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Ausgabe:

1956 Nr. 11

Spalte:

684-686

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Carl

Titel/Untertitel:

Koptisch-gnostische Schriften ; 1.Die Pistis Sophia. Die beiden Bücher des Jeû. Unbekanntes altgnostisches Werk 1956

Rezensent:

Quispel, Gilles

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 11

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über die Quellen und über die Forschungsgeschichre bringt, untersucht
er im Hauptteil das Passafest der Quartadecimaner.
Zeitpunkt, Charakter und theologischer Sinn des quartadecima-
nischen Passa werden gründlich erörtert, wobei besonders die
Stelle Epistola Apostolorum 15 zu ihrem Recht kommt. Vor allem
aber geht es dem Verfasser um Alter und Herkunft dieses
Festes. Seine Hauptergebnisse kann man etwa so zusammenfassen:

1. Die Passafeier der Quartadecimaner fand nicht nur genau
am gleichen Tage wie das jüdische Passa, sondern auch genau
zur gleichen Stunde statt. Sie begann am Abend des 14. Nisan
und ging bis zum nächsten Morgen (15. Nisan) 3 Uhr.

2. Dieses „christliche Passa" bestand in einem Fasten, das
genau diejenigen Stunden hindurch gehalten wurde, in denen die
Juden ihr Passa mit dem Grundton der Freude über die einstige
Erlösung in Ägypten und die künftige Erlösung durch den Messias
feierten. „Während jene feiern, fasten die Christen und trauern
um sie."

3. Dieses Fasten während der Stunden des jüdischen Passa-
mahles fand nicht zur Erinnerung an Jesu Tod statt, sondern
war ein stellvertretendes Fasten und Beten für die Juden als die
„irrenden Brüder aus dem Volk".

4. Gegenüber den Juden, die bei ihrem Passafest davon
sprachen, daß der Messias am Passatag kommen werde, war dieses
christliche Passafasten verbunden mit der Erwartung der Pa-
rusie Jesu (Diese These erscheint mir fraglich).

5. Zu der Stunde, wo mit Sicherheit jede jüdische Passafeier
beendigt war, morgens um 3 Uhr (vom 14. zum 15. Nisan),
beendigten die Quartadecimaner ihr Fasten durch die Feier des
Herrenmahles in der Form einer Agape, verbunden mit der Eucharistie
.

6. Diese quartadecimanische Form, das jüdische Passafest
durch ein Fasten zu begehen, muß aus alter palästinischer Tradition
stammen. Es ist, so sagt B. Lohse, nichts anderes
als die Passafeier der Urgemeinde.

Auf der Herausstellung der Herkunft des quartadecimani-
schen Passa aus der palästinischen Urgemeinde liegt für den Verfasser
das Schwergewicht. So kühn dieser Schluß erscheinen mag,
so ist er doch wohl begründet. K. Holl hatte ja bereits betont,
daß Kleinasien diese Form der Feier durch die ums Jahr 70 dorthin
übersiedelnden Mitglieder der Urgemeinde überkommen
haben muß.

Die überzeugende und dankenswerte Klärung durch den
Verfasser bedeutet jedoch, daß der Titel seines Buches dem Sinn
des quartadecimanischen Passa, wie ihn der Verfasser herausarbeitet
, eigentlich nicht entspricht. Es handelt sich bei diesem
Ritus ja gar nicht um eine „Passa f e i e r" sondern um ein betontes
„Nicht-feiern", eben um ein Fasten als dezidierten G e-
g e n s a t z zum Passa-feiern der Juden. Und dieser betonte Gegensatz
ist offensichtlich der ursprüngliche Sinn des Ritus.
B. Lohse sagt S. 139 mit Recht: „Im Judentum war jegliches Fasten
im Monat Nisan streng verboten. Während die Juden nun
„mit Jauchzen" der Erlösung aus Ägypten gedachten, waren die
Christen in Trauer, weil die Juden Jesus verstoßen hatten, und
baten Gott um Vergebung für „das Volk" ".

Ein besonderes Wort ist noch zu sagen zu der neutestament-
lichen Begründung dieses Passafastens. Die Quartadecimaner begründen
es mit Lk. 22, 15—18, damit also, daß Jesus vor seinem
Tode noch mit seinen Jüngern das Passamahl feierte, und daß
er dabei sagte, er werde es hinfort nicht mehr essen, bis die Gottesherrschaft
kommt, wo er es dann neu feiern werde. Lk. 22,
15—18 ist m. E. ein altes Traditionsstück aus der palästinischen
Urgemeinde, das Jesu letztes Mahl als Passamahl mit eschatolo-
gischem Akzent schildert, aber keinen Bezug auf Jesu Tod als
Sühnetod enthält. Es steht konkurrierend neben dem seinerseits
aus alter palästinischer Tradition stammenden Einsetzungsbericht
Mk. 14, 22—24 par, der Jesu Tod als Sühnetod deutet, dagegen
keinen eschatologischen Akzent enthält und m. E. das letzte
Mahl Jesu auch nicht als Passamahl schildert. So kann man folgern
, das palästinische Traditionsstück Lk. 22, 15—18 stellte die
Begründung dar für den ebenfalls aus der palästinischen
Urgemeinde stammenden Brauch des Fastens während der Zeit

des Passamahles der Juden. Lk. 22, 15—18 wäre also sozusagen
die „ätiologische Kultlegende" des Passafastens der Urgemeinde,
das in dem Passa der Quartadecimaner weiterlebte.

