Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1956

Spalte:

101-104

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Manson, William

Titel/Untertitel:

Bist du, der da kommen soll? 1956

Rezensent:

Vielhauer, Philipp

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

101

102

sind darum keine Gegensätze, sondern gehören in der rediten
Theologie zusammen" (S. 3 57).

Wir sind ins Methodische geraten, zum Sachlichen im einzelnen
wäre vieles zu sagen, aber das soll den hoffentlich zahlreichen
Lesern dieses Bandes, dem ein zweiter zum Urchristentum
und zur hellenistischen Religionsgeschichte folgen wird, nicht
vorweggenommen werden. Lediglich ein Hinweis auf Abschnitt VII
der Vorlesung über die Bergpredigt (Die Bergpredigt und die
heutige Welt) sei erlaubt. Er ist für alle Männer im praktischen
Amt wichtig und zeigt eindringlich das auf, was Günther Bornkamm
in seinem Vorwort dem Verstorbenen nachgerühmt hat:
..Freiheit und Weite geschichtlichen Erkennens." Möchte diese
Art auch in der jüngsten theologischen Generation lebendig
bleiben!

Berlin Erich Fascher

Man so n, William: Bist Du, der da kommen soll? Das Zeugnis der
drei ersten Evangelien von der Offenbarung Gottes in Christo unter
Berücksichtigung der Formgeschichte. (Aus dem Englischen übersetzt
von Fritzhermann Keienburg.) Zürich-Zollikon: Evang. Verlag 1952.
(Deutsche Auslief. Chr. Kaiser, München.) 238 S. 8°. Kart. DM 13.40.
Das Ziel dieses 1943 in England unter dem Titel „Jesus the
Messiah" erschienenen Buches ist nicht, das „Messiasbewußtsein'
Jesu zu untersuchen; „vielmehr soll gezeigt werden, wie die Urgemeinde
im Rahmen der Evangelienüberlieferung und auf Grund
ihres Glaubens an Jesus den Messias ihre ganz bestimmte Vorstellung
der Offenbarung Gottes in Christus aufbaute und zu
diesem Zweck alles heranzog, was an Erinnerungen und Berichten
von den Taten, Gleichnissen und Lehren Jesu seinen Aussagen
über sich selbst und von seinem Leidensweg vorlag" (S. 24).
Nichtsdestoweniger ist die ganze Untersuchung auf die Rekonstruktion
des Messiasbewußtseins Jesu ausgerichtet. Denn die
«'»scheidende These, die der Verf. in diesem Buch zu erweisen
sucht, ist die, „daß das Messiasbekenntnis des Christentums in
der historischen Persönlichkeit und dem historischen Wesen Jesu
von Nazareth verankert" ist (S. 186), daß es sich auf die messia-
nische Selbstoffenbarung des historischen Jesus gründet, daß also
die Christologie keine nachträgliche Deutung von Jesu Person und
Werk durch die Gemeinde ist, sondern in allem Wesentlichen
mit dem Selbstzeugnis des historischen Jesus übereinstimmt,
wenn auch sekundäre Elemente eingedrungen sind. Der Vf. stellt
sich damit weitgehend in Gegensatz zu den Erkenntnissen Wre-
des und Wellhauscns, der religions- und formgeschichtlichen Forschung
. Seine Arbeit hat daher einen eigenen und eigenartigen
rel'gionsgeschichtlichen Einschlag; sie geschieht außerdem durchgängig
in Auseinandersetzung mit der Formgeschichte, vor allem
mit Bultmanns „Geschichte der synoptischen Tradition".

Kap. I behandelt „Das Bekenntnis der Urgemeinde" (S. 9—30) als
Voraussetzung der Evangelienüberlieferung. M. betont, daß es keine
Schicht der Tradition gebe, die auf nichtmessianische Wurzeln zurückgehe
, und legt das Hauptgewicht auf die These, daß das Messiasbekenntnis
der Gemeinde „nur auf Grundlagen entstanden sein kann, die bereits
im Leben und Denken des Gekreuzigten selbst vorhanden waren'
(S- 10). Denn weder der persönliche Eindruck Jesu noch die at.lich-jü-
dischen Messiasvorstcllungen vermöchten das Messiasbekenntnis der
Junger zu erklären, wenn nicht Jesus sich als Messias geoffenbart hätte;
••der Inhalt der Überlieferung entfaltet sich ja aus dem Bericht von den
Persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen Jesu" (S. 22). Nur so erkläre
sich die Vermischung geschichtlicher und übergeschichtlicher Elemente in
den Evangelien, der Anspruch auf Geschichtlichkeit und auf die absolute
Bedeutung dieser Geschichte. Übrigens habe sich Jesus nicht von Anfang
an, sondern erst auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung und Wirksamkeit
als Messias verstanden.

Zweierlei sei zu diesem Kapitel kritisch vermerkt. M. macht keinen
wirklichen Versuch, die Bedeutung und Funktion des Bekenntnisses für
, e F°rm"ng und Organisation der Überlieferung zu klären; I. Kor.

• wird nur lcurz in anderm Zusammenhang gestreift, Rm. 1. 3 f.
W1™ überhaupt nicht erwähnt, obwohl gerade dieses alte Bekenntnis
auch für die Datierung von Jesu Mcssianität aufschlußreich gewesen
Ferner beachtet M. die Bedeutung der Erscheinungen des Auferstandenen
für die Entstehung der Gemeinde und damit des Glaubens
•"Jesus als den Messias nicht, obwohl die Christophanien nach
zuvM 1 3 ff. dafür konstitutiv waren. So läßt seine Argumentation
e e tragen offen, als daß sie überzeugen könnte.

Kapitel II „Die Formgeschichte und die Evangelien" (S. 31—45)
bringt eine grundsätzliche Kritik an Bultmanns Analyse und will durch
allgemeine Erwägungen und ein praktisches Einzelbeispiel die wesentliche
Zuverlässigkeit der Überlieferung beweisen. M. bestreitet die
Möglichkeit, von der Form auf die Zuverlässigkeit des Berichteten zu
schließen, und ist der Überzeugung, „daß es so etwas wie eine objektive
Überlieferung von Worten und Taten Jesu gegeben hat" (S. 32).
Doch anerkennt er ausdrücklich, der Formgeschichte methodisch und
sachlich verpfliditct zu sein.

Diese Kritik beruht z. T. auf Mißverständnissen, die Bultmann
und Dibelius schon längst zurückgewiesen haben, und verkennt vor
allem den methodischen Charakter von Bultmanns Skepsis.

Im Folgenden entfaltet M. seine These an der Überlieferung der
Taten (Kap. III) und der Lehre Jesu (Kap. IV und V). Kapitel III „Die
.Zeichen' und .Machttaten' Jesu" (S. 46—66) geht von der Voraussetzung
aus, daß auf der ältesten Stufe „die Verkündigung von Jesus als
dem Messias vor allem durch den Hinweis auf die .Zeichen' unterstützt
(wurde), die seinen Dienst begleiteten" (S. 46), charakterisiert dann
Mk. als das Evangelium von den Zeichen Jesu (zu denen der Evangelist
auch die Lehre rechne) und wendet sich schließlich den wichtigsten Erzählungsgattungen
zu, den „Predigtgeschichten" (Apophthegmen, Paradigmen
) und den Wundergeschichten (Novellen). Bei jenen sucht M.
durch Analysen von Mt. 11,2—19 par; Mk. 3,22—30; 1 1,28—30;
2, 1—12 ihre Historizität und die Tatsache zu erweisen, daß die Gedanken
an die Offenbarung Gottes in den Taten Jesu verwurzelt sei,
und daß Jesus sie als Erfüllung at.lidier Weissagungen verstanden habe
. Naturgemäß etwas skeptischer ist M. bei der Beurteilung der Wundergeschichten
, deren volkstümliche Entwicklung und Ausweitung er
zugesteht; aber er bestreitet hellenistischen Einfluß und die Auffassung
Jesu als üetog avtfpoKw; das Wunder zeige Jesus als Zeugen „für den
Gott Israels, für die Nähe seines Reiches und seiner Gerechtigkeit
" (S. 59).

Auch gegen dieses Kapitel erheben sich Bedenken. Es ist gewiß
richtig, daß als Beweismaterial für Jesu Messianität seine Taten früher
verwendet wurden als seine Lehre. Andererseits haben die Worte früher
eine feste Form gefunden als die Berichte über Jesu Taten. Es ist
nicht richtig, daß die älteste Schicht der Verkündigung die Taten Jesu
als Beweis für seine Messianität zum Gegenstand hat, und daß die Ac-
tareden und Mk. das bezeugen; vielmehr sind Jesu Tod und Auferstehung
und der Schriftbeweis dafür das älteste Stück der Überlieferung,
wie I. Kor. 1 5, 3 ff. und der älteste zusammenhängende evangelische Bericht
, die Passionsgeschichte, beweisen. Auf Grund des Osterglaubens
erst gewannen die Herrenworte ihre Dignität und wurden Jesu Taten
gedeutet, geformt und überliefert; es gibt in der Evangelientradition
keine „reine", sondern nur gedeutete Geschichte (Dibelius). — Es ist
richtig, daß die „Predigtgeschichten" historisch am zuverlässigsten sind;
im einzelnen werden die Urteile auseinandergehen. Bei den „Wunder-
geschichten" wäre eine genauere Analyse und die Unterscheidung zwischen
dem Sinn der selbständigen Erzählung und dem Sinn, den sie im
Zusammenhang des Evangeliums hat, erwünscht gewesen. Da es M. auf
den ursprünglichen Sinn ankommt, muß betont werden, daß nach den
Untersuchungen von Bultmann und Dibelius kein Zweifel mehr daran
herrschen kann, daß diese Erzählungen einer jüngeren Traditionsschidit
angehören.

In Kapitel IV „Jesu Lehre vom Gericht und von der Fülle der Zeiten
" (S. 67—95) betont M., daß die Wortübcrlicferung keine Sonderstellung
eingenommen habe, insofern auch der Redestoff messianisch
zu verstehen sei; denn die Lehre Jesu habe den Charakter und die Bedeutung
der Erfüllung messianischer Verheißungen. Von daher erklärt
M. auch die Logien, in denen Jesus als Weishcitslehrer spricht, en bloc
für echt und interpretiert sie „messianisch"; ebenso alle „prophetischen
und apokalyptischen" und alle „Ich-Worte" mit Ausnahme von
Mt. 18,20 als authentisch, ebenso schließlich den Passus Mt. 1 1,25—30,
der „sich als eine historische Äußerung Jesu verteidigen läßt und als
aufschlußreich für Geist und Persönlichkeit Jesu gelten darf" (S. 91). —
Die Beweisführung ist sehr summarisch und häufig stark psychologi-
sierend; für die Echtheit von Mt. 11, 25 ff. ist Harnack Kronzeuge.

Ähnlich geht M. in Kapitel V „Jesu Lehre vom Glauben und vom
Leben" (S. 96—114) vor und entfaltet mittels einer beachtlichen Auslegung
der Bergpredigt den absoluten Charakter der Forderung Jesu in
ihrer inneren Zusammengehörigkeit mit seiner cschatologischen Verkündigung
. Freilich dürfte die Problematik von absoluter Forderung
und praktischer Durchführbarkeit durch die Begriffe des „Ideals" und
des „Organischen" nicht befriedigend geklärt sein (S. III ff ).

Am anregendsten sind die Ausführungen von Kapitel VI über
• •Die messianischen Vorstellungen der Überlieferung'' (S. 115—145),
in denen M. seine religionsgeschichtliche Konzeption entwickelt. In der
Christologie der Gemeinde wurde die jüdische Messianologie wesentlich
modifiziert: „Die Messiasvorstellung in der Urgemeinde ist in
jeder Weise als das Ergebnis eines .Drucks der historischen Tatsachen'
auf eine traditionelle Lehre von den letzten Dingen gekennzeichnet.