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Ausgabe:

1956 Nr. 11

Spalte:

686-688

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heick, Otto W.

Titel/Untertitel:

Amerikanische Theologie in Geschichte und Gegenwart 1956

Rezensent:

Schneider, Carl Edward

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 11

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ein Hinweis darauf sein, daß Valentin von einer ägyptischen
Gnosis beeinflußt worden ist. Allerdings wird man auf die Publikation
der längeren Rezension des Apokryphon Johannis warten
müssen, bis man diese Frage mit genügenden philologischen
Hilfsmitteln lösen kann.

Außerdem hat Schmidt eine chronologische Einordnung dieser
Schriften versucht, gegen welche sich auch heute, wo das Apokryphon
Johannis herausgegeben ist, wenig einwenden läßt.
Ausgangspunkt muß das Apokryphon Johannis sein, und zwar in
«einer kürzeren Rezension, die sicher vor 180 n. Chr. liegt, vielleicht
aber in ihrer Urform viel älter ist; die zwei Bücher des Jeu
"wurden in derselben Gruppe von Gnostikern im Anfang des
3. Jahrhunderts geschrieben; das 4. Buch der Pistis Sophia muß um
225 angesetzt werden, und Pistis Sophia 1, 2, 3 wird auf die
zweite Hälfte des 3. Jahrhundert datiert. Das alles scheint überzeugend
begründet. Das einzige, was ich nicht glauben kann, ist,
■daß das „altgnostische", oder besser „Titellose Werk" schon an
den Anfang des 3. Jahrhunderts zu setzen ist: mir scheint die
Schrift vorläufig später als die Pistis Sophia.

Ich habe nun die vorliegende Arbeit mit dem koptischen
Text verglichen und nur ganz kleine Unstimmigkeiten gefunden:
deswegen möchte ich mich auf einige allgemeine Bemerkungen
beschränken.

Wie es bei einer Übersetzung nicht anders zu erwarten ist,
hat Till nicht überall angegeben, wo die Wiedergabe des Koptischen
unsicher oder auch der Text nicht ganz in Ordnung ist.
So bemerkt z.B. Schmidt in seiner Textausgabe S. 147, der Satz
sei nicht richtig überliefert, während Till dies wegläßt (S. 261).
Man wird sich damit zufrieden geben müssen, aber ich muß die
Vorschnellen, deren es in der Gnosisforschung nicht wenige gibt,
•darauf hinweisen, daß sie immer den Apparat von Schmidt heranziehen
müssen, wenn sie wissen wollen, was im Texte eigentlich
dasteht.

Weiter hat Till, wie bemerkt, darauf verzichtet, eine eigene
Übersetzung zu bieten und sich hauptsächlich auf den Hinweis
auf andere Übersetzungsmöglichkeiten (das ist dann allerdings oft
Euphemismus für Verbesserung von Übersetzungsfehlern) beschränkt
. Ich bedauere das. Denn es ist ermüdend, wenn man immer
wieder die Nachträge nachschlagen muß. Weiter wirkt es verwirrend
, wenn man S. 336 von einem Wort vernimmt, es sei
nicht verständlich, und dann S. 369 lernt, es bedeute einwandfrei
„unendlich, unzählig oft". Aber auch wenn man von solchen Kleinigkeiten
absieht, würde man es begrüßt haben, wenn ein Gelehrter
wie Walter Till, der ja doch unbestritten heute zu den
besten Kennern des Koptischen gehört, uns seine eigene Übersetzung
geboten hätte. Dann würde nämlich jedermann sehen
können, wie undurchsichtig nicht nur das „Titellose Werk", sondern
auch die zwei „Bücher des Jeu" sind, und wie verschieden
man übersetzen kann, ohne eigentlich Fehler zu machen. Man
muß heutzutage sagen, daß man nicht über Gnosis mitreden darf,
wenn man nicht Koptisch kennt und sich auf Übersetzungen verlassen
muß.

Zu größerer Klarheit kann man auch nur dann kommen,
wenn man Schmidts Ansicht ernst nimmt, daß all diese Texte aus
dem Griechischen übersetzt sind. Daran kann heutzutage kein
Zweifel bestehen. Das bedeutet dann aber doch, daß man in
schwierigen Fällen eine Zurückübersetzung ins Griechische versuchen
muß. Wenn etwa in der stetig wiederkehrenden Formel
des ersten Buches von Jeu: „und es sind zwölf Häupter in seinem
Schatze . . . und es sind zwölf in jeder Ordnung usw." der
zugrunde liegende griechische Ausdruck xatä zdfetc; bedeutete:
„in jeder Ordnung eins", dann würde das die Vorstellung bedeutend
vereinfachen. So erhebt sich die Frage, ob man das Koptische
oder das postulierte griechische Original übersetzen muß,
und es ist mir nicht zweifelhaft, daß im Prinzip das letzterwähnte
richtig ist. Nur dann kann man weiter kommen. Ohne diese Bezugnahme
auf das Griechische wird gewiß kaum jemand die Leistung
von Schmidt und Till erheblich verbessern können.

