwirkung einer mythischen
Gnosis generell bestritten, wie es auch notwendig ist, wenn man
diese mit dem Verf. als nachchristliches Mischprodukt jüdischen
und hellenistischen Geistes betrachtet, zu dem es insbesondere
auf dem Boden Alexandrias gekommen sei.

Mit der letzten Feststellung ist bereits angegeben, wo der
Verf. den Bereich der Vorarbeiten Bultmanns verläßt und sich
kritisch gegen Bultmanns und seiner Schüler Thesen wenden muß:
Was im großen ganzen für Paulus selber gilt, wird auf die paulinische
Gemeinde ausgedehnt, charakterisiert also zumal auch die
korinthischen Enthusiasten und die Deuteropaulinen, die der Verf.
natürlich für echt hält. Bultmann hat sich mit dieser Betrachtungsweise
sehr ausführlich im Journal of Theological Studies 1952
auseinandergesetzt und dabei das religionsgeschichtliche Problem
ebenso wie die exegetischen Fragen an den Verf. herausgestellt,
die bereits mit einem dissensus über die Interpretation von
Phil. 3, 8 ff. beginnen. Im folgenden sei diese Diskussion so wenig
wie möglich gestreift. Doch muß auch ich zunächst die Methodik
des Verf. angreifen, deren bewunderungswürdige Konsequenz
geradezu zwangsläufig zu den erwünschten Resultaten
treibt.

Nichts kennzeichnet die Arbeitsweise des Verf. mehr als die
Stichworte „dependance litteraire, milieu litteraire". Der Niederschlag
mündlicher Überlieferung in biblischen Texten wird geradezu
provozierend und grundsätzlich übergangen. Die erste schriftliche
Bezeugung entscheidet über das Alter eines Motivs. Dahinter
verbirgt sich die auch in Deutschland noch keineswegs überwundene
Überzeugung, daß Geschichte erstens nicht anonym verlaufe
und eben deshalb zweitens jede historische Forschung auf die
Feststellung literarischer Beziehungen und Abhängigkeiten angewiesen
sei wie durch sie begrenzt werde. Die antiken Schriftsteller
haben unentwegt Texte vor sich, die sie zitieren oder modifizieren
. Auf diese Weise wird alles übersichtlich und einfach. Umstritten
bleibt nur, ob man die Methoden moderner Wissenschaft
und Literarkritik derart in die Antike übertragen darf. Damit verbindet
sich eine weitere Gefahr: Literarische Beziehungen lassen
sich gewöhnlich nur an einem isolierten Text nachweisen. Infolgedessen
ist man hier gezwungen, Gedankenzusammenhänge aufs
äußerste zu limitieren und womöglich gar zu zerreißen. Die Vertikale
dominiert über die Horizontale. Das wird besonders deutlich
, wenn der Verf. seine gesamte Untersuchung zu den Deuteropaulinen
auf eine Analyse von Eph. 3, 18 f. stützt und beschränkt.
Er hat freilich die in seinem Vorgehen liegende Gefahr erkannt.
Eben darum greift er sein Thema von immer neuen Seiten her und
unter immer neuen Stichworten auf, bis sein Werk zu seinem
voluminösen Umfang anschwillt. Gleichwohl ist er der Gefahr
nicht entgangen. Hundert zum selben Ergebnis führende Einzelanalysen
können dennoch die Mitte verfehlen. Ich habe diesen
Satz zu illustrieren: Wie will man der paulinischen Theologie,
um die es dem Verf. entscheidend geht, gerecht werden, wie sich
angemessen in ihr orientieren und ihre mannigfachen Aspekte
mit dem richtigen Akzent versehen, wenn man in einem Buche,
das sidi mit der Anthropologie wie mit der Charismenlehre des
Paulus befaßt, die Geistlehre des Apostels nicht scharf markiert?
Sie läßt sich ja weder aus AT und Judentum noch aus der Popularphilosophie
einfach ableiten und ist doch aufs engste wie
mit der Rechtfertigungslehre, so auch mit den Theologumena
vom Christusleibe und dem Sein in Christus, der Tauflehre, der
Antithese von Adam und Christus verbunden. All diese Themen
, die herkömmlich doch eine erhebliche Rolle in dem Streit
um gnostischen Einfluß auf Paulus spielen, kommen vom l.Kor.