Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1956 Nr. 2

Spalte:

104-105

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kahlefeld, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Epiphanie des Erlösers im Johannes-Evangelium 1956

Rezensent:

Strathmann, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

103

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 2

104

Wenn wir die Ursache dafür suchen, so dürfen wir sagen, daß die mes-
sianische Terminologie hier wie ein fester und bestimmender Stempel
das außerordentliche Sendungsbewußtsein Jesu gegenüber Israel prägte,
das ihn beseelte und vorwärts trug. M. a. W.: Der Messias-Gedanke
in Israel war das Reagens oder Medium, das in Jesus und in seiner
Kirche die wahre Farbe und Bedeutung der Offenbarung Gottes zur
Geltung brachte, als deren Träger Jesus sich wußte" (S. 118).

Die Tradition hat nicht die gesamten jüdischen Vorstellungen übernommen
, sondern sich auf die drei Hauptgedanken vom Gottessohn,
Gottesknecht und Menschensohn konzentriert. Diese drei Vorstellungen
stellen nach M. „aufeinanderfolgende geschichtliche Abschnitte ein und
derselben Idee dar" (S. 120. vgl. 133), „aufeinanderfolgende Phasen
der Messiasidee . . ., die sich jeweils mit Israel als Volk, Israel als Kirche
und Israel als die (sie!) endgültigen vollkommenen Erwählten des übernatürlichen
Reiches Gottes verbinden" (S. 209). M. verkennt natürlich
die verschiedene Herkunft der drei Gestalten und „Ideen" keineswegs,
meint aber, daß die Übertragung der gleichen Motive und Attribute
auf die drei Gestalten „die Gemeinsamkeit der Typen und die Identität
der Funktionen" (S. 122) erweise; das Belegmaterial S. 121 ff. wird
durch einen lehrreichen Exkurs im Anhang über „die Beziehungen zwischen
den Messiasvorstellungen vom davidisdien Gottkönig (sie), vom
Gottesknecht und vom Menschensohn" (S. 204—209) aus den Propheten,
Psalmen und dem äth. Henoch ergänzt.

Es ist richtig, daß die drei Gestalten weitgehend gleiche Züge tragen
, und daß der Gottesknecht im Spätjudentum mit dem Messias ben
David identifiziert wurde (ein anderer Exkurs bringt eine Synopse von
Jes. 53 und dem Targum dazu, die sehr schön illustriert, wie bei dieser
Identifikation die Leidenszüge geflissentlich nicht auf den Messias
übertragen wurden, S. 199—206). Aber, daß Gottessohn, Gottesknecht
und Menschensohn Verkörperungen derselben „Messiasidee" in drei
aufeinanderfolgenden Phasen der Geschichte seien, entspricht nicht den
Tatsachen der israelitisch-jüdischen Geschichte. Zwar hat der Gottesknecht
sich aufgelöst und seine Charakteristika teils an die beiden
anderen Gestalten, teils an Israel und die Heidenvölker abgegeben;
aber der Messias ben David und der Menschensohn waren noch z. Zt.
Jesu die total verschiedenen Heilbringergestalten zweier konkurrierender
Eschatologien (neben denen es noch andere Eschatologien gab) und
wurden erst in der Urgemeinde identifiziert. Es ist durch das AT und
die jüdische Literatur nicht gerechtfertigt und m. E. ein methodischer
Fehler, das Wort „Messias" als Oberbegriff für eschatologische Heil-
bringer aller Art zu verwenden; es gebührt als eschatologischer Titel
nur dem davidischen König der Endzeit (Jes. 61, 1 ist ein Problem für
sich; zu Manual of Discipline 9, 10 f. vgl. K.G.Kuhn, New Test. Stu-
dies Vol. I. 1954/55, S. 168 ff.). Und der Messias ben David ist in der
ganzen jüdischen Tradition ein Mensch, während der Menschensohn ein
Himmelswesen ist. Den Messias als „Gottkönig" zu bezeichnen, ist
daher prekär; und „Gottessohn" ist kein geläufiger Messiastitel und
würde bei der Darstellung der at.lich-jüdischen Messianologie besser
vermieden, besonders dann, wenn er inhaltlich nicht geklärt wird.

Die „messianischen" Vorstellungen des Judentums sind in der
synoptischen Tradition radikal umgeprägt, da die Ideen vom mächtigen
König, Krieger und Richter getilgt, die Züge der Demut und Selbstaufopferung
dagegen stark hervorgehoben sind (S. 117). Diese Um-
prägung geht auf den historischen Jesus selbst zurück. In seiner Entwicklung
wiederholt sich die Geschichte der „Messiasidee": Jesus verstand
und offenbarte sich nacheinander als Gottessohn, Gottesknecht
und Menschensohn. Die Kombination des Menschensohns mit dem leidenden
Ebed, die im Judentum nicht präformiert war, geht auf ihn zurück
. Kapitel VII versucht zu zeigen, daß er „Das Leiden und Sterben
des Messias" als Sühneopfer vorhergesagt habe (S. 147—176). — Die Hypothese
von der Entwicklung Jesu erklärt zwar gewisse Spannungen in
der Tradition, hat aber keine Stütze in ihr. Wo die Quellen versagen,
helfen die Psychologie und der Rekurs auf die „Tiefen des Geistes
Jesu" (S. 129, 142) und andere Hilfskonstruktionen. Gerade diese Kapitel
, die das Entscheidende zur Klärung von Jesu Hoheitsbewußtsein
leisten sollen, überzeugen infolge ihrer Quellenbenutzung, ihrer religionsgeschichtlichen
und psychologischen Konstruktion nicht.

Kapitel VIII „Epilog: Jesus der Messias" (S. 177-196) faßt das
Bisherige zusammen und interpretiert die Bedeutsamkeit der Messiani-
tät Jesu, die nicht als Idee, sondern als historische, persönliche Wirklichkeit
zu verstehen sei. Die „messianischen" Hoffnungen wurden mit
der Person Jesu verbunden, und zwar nicht so, daß'sie zum Glauben
an Jesus führten, sondern so, daß der Glaube an Jesus jene Hoffnungen
in sich einbezog. Darum wird die Umprägung der überkommenen Vorstellungen
auch in der Gemeinde fortgesetzt. Der apokalyptische Wclt-
dualismus wird dadurch überwunden, daß das Eschaton, der Anbruch
der neuen Welt „als eine ethische und religiöse Qualität" (S. 178), als
„innere Umwandlung der Menschen und der Weltgeschichte" (S. 180)
von Jesus verkündigt und von der Gemeinde geglaubt wird. Der persönliche
Charakter der Offenbarung erweist sich im „Ewigkeitscharakter
unserer Abhängigkeit von Jesus" (S. 181). Er erweist sich historisdi
in der Umprägung aller eschatologischer und soteriologischer Begriffe,

der jüdischen wie der hellenistischen, in der Christologie des NT, insofern
die geschichtliche „Persönlichkeit" Jesu sich nicht in einen Mythos
oder eine Idee auflöst, sondern umgekehrt diese attrahiert und
sich dienstbar macht. Den letzten Sinn der Messianität Jesu sieht M.
im Opfergedanken.

Man wird audi hier manches beanstanden können, so die Ethi-
sierung der Eschatologie oder das Schweigen über die historische und
theologische Problematik von adoptianischer und Präexistenzchristo-
logie, aber man wird die Intention als richtig anerkennen, die Bindung
des Ideologischen und Mythologischen an die geschichtliche Gestalt Jesu
zu zeigen und die Konsequenzen aufzuweisen, auch wenn man die Akzente
oft anders als der Vf. setzen mag.

Ein Anhang bringt außer den beiden schon genannten Exkursen
eine Analyse von Act. 18, 24—28 und eine lehrreiche Abhandlung über
den „Mythos vom Himmelsmenschen", in der allerdings die Arbeiten
von Jonas, Staerk und Widengren nicht verwertet sind.

Die These des Buches, daß die Christologie der Gemeinde
im Wesentlichen mit der „messianischen" Selbstoffenbarung des
historischen Jesus übereinstimme, wird nur den überzeugen, der
die Quellenbehandlung, die historischen und psychologischen Argumentationen
des Vfs. als richtig anerkennen kann. Gegen die
These scheinen die alten Bekenntnisformeln Rm. 1, 3 f. und
Act. 2, 36 zu sprechen, nach denen Jesus erst seit der Auferstehung
Messias ist. Ebenso seine Reichsverkündigung, die es m. E.
unwahrscheinlich macht, daß Jesus sich mit der apokalyptischen
Gestalt des Menschensohns oder gar der heilsgeschichtlichen des
davidischen Messias identifiziert hätte — die Nähe der Gottesherrschaft
und das Bewußtsein, ihr eschatologischer Herold zu
sein, sprengten diese Kategorien. Den Jüngern aber standen keine
andern zur Verfügung, um ihren Glauben an den Auferstandenen
auszusagen. Das allen messianischen und apokalyptischen Vorstellungen
widersprechende Schicksal Jesu und die österlichen
Christophanien waren die „historischen Tatsachen", unter deren
„Druck" die traditionellen Erlösererwartungen umgeprägt wurden.
Die Tatsache dieser radikalen Umprägung neu herausgestellt zu
haben, ist das große Verdienst des besprochenen Buches. Es wirft
manche neuen Fragen auf, vor allem die, welche Konsequenzen
sich aus dieser Umprägung für das Verhältnis des NT zum AT
und für die Idee einer Heilsgeschichte ergeben.

Bonn P. Vielhauer

Kahlcfeld, Heinrich: Die Epiphanie des Erlösers im Johannes-
Evangelium. Würzburg: Werkbund-Verlag [1954]. 83 S. 8° = Ro-
thenfelser Reihe 2. DM 3.30.

S t ä h I i n, Wilhelm, Prof. D. Dr.: Das johanneische Denken. Eine
Einführung in die Eigenart des vierten Evangeliums. Witten Ruhr:
Luther-Verlag [1954]. 55 S. 8°. Kart. DM 2.85.

Dem ersten Heft liegen Vorträge zugrunde, die der Verfasser
gelegentlich einer „Werkwoche für Priester und Theologen" auf
Burg Rothenfels gehalten hat. Sie wollen zeigen, daß „die johanneische
Transzendierung des Überlieferungsstoffes durch die Glorie des erhöhten
Herrn ihren realen Ansatz in der kultischen Situation des Gottesdienstes
" habe. Zu diesem Zweck werden die „Offenbarungsreden" vom
Brot (Kap. 6), vom Hirten (Kap. 10 zusammen mit der Blindenheilung),
von der Spendung des Lebens (Kap. 2, 23—4, 14) und vom Weinstock
(Kap. 15) durchgenommen, immer in dem Bestreben, alles zu verstehen
auf dem Hintergrund der kultischen Feier von Eucharistie und Taufe,
welch letztere der Evangelist in dem ganzen Abschnitt 3, 1—4, 16 im
Auge habe. „Die Sakramente sind die Vollendung der Epiphanie".
„Immer wieder erkennt die hörende Kirche in den Offenbarungsworten
des Herrn sich selbst und ihren Gottesdienst". So wird also das vierte
Evangelium das Evangelium einer sakramentalen Kultusmystik. Ist nun
dies auch eine sakramentalistische Übertreibung, die zwar verbreiteten
Neigungen entgegenkommt, aber sich in der Einzelauslegung nicht wohl
durchführen läßt, so ist doch das richtig, daß über dem ganzen Evangelium
der Geist einer tiefgläubigen Ergriffenheit und feierlicher Anbetung
liegt, wie er am eindrucksvollsten in dem Bekenntnis des Thomas
Joh. 20, 28 zum Ausdruck kommt.

Was aber die kultisch-sakramentale Gesamtdeutung des Evangeliums
angeht, so liefert die beste Bestätigung für das oben abgegebene
Urteil das Heft W. S t ä h 1 i n s, das zur „Einführung in die Eigenart
des vierten Evangeliums" unter vier für das Evangelium charakteristischen
Themen („Wir haben gesehen, was kein Auge gesehen hat";
„Wer mich siehet, der siehet den Vater"; „Wie viele ihn aber aufnahmen
"; „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt") allerlei für den
sprachlichen und den theologischen Stil des Evangeliums charakteristische
Beobachtungen zusammenstellt, ohne sich mit der Thematik
Kahlefelds im geringsten zu berühren. Eine besondere Rolle spielt da-