B. Lohse zieht diese Konsequenz nicht und kann sie nicht
ziehen, weil er immer von der Voraussetzung ausgeht (für deren
Begründung er auf Joach. Jeremias, die Abendmahlsworte Jesu,
verweist): Jesu letztes Mahl war ein Passamahl, und die Worte
Jesu in Lk. 22, 15—18 sind historisch so von Jesus dabei gesprochen
worden. Aber den Begründungszusammenhang zwischen
Lk. 22, 15—18 und dem Passafasten der Quartadecimaner stellt
er S. 139 klar heraus.

Nun wissen wir aber nicht (wie ich im Gegensatz zu Joach.
Jeremias meine), ob Jesu letztes Mahl ein Passamahl war, und ob
er die Worte von Lk. 22, 15—18 historisch so gesprochen hat.
Was wir wissen, sind nur die beiden konkurrierenden Traditionsstücke
mit verschiedenen Worten Jesu. So liegt der Schluß
nahe, daß die Urgemeinde die Erinnerung an das letzte Mahl Jesu
in dem Traditionsstück Lk. 22, 15—18 so formulierte, daß es
die Begründung in einem Wort Jesu selbst darstellte für ihr
Passafasten. Mk. 14, 22—24 wäre dann demgegenüber die historisch
treuere Überlieferung.

Die Entwicklung wäre also so: Ausgangspunkt für die Passa-
mahltradition war das Fasten der Urgemeinde am Passaabend,
das keine Beziehung zum Tode Jesu hatte, sondern antithetisch
zum jüdischen Passamahl war. Von daher wurde das letzte Mahl
Jesu in Lk. 22, 15—18 als Passamahl geschildert und damit eine
Begründung gegeben für das Passafasten durch die Worte Jesu vom
Nicht-feiern des Passamahles in der Zeit zwischen seinem Tod
und seiner Parusie.

Heidelberg Karl Oeorg Kuhn

Schmidt, Carl: Koptisdi-gnostisdie Schriften. I. Bd.: Die Pistis
Sophia. Die beiden Bücher des Jeü. Unbekanntes altgnostisches Werk
[hrsg.] 2. Aufl. Bearb. i. Auftr. d. Kommission f. spätantike Religionsgeschichte
der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von
Walter Till. Berlin: Akademie-Verlag 1954. XXXV111, 424 S. gr. 8°
= Die griech.-christl. Schriftsteller der ersten Jahrhunderte Bd. 45
(13). DM 22.-; Lw. DM 25.—.

Dieses Werk ist ein Neudruck der Ausgabe von 1905, der Till
einige Änderungen, Korrekturen oder Erklärungen in der Form
von Nachträgen beigefügt hat. Weil es sich hier um eine Neuausgabe
, nicht um eine Neubearbeitung handelt, hat der Bearbeiter
überall Schmidts Übersetzung beibehalten, wo diese sich irgendwo
rechtfertigen ließ, auch wenn er eine Stelle anders auffaßte
. So hat Till diese Arbeit zu einem pietätsvollen Ehrendenkmal
für Carl Schmidts Gelehrsamkeit gemacht.

Und in der Tat muß man die Einsicht dieses großen Mannes
bewundern, der die so schwierige Genealogie der gnostischen
Systeme im großen und ganzen richtig beurteilt hat, der das Koptische
so gut kannte, daß nach 50 Jahren sehr wenig an seiner
Übersetzung zu verbessern war, und der außerdem immer wieder
neue Schriften — sei es in deutschen Bibliotheken, sei es bei ägyptischen
Antiquaren — entdeckt hat (in seinem Nachlaß fand ich
einige Seiten der koptischen Übersetzung der apokryphen Andreasakten
).

Wir haben heute mehr koptische Originalquellen als damals
zur Verfügung standen, können also die Verhältnisse besser beurteilen
als er, und müssen sagen, daß er doch eigentlich recht
hatte. Schmidt hat immer wieder die Meinung abgewiesen, die
Pistis Sophia sei von Valentin oder einem Valentinianer verfaßt
worden. Das bestätigen die Schriften des Kodex Jung, im besonderen
das Evangelium Veritatis. Allerdings fragt man dann, wie
sich die gelehrte Gnosis eines Valentinus verhielt zur vulgären
Lehre der ägyptischen rvaxnixoi oder meinetwegen Sethianern,
denen Schmidt mit Recht sowohl das Apokryphon Johannis wie
die angekündigten Schriften zuschrieb. Mir ist bei der Lektüre
aufgefallen, daß zwischen dem Evangelium Veritatis und dieser
Schriftengruppe auffallende Übereinstimmungen bestehen: beide
kennen eine Trinität von Vater, Mutter und Sohn, und die valen-
tinianischen Spekulationen über den Sohn als Namen Gottes lassen
sich von den vulgärgnostischen Anschauungen über den
Xoyoi tov 'Ieov als zweite Hypostase nicht scheiden. Das kann