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Ausgabe:

1956 Nr. 2

Spalte:

95-97

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Biblisches Bildwörterbuch 1956

Rezensent:

Galling, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 2

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BIBELWISSENSCHAFT

Deursen, A. van, Dr.: Biblisches Bildwörterbuch. Mit 59 Bildtafeln
von J. de Vries. Aus dem Holländischen iibertr. v. Pfr. Hans R. W i s-
m e r in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Walter Baumgartner.
Basel: Reinhardt [1955]. 142 S. 8°. Lw. DM 9.50.

Für den Rezensenten ist es schwierig, ein Buch von 1955 zu
besprechen, das letztlich auf einer holl. Originalpublikation des
Jahres 1941 beruht, die ihm nicht zur Rezension vorlag. Bei der
schweizer Ausgabe ist der Tafelbestand der dritten holl. Auflage
wiederholt (gegenüber 1941 sind die Tafeln 45, 57, 79, 97
und 109 neu hinzugekommen), der Text schließt sich laut Vorwort
weitgehend an den holl. Text an, jedoch ist er „gelegentlich
etwas gekürzt, aber auch ergänzt und dem heutigen Wissenstand
angepaßt". Über den Zweck des Büchleins wird gesagt:
„Die Ausgrabungen der letzten hundert Jahre in Palästina, Syrien
, Ägypten und dem Zweistromland haben die einstige Welt
und Umwelt der Bibel in einer ungeahnten Weise vor unseren
staunenden Augen wieder erstehen lassen. . . Die biblische Wissenschaft
hat sich dieses reiche Material nicht entgehen lassen.
Aber, um auch weitere Kreise damit bekannt zu machen, dafür
ist im deutschen Sprachgebiet nicht viel geschehen, und das Wenige
ist teils sachlich veraltet, teils sonstwie ungenügend. So besteht
jedenfalls ein Bedürfnis nach einem einfachen, zuverlässigen
und erschwinglichen Buch dieser Art." Der Rezensent bejaht
das Bedürfnis, aber er muß sogleich und mit allem Nachdruck
betonen, daß die Übernahme des holl. „Bijbelsch Beeld Woorden-
boek" des Herrn Dr. A. van Deursen ein Mißgriff war.
Es ist keineswegs zuverlässig, vielfach veraltet und auch sonst
ungenügend.

Hier die Begründung: Ich wende mich zunächst den Abbildungen
des Zeichners (J. de Vries) zu, wobei die Zahlen sich auf
das vorliegende schweizerische Buch beziehen. Vorweg sei bemerkt
, daß in der Originalpublikation nicht angegeben ist,
woher die Vorlagen stammen. Wäre dies geschehen, so hätte man
sogleich erkannt, daß die Vorlagen der benutzten Bücher ihrerseits
bereits auf älteren Klischees beruhen. Dies ist zwar nicht in
allen, aber in vielen Fällen zu bedauern, denn eben von diesen
Vorlagen sind deren etliche veraltet. Neueren Datums mögen die
nachgezeichneten „Postkarten" sein, aber dann sollte man sie
nicht mechanisch mit Rand und Hintergrunddetails abzeichnen,
sondern nur das, worauf es ankommt. Dazu im einzelnen: Woher
stammt die Frau am Brunnen (35, 1)? M. E. aus Ägypten
und nicht aus Palästina. Grauslich ist der syrische Weber gezeichnet
(45, 5), und der abgeschnittene Ölbaum (83, 3) vermittelt
dem Betrachter ein falsches Bild. Aber sehen wir von dem
ästhetisch unbefriedigenden Verfahren der Nachzeichnungen einmal
ab, der Zeichner bzw. Herr van Deursen haben im Detail die
Vorlagen nicht durchgeprüft, so daß die Nachzeichnungen sklavisch
und ohne Verständnis erfolgten. Die Dareike auf 119, 1
meint den Perserkönig als Bogenschützen im Knielauf; wer
ahnt das bei der Zeichnung? Bei dem von Erman-Ranke übernommenen
Bild einer ägyptischen Musikantin (51, 6) ist das Bys-
sosgewand s o verändert, daß man zu der falschen Vorstellung
kommen muß, das Mädchen trage moderne europäische Damenunterwäsche
. Auch in der Tafel 73, 1: „Assyrischer König, wie
er Gefangenen die Augen aussticht", die, wie ich einem Hinweis
bei Dr. Mahmud el-Amin in S u m e r 1954 entnehme, aus Saal 8
von Kujundschik entstammt und eine Bestrafung dreier Könige
durch Sargon II. darstellt, sind der Speer des Königs und die
Halteseile in einem anderen Stil gezeichnet als die Figuren. Die
Vorlage bei Botta-Flandin hätte in diesem Falle klarer herausgearbeitet
werden sollen. Ich habe mir die Mühe gemacht,
die Bildklischees, die zur Zeichnung benutzt wurden, aufzuspüren
und dabei festgestellt, daß die Mehrzahl der archäologischen
Bilder aus der Zeit von vor 1914 stammt.
Ich sehe davon ab, daß man für nicht wenige Bilder eine
Lupe braucht (z. B. 63, 2; 67, 1. 5; 69, l), aber wir kennen, um
nur ein Beispiel zu nennen, Genaueres und Besseres von antiken
Gefäßen und Lampen, als das, was auf Tafel 19 und 21 erscheint.
Das Diwangrab auf 77, 1 ist in Wirklichkeit ein Bankbogengrab
der römischen Zeit und hat mit dem zitierten Diwangrab der

Eisenzeit nichts zu tun. Hätte der Verfasser die zweite Auflage
von Gressmans Altorientalischen Bildern (1927) für die religionsgeschichtlichen
Bilder durchstudiert, dann wäre der
kuhköpfige Moloch (117, l), bei dem Gressmann schon
1909 eine Antikenfälschung vermutete und den er darum 1927
bewußt fortließ, nicht 1941 wieder aufgetaucht! Man darf es
bedauern, daß der Verfasser, der noch nicht 1941, aber später
mein Biblisches Reallexikon (1937) heranzieht (cf. Tafel 97 und
119), sich von den Kulturen und der Abfolge der Zeiten kein
eingehenderes Bild verschaffte, dann hätte er einmal die nordsyrischen
Denkmäler häufiger herangezogen und zum zweiten
wären ihm, dem Geographen, dann auch die Datierungen klarer
geworden. Auf S. 22 wird man belehrt, daß „der Metallzeit1 die
Steinzeit vorausging". Kann man das — auch für Laien — nicht
etwas präziser sagen? Alte Datierungen, wie „vorisraelitisch"
feiern fröhliche Urstände! Weiß der Verfasser etwas von der
Periode des Chalkolithikum (Teleilat Ghassul)? Ich glaube kaum,
sonst hätte er nicht eine eisenzeitliche Schminkschale von Teleilat
Ghassul abgeleitet! Warum erfährt der Leser nicht, daß das
erste Jagdbild (37, 1) aus römischer Zeit stammt, das zweite
aber zwei Jahrtausende älter ist? Frh. von Bissing hat vor Jahren
in Nablus (aus Sichern stammend) bronzezeitliche Waffen, darunter
ein Prunkschwert gekauft; dazu heißt es (S. 70): „Der
Fund dieses kostbaren Schwertes bei Sichern erinnert daran, daß
diese Stadt einige Zeit Residenz der israelitischen Könige war"
(d. h. um 900 v. Chr.). Das wäre das Gleiche, als wenn man eine
Hellebarde von 1415 aus den Kämpfen Berns abbildet und sich
durch sie daran erinnern läßt, daß Bern 500 Jahre später Bundeshauptstadt
der Schweiz ist! So kann man die Geschichte nicht auf
archäologische Fäden ziehen! Tafel 11,1 zeigt einen Rundturm
von Samaria, den Deursen sehr vorsichtig mit „nachsalomonisch
" datiert; in der schweizer Ausgabe heißt es „aus späterer
(römischer) Zeit". Das Richtige ist: hellenistische Periode (vgl.
BRL, Sp. 443). Von neueren Funden vermißt man Verschiedenes
: So die in Megiddo und Samaria gefundenen Elfenbeine, die
wichtigen Juda-Münzen, die (auf S. 76 erwähnten) Ossuare, ferner
Haus-, Tempel-, und Palastgrundrisse und für die Religionsgeschichte
statt der alten Klischees die seit Jahren bekannten
steinernen und metallenen Kultbilder aus Syrien (vgl. BRL, Sp.
200 ff.: 383 f.). Nicht geschwiegen werden kann zu den Rekonstruktionen
der Tafeln 99 ff. Wenn man die „Stiftshütte" nach
Ex. 25 ff. rekonstruiert, dann müssen auch die Teppiche bis auf
den Boden reichen! Was soll die an ein ausgebrochencs Feuer erinnernde
Wolke, die vom Allerheiligsten der Stiftshütte aufsteigt
? Ist es ein Räucheropfer? Oder gar die Erscheinungswolke
? Die Kerub en auf dem Ladebild (Tafel 101) lassen
an junge Mädchen bei Weihnachtskrippenspielen denken! Es mag
aus sehr verständlichen Gründen schwierig sein, auf Grund des
(einheitlichen?) Textes in Ex. 25 die Lade zu rekonstruieren (auch
Gressmanns Zeichnung hat mich nicht überzeugt), aber daß Ke-
ruben niemals s o ausgesehen haben, wie es hier der unkundige
Laie annehmen soll, das kann man mit aller Gewißheit sagen.
Die Innenansicht des Tempels (Tafel 103) widerspricht der Beschreibung
in 1 Reg. 6. Von vier ägyptischen Papyrussäulen und
einem riesigen Vorhang ist gerade n i c h t die Rede, wohl aber
von einer fünffach gestaffelten Tür! Die repetierte Wiederherstellung
des Tempelvorhofes (Tafel 105) schaut auf ein ehrwürdiges
Alter von 66 Jahren zurück und ist dementsprechend unbrauchbar
, weil sie aus dem „vor-archäologischen" Zeitalter
stammt. Ebenso unmöglich ist der Herodianische Tempel von
Herrn Schick (1896), was dem Verfasser bei Einsichtnahme in
Watzinger, Denkmäler Palästinas (1935), deutlich geworden
wäre. Ich breche ab.

Für die schweizer Ausgabe des holl. Werkes ergibt sich m. E.
die Folgerung, daß der angesehene schweizer Verlag das Büchlein
möglichst bald durch ein anaioges,_ aber in Zeichnungen und
verwendetem Material einwandfreies Werk ablösen läßt. Die
biblische Archäologie ist eine Wissenschaft, und niemand kann
das heute ungestraft übersehen. Für Laien sollte das Beste und
in Verantwortung Gewählte gerade gut genug sein. Dazu gehört

') Die Verdeutschung: „Eisen- u. Bronzezeit" ist schief, es muß
logischerweise heißen: „Bronze- u. Eisenzeit".