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Ausgabe:

1956

Spalte:

739-741

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Buchheim, Karl

Titel/Untertitel:

Geschichte der christlichen Parteien in Deutschland 1956

Rezensent:

Lau, Franz

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der damaligen Zeit als einer der Lehrerpersönlichkeiten. Gerade
auch an diesen, unter denen lediglich der junge Döllinger den
Durchschnitt wesentlich überragt zu haben scheint, zeigt sich wieder
, daß Aschaffenburg eben doch zu klein war. Vielleicht hätte
aber der ein halbes Jahrhundert ihre Geschicke leitende Hoffmann
durdi eine geschlossene, ausführliche Charakterisierung festere
Gestalt gewonnen. Um so reicher sind dafür die ausführlichen
Lebensläufe an kulturgeschichtlich interessanten Einzelheiten
.

Schon dem 1. Teil ist eine Zusammenstellung des Lehrkörpers
des Seminars und der Abiturienten von 1840—1950 beigegeben
. Dabei wird meistens auch wenigstens kurz angegeben, was
aus den Abiturienten geworden ist. Der 2. Teil bringt dann die
ganzen Matrikel von 1809—1872. Außerdem werden aber auch
aus den Anwesenheits- und Prüfungslisten alle seit 1801 in
Aschaffenburg nachweisbaren Studenten jahrgangsweise zusammengefaßt
. Nachdem zuerst eine Auswertung der Matrikel nach
familien-, orts- und bevölkerungsgeschichtlichen und allerlei sonstigen
z. B. auch hygienischen Gesichtspunkten gegeben wurde,
erfolgt der Abdruck. Dabei wird, soweit es möglich war, für die
einzelnen Namen der weitere Lebenslauf des Betreffenden gebracht
. Das war freilich weithin nur bei denen möglich, die später
Priester wurden. Leider sind in das Register die Abiturienten
des Knaben- und Studienseminars nicht aufgenommen.

Der Raum, für den die Aschaffenburger Hochschule Bedeutung
hatte, war nicht allzu groß. Das lag wesentlich daran, daß
sie von vornherein nicht nur zwischen andere Schularten, sondern
auch zwischen benachbarte Schulen ähnlichen Charakters eingeklemmt
war und so richtig in doppeltem Sinn „zwischen den
Stühlen saß", was sich auch wieder in ihrem Lehrkörper auswirken
mußte. Was sie aber war, hat hier ein wertvolles, gewiß stets
dankbar benütztes Denkmal erhalten.

Nürnberg M. Simon

B u c h h e i m, Karl: Geschichte der christlichen Parteien in Deutschland
. München: Kösel-Verlag [1953]. 467 S. 8°. Lw. DM 14.50.

Gleich im Vorwort dieses seines Buches grenzt der Verfasser
sein Thema ein. Er meint, er könne doch nur Umrisse einer
Geschichte der christlichen Parteien zeichnen. Es stimmt schon:
Aus dem Buche wird deutlich, wie verzweigt und vielgestaltig die
Geschichte der christlichen Parteien, namentlich der katholischen,
in Deutschland gewesen ist. Und man erfährt auch, wie parallele
Entwicklungen in anderen Ländern nebenher gingen und auch
mancherlei Wechselwirkungen stattfanden.

Der Verfasser sucht trotzdem so viel Stoff zu bieten wie
nur möglich. Eine Fülle von Gestalten christlicher Politiker aus
dem 19. Jahrhundert zieht vor dem Auge des Lesers vorbei. Versuche
und Fehlversuche von Parteigründungen, erfolgreiches und
erfolgloses Bemühen um Einsatz christlichen Glaubensgutes in
der Politik werden in reicher Fülle vorgeführt. Im Mittelpunkt
steht natürlich trotz aller Aufmerksamkeit, die gerade evangelischen
Ansätzen zu einem parteipolitischen Einsatz geschenkt
wird, die Vorgeschichte und die Geschichte der deutschen Zentrumspartei
. Das Ganze läuft aus in die Gründung der „Christlich
Demokratischen Union" und die Anfänge von deren Existenz
. Letztlich ist das Buch wohl auch geschrieben, um diese
Parteigründung unserer Zeit als Erfüllung langen Sehnens und
als erfolgreichen Abschluß eines über ein Jahrhundert währenden
Mühens darzustellen.

Wenn man das Buch rein vom Stofflichen her betrachtet,
wird man sich in vielem dem Verfasser zum Dank verpflichtet
wissen dürfen. Er hat eine übersichtliche Darstellung geschaffen.
Trotz grundsätzlicher Beschränkung auf Deutschland hat er immer
wieder die Zusammenhänge mit der außerdeutschen Parteigeschichte
aufgewiesen. Sicher haben sehr viele aus dem Buche
mancherlei gelernt, was ihnen nicht bekannt oder wenigstens
nicht recht deutlich war. Das dürfte gerade auch für die Gründungsgeschichte
der CDU gelten.

