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Ausgabe:

1956 Nr. 3

Spalte:

135-150

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Ethelbert

Titel/Untertitel:

Probleme der Priestertradition 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 3

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wenn es sich um die gleichzeitige Bürgerschaft im Reiche des Satans
und im Reiche Christi handeln sollte. Dann wäre die Wendung
in der Tat ein „gefährlicher Irrtum" (43). Aber in Wahrheit
meint die Wendung das weltlich Regiment, also den Staat, und das
Reich Christi. Dann ist sie aber im Sinne Luthers nicht zu bestreiten
. Ist das weltlich Regiment eine gute Ordnung Gottes, hat der
Christ ein Amt in ihr (z. B. schon das Vateramt) und die Pflicht,
um Gottes willen zu gehorchen, so ist er „Bürger" in der politischen
Welt. Wie Lau S. 34 es gut ausdrückt: „Der Christ steht
in beiden Reichen, lebt auf Erden und im Himmel, beides gleichzeitig
. Er ist Bürger zweier Welten, die ihn beide beanspruchen
und verpflichten, auch mit der gleichen Unbedingtheit, weil letztlich
doch Gott in beiden Reichen gebietet." Luther nennt in der
Zirkulardisputation über Matth. 19,21 aus dem Jahre 1539 (39
II, 81, 16) den Christen auch einen civis hujus mundi. „Ergo habet
utrumque politeuma, subjectus Christo per fidem, subjectus
Caesari per corpus." Heckel zieht selber S. 135, A. 1093 diese
Stelle an, will sie aber nicht als Begründung für jene Formel gelten
lassen — was er dagegen sagt, schlägt m. E. nicht durch. Heckel
führt selber S. 45 schön aus, daß „Gott auch im Amte der weltlichen
Obrigkeit gegenwärtig ist" — wieso sollte der Christ da
nicht „Bürger" sein, von Gott verpflichtet und erhalten, wo Gott
gegenwärtig und am Werke ist? Heckel a. a. O. wendet ein, die
Formel sei mit Bezug auf den Christen nicht rechtlich-genauen
Sinnes — das gilt dann aber auch für Luther selbst.

Daß Heckel das „weltlich Regiment" ständig unter der Perspektive
des „Reiches der Welt" im Sinne der civitas diaboli sieht,
zeigt sich auch in der abschließenden Charakterisierung der beiden
Reiche: „In dem einen Reiche gilt das Wort Gottes, in dem andern
gilt es nicht. Dort wird es anerkannt und befolgt, hier verachtet"
(46). Richtig, wenn H. an den Gegensatz des Reiches Christi und
des Reichs der Welt im Sinne der civitas Diaboli denkt; aber
falsch, wenn die weltliche Obrigkeit, das weltlich Regiment gemeint
sein soll. Das meinen auch die von Heckel S. 45 beigebrachten
Zitate nicht — es ist mir nicht verständlich geworden, wie H. jenen
Sinn aus ihnen herausholen kann.

Probleme der Priestertradition

Von Ethelbert Stauffer, Erlangen1

I. [ im Kraftfeld der „Priestertradition" waren weithin noch un-

Vor einem halben Menschenalter habe ich in meiner Theo- ! Erklärt. _ _
logie des Neuen Testaments den Versuch gemacht, aus der bunten ! Ungefähr in derselben Zeit, als Behm jene Zeilen schrieb,
Fülle des spätjüdischen Schrifttums vorchristlicher Zeit eine i trat indessen eine völlig neue Lage ein durch die ersten Text-
Gruppe von Texten herauszuheben, die traditionsgeschichtlich ,funde anLJoten Meer <seit Frühjahr 1947), durch die meine
enger zusammengehören: Ezechiel, Priesterkodex, Jubiläenbuch, , kühnen Th.es™ von., j941 eine ungeahnte Bestätigung, Präzi-
Sirach, die Damaskustexte2, die Zwölfertestamente, die Schriften I «"»"K "nd Weiterbildung erfahren haben und noch erfahren
des Makkabäerkreises, die Assumptio Mosis, das Martyrium Je- j df «en. Daruber darf ich vielleicht in einem ganz kurzen Rechen-
saiae, die Essenertraditionen u.a.m. In all diesen Texten spielen ! s^ ^ l referieren und zunächst vonder Bestätigung
die Leviten und Priester, in einigen vor allem die Aaroniden und <Nr- !L)' srodann v°n der P r s J_e* u n « (N,r: IIL)' endlidl

Zadokiden eine auffallende Rolle. Ich. glaubte darum, die Autoren
und Leser dieser Schriften in priesterlich-levitischen Kreisen
suchen zu sollen, und nannte die Sonderüberlieferung, auf die wir
hier stoßen, summarisch die „P r i e s t e r t r a d i t i o n". Zu
dieser Sondertradition gehören sehr verschiedene Elemente, die
bald da, bald dort, bald überall in jenen Priestertexten begegnen,
so z. B. das Denken in Gegensatzpaaren (Licht und Finsternis,
Leben und Tod, Wahrheit und Lüge, Gott und Widergott etc.),
die Vorliebe für rituelle Waschungen und Tauchbäder, die Hoff

von der Weiterbildung (Nr. IV.) meiner Hypothesen zur
„Priestertradition" sprechen4.

II.

