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Ausgabe:

1956 Nr. 2

Spalte:

99-101

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Martin

Titel/Untertitel:

Botschaft und Geschichte. Bd. 1: Zur Evangelienforschung 1956

Rezensent:

Fascher, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 2

100

Kommentare, so S. 167 zu avayatov ioTQco/udvov Mark. 14,15 Par.
Alles in allem ist in diesem Teil ein sehr reiches Material zuverlässig
und übersichtlich verarbeitet.

Der von Kücklich verfaßte T e i 1 4 über die Syntax ist, wie es im
Vorwort S. IX heißt, „mit Rücksicht auf einen niedrigen Verkaufspreis
des Buches absichtlich kurz gehalten". Trägt man dieser gewollten Bescheidung
Rechnung, so muß man urteilen, daß auch hier eine recht
gute Übersicht über den gesamten Stoff gegeben und in komprimierter,
freilich oft allzu komprimierter Form dem Benutzer viel Wissenswertes
mitgeteilt wird. Man möchte wünschen, daß bei einer künftigen Auflage
dem Bearbeiter dieses Teiles etwas mehr Raum zur Verfügung gestellt
werden kann. Als Beispiele werden in der Regel nur Belegstellen
ohne Wortlaut genannt; vom Benutzer wird daher eine erhebliche
Mühe eigenen Nachdenkens verlangt. Ungenauigkeiten finden sich nur
wenige. So etwa wird man S. 179 das nltjQrjg Joh. 1, 14 nicht als „Ausnahme
" von der sonstigen Kongruenz zwischen attributiv gebrauchtem
Adjektiv und Substantiv bezeichnen dürfen; es handelt sich vielmehr
um eine indeklinabel gebrauchte Form. Oder S. 181: Joh. 13,13 wird
kein nominativus tituli vorliegen, sondern ein Vokativ (vgl. Blaß-
Debrunner § 147, 3).

Ein deutsches und ein griechisches Wörterverzeichnis sowie ein
Sachregister schließen das Buch in nützlicher Weise ab (S. 214—230).
, Überall spürt man die große pädagogische Erfahrung, die in ihm waltet
. Wenn S. VIII als Ziel genannt ist, der Benutzer solle soweit gefördert
werden, daß er eine der wissenschaftlichen Grammatiken (Blaß-
Debrunner usw.) verstehen und mit Erfolg gebrauchen könne, so dürfte
das Buch, vor allem in seiner jetzigen Neubearbeitung, dieses Ziel erreichen
. Für den Leserkreis, für den es gedacht ist, wird es sich als ein
zuverlässiges Hilfsmittel erweisen. Theologiestudenten werden zwar
nicht ihr Griechischstudium mit Hilfe des vorliegenden Lehrbuches
bestreiten können, weil seine Basis infolge der Nichtberücksichtigung
des klassischen Griechisch für das, was man von ihnen an Vertrautheit
mit der Welt des Griechentums erwarten darf, zu schmal ist. Aber
auch sie werden mit Gewinn vor allem Teil 3 (und Teil 4) „zum Nachschlagen
und Wiederholen" verwenden können.

Bern Wilhelm Michaelis

D i b e 1 i u s, Martin (f): Botschaft und Geschichte. Gesammelte Aufsätze
. l.Bd.: Zur Evangelienforschung. In Verb. m. H.Kraft hrsg.
v. G. B o r n k a m m. Tübingen: Mohr 1953. VIII, 380 S. gr. 8°.
DM 22.— ; Lw. DM 25.60.

Die vielseitige Tätigkeit eines Gelehrten, der mitten im
öffentlichen Leben steht, bringt es seit einem Menschenalter mit
sich, daß er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur in
Büchern veröffentlichen kann, sondern sie in Gestalt von Gastvorlesungen
, Vorträgen, Zeitschriftenaufsätzen oder Besprechungen
darbieten muß. Für den interessierten Fachgelehrten bedeutet
das einen erschwerten Zugang, kann er doch nicht alle diese verschiedenen
Publikationsorgane besitzen, geschweige denn bequem
entleihen. Was vom Gelehrten einer Universitätsstadt gilt, trifft
in erhöhtem Maße auf den wissenschaftlich interessierten Pfarrer
und auch Nichttheologen zu. Es ist daher sehr zu begrüßen, wenn
jetzt solche zerstreuten Veröffentlichungen namhafter Gelehrter
(in unserem Falle etwa Hans von Soden, Martin Dibelius, Julius
Schniewind, um nur Verstorbene zu nennen) in Sammelbänden
veröffentlicht und damit weiteren Kreisen (als sie von Abonnenten
einer Zeitschrift jeweilig erfaßt werden) zugänglich gemacht
werden.

Zwölf wichtige Arbeiten zur Evangelienforschung sind in
diesem Bande vereinigt (wenn man die erst 1948 erschienene
Studie zu den Passionen J. S. Bachs als des „fünften Evangelisten"
ihres Sachgehaltes wegen dazurechnet). Die älteste (Herodes und
Pilatus), welche bereits die Vorzüge Dibeliusscher Klarheit der
Darstellung und Plastik des Stiles erkennen erläßt, erschien 1915
in der ZNTW, die letzte (Individualismus und Gemeindebewußtsein
in Joh. Seb. Bachs Passionen) wurde nach des Verfassers Tode
im Archiv für Reformationsgeschichte (1948) veröffentlicht. Dazwischen
liegen: eine Abhandlung über „Die alttestamentlichen
Motive in der Leidensgeschichte des Petrus- und des Johannes-
Evangeliums (1918, Beiheft 3 3 z. Zeitschrift f. d. Alttestament-
liche Wissenschaft, Festgabe für W.W.Grafen von Baudissin);
die Studie über Joh. 15, 13 (1927 Festgabe für Ad. Deißmann),
der Aufsatz „Das historische Problem der Leidensgeschichte
(ZNTW 1931); der Beitrag zum Studienbuch der Forschungsabteilung
des ökumenischen Rates (1934) „Das soziale Motiv im
Neuen Testament", kleinere Untersuchungen „Gethsemane"

(The Crozer Quarterly 1935, übersetzt aus dem Englischen von
Heinz Kraft), „Judas und der Judaskuß" (Dt. Pfarrerblatt 1939),
„Die dritte Bitte des Vater Unsers" (Christi. Welt 1940). Sie
alle werden an Umfang übertroffen von 3 größeren, sehr wichtigen
Untersuchungen: der eindringlichen Analyse der Geburtsgeschichte
im Lukas-Evangelium, welche 1932 in den Sitzungsberichten
der Heidelberger Akademie unter dem Titel „Jungfrauensohn
und Krippenkind" erschien, der in den USA gehaltenen
(von Frau Dora Dibelius aus dem Englischen übersetzten)
Vorlesung „Die Bergpredigt" (1937 bzw. 1940) und der Londoner
Vorlesung „Evangelienkritik und Christologie (1935, übersetzt
von H. W. Bartsch), deren deutsches Konzept verloren gegangen
war (ebenso wie das der Studie über Gethsemane). Da
es nicht angezeigt erscheint, auf die schon vor Jahren veröffentlichten
Arbeiten noch einmal näher einzugehen, sei hier besonders
auf die letztgenannten Vorlesungen verwiesen, welche über
die früheren formgeschichtlichen Untersuchungen hinaus (wenn
sie auch als Einführung für ausländische Zuhörer den deutschen
Fachgelehrten in manchem an die „.Formgeschichte des Evgs."
erinnern, die 1931 in 2. Auflage erschienen ist) eine Vertiefung
dieser Methode nach der historisdien wie nach der theologischen
Seite bedeuten. Wenn Dibelius — um aus der Fülle wertvoller
Einzelbeobachtungen und Einzelformulierungen nur etliches herauszugreifen
— der Bergpredigt einen programmatischen Charakter
als Zeugnis für Jesu Leben und Werk beimißt und diese
Worte (auch in der Fassung, wie Mt. sie überliefert) Beweis sind,
daß um das Jahr 50 die ersten Gemeinden nicht nur an Christus
als Erlöser glaubten, sondern auch an den Lehrer, der die neuen
Gebote für das himmlische Reich brachte (S. 97), wenn die Seligpreisungen
bei Lukas „eine wirkliche Ansprache Jesu an seine
Hörer darstellen" (S. 120), wenn er bekennt: „Ich glaube nicht,
daß die Glieder dieser Gemeinden theologische Diskussionen mit
ihren Gegnern führten, . . . daß die Streitgespräche Jesu mit seinen
Gegnern, die in den Evangelien berichtet werden, spätere
Bildungen der Gemeinde sind, in denen sie ihre eigenen Kontroversen
widerspiegelt" (S. 307), so sind das beachtenswerte Ergebnisse
einer Methode, die an die Predigt der Urgemeinde und
damit an das Leben selbst sich herantastet. Sie wird in ihrer
Differenziertheit durch Sätze wie folgende gekennzeichnet: ,,es
hätte keine Tradition über Jesus gegeben, wenn es keine Predigt
über Jesus Christus gegeben hätte" (318). Zweifellos müsse untersucht
werden, was in den Berichten von Jesus historisch ist,
„Ich leugne aber, daß die historische Fragestellung natürlicherweise
die Evangelienkritik beherrschen soll". „Die Evangelien
sind keine Chroniken, die nur eine Geschichte und sonst nichts
zu erzählen haben. Es ist darum unmöglich, über ihren historischen
Wert zu urteilen, ehe wir gesehen haben, wo ihr ursprünglicher
Zweck liegt. . . . Sicher ist es die Intention der Evangelien,
ein Stück Geschichte zu überliefern; aber das ist nicht alles; sie
wollen es so überliefern, daß der Leser verstehen kann, was
Gott der Welt durch die in Frage stehenden Ereignisse sagen
wollte" (318).

So sucht Dibelius durch die Verbindung von Evangelienkritik
(mit Hilfe der formgeschichtlichen Methode) und Christologie
(als „Zweck" der Verwendung geschichtlicher Tradition)
einerseits durch rechtes Verstehen der ersten Christen unechte
Fragestellungen moderner Historiker und Kritiker fern zu halten
(das gilt besonders für die viel erörterte Frage der Wunder: „Um
es mit einem Paradox auszudrücken: das Wunder ist für die Menschen
jener Zeit die natürliche Form des Ausdrucks für das Übernatürliche
" S. 353), um andererseits in Überwindung dreier radikaler
moderner Lösungen (des Idealismus von A. Drews,
des Paulinismus von K. Barth und des Historismus von H. J.
Holtzmann, Joh. Weiß und H. Weinel) zu einem Verständnis der
evangelischen Überlieferung zu führen, welche in dem Satz
gipfelt: „Alle Evangelienkritik, die in die Tiefe geht und sich
nicht mit der Feststellung von Quellenschriften und dem Abwägen
von Möglichkeiten zufrieden gibt, hat sich mit der Christologie
zu befassen. Jede solche Kritik wird finden, daß die einzige
Erklärung der literarischen und historischen Eigentümlichkeiten
der Evangelien darin zu suchen ist, daß sie von Anfang an Zeugnisse
sind, in denen der Gläubige zum Gläubigen über den Gegenstand
seines Glaubens spricht. Evangelienkritik und Christologie