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Ausgabe:

1956 Nr. 12

Spalte:

738-739

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Scherg, Theodor Josef

Titel/Untertitel:

Dalbergs Hochschulstadt Aschaffenburg 1956

Rezensent:

Simon, M.

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 12

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KIRCHEN GESCHICHTE: NEUZEIT

Niemöller, Wilhelm: Die Evangelische Kirche im Dritten Reich.

Handbuch d. Kirchenkampfes. Bielefeld: Bechauf [1956]. 408 S. gr. 8°.
' Lw. DM 14.80.

Der Verfasser bemüht sich bekanntlich seit Jahren dankenswerterweise
um die Sammlung und Auswertung des Materials aus
der Zeit des Kirchenkampfes. Er hat uns schon verschiedene wichtige
Darstellungen aus seiner Arbeit vorgelegt. Ich nenne nur sein
Buch ,,Kampf und Zeugnis der Bekennenden Kirche", das 1948
im Verlag Bechauf erschienen ist; die von ihm herausgegebenen
„Lebensbilder aus der Bekennenden Kirche", die 1949 im gleichen
Verlag erschienen sind, u. a. m. Die beiden hier aufgeführten
Arbeiten sind in der „Theol. Lit. Ztg." 1949, Sp. 5 50 und
1950, Sp. 5 62 besprochen worden. Mit dem obengenannten
Werk legt uns W. Niemöller seine neueste Arbeit vor, der
er mit Recht den Lintertitel „Handbuch des Kirchenkampfes" gibt.

Niemöller ist sich durchaus der Schwierigkeit seiner Arbeit
bewußt, an die er mit großer Nüchternheit herangeht. In seiner
Einleitung schreibt er — und damit kennzeichnet er seine Einstellung
klar und unmißverständlich — das Folgende:

„Wenn ich gefragt würde, was es denn eigentlich mit der Bekennenden
Kirche auf sich hatte, so wüßte ich keine bessere Antwort zu
geben, als die, daß sie eine Gemeinde von Brüdern war, die es sich
vorgenommen hatte, dem Worte Gottes von Fall zu Fall zu gehorchen.
Das könnte leicht so klingen, als wäre dabei menschliche Initiative und
männlicher Elan, heldischer Geist und überdurchschnittliche Tapferkeit
von Bedeutung gewesen. Der Außenstehende mag dieses und jenes so
deuten. In Wirklidikeit ist die Geschichte der Bekennenden Kirche eine
Geschichte dauernden Versagens gewesen; Blindheit und Lahmheit auf
der einen Seite, Eigenmächtigkeit und Besser-wissen-wollen auf der andern
Seite haben den Weg gehemmt. Und wo von „Fall zu Fall" versucht
wurde, Gehorsam zu beweisen und zu bewähren, da haben es die
blinden Blindenleiter ebensowenig gemerkt, wie die „objektiven"
Kriegsberichterstatter.

So ist es denn ungemein schwierig, die Geschichte der Bekennenden
Kirche aufzuzeichnen. Man wird nur dieses und jenes erzählen
können, man wird sich darauf gefaßt machen müssen, daß mancher Leser
etwas „moralisch" versteht, wo man nur darstellen wollte, was das
Wort Gottes vermag und was dabei herauskommt, wenn man nicht allein
dem Worte Gottes vertraut. Vieles würde man getrost dem Vergessen
überlassen können, wenn nicht in unzulässiger Weise seit Jahren
dauernd versudit worden wäre, die Geschichte zu Gunsten von Menschen
zu korrigieren und aus dem Gang einer schwachen, stotternden,
gefährdeten Gemeinde hinterher einen Triumphzug von Siegern und
Überwindern werden zu lassen."

Tatsächlich ist die Lektüre des Buches eine schmerzliche
Lektüre, die durchaus das bestätigt, was der Verfasser in den eben
angeführten Worten ausspricht. In dem ersten Teil des Werkes
gibt er einen Überblick über die wesentlichen Punkte seines Berichtes
; im zweiten Teil Tatsachen und Quellen zum Thema.
Hier kann sich jeder davon überzeugen, was in den Jahren von
1933—1945 war und was nicht war; was jeder der Beteiligten gesagt
und was er nicht gesagt hat.

Die übersichtliche Anordnung der einzelnen Fragenkreise ermöglicht
es dem Leser, schnell das zu finden, was er sucht. Ein
Personenverzeichnis und ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis
zu jedem Kapitel machen jedem die genaue Nachprüfung
der Darstellung und der Tatsachen möglich. Zwei kleine
Hinweise:

Auf Seite 302 fehlen bei dem Zitat aus der „Deutschen Evangelischen
Wochenschau" am Anfang und Schluß die Anführungszeichen,
ebenso auf Seite 303/305 bei dem Zitat aus der „Allgem. Ev.-Luth.
Kirchenzeitung".

Es handelt sich um ein Buch, zu dem man immer und immer
wieder greifen wird, um sich das eine und andere Geschehnis aus
jener Zeit wieder zu vergegenwärtigen und ein Bild davon zu
bekommen. So sei das Buch herzlich zu genauem Studium und
nachdenklicher Besinnung empfohlen; möchte es viele Leser finden
, die daraus etwas für die Aufgabe und Verpflichtung der
evangelischen Kirche heute lernen!

Frankfurt/Main Wilhelm Fresenius

Scherg, Theodor Josef: Dalbergs Hochschulstadt Aschaffenburg.
Bd. I: Geschichte der Karls-Universität (1798—1818) und des Bayerischen
Lyceums (1818—1873) Tl. 1 u. 2. Bd. II: Matrikclbuch der
Karls-Univcrsität (1798—1818) und des Bayerisdien Lyceums (1819

—1873). Mit Lebensdaten. Aschaffenburg: Pattloch 1954. III, [20].
884 S. u. II, [24], 257 S., 2 Abb. gr. 8°.

Es ist keine bedeutende Hochschule, deren Geschichte hier
geschrieben wird; aber diese Geschichte ist doch ungemein interessant
. Das kommt nicht zum wenigsten daher, daß die Schule
eine Fehlgründung war, und wenn das Buch die Nebenabsicht
haben sollte nachzuweisen, daß es nicht so war — gelegentlich
einmal kommt man auf diesen Gedanken —, so ist sie mißlungen.
Aschaffenburgs Hochschule hatte keinen inneren Grund, sondern
lediglich äußere Anlässe. Eben deshalb war sie bei dem so häufigen
Wechsel der pädagogischen Gedanken im Anfang des
19. Jahrhunderts immer ganz besonders gefährdet. Sie mußte sich
deshalb mit ihnen besonders nachdrücklich auseinandersetzen und
dadurch treten diese Ideen um so deutlicher ins Licht.

Entstanden war die Hochschule in Aschaffenburg durch die
Flucht des Lehrkörpers der Universität Mainz bei deren Besetzung
durch die Franzosen im Jahr 1798. Die Mehrzahl der Professoren
suchte Zuflucht in Aschaffenburg auf dem mainzischen Gebiet,
das nun der Mittelpunkt des Territoriums des Kurerzbischofs
Karl von Dalberg wurde. Zu den Einkünften der am 22. 9. 1807
errichteten Hochschule gehörten vor allem Erträgnisse des säkularisierten
Stifts St. Peter und Alexander in Aschaffenburg. Sdion
im Januar 1807 war aus dem gleichfalls säkularisierten Bencdik-
tinerkloster Schmerlenbach ein Priesterseminar fundiert worden.
Dazu stiftete der Mainzer Bürger Bögner noch ein sehr beträchtliches
Kapital mit der Auflage, daß es zurückgezahlt werden müsse,
falls der Stiftungszweck wegfalle. Diese Zustiftung wurde so
nach dem baldigen Eingehen des Herzogtums Aschaffenburg der
festeste Rückhalt der Gründung. Als die schöne Stadt am Main
mit dem Übergang an Bayern an dessen äußerster Westgrenze zu
liegen kam, war das Schicksal der Hochschule, an der übrigens
immer die medizinische Fakultät fehlte, besiegelt. Dazu kam
Aschaffenburg jetzt zur Diözese Würzburg — wieder als deren
westlichste Grenzpfarrei. 1818 wurde die Hochschule in eines
der in den katholischen Gebieten Bayerns üblichen Lyceen' umgewandelt
— freilich nur mit einer philosophischen Sektion ohne
die theologische. Als dann die Flucht an das Priesterseminar in
Würzburg begann, wurde 1823 auch eine theologische Sektion
geschaffen. Obwohl man den Universitäten vorübergehend lyce-
ale Formen aufprägte2, um die Lyceen in dem zwischen ihnen und
den Universitäten entbrennenden Konkurrenzkampf zu halten,
mußte die theologische Sektion doch schon 1 8 39 aufgehoben werden
. Aber auch die philosophische Sektion konnte sich — zerrieben
zwischen den LIniversitäten auf der einen und den immer
klarer ausgebauten Gymnasien auf der anderen Seite — nicht halten
. Sie mußte 1 8 73 eingehen. Um der Bögnerschen Stiftung willen
war nun aber ein Knabenseminar errichtet worden. Es sollte
Zöglinge aufnehmen, die sich auf den Priesterberuf vorbereiten
wollten. 1872 erfolgte — durch Preisgabe dieser Einschränkung,
aber unter Beibehaltung der konfessionellen Bindung — die Umwandlung
in ein Studienseminar.

Die ganze Darstellung ist überaus reich gegliedert durch
Verwendung verschiedener Schriftarten und zahlreicher Überschriften
. Doch ist des Guten dabei vielleicht zuviel getan. Die
Übersichtlichkeit leidet, und man gewinnt gelegentlich den Eindruck
, als ob der große Zug der Entwicklung und der Charakter
der sich bekämpfenden Richtungen nicht recht zur Geltung käme.
Daß sonst das geistige Gesicht der Anstalt nicht recht deutlich
wird, liegt gewiß weniger an ihrem Geschichtsschreiber als an ihr
selbst. Sie war eben doch zu klein, um einen selbständigen Charakter
entwickeln zu können. Wenn für die Frühzeit von einer
„milden Aschaffenburger Schule" gesprochen wurde, so ist das
gewiß, wie der Verfasser entschuldigend feststellt, mehr Einfluß

') Heute Philosophisch-theologische Hochschulen.

') Den Kampf dagegen führte allein Erlangen, und zwar bewußt
als evangelische Universität. „Der Universität Erlangen bleibt der Ruhm,
eine Schädigung des akademischen Studiums abgewehrt zu haben, deren
Folgen letzten Endes die Wissenschaft hätte tragen müssen" schrieb darüber
vor 31 Jahren der gegenwärtige Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium
(Beiträge zur bayerischen Kirchengcschichte 32 [1925] 44).