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Ausgabe:

1956 Nr. 11

Spalte:

691-694

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Dignath-Dueren, Walter

Titel/Untertitel:

Kirche, Krieg, Kriegsdienst 1956

Rezensent:

Fresenius, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 11

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erlebten Handlungen selbst auf eine Kausalstruktur zurückgeführt
werden sollen, so geschieht es eben auf Grund der gemachten
Voraussetzung, daß die gesamte Welt kausal determiniert sei.
Dann ist aber die menschliche Entscheidung doch nicht frei und
der Fatalismus nicht überwunden. Desgleichen ist gegen die These,
daß die Ergebnisse der Pathologie uns berechtigen, die Annahme
der Willensfreiheit, mit der übrigens nicht das Abstraktum
„Wille", sondern die wollende Person gemeint ist, abzulehnen,
der Einwand zu erheben, daß die Pathologie eben krankhafte,
nicht normale Fälle betrifft. Richtig ist indessen, daß es sinnlos
wäre, von freien Handlungen zu sprechen in einer völlig chaotischen
Welt. Aber die wird auch von Anhängern der Willensfreiheit
nicht behauptet. Die teleologische Betrachtung setzt desgleichen
Kausalität voraus, nur nicht als einzige Determinationsform.
Es steht außer Zweifel, daß das Geschehen in einem Partialsystem
auch den Umwelteinflüssen unterliegt, aber diese Fälle betreffen
nicht das, was die Vertreter der inneren Zweckmäßigkeit meinen.
Gewiß ist die Entwicklung des Auges, auf welche der Verfasser
Bezug nimmt, auch von dem Konnex mit der Umgebung abhängig,
aber entscheidend sind doch die Erbfaktoren, die nicht durch zufällige
umweltbedingte Mutationen entstanden sein können. Auch
die Dysteleologien sind gewiß nicht zu übersehen, aber doch sekundär
gegenüber den Strukturen und Funktionen, auf die sich
die teleologische Betrachtung stützt. Kausalität, Teleologie und
Willensfreiheit sind also wohl ein zusammengehöriger Problemkomplex
, aber die Herleitung der Teleologie und der Willensfreiheit
aus der kausalen Determination der gesamten Welt setzt
eben axiomatisch eine solche bereits voraus. Die Zurückführung
einer Scheinteleologie und Scheinfreiheit auf die Kausalstruktur
beruht auf dieser Voraussetzung, die die Begriffe und Argumente
der Vitalisten und der Anhänger der Willensfreiheit daher umzudeuten
zwingt. Die formale Ableitung in mathematischer Sprache
schließt ontologische Voraussetzungen ein, die erst bei einem
konkreten Bedeutungsgehalt der „Parameter" diskutiert werden
könnten.

Diese Einwände ändern nichts daran, daß die Schrift des
Verfassers sehr anregend ist.

München Alois Wenzl

ETHIK

Dignath-Düren, Walter, Pastor: Kirche, Krieg, Kriegsdienst. Die

Wissenschaft zu dem aktuellen Problem in der ganzen Welt. Hamburg
: Reich 1955. 136 S. gr. 8° = Theologische Forschung. Wiss.
Beiträge zur Kirchlich-Evang. Lehre, hrsg. v. H.-W. Bartsch, Bd. 10.
DM 6.— ; Lw. DM 8.—.

Macgregor, George H. C, Prof. D. Litt., D.D.: Friede auf Erden?
Biblische Grundlegung der Arbeit am Frieden. München: Kaiser 1955.
0 159 S. 8°. Kart. DM 4.80.

Lasserrc, Jean: Der Krieg und das Evangelium. München: Kaiser
1956. 319 S. 8°. DM 12.80; Lw. DM 14.80.

Es hat wohl seine besondere Bedeutung, daß diese drei wichtigen
Bücher in der gegenwärtigen Zeit in geringen Zeitabständen
nacheinander in deutscher Sprache erschienen sind. Freilich
ist die Schrift von Macgregor, der Professor an der Universität
Glasgow ist, schon 1936 im englischen Original erschienen, konnte
aber erst jetzt in deutscher Übersetzung herausgegeben werden,
nachdem der Verfasser in der zweiten Ausgabe seines Werkes von
1952 das Schlußkapitel seiner Schrift neu gestaltet hatte.

D. Siegmund-Schultze hat zu der deutschen Ausgabe ein wichtiges
Vorwort geschrieben, das gut in die Fragestellung einführt
und für das wir dankbar sind, weil es dazu hilft, etwaige Mißverständnisse
von vornherein auszuschließen.

Es ist weiter bedeutsam, daß wir zu der brennenden Frage
eine gewichtige deutsche, eine gewichtige englische und eine gewichtige
französische Stimme hören. Die hier ihre Stimme erheben
, haben sich alle seit Jahren ernstlich und gründlich um den
Fragenkreis bemüht. D i g n a t h behandelt die Frage in sechs
Kapiteln:

1. ) Kirche und Militärdienst in der Zeit vor Konstantin

2. ) Der „gerechte Krieg" als Verteidigungskrieg

3. ) Der „gerechte Krieg" als heiliger Krieg

4. ) Der Krieg als „geschichtliche Notwendigkeit"

5. ) Krieg als Schicksal?

6. ) Der Friede und wir Christen

Aus diesen Überschriften wird schon deutlich, daß der Verfasser
eine historische Darstellung von den Anfängen des christlichen
Glaubens bis zur Gegenwart gibt. Seine Ausführungen
werden durch einen ausführlichen Quellennachweis, durch Anmerkungen
und Literaturhinweise ergänzt, die dankbar zu begrüßen
sind, weil jeder Leser dadurch die Möglichkeit hat, die
Ausführungen Dignaths anhand der Quellen nachzuprüfen. Nach
meiner Kenntnis der Dinge fehlt hier keine bedeutsame Veröffentlichung
. Es ist weiter ein Vorzug des Buches, daß der Verfasser
am Schluß jedes Kapitels den wesentlichen Inhalt des betreffenden
Kapitels in einer These zusammenfaßt. Ich muß der
naheliegenden Versuchung widerstehen, diese sechs Thesen hier
wiederzugeben, und mich auf die Wiedergabe der letzten These
beschränken:

„Wenn Christus die Friedensstifter selig preist, dann meint er
nicht nur die Verweigerung des Kriegsdienstes, sondern überhaupt den
furchtlosen und entschlossenen Einsatz für Versöhnung und Frieden auf
allen Gebieten unseres Lebens unter radikalem Verzicht auf den Richtgeist
, auf den Geist des Hasses und der Gewalt — in der Kraft seines
Friedens, der uns überwunden hat, und im Trauen auf sein Wort, daß
alle, die ihm so entgegengehen, als die Kinder Gottes erwiesen sind."

Es handelt sich bei Dignaths Buch um eine sorgfältige und
umsichtige Arbeit, die allen Fragen nachgeht, welche hier irgendwie
in Betracht kommen. Wir wünschen dem Buch weiteste Verbreitung
unter Theologen und Nicht-Theologen; möchte es recht
viele zur intensiven Beschäftigung mit der Frage der Stellung der
Kirche zu Krieg und Frieden anregen, damit sie imstande sind,
sich ein eigenes Urteil darüber zu bilden, und den Mut gewinnen,
sich in der Nachfolge Christi offen und furchtlos für den Frieden
von Mensch zu Mensch und unter den Völkern einzusetzen,
wo und wie immer es ihnen möglich ist. Die Stunde des Schweigens
ist vorüber, die Stunde des Redens und Bekennens für die
Christenheit ist jetzt da.

In einer hoffentlich bald nötig werdenden neuen Auflage des Werkes
werden einige Druckfehler leicht verbessert werden können, die
stehengeblieben sind. —

Die Arbeit von Macgregor gibt eine sorgfältige Untersuchung
darüber, welches die biblischen, vor allem die neutesta-
mentlichen Grundlagen für die Arbeit der Kirche und der Christen
für den Frieden sind. Diese Untersuchung führt zu wertvollen
Ergebnissen, die dazu nötigen, den gesamten Fragenkreis
neu zu durchdenken und sich von alten Vorurteilen befreien zu
lassen. Der englische Gelehrte setzt sich dabei mit einer ganzen
Reihe entgegenstehender Meinungen und Überzeugungen auseinander
. Für die Bedeutung seiner Forschungsergebnisse führe
ich folgendes Beispiel aus seiner Arbeit an (S. 130, Anm. 40):

„Im Hinblick auf eine kürzlich erfolgte Äußerung des Erzbischofs
von Canterbury muß man beachten, daß der Ausdruck „der gerechte
Krieg", der so oft von Apologeten, Katholiken und Protestanten, gebraucht
wird, aus dem Lateinischen übersetzt ist, wo „justum bellum"
nicht einen ethisch gerechtfertigten, sondern einen „regelrechten" Krieg
bedeutet, der von der Regierung gutgeheißen ist, im Gegensatz zu privaten
Fehden oder Räuberwesen. Im ursprünglichen Sinn des Wortes
war Mussolinis abessinisches Abenteuer ein „gerechter Krieg"."

Jedermann kann sich von der Richtigkeit dieser Darlegung
des Verfassers in einem guten lateinischen Lexikon überzeugen,
wenn er liest, was dort unter dem Wort „justus" mitgeteilt wird.
Bedeutsam ist auch die Mitteilung Macgregors (S. 140):

„In einem sehr bedeutsamen Bericht, den ein Sonderausschuß im
Jahre 1951 der Generalversammlung der Kirche von Schottland erstattet
hat, kommt die Mehrheit, die noch die überlieferte nicht pazifistische
Haltung einnimmt, immerhin zu folgenden bedenklichen Eingeständnissen
: Gewisse Züge im Bilde des Krieges, die sich schon im ersten
Weltkrieg angekündigt hatten, der Bombenvernichtungskrieg, die Forderung
der bedingungslosen Übergabe, die Massenpropaganda, die Atombombe
, haben bei vielen, und zwar keineswegs nur bei Pazifisten,
schwere Zweifel geweckt, ob man das Wort „Gerechtigkeit" überhaupt
noch gebrauchen darf im Bezug auf die Ziele oder auf die Mittel der
modernen Kriegführung." „Unsere Erfahrung mit den Methoden der
modernen Kriegführung und unsere Befürchtungen im Hinblick auf die
Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung in der Zukunft lassen die mei-