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Ausgabe:

1956 Nr. 2

Spalte:

123-125

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bernet, Walter

Titel/Untertitel:

Inhalt und Grenze der religiösen Erfahrung 1956

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 2

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heit Hilfe durch Gott zugekommen ist, oft auf überraschendem
Wege, könnte deutlicher an den Tag gebracht werden. Ressentiment
ist auch dann, wenn es nicht unbegründet ist, noch keine
Überwindung des Unheils. Aber die Schrift hält die Unruhe um
den Weg der Kirche lebendig und sollte deshalb nicht übersehen
werden. Auch mit falsch gestellten Alternativen wird Gottes
Wort fertig. Dieses Wort Gottes ruft eine gehorsame Praxis,
wenn Gott Gnade gibt, ins Leben, aber auch eine gehorsame
Theologie. Es ist sehr interessant, die heimlichen theologischen
Voraussetzungen der verschiedenen Beiträge zu beobachten. Wie
theologische Besinnung bis in den Stil hinein klären und helfen
kann, ist nicht nur an dem Beitrag des Herausgebers, Rendtorffs,
Brandenburgs u. a., sondern etwa auch, um einen jungen Mitarbeiter
zu nennen, an Peter Köhlers Beitrag „Nicht wir, sondern Er"
zu erkennen. Die aufgeworfenen Fragen gilt es sich stellen zu
lassen und sich im übrigen zu freuen an den Gelübden, die hörbar
werden, besonders unter den jüngeren Mitarbeitern, und an
den reifen Erfahrungen der Älteren (z. B. Thimme, Le Seur,
Schnepel, Brandt, Rendtorff, Dannenbaum u. a.). In gewisser
Weise gilt auch von vielen Beiträgen dieser Schrift Kählers Wort,
daß der Pietismus die Fragestellung der Reformation lebendig
erhalten habe. Die Unruhe, ob es zur Rechtfertigung des Sünders
aus Gnaden allein komme oder nicht, steckt in dem ganzen Band.
Die Unruhe gilt um des Evangeliums willen der Kirche und ihrer
Praxis. Das macht den Band lesenswert und wichtig.

Berlin Martin Fischer

Bernet, Walter: Inhalt und Grenze der religiösen Erfahrung. Eine
Untersuchung der Probleme der religiösen Erfahrung in Auseinandersetzung
mit der Psydiologie C.G.Jungs. Bern und Stuttgart: Haupt
[1955]. 223 S. gr. 8°. DM 13.80.
Zacharias, Gerhard P.: Psyche und Mysterium. Die Bedeutung der
Psychologie C. G. Jungs für die christliche Theologie und Liturgie.
Zürich: Rascher 1954. VII, 171 S. gr. 8° = Studien aus dem CG.
Jung-Institut Zürich V. Lw. DM 15.30.

Daß die Begegnung zwischen Tiefenpsychologie und Theologie
gefördert werde, wird ein Anliegen sein, das vermutlich
noch manche Feder in Bewegung setzen wird. Da das Schrifttum,
das bisher zur Sache vorliegt, noch nicht ganz befriedigt (vgl.
den Literaturbericht von Otto Haendler, Komplexe Psychologie
und theologischer Realismus, ThLZ 1953, Sp. 199 ff.), sind die
beiden hier zu besprechenden Arbeiten willkommen, weil sie in
ihrer Gegensätzlichkeit — der eine Verf. ist theologischer Kritiker
C. G. Jungs, der andere sein getreuer Gefolgsmann — die
Situation grell beleuchten.

Bernet, ein Schweizer Theologe, steht im Gefolge Kierkegaards
. Die Begegnung zwischen Gott und Mensch, um die es
in der religiösen Erfahrung geht, vollzieht sich nach ihm im
Offenbarungs-Glaubens-Akt, der für den Menschen eine Entscheidung
für eine „schlechthinnige Letztheit" ist. Da es nicht
um formale, sondern um konkrete Entscheidung geht — nur sie
entspricht dem vollen Ernst des Glaubens —, ist der Ort, an dem
sie vollzogen wird, konkret zu erfassen. Er ist Jesus Christus, in
dem damals wie heute Tausenden von Menschen „die bestimmte
Konkretion schlechthinniger Letztheit" begegnet. „Und in solcher
Begegnung tritt aus der schlechthinnigen Letztheit heraus
der persönliche, lebendige Gott" (127). „Jesus Christus ist d a s
Gegenüber meiner Entscheidung im Offenbarungs-Glaubens-
Akt" (127). — Von da aus zu Jung! Auch für ihn vollzieht sich
religiöse Erfahrung in einer Begegnung mit einem Gegenüber,
das gelegentlich von ihm als numinose Größe bezeichnet wird.
Gemeint ist der Archetypus, vielmehr die beschränkte Zahl der
Archetypen, an ihrer Spitze der Archetypus des Selbst, der wie
die übrigen Archetypen als eine apriori im Menschen angelegte
Ordnung oder Bahnung beschrieben wird. Religiöses Erleben ist
Erleben am Archetyp. Das Selbst „handelt und wirkt sich aus wie
eine Gottheit" (82). Die formale Ähnlichkeit, die Jungs Religionspsychologie
mit dem Offenbarungs-Glaubens-Akt hier
zeigt, erweist sich jedoch auf die Sache, auf Gott gesehen als
Trug, denn das Sichführenlassen durch den Archetypus des Selbst
ist trotz der Berührung mit einer transzendierenden Tiefe ein
Gang zum Menschen. Die seelisch Heilung Suchenden, die unter
der Führung Jungs des Archetypus des Selbst ansichtig wurden,
erklärten durchweg, „sie seien im Archetypus des Selbst zu sich

selbst gekommen, sie seien sich selbst begegnet". „Das bin ich,
so bin ich in Wirklichkeit" (89). Das angebliche Gottesbild entpuppt
sich also als die Tiefe des Menschenbildes, und gut wird
im Zusammenhang damit gezeigt, wie die Quaternität des durch
den Archetypus des Selbst geforderten Gottesbildes nur als eine
Aussage zum Menschenbild und seiner Welt anzusehen ist, wogegen
die genuine christliche Trinitätslehre als der Protest des
Offenbarungs-Glaubens-Aktes zu gelten hätte. Damit fällt das
Entscheidende an der Religionsauffassung Jungs hin, weil an die
Stelle Gottes der Mensch trat. Außer Kierkegaard hat vor allem
K. Heim das kritische Denken B.s befruchtet.

So klar die eben entwickelte kritische Position mit ihrem
Nein im Laufe der Untersuchung heraustritt, so schwierig dürfte
die Ausgangsposition zu beurteilen sein. Wir meinen die erstaunliche
Tatsache, daß B. trotz allem die Jungsche Religionspsychologie
bejaht. Das ist natürlich nur möglich bei einer
Abwertung des Begriffs des „Religiösen". „Es mag bescheiden
tönen, wenn man unter religiöser Urerfahrung nichts Sensationelleres
versteht als die direkte individuelle Erfahrung des Archetypischen
im eigenen Unbewußten" (65). Von da aus hätte
sich eine Verfemung der „Religion" wie in der ersten Blütezeit
der dialektischen Theologie nahegelegt; sie aber passiert hier
nicht, vielmehr bleiben die positiven Urteile stark: „unmittelbare
" und „echte" religiöse Erfahrung ist immer Erfahrung am
Archetypus (71, 76, 141 u.ö.). Die Schwierigkeiten, die sich nun
auftürmen, sucht B. so zu überwinden: es ist immer der
Mensch, der religiöse Erfahrung macht; seine innere Ordnung
führt nicht aus dem Archetypus heraus, sondern ist in ihm gesetzt
; sie ist als „notwendige" Voraussetzung des Offenbarungs-
Glaubens-Aktes gesetzt, allerdings nicht als die „genügende"
Voraussetzung; diese ist allein in der Begegnung mit Jesus Christus
im Offenbarungs-Glaubens-Akt gegeben. Die „notwendige"
Voraussetzung aber sagt: „der Christ bleibt auch als Christ ein
Mensdi. . . und kein Engel; und er hat seinem Christsein oder
Bekehrtsein verwirklichende Darstellung zu geben mit den Ausdrucksmöglichkeiten
, die eben in seinem Menschsein liegen"
(140). — Die Unterscheidung zwischen notwendiger und genügender
Voraussetzung erscheint uns als unglücklich, — der Scharfsinn
des Verf. dürfte hier versagen. Und da B. vor starken Ausdrücken
nicht zurückschreckt — er spricht von der „Hybris direkter
religiöser Erfahrung" und dem „Frevelmut des Menschen,
sich selbst in religiöser Erfahrung zu einer in sich sinnvollen
Ganzheit autonomer Persönlichkeit abzuschließen" (128, auch
139, 141) —, wird man folgern müssen, daß im Grunde die prinzipielle
Rechtfertigung, die der religiöse Urgrund des Archetypus
erfährt, ihm selbst zuwider sein muß. Jung ist von B. theologisch
überwunden, — aber der Theologe traut anscheinend nicht seinem
Sieg und will dem Psychologen den Thron behalten! Diese paradoxe
Situation hätte u. E. den Schüler Kierkegaards zwingen sollen
, das Wort „Religion" ganz zu vermeiden, jedenfalls aber es
gegen den Glauben scharf abzugrenzen. Wir meinen zu sehen,
daß B. selbst ein Manko empfunden hat. Was kann die folgende
Bemerkung anderes wollen als Distanzierung: „Wir haben es mit
Absicht nie unterlassen, im Zusammenhang mit diesem Archetypus
des Selbst die einschränkende Bemerkung zu machen;
.Nach der Beschreibung C. G. Jungs' ". Das Schlußwort des Buches
, das kurz auf Jungs „Antwort auf Hiob" (1952) eingeht
und sich über die Gleichsetzung Gott = Archetypus des Selbst
entsetzt, kommt einer Bankerotterklärung des Verf. nahe.

Unsere Kritik vermag aber den hohen Respekt nicht zu
mindern, den wir der sonst so klaren, scharfsinnigen und konsequenten
Untersuchung B.s beweisen. Er hat die Auseinandersetzung
mit Jung entscheidend gefördert, wenn er selbst auch
von ganzen Kapiteln seines Buches bescheiden sagt, sie seien nicht
mehr als „ein durchaus korrigierbarer Versuch kritischer Deutung
" (214 Anm. 1). Bemerkt sei noch kurz, daß auch treffliche
klärende Ausführungen zu Heidegger und zum Verhältnis vor»
Mythos und Offenbarung dargeboten werden. —

Ganz anders ist das Buch von Zacharias charakterisiert
, der auf dem Schutzumschlag vom Verlag als ein östlichorthodoxer
Theologe vorgestellt wird. Das Buch ist aus Vorlesungen
am C. G. Jung-Institut Zürich hervorgegangen, Z. ist
also getreuer Jünger des Meisters, der im Schlußwort über-