Die Jerichotexte stammen vielleicht aus dem ersten, wahrscheinlich
aus dem zweiten Jahrhundert ante5, jedenfalls aus vor-
jesuanischer Zeit. Sie sind in hebräischer (z. T. aramäischer)
Sprache geschrieben und südlich von Jericho gefunden, ergo Ori-

aie voriieDe rur ricuene vvascnungeii unu uuuiuauci, uie nun- .__n i___ , , . ... „ ... .. r . rr

c ■ j- j. ka •„„ Pr;.,t»,i,r„:,» l„ 1 ginaldokumente des vorchristlichen Palastinajudentums. Sie stam-

nune auf einen aaronidischen Messias. In diesen rnesterkreisen na- f" ____ . . ... . , ,' .

u .j_ .. ,. . .. u .__,u„nn»,J«T;„f»,»„.j „ men aus pnesterlichen Kreisen, in denen das Haus Aaron

be ich seinerzeit die geistige Heimat Johannes des lauters und vor ,. c-i „,_„ •_. , . . -r. k

die runrung hat. Die Ordensleute vom Toten Meer erwarten

allem seines großen Schülers Johannes Zebedaei gesucht, dessen
Gedankenwelt m. E. im Vierten Evangelium mehr oder minder

eine priesterliche Messiasgestalt aus dem Geschlechte Aarons6
In diesem Sinne sind die Jerichotexte Dokumente jener Über-

umgeformt weiterlebt. Zur Rechtfertigung dieser These konnte rUZZ A U Jer.cnorexre u™« jener uoer-

ich damals mancherlei Indizien anführen. Insbesondere habe ich ! j^™8' dle ldl semerzelt als »Pnertertradition bezeichnet

in tabellarischer Form auf die enge Verwandtschaft hingewiesen, . "

diezwischen der Formelsprache der Zwölfertestamente Dazu stimmt, daß die Jerichotexte in mehrfacher Hinsicht

und des Johannesevangeliums besteht. Aufgrund dieses Befundes zusammengehören mit jenen Schriften und Uberlieferungen, die

habe ich damals die palästinajüdische Herkunft der johanneischen " ,> n , . „ .. _ M— . ,,.

t • i • c i j. j cv-ru-u ,,„«^„*»(. ,,„J " Uer freundliche Leser wolle diese Erörterungen als ein addita-

Termmologie, Formelsprache und Stilbildung vermutet und ge- ; mendum interimisticum betradltcn zu den unveränderten Neuausgaben

gen die generelle Herleitung dieser Elemente aus der hellemsti- i meiner nx Theologie, die in diesem Jahre in verschiedenen Ländern

sehen Gnosis Ägyptens, Syriens oder Kleinasiens protestiert. j und Sprachen erschienen sind. Für eine umfassende Neubearbeitung ist

Im Januar 1948 hat Johannes Behm in dieser Zeitschrift die Zeit noch nicht gekommen. .

ausführlich über meine Johanneshypothesen berichtet und dazu j _, , > »• ^uffer. ThLZ 76 (1951) SP. 667 ff.; dazu H H Rowley. The

■ <. a i . j. ■ ,.Ä j i __.. -ri Zadokite Fragments and the Dead Sea Scrolls (1952) p. 75 r.; H. Bardtke.

erklart: „Stauffer hat diese verbluffenden, revolutionären The- n.„ H . , s.£i ? . - . k. , .„tii 1Qea c ,„ ,-,n

... .. , .ji c..i . i^ n • Vie Handsdinftenfunde vom Toten Meer (2. Aurl. 1953) b. 144; 170.

sen bisher nur hingeworfen; ein durchgeführter exakter Beweis, Inzwischen ist mir die Darstellung einer seleukidischen Militärstandarte

der von einer . . . Ideengeschichte der israelitisch-jüdischen Prie- , kultischen Charakters auf einem Bitumensiegel von Seleukia am Tigris

stertradition auszugehen hätte, liegt noch nicht vor."3 Behm begegnet, s. R. H. McDowell, Stamped and inscribed Objects from Se-

hatte völlig recht. Meine Thesen waren kühn, meine Formulie- i leucia on the Tigris (Ann Arbor 1935) p. 114 und pl. IV, 77. Zur Ab-

rungen klangen apodiktisch, die Textbasis war relativ schmal, die ! Schaffung der Kriegselefanten in nachseleukidischer Zeit s. J. Kromayer

soziologischen Verhältnisse, Zusammenhänge und Frontbildungen | und G. Veith, Heerwesen und Kriegsführung der Griechen und Römer

(1928) S. 313; 393 f. Nach alledem mochte ich heute noch zuversicht-

u tv r j 1 j- a c » u u -4.__io o iocr i ' lieber als 1951 für die Frühdatierung der Jeridiotexte eintreten.

») Die Leitgedanken dieses Aufsatzes habe .ch am 18.9.1955 m ; 6) Dmt , 208, Zu dem unanfechtbaren Plural

der Reformatio Theologiai Akademia zu Budapest vorgetragen. i , , _ ' , . .. „ , c, ,

') In Dmt. 3, 21 ist Ez. 44, 15. in 4, 15 ist das Testament Levi, ! ^T™" "l1"1™ TTVla in DSM 9,11 s. AM. Habermann, Edah

in 16, 3 f. ist das Jubiläenbuch zitiert. Aus derselben Geniza, in der die we-E-duth (Jerusalem 1952) p. 81; M. Burrows, The Messiahs of Aaron

Damaskusfragmente aufgetaucht sind, stammen auch die Bruchstücke ; and Israel, Anglican Theological Review 34 (1952) p. 204; A.J.B,

des hebräischen Sirachtextes, die wir seit 1896/8 kennen. ! Higgins, Priest and Messiah, Vetus Testamentum 3 (1953) p. 321 ft

s) J. Behm, Der gegenwärtige Stand der Erforschung des Johannes- L. H. Silberman, The two Messiahs of the DSM. Vet. Test. 5 (1955)

evangeliums, ThLZ 73 (1948) Sp. 26 ff. i P- 77