Aber freilich, nur wenn man sich auf das rein Stoffliche beschränkt
, wird man über das Buch so freundlich urteilen können.
Die Grundhaltung des Buches wird bei vielen sehr starken Widerspruch
herausfordern. Natürlich wird man von einer Persönlichkeit
, die sich selbst bewußt und entschieden in die christliche
Parteibewegung gestellt hat, nicht verlangen dürfen, daß sie die
Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit christlicher Parteien grundsätzlich
und völlig in Zweifel zieht. Aber ein so problemloses
Bekenntnis zur Idee der christlichen Partei, wie es uns vorliegt,
ist eine erstaunliche Angelegenheit. Daß christliche Parteien nicht
durch eine Forderung des Glaubens oder des Dogmas vorgeschrieben
werden, wird glücklicherweise anerkannt (21). Daß eine Gefahr
der Veräußerlichung mit dem Eintritt des Christentums in
die Politik verbunden ist, wird im Zusammenhang der Auseinandersetzung
mit der Erweckungsbewegung wenigstens einmal
angedeutet (115). Aber aufs Ganze gesehen liegt dem Buche
zugrunde die These, daß die Staatsgewalt immer und grundsätzlich
die menschliche Freiheit zu verkürzen versucht hat, während
umgekehrt alle christliche Politik immer und grundsätzlich nur
die Mehrung echter Freiheit gesucht hat (vgl. 319 u. a.). Daß der
Staat in die Kirche auch einmal eingegriffen haben könnte, um zu
reinigen und zu bessern, kommt für den Verfasser des Buches
überhaupt nicht in Frage; daß der katholische Politiker vielleicht
auch nur in Versuchung kommen könnte, menschliche Freiheit zu
verkürzen, liegt außerhalb des Gesichtskreises des Verfassers.

Ohne Probleme zu sehen, wiederholt Verf. immer wieder
die Feststellung, daß das Christentum, wenn es sich behaupten
und wenn es bei der Christlichkeit der Volkserziehung bleiben
soll, Macht haben muß. Die Zukunft des Christentums hängt ihm
davon ab, daß es eine Macht im öffentlichen Leben ist. Daß die
Macht des Christentums nur durch parteipolitischen Einsatz begründet
werden kann, ist Axiom, das nicht mehr zu erörtern ist.

Am peinlichsten berührt den evangelischen Christen die Art
der Belehrung, die er sich erteilen lassen muß dahingehend, daß
auch die reformatorisch verstandene christliche Freiheit ihre politische
Seite hat und parteipolitisch verwirklicht werden muß.
Daß hier im Allerletzten begründete grundsätzliche Verschiedenheit
zwischen Katholizismus und evangelischem Christentum vorliegen
könnte, ist so gut wie nirgends angedeutet. Nur an einer
Stelle (432) ist zufällig erwähnt, daß an der Frage des Naturrechtes
sich ein Gegensatz entzünden könnte. Sollte der Tatbestand
, der damit gerade eben gestreift wird, nicht so ernst sein,
daß man ihm etwas gründlicher nachgehen möchte?

Es ginge immer noch hin, wenn die problemlos hingesetzten
Behauptungen des Buches sich nur auf die Frage nach dem
Recht der christlichen Parteien bezögen. Tatsächlich findet sich
eine ganze Menge historischer Urteile, gegen die m. E. in aller
Form Widerspruch erhoben werden muß. Richard Rothe darf ein
Historiker nicht damit abfertigen, daß er von einer „Auslieferung
des Christentums an das Kultusministerium" (27) spricht. So
fremdartig wir alle heute Richard Rothes bekannte Meinung über
die Zukunft der Kirche und des Staates empfinden — Richard
Rothe hat ein Recht darauf, daß der Historiker nach dem fragt,
was er wirklich gemeint und gewollt hat. Gegen die in keiner
Weise eingeschränkte Behauptung, daß die preußische Union aus
dem Geist der Heiligen Allianz hervorgegangen ist (123), muß
ebenfalls Verwahrung eingelegt werden. Einem Satz gegenüber
wie dem: „Als Stoecker an die Berliner Domkirche kam, zeigten
sich in der Großstadtbevölkerung gerade die Auswirkungen des
Kulturkampfes erschreckend. Das kirchliche Empfinden war in
vollem Niedergang" usw. (244), ist es schwer, die kühle Sachlichkeit
zu wahren. Es sollte doch keiner Debatte darüber bedürfen,
daß in dieser Hinsicht der Kulturkampf Schäden, die bereits bestanden
, bloßgelegt hat. Ziemlich energische Gegner etwa der
Zivilstandsgesetzgebung in der Zeit damals haben das schon gesehen
. Und was soll der Satz bedeuten: „Das Zentrum wollte
keine katholische Partei sein, sondern den christlichen Einfluß
überhaupt im öffentlichen Leben verstärken" (313)? Ein Körn-
lein Wahrheit zugestanden — aber so kann man sich sinnvoller
Weise nicht ausdrücken. Darüber, ob man als Historiker ernsthaft
überhaupt an die Möglichkeit denken darf, Stoecker hätte einmal
an Bismarcks Platz treten können (vgl. 183), möchte ich mit
dem Verfasser nicht rechten. Aber die Zumutung, die Behauptung
ernst zu nehmen, der Sieg des Nationalsozialismus hätte
vielleicht verhindert werden können, wenn der Christlich-Soziale
Volksdienst nicht erst 1930, sondern etwas früher auf den Plan
getreten wäre, muß man wohl ziemlich energisch von sich weisen.