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Ausgabe:

1956 Nr. 11

Spalte:

680-682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Honigmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Patristic studies 1956

Rezensent:

Andresen, Carl

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 11

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&ttov dvva/tiv cxwQtjoev. Svvafin .Potenz' und x°>6c^v .fassen, begreifen
' sind bezeichnende und häufige Begriffe bei Philo1.

VII. Wie vertragen sich der Anonymus, „für uns nach wir vor
ein großer Unbekannter", Unzeitgemäßer, und Philo? Philos Bewunderung
Piatos ist die gleiche, und sie ist ganz unbefangen, anders als
bei den Apologeten. Das bringt ihn dem Anonymus nah. Die exoteri-
schen Schriften und der .Philosoph' zitieren Homer. Beide Autoren beschäftigt
das Problem der Lehrbarkeit großer Leistungen. Philo ist mehr
als ein spintisierender Grübler: Großem gegenüber wurde seine .Inspiration
' geweckt. Beide sind an Rhetorik interessiert, bei Philo finden
sich sogar technische Anweisungen. Können sie einander begegnet sein?
Wilamowitz datiert xegl vyovs ,um 40'. Im gleichen Jahr war Philo in
Rom, und der Anonymus auch, wie vorher aus Indizien erschlossen.
Am 24.1.41 wurde Gaius gestürzt. In den Monaten darnach wurde
Demokratie das Schlagwort. Der Senat dachte an Rückkehr zur Republik
. .Freiheit' war das zum erstenmal von den Konsuln wieder ausgegebene
Losungswort. Nach der Erhebung des Claudius war es damit
zu Ende. In diesen Monaten wäre das Gespräch aktuell, wie weder vorher
nodi nachher. Sie brachten Philo die Demütigung durch Gaius und
darnach die volle Rehabilitation, Ehrungen, die Heirat des Neffen mit
Agrippas Tochter in Rom, der Philo wohl anwohnte. Beide Autoren
sind gehobenen Alters; sie erlebten die zweite Hälfte des Prinzipats
als Jünglinge, Tiberius und Gaius bis an die Schwelle des Greisenalters,
gereift, resigniert, aber nicht müde. Das Gespräch muß in den ersten
Monaten 41 stattgefunden haben, und der Anonymus verweist darauf
mit evayxoi ,vor kurzem'. Die Wahrscheinlichkeit persönlicher Beziehungen
erlaubt einen weiteren Schluß. Was im Zitat Josephus so nahesteht
, mag wohl aus Philos verlorener 'Ynhg 'Iov&alcov 'AnoXoyia stammen
, „insoweit es den Angriff auf die homerische Theologie und die
Prädikation der mosaischen enthält"; „denn die Antithese .homerischer
Polytheismus — jüdischer Monotheismus' war ein solches Inventarstück
der Apologetik, daß auch Philo in seiner Schrift daran nicht vorübergehen
konnte", so wenig wie in seinen anderen Schriften.

Von der Fülle der Belege, Parallelen und fesselnden Einzelheiten
kann das knappe Referat keinen Begriff geben. Was uns
jetzt, nach Ablauf von mehr als einer Generation, als beglückende
Überraschung geboten wird, muß auf dem Hintergrund seiner
früheren Arbeiten wie der Beiträge seiner Fachgenossen gesehen
werden. Die Schrift n. v. samt ihren Problemen hat N. oft und
viel zu denken gegeben. In der „Kunstprosa" (127 f. und bes.
245 ff.) ist es der Niedergang der Beredsamkeit beim Übergang
von der Öffentlichkeit in die Schulstube nach dem Verlust der
Freiheit. Hier führt er Cicero, Quintilian, Velleius, Tacitus auf
griech. Quellen zurück, auch Seneca Vater und Sohn (ep. 114
nahe bein.v. 44, 6 f.). Bei letzterem nimmt er die Rede des .Philosophen
' als Fiktion. Wenn dieser den Gedanken als ,in aller
Munde' (to •&qvXovjuevov) bezeichnet, so kann N. auf Aristoteles
hinweisen, der die Entstehung der sizilianischen Beredsamkeit
vom Sturz der Tyrannen an datiert und der auch Ciceros Brutus
46 zugrunde liegt. Im „Agnostos Theos" (107 f.) verfolgt er
einen speziellen Gedanken durch die Literatur, wobei wieder n.v.
(35, 2) eine Rolle spielt. Hier ist sich N. der Notwendigkeit bewußt
, mit der „Tatsache zu rechnen, daß piaton. und stoische
Gedanken und Ausdrucksformen mit der Zeit in einem fast beispiellosen
Grade Gemeingut weitester Kreise geworden sind",
und weiß sich von der Illusion frei, Nach- und Anklänge von
Motiven und Ausdrücken ließen auf direkte Benutzung eines bestimmten
Autors und vielleicht gar einer bestimmten Schrift
schließen. Das beirrt ihn aber nicht, wenigstens die Gegend des
Einflusses zu bezeichnen (irgendwie Poseidonios). Daß dann im
Hermes hintereinander in sehr beachtlichen Aufsätzen 1915
K. Ziegler in schwungvollen, aber betont gefühlsbestimmten
Ausführungen das Genesiszitat als notwendig interpoliert hinstellte
und 1917 H. Mutschmann es in imponierender Sachlichkeit
siegreich als unbedingt echt erwies, mag N. den unmittelbaren
Anstoß gegeben haben. Was wir von den Vorstufen der vorliegenden
Abhandlung haben und wissen, beschränkt sich auf die
ersten Abschnitte. „Den Autor, der ihm (dem Anonymus) das
Zitat vermittelte, mit Namen zu benennen, wird schwerlich je
gelingen: es muß genügen, die Sphäre bezeichnet zu haben, der

*) Für xmee^v findet N. 25 Belege bei Philo, die Lexika weit hinter
sich lassend, als stets angebrachte Warnung, sich auf sie zu verlassen
. Leisegangs Index (1926—30) verzeichnet x<oqüv so wenig wie
ojiägyavov ; seine Beschränkung auf das philosophisch und theologisch
Wichtige schließt manches aus, das, wie hier bei N., nachträglich Bedeutung
hierfