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Ausgabe:

1956 Nr. 12

Spalte:

748

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Steubing, Hans

Titel/Untertitel:

Der Kompromiss als ethisches Problem 1956

Rezensent:

Thielicke, Helmut

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Seite 1

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747 Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 12 748

Den Aufsatz „Heidegger und Kant" von Emerich C o r e t h
S. J. kann ich, die Philosophie des ersteren voraussetzend, nur
insoweit berücksichtigen, als der Verf. in einem Schlußabschnitt
„Rückblick und Ausblick" (S. 248—255) seine Stellungnahme vom
Standpunkt der Scholastik charakterisiert. Er faßt H.s Lehre als
einen Versuch auf, Kants Lehre zu überwinden, und zwar in
dreierlei Hinsicht. 1. während das Apriori Kants verhüllend ist,
faßt es H. als enthüllend auf. Darin geht er einig mit dem scholastischen
Denken, 2. geht er insofern über Kant hinaus, als er
dessen Trennung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie
beseitigt und einen lebendigen, ganzheitlich menschlichen
Seinsvollzug anstrebt. Auch hier besteht die gedachte Übereinstimmung
. 3. Die Welt versteht H. als Lichtung des Seins. Es entbirgt
sich im Wesen des Menschen. „Es ist die Einsicht, daß dem
menschlichen Denken das Sein schlechthin offensteht, d. h. daß
der Mensch Geist ist." Hier aber setzt die Kritik ein. Heidegger
verfällt in eine neue Relativität, weil er das Sein vom Menschen
her deutet und ihm Wesenszüge des endlichen Menschen verleiht
. Das Sein, das sich im Menschen lichtet, ist für H. ein wesenhaft
zeitliches und endliches Sein. Eine metaphysische
Transzendenz wird dadurch unmöglich.

Die eigene Auffassung des Verf. mag durch den Satz wiedergegeben
werden: „Der Ort des Seinsverständnisses ist das Denken
. Denken aber heißt urteilen. So legt sich auch das Seinsverständnis
gerade im Urteil aus. Das Wesen des Seinsverständnisses
muß aus dem Wesen und der Wesensstruktur des Urteilsaktes
erschlossen werden. Dem Urteil aber ist es wesentlich, daß es
seinen Gegenstand mit dem Anspruch unbedingter
Geltung setzt."

Die Verf. haben ihre Absicht, Kant gerecht zu werden, auf
Grund von eingehenden Studien seiner Philosophie folgerichtig
durchgeführt. Der Einfluß der kritischen Philosophie auf die tho-
mistische Erkenntnistheorie in Ergänzung dieser ist offenbar. Der
Aufbau der Erkenntnis nach den Stufen: Sinnlichkeit — Verstand —
Vernunft ist im Sinne Kants vollzogen. Die Vernunft erhält aber
eine das Sein an sich erschließende Funktion und bildet die
Grundlage einer Ontologie. Eine Metaphysik des Wissens ist so
gesichert. Die Existentialurteile erhalten unbedingte Geltung.

Erwähnenswert ist noch, daß Walter Brugger eine „Bibliographie
. Scholastische (und an der Philosophie orientierte) Literatur
zu Kant seit 1920" gegeben hat. Sie führt 252 Schriften auf.

Halle/Saale__Paul Menzer

B a k k e r, R.: Eschatologische Motieven in enkele geschiedwijsgerige
beschouwingen.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 10, 1956 S. 396—416.
Benjamin, A. Cornelius: Mysticism and Scientific Discovery.

The Journal of Religion XXXVI, 1956 S. 169—176.
B e r g h u y s, J. J. W.: Materie en Energie.

Tijdschrift voor Philosophie 18, 1956 S. 327—346.
Coreth, Emerich: Die Ernte des Schellingjahres. Ein Literaturbericht.

Zeitschrift für katholische Theologie 78, 1956 S. 334—351.
D u b o i s, J.: Bulletin d'histoire de la Philosophie ancienne.

Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques XL, 1956 S. 264

bis 314.

Fiorito, Miguel Angel: La enseiianza de la filosofia en las univer-

sidades neerlandesas (Epoca precartesiana: 1575—1650).

Ciencia Y Fe XII, 1956 S. 91—95.
Greenwood, Thomas: L'apologetique rationnelle de Guy de Brues.

Revue d'Histoire et de Philosophie Religieuses 36, 1956 S. 20—49.
H o u t a r t, Frampois: Religious sociology.

Theology Digest IV, 1956 S. 116—119.

Kockelmans, A.: Over de aard en de zijnswijze der ideele ruimte
volgens Nicolai Hartmann.

Tijdschrift voor Philosophie 18, 1956 S. 163—222.
K o e p p, Wilhelm: J. G. Hamann's Absage an den Existentialismus.
(,,Fliegender Brief" erster Fassung) nebst Anbahnung einer Gesamtsicht
.

Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschaftsund
sprachwissenschaftliche Reihe 5, 1955/56 S. 109—116.
M e i n h o 1 d, Peter: Schillers spiritualistische Religionsphilosophie und
Geschichtskritik. Ihr Niederschlag im dramatischen Werk.
Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte VIII, 1956 S. 218
bis 241.

ETHIK

Steubing, Hans: Der Kompromiß als ethisches Problem. Gütersloh
: Bertelsmann [1955]. IX, 181 S. gr. 8°. Lw. DM 12.—.

Der Verf. geht aus von der ethischen Aporie des Kompromisses
, die sich aus dem Verwirklichungsproblem gegenüber absoluten
Normen ergibt, bringt dann eine Lehre vom falschen, d.h.
faulen Kompromiß, für die er eine eindrucksvolle und klare Typologie
erstellt, versucht dann biblische Aussagen über das Kompromißproblem
zu gewinnen, die viele wesentliche Gedanken
bringen, auch wenn man sich hier eine größere systematische
Schärfe wünschen möchte, und schließt endlich seine Arbeit mit
einem Überblick über die einzelnen Lebensgebiete und die ihnen
wesentlichen Kompromißbildungen. Obwohl die Arbeit im einzelnen
zahllose problematische Formulierungen, auch Oberflächlichkeiten
und kurzschlüssige Schematismen enthält (z. B. ist die
Auseinandersetzung mit der jesuitischen Moral zu einseitig aus
der Pascalschen Polemik gesehen, S. 57 f.) und gelegentlich solche
waghalsigen Rhetorica bringt wie den Satz „In der Welt herrschen
Dämonien, die uns an der Verwirklichung unbedingter Normen
hindern" (S. 11), ist sie doch aufs Ganze gesehen von großer
systematischer Kraft, von logisch klarem Aufbau und theologisch
ordnenden Gesichtspunkten bestimmt. Sie ist in klarer
und lebendiger Sprache und ungemein packend geschrieben, weil
der Verf. neben der Fähigkeit systematisch zu denken auch eine
lebendige Kraft der Anschauung verrät. Obwohl der Veif. über
gründliche theologische Schulkenntnisse verfügt, redet er in einer
schulmäßig nicht gebundenen, frei dahinströmenden Sprache, die
in ihrer Plastik und Biegsamkeit an den Stil des Essay erinnert.
Das ist natürlich eine gewisse — wenn auch meist gebändigte —
Gefahr. Freilich wünscht man sich oft eine exaktere Definitionsarbeit
und gelegentlich eine größere Strenge der Deduktion. Andererseits
überrascht der außerordentliche Reichtum an Gesichtspunkten
und Assoziationen, die in der Regel klar geordnet sind,
gleichzeitig aber in solcher Fülle einherströmen, daß man oft
wünschen würde, in der verweilenden Behandlung eines Gedankens
länger ausruhen zu können. Da aber die Arbeit logisch
aufgebaut ist, folgt man den wechselnden Gesichten und Gedanken
mit atemloser Spannung. Die Arbeit ist unglaublich interessant
. Gegen Ende zu wird die Arbeit flüchtiger. Hierbei kommt
es zu manchen Oberflächlichkeiten und mehr skizzenhaften Gebilden
(so über Eros u. Agape; den Eid, die Erziehung; das sozialökonomische
Gebiet). Immerhin fällt es trotzdem angenehm auf,
daß der Verf. auch bei diesen beinahe durchrasten Riesenstrecken
überall die entscheidenden Problemseiten herauszukehren weiß.
Nur gelegentlich sinkt Verf. in diesem letzten Teil in seinem sonstigen
Niveau nicht angepaßte Phrasen ab, wenn er seine umfangreichen
Zettelkästchen noch plündert und in die Arbeit hineinwirft
. Das gilt z. B. von der Auseinandersetzung mit Reinhold
Schneiders Friedensgedanken. Der Rezensent teilt zwar die Auffassung
des Verf.s, hält sie aber für ungenügend begründet.

Zur Charakterisierung der Arbeit gehört noch die Erwähnung
der geradezu ungeheuren Fülle an bearbeiteter (nicht nur zitierter
) Literatur. Schleiermacher, Kant, Kierkegaard, Scheler, Russell,
Smith, Herbart, Naumann, Nie. Hartmann, Troeltsch sind nur einige
wenige Namen, die besprochen werden und über deren
gründliche Kenntnis der Verf. verfügt. Auch das angelsächsische
Schrifttum zu unserer Frage kennt und verarbeitet der Verf. Dabei
artet diese Literaturverwendung niemals in aneinandergereihte
Einzelrezensionen aus, sondern die betreffenden Werke werden
systematisch befragt, und sie sind in den eindeutig vorgegebenen
Gedankengang des Verf.s eingefügt. Man sehe sich Namen- und
Literaturverzeichnis an und wird einen starken Eindruck von der
hier investierten Gelehrsamkeit erhalten, zumal jene Verzeichnisse
keine Attrappen, sondern Symptome des wirklich Verarbeiteten
sind.

Hamburg Helmut Thielicke