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Ausgabe:

1956 Nr. 12

Spalte:

728-729

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Percy, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Botschaft Jesu 1956

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 12

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liehe Darstellungen der Erforschung einzelner Forschungsgebiete
geschrieben worden. Was die Geschichte der Exegese betrifft, so
hat man sich in neuereT Zeit vor allem mit der Entwicklung der
Erklärung einer einzelnen Schrift und das meistens in den Einleitungen
der Kommentare befaßt. Die nicht weniger wichtige
Frage, welche Entwicklung die Deutung eines wichtigen Einzeltextes
durch die Jahrhunderte genommen hat, ist nur auf katholischer
Seite öfters biographisch behandelt worden, die protestantische
Forschung hat im allgemeinen diese Geschichte nur
in den Kommentaren exkursweise behandelt. Und doch sind gerade
hier monographische Darstellungen unentbehrlich, weil nur
sie Quellenmaterial in größerem Umfang heranziehen und so den
Triebkräften der sich wandelnden Auslegung nachgehen können.
Es ist darum sehr begrüßenswert, daß der Verlag J. C. B. Mohr
durch die Eröffnung einer neuen Reihe die Gelegenheit zur Veröffentlichung
solcher Einzeldarstellungen aus der Geschichte der
ntl. Exegese geschaffen hat, deren erster Band hier angezeigt
werden kann.

L. Vischer eröffnet die Reihe mit einem Text, der freilich
für eine solche Untersuchung nicht besonders geeignet scheint,
weil 1. Kor. 6, 1—11, die Warnung vor dem Prozessieren vor
heidnischen Gerichten, „zu den wenig beachteten, um nicht zu
sagen vergessenen Stellen des NTs" gehört. Aber gerade an einem
solchen Text, der nicht im Mittelpunkt der Diskussion gestanden
hat, mußten sich ja die sich wandelnden exegetischen Methoden
und die sie leitenden Interessen besonders erkennen lassen, wenn
die Exegese des Einzeltextes auf dem Hintergrund der allgemeinen
Entwicklung der exegetischen Methode dargestellt wird.
Vischers Interesse aber liegt ganz offensichtlich nicht hier, sondern
auf den ethischen Konsequenzen, die im Verlauf der Kir-
diengeschichte aus dem Text gezogen worden sind, und auf dem
Nachweis, daß sowohl die altkatholisch-mittelalterliche wie die
reformatorische Anwendung des Textes an der eigentlichen Tendenz
des Abschnitts vorbeigehen, und daß die kritisch-historische
Exegese des 19. und 20. Jahrhunderts erst recht diese Tendenz
überhaupt nicht mehr in den Blick bekommen habe. Angesichts
dieses Interesses der Untersuchung erscheinen die der Geschichte
der Exegese vorangestellten beiden Abschnitte, die sich mit den
Varianten und den exegetischen Einzelproblemen des Textes befassen
, infolge ihrer Dürftigkeit als überflüssige Zugabe.

Die eigentliche „Geschichte der Auslegung" (S. 21—122)
zeigt in sieben Abschnitten hauptsächlich auf Grund der Kommentare
, aber auch vereinzelter anderer Quellen, das Verständnis
des Textabschnitts von der alten Kirche bis zur neuesten Zeit.
In der alten Kirche zeigt der Abschnitt zuerst deutlich seine Wirkung
in der Einrichtung kirchlicher Gerichte, während Origenes
auf Grund von 1. Kor. 6 dazu auffordert, einen Streit einem vor
Gott Weisen vorzulegen. Chrysostomus begründet den Rechtsverzicht
stoisch und beeinflußt aufs stärkste die ganze weitere
griechische Auslegung; Augustin dagegen praktiziert bereits die
geistliche Gerichtsbarkeit des Mittelalters. Gregor der Große deutet
den Text um zu einer Aufforderung, das geistliche Leben zu
bevorzugen, und Hugo von St. Victor schwächt die Forderung des
Rechtsverzichts zu einem consilium ab. Mit der Reformation
aber verschwand die geistliche Gerichtsbarkeit, damit jegliches
Vermittlungsgericht der christlichen Gemeinde; das Interesse der
reformatorischen Auslegung liegt aber auf der Betonung, daß der
Gang zum weltlichen Richter dem Christen erlaubt ist. Und
selbst die Täufer erkennen die schiedsrichterlichen Funktionen der
Gemeinde in l.Kor. 6 nicht. Nur die böhmische Brüder-Unität
hat die Mahnung des Paulus in die Tat umgesetzt, und die So-
zinianer betonen die Notwendigkeit des brüderlichen Schiedsgerichts
unter Christen. Im 17. Jhdt. verweisen Grotius, Lightfoot
und Wettstein zum ersten Mal auf den Zusammenhang der pau-
linischen Anweisung mit dem jüdischen Gerichtswesen, und auch
der Pietismus bringt kein vertieftes Verständnis des Textes. Das
19. und 20. Jhdt. aber fragt nur nach den historischen Problemen
und geht auf die praktische Bedeutung des Textes kaum ein, ja
man rückt von der Forderung auf Rechtsverzicht deutlich ab. Nur
Schlatter betont wieder, daß es dem Paulus bei seiner Forderung
um die Gemeinde als ganze gehe, und K. Barth „stellt das Recht
auf Widerstand mit allem Nachdruck in Frage" und „entspricht
damit sicher der Absicht des Textes".

So lehrreich diese Ausführungen auch sind, eine Auslegungsgeschichte
des Abschnitts bieten sie nicht. Denn nirgendwo wird
dem Leser klar, welcher Art die Auslegung der betreffenden Zeit
überhaupt ist, und inwiefern diese hermeneutische Grundvoraussetzung
die Einzelauslegung bedingt; einzig dort, wo die veränderte
Rechtssituation seit Konstantin und in der Reformationszeit
eine Veränderung der Stellung der Kirche zur kirchlichen
Gerichtsbarkeit mit sich bringt, wird deren Einwirkung auf die
Auslegung unseres Abschnitts betont. Weil die Frage nach den
hermeneutischen Voraussetzungen fehlt, ist das negative Urteil
über die Exegese des 19. und 20. Jhdt.s auch nicht wirklich begründet
. Denn die exegetischen Überlegungen, die der Verf. im
Schlußabschnitt selbst bietet und die eine theologisch vertiefte
geschichtliche Auslegung des Textes darstellen, stehen
eindeutig auf der Basis dieser Erkenntnisse des 19. und 20. Jhdt.s.
und so sehr der Leser mit Recht darauf aufmerksam gemacht wird,
daß zwischen der Staatsbejahung von Rm. 13 und der Forderung
auf Rechtsverzicht in 1. Kor. 6 nur dann ein Widerspruch besteht,
„wenn man Rm. 13 einseitig betont und aus dem Gehorsam, der
dort gefordert wird, ein rückhaltloses Ja zur Rechtsordnung
macht" (S. 135), so wenig erfährt er, daß erst infolge der Erkenntnis
der eschatologischen Bedingtheit von Rm. 13, wie sie
die geschichtliche Auslegung ermöglicht hat, diese Einsicht überhaupt
gewonnen werden konnte. So ist aus der Arbeit von V.
zwar etwas aus der Geschichte der kirchlichen Ethik, nicht aber
der Exegese zu lernen.

Die textkritischen Angaben auf S. 4 sind voller Fehler: Z. 2 ist
D' neben D zu streichen; Z. 14 fehlt bei der Zeugenreihe P*6, statt der
aus Tischendorfs Octava genommenen Minuskelzahlen sind heute die
Gregorys zu lesen (3, 33, 429, 209, 462); Z. 23 wären neben D'-'L zahlreiche
weitere Zeugen zu nennen; Z. 2 5 dürfte nicht nur Origenes nadi
der Katene zitiert sein, da Origenes die Lesart auch sonst bietet; Z. 26
fehlt vor philox die Peschitta. S. 36 Z. 16 lies xaxaxQivovm, S. 37
Z. 5 Theodoret, S. 120 Z. 11 v. u. Dan-
Marburg/Lahn Werner Georg Kümmel

Percy, Ernst: Die Botschaft Jesu. Eine traditionskritische und exegetische
Untersuchung. Lund: Gleerup [1953]. X, 324 S. gr. 8° =
Lunds Universitets Arsskrift. N. F. Avd. 1. Bd. 49 Nr. 5. Skr. 32.—.

E. Percy ist seit langem durch seine Arbeiten: Untersuchungen
über den Ursprung der johanneischen Theologie (1939), Der
Leib Christi (.2(ofia Xqigxov) in den paulinischen Homologu-
mena und Antilegomena (1942), Die Probleme der Kolosser- und
Epheserbriefe (1946) — von denen mir und, wie ich weiß, auch
anderen Fachkollegen die kleine Schrift über Zwßa Xqioxov
die wichtigste zu sein scheint — als ein eigenständiger neutesta-
mentlicher Forscher mit umfassenden sprachlichen und religionsgeschichtlichen
Kenntnissen bekannt geworden. Mit besonderem
Interesse greift man daher zu einer Arbeit, die sein Verständnis
der Verkündigung Jesu, also des ersten Teiles der ntl. Theologie
, darbietet. Wie nicht anders zu erwarten, kommt auch in
diesem Buche seine große Belesenheit in der neuen und neuesten
ntl. Literatur, sein gediegenes Wissen und seine gründliche Kenntnis
der rabbinischen Quellen voll zur Geltung. Jeweils durch
eindringende und besonnene Einzelexegese der wichtigsten Stellen
untermauert, wird uns eine interessante Gesamtschau der
Botschaft Jesu in 5 Kapiteln geboten: 1. Vorgeschichte, 2. Bußpredigt
und Heilsbotschaft, 3. Die Forderungen Jesu, 4. Das Reich
Gottes, 5. Der Menschensohn.

Und doch wird man des Ganzen nicht recht froh. Einerseits
ist nämlich die Arbeit, die an sich schon infolge der Breite und
der umständlichen Diktion streckenweise mühsam zu lesen ist,
befrachtet mit ausgiebiger, weithin sophistisch, ja auf die Dauer
geradezu griesgrämig wirkender Polemik. Und andererseits wirken
Terminologie und Fragestellung seltsam überholt. Geht es
uns heute wirklich, wie gleich die Einleitung sagt, um die Alternative
„ob Jesus nur die Nähe des Gottesreiches und im Zusammenhang
damit die Forderungen Gottes für den Zulaß zum
Gottesreich verkündigte oder ob seine Botschaft auch in dem
Sinn eine Heilsbotschaft war, daß Jesus den Menschen, die in
bußfertiger Gesinnung und Gehorsam seine Botschaft annahmen,
Anteil am Gottesreich vermittelte"? Quälen wir uns heute noch