Zum Schluß sei nun noch darauf hingewiesen, daß diese
Schriften, so schwierig, verworren und langweilig sie auch sein
mögen, für die Theologen ihre große Bedeutung haben, nicht
nur weil sie so deutlich zeigen, daß Gnosis keine Philosophie ist,

auch nicht entartete Philosophie, sondern auch weil sie zur Ursprungsfrage
der Gnosis Wichtiges beitragen. Was da über Jeu
gesagt wird, kann man von den jüdischen, esoterischen Traditionen
über Jaoel nicht scheiden, und wenn diese „zweite Person"
eben auch „Mensch" genannt wird, fühlt man sich an Ezechiel 1,26
in seiner esoterischen Interpretation erinnert. Odeberg und Scho-
lem haben hier das Richtige schon gesehen. Es gilt nun für die
jungen deutschen Theologen, sich nicht durch große Worte verblüffen
zu lassen, sondern gegen Hypothesen einwandfreie Tatsachen
zu stellen und mit streng philologischen Methoden die
Wahrheit zu ermitteln. Und dann könnte es sich herausstellen,
daß die gnostische Einsammlung der Glieder hellenistischen Ursprungs
ist, während die Erlösergestalt durch das Judentum bzw.
das Christentum vermittelt wurde.

Utrecht O. Quispel

KIRCHENKUNDE

H e i c k, Otto W., Prof.: Amerikanische Theologie in Geschichte und
Gegenwart. Breklum: Jensen [1954]. 104 S. gr. 8°. DM 5.60.

Dieses Buch von 104 Seiten stellt im wesentlichen die Übersetzung
eines Abschnittes aus dem zweiten Teil des zweibändigen
Werkes dar: „A History of Christian Thought" von dem verstorbenen
Historiker J. L. Neve und Otto W. Heide, Systematiker
am Evangelical Lutheran Seminary in Waterloo, Ontario, Kanada
(Muhlenburg Press, Philadelphia, 1943, 1946). Das Werk
beansprucht nicht, eine ausführliche Behandlung des Stoffes zu
bieten, sondern bezweckt lediglich, für den deutschen Leser die
Entwicklung der protestantischen Theologie in Amerika kurz darzustellen
und dieselbe von der reformatorischen Theologie her
kritisch zu betrachten. (S. unter demselben Titel den zusammenfassenden
Aufsatz von Heick, Zeitschrift für Systematisdie Theologie
, 22. Jhrg., Heft 1.)

Einleitend werden in kurzen Strichen vorgeführt die Hauptströmungen
(Orthodoxie, Rationalismus etc.), welche vom Standpunkte
der europäisch-amerikanischen Solidarität die amerikanische
Theologie entscheidend beeinflußt haben, sowie die treibenden
Kräfte innerhalb des amerikanischen Raumes. Das Kapitel
über „Die philosophische Entwicklung" zeichnet den Weg vom
„Platonischen Idealismus bis zum modernen Humanismus" —
ein Überblick, der besonders zu begrüßen ist angesichts der Tatsache
, daß die Religionsphilosophie im liberalen Denken öfters
mit der systematischen Theologie gleichbedeutend war.

Die Wurzeln der amerikanischen Theologie werden zurückgeführt
auf das Zusammenwachsen der radikalen Separatisten
(Congregationalisten-Pilgerväter), wo das Hauptinteresse nicht
der Lehre, sondern dem Leben galt, und der streng dogmatisch auf
Calvin gerichteten Puritaner (Presbyterianer). Der Niedergang
der puritanischen Frömmigkeit mit dem Absterben der ersten Generation
sowie das Eindringen der Arminianer und Sozinianer
führten zur Neubesinnung auf das calvinistische Erbe, besonders
seitens Jonathan Edwards. Hier galt es, die Kluft zwischen dem
Calvinismus und Arminianismus zu überbrücken und die geistigen
Werte zu bewahren, ohne den Calvinismus preiszugeben. Aus diesem
Bemühen entstand die „Neuengland-Theologie", die in verschiedenen
Ausläufern (Hopkinsianismus, Taylorismus, New Häven
Theology, Oberlin Theology) zusammenfassend als die
„New Divinity" bezeichnet wird, und die das gemeinsame Interesse
vertrat, mit theozentrischen Voraussetzungen „durch rigorose
Selbstbetrachtung ... die psychologischen Fähigkeiten des Menschen
zu analysieren". In diesen minutiösen psychologischen Untersuchungen
auf dem Hintergrund des calvinistischen Determinismus
findet der Verfasser die „einzigartige Bedeutung der Neuengland
-Theologen", welche die Beachtung des gesammten Protestantismus
verdient. Immerhin ist die „New Divinity" dem unvermeidlichen
Schicksal einer jeden Vermittlungstheologie erlegen
, indem sie in eine orthodox-konservative und eine progressiv
-liberale Richtung aufging.

Die liberale Strömung in der weiteren Bekämpfung des alten
verhärteten Calvinismus tat sich kund in den eschatologischen
und anthropologischen Einstellungen der Universalisten (J. Mur-