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Ausgabe:

1956 Nr. 2

Spalte:

75-84

Autor/Hrsg.:

Kutsch, Ernst

Titel/Untertitel:

Gideons Berufung und Altarbau Jdc 6,11-24 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 2

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nur die Semiten von den Sumerern gelernt haben; es sind wohl
auch umgekehrt akkadische Vorstellungen in die Kulturwelt der
Sumerer eingedrungen. Doch müssen in dieser Frage die Sumero-
logen das letzte Wort sprechen23. Wie immer es sich mit dem
Aufkommen jener Vorstellung in Babylonien verhalten mag, sie
tritt uns hier bereits in einer prägnanten Formulierung entgegen,
und zwar offenbar nicht als ein Wort des Dichters, sondern als
ein Zitat aus der Weisheitsüberlieferung. Der Dichter läßt den
Leidenden, so bittere Klagen, ja Vorwürfe gegen die Gottheit er
ihm auch in den Mund legt, dieses Bekenntnis der Sündhaftigkeit
aller Irdischen nachsprechen, ein persönliches Sündenbekenntnis
vor seinem Gott ablegen und ihn um Vergebung und Wiederherstellung
bitten. Der Dichter verfolgt offenbar gerade den Zweck,
jedem Zweifel an der Gerechtigkeit der Götter zuvorzukommen
und jeder möglichen Skepsis gegenüber der göttlichen Weltordnung
den Wind aus den Segeln zu nehmen24. Auch im Louvretext
gerät, soweit wir sehen, der Glaube an die Gerechtigkeit des
Gottes gar nicht in eine ernsthafte Krise. Beide Dichtungen treten
ja nicht wie das „Gespräch eines Leidenden mit seinem frommen
Freund" und wie der Hiobdialog25 in eine grundsätzliche Erörterung
über die gerechte Ordnung der Welt ein; sie bringen
vielmehr einen konkreten Konflikt und dessen Lösung zur Dar-

23) Nach Abschluß des Manuskripts, am 10. 10. 5 5., schrieb mir
A. Falkenstein zu Z. 102: „Die Übersetzung S. N. Kramers in VT
Suppl. III ist einwandfrei; ich würde allerdings aus grammatischen Gründen
die Wiedergabe vorziehen: „Niemals hat seine (des Kindes) Mutter
ein Kind ohne Sünde geboren." Die Folgerung „Their teachers . . .
taught the doctrine that man's misfortunes were the result of his sins
and misdeeds" halte ich allerdings für zu weitgehend. Nach meiner Auffassung
ist die Verknüpfung von Sünde und Strafe der Gattung der
sumerischen Beschwörung fremd, aber den Sumerern nicht ungeläufig.
Ein Beispiel habe ich in Mittlgn. d. Deutschen Orientgesellschaft
Nr. 85 (jurii 1953), S. 9, Anm. 52 angeführt aus einem unveröffentlichten
altbabyl. Text. M. E. liegen zwei religiöse Schichten vor: Die
ältere, in den sumer. Beschwörungen erhalten, sieht Leid und Krankheit
nur als Wirken böser Dämonen. Die jüngere weiß um Sünde und
Strafe. Diese muß nicht erst aus akkadischer Beeinflussung entstanden
sein."

24) S. N. Kr am er, a.a.O. S. 171.

25) Über die tiefgreifenden Unterschiede zwischen diesen beiden
Dialogen s. J. J. S t a m m, a. a. O. S. 79.

Stellung. Freilich ist die lehrhafte Absicht nicht zu verkennen.
Es handelt sich sozusagen um Präzedenzfälle, an denen Allgemeingültiges
aufgezeigt werden soll, nämlich dies: mag dem
Menschen sein Leiden auch noch so unverdient und rätselhaft
erscheinen, so hüte er sich doch vor Zweifel und Auflehnung.
„Ein Mensch, der ohne Gott ist, erhält kein Brot" heißt es an
einer Stelle deutlich genug. Es bleibt dem Leidenden nur ein
Ausweg: sich vor seinem Gott zu demütigen und mit Klagen und
Bitten in ihn zu dringen, bis er ihn erhört. Und er wird ihn
erhören! In beiden Dichtungen ist es also die wundertätige Wiederherstellung
des Leidenden, die die Wendung bringt und den
versöhnlichen Abschluß bildet.

Nimmt nicht auch das Hiobdrama in ähnlicher Weise ein gutes
Ende? Es ist bekannt, daß in der jetzt vorliegenden Gestalt
des Buches Hiob die entscheidende Wendung nicht erst im Epilog
erfolgt, sondern vorher in der persönlichen Begegnung Hiobs mit
Gott. Die Lösung des Konflikts vollzieht sich gleichsam auf einer
höheren Ebene als in den besprochenen babylonischen Dichtungen
; denn Hiob sind „alle Verbindungen nach rückwärts abgeschnitten
, und es bleibt nur das eine Ziel, von Gott das gebeugte
Recht zurückzuerhalten"20. Darum und nur darum kämpft
er so unbeugsam. Und dort oben, auf einsamer Höhe, tritt von
ihm herausgefordert (31, 35 ff.), Gott selbst ihm entgegen (3 8;
39; 40,2. 8—14). Dort, jenseits von allem Verlangen nach irdischem
Glück, ereignet sich die Wendung in der Unterwerfung
Hiobs vor der alle menschlichen Vorstellungen übersteigenden
kosmischen Macht und unerforschlichen Weisheit Gottes (40, 3—5 ;
42, 2. 3. 5. 6). Die menschliche Gerechtigkeit sinkt dahin, und
es triumphiert zuletzt allein die allem menschlichen Nachrechnen
entzogene Gerechtigkeit dessen, der die Welten regiert. Und hierin
, in diesem Sichhinausschwingen aus dem Zirkel der durch die
Vergeltungslogik bestimmten Polarität von göttlicher und menschlicher
Gerechtigkeit, liegt in erster Linie der „Modernismus" des
Buches Hiob27 und wohl der wesentlichste all der Züge, durch
die es sich von seinen altorientalischen Vorgängern abhebt.

26) J. J. S t a m m, a. a. O. S. 79.
) P. H u m b e r t, Le Modernisme de lob, Supplements to Vetus
Testamentum, Vol. III, 1955, S. 150—161.

Gideons Berufung und Altarbau Jdc 6,11—24

Von Ernst Kutsch, Tübingen

Die Kapitel, die von den Taten Gideons aus Manasse berichten
(Jdc. 6, 11—8, 32), beginnen mit der göttlichen Berufung des
Helden, die mit einem Altarbau verknüpft ist (Jdc. 6, 11—24).
Daß dieser Abschnitt nicht einheitlich ist, ist längst gesehen1. Im

*) Z. B. J. W e 11 h a u s e n in der 4. Aufl. der Einleitung in das
Alte Testament von F. Bleek 1878 S. 192 f.; W. B ö h m e, Die älteste
Darstellung in Rieht. 6, 11—24 und 13,2—24 und ihre Verwandtschaft
mit der Jahweurkunde des Pentateuch, ZAW 5, 1885 S. 251—274 (bes.
S. 251—261); K. B u d d e, Die Bücher Richter und Samuel 1890 S. 108 f.;
ders., Das Buch der Richter, KHC VII, 1897 S. 53—55; R. Kittel,
Die pentateuchischen Urkunden in den Büchern Richter und Samuel,
ThStKr 65, 1892 S. 44—71 (bes. S. 56—58); ders.. Das Buch der Richter,
HSAT 4. Aufl. I, 1922 S. 379—381; H. W i n c k I e r, Die quellenzu-
sammensetzung der Gideonerzählungen, Altoriental. Forschungen 1. Reihe
I, 1893 S. 42—62 (bes. S. 44—47); W. Frankenberg, Die Com-
position des deuteronomischen Richterbuches 1895 S. 13 f.; G. F.
Moore, A Critical and Exegetical Commentary on Judges, ICC 7, 1895
S. 182—190; W. N o wa c k, Richter, Ruth und Bücher Samuelis, HK I,

4, 1902 S. 61—65; R. S m e n d, JE in den geschichtlichen Büchern des
AT (hrsg. v. H. Holzinger), ZAW 39, 1921 S. 181—217 (bes. S. 185-
188); H. Greßmann, Die Anfänge Israels, SAT I, 2 2. Aufl. 1922

5. 195 f. 201—203 ; O. E i ß f e 1 d t. Die Quellen des Richterbuches 1925
S. 36—41; K. W i e s e, Zur Literarkritik des Buches der Richter, BWANT
111,4 (2. Teil) 1926 S. 20—29; G. Hölscher, Art. „Manasse" in
Pauly-Wissowa NB 14, 1930 S. 976. 978; ders., Geschichtsschreibung in
Israel. Untersuchungen zum Jahwisten und Elohisten (Skr. utg. av. Kungl.
Hum. Vetenskapssamfundet i Lund 50) 1952 S. 25. 141. 355. -
H. W. Hertzberg, Die Bücher Josua, Richter, Ruth, ATD 9, 19 53
geht auf dieses Problem nicht ein.

Friedrich Horst zum 60. Geburtstag

wesentlichen sind es folgende Widersprüche und Unebenheiten,
an denen Anstoß genommen wird:

1) Die Erscheinung vor Gideon wird teils als „Bote Jahwes"2,
teils als „Jahwe"3 und einmal als „Bote Gottes" (v. 20) bezeichnet
.

2) Die Worte „Jahwes": „Ich sende dich doch" (v. 14b)
und „Ich werde ja mit dir sein" (v. 16a) haben nach Meinung
des Erzählers Gideon erkennen lassen, daß die Gottheit vor ihm
steht: nach v. 17 will Gideon nur noch durch ein Zeichen Gewißheit
darüber haben. Dem steht gegenüber, daß Gideon durch das
Feuerwunder und das Verschwinden des „Boten Jahwes" völlig
überrascht ist und mit seinem Tod rechnet, weil er den „Boten
Jahwes" gesehen hat4.

3) Nach v. IIa setzt sich der „Bote Jahwes" unter die Tere-
binthe; nach v. IIb. 12a erscheint er dem Gideon an einer Kelter
, wo dieser — ganz ungewöhnlicherweise — Weizen drischt, um
vor umherstreifenden Scharen der Midianiter verborgen zu bleiben.

Die zahlreichen Versuche, den Text zu erklären, beruhen
auf einer der beiden Annahmen, (a) eine ursprüngliche Erzählung

2) V. 11. 12. 21a. b. 22a; Gideon sagt, er habe den „Boten Jahwes"
gesehen v. 22b.

3) V. 14. 16; dazu kommt, daß nach dem Verschwinden des „Boten
Jahwes" „Jahwe" mit Gideon redet v. 23.

4) V. 22b, vgl. v. 23b: „Du wirst nicht sterben". — Zu der Vorstellung
, daß das Schauen der Gottheit den Tod bedeutet, vgl. Jdc.
13, 22; Gen. 33, 30; Ex. (20, 19;) 33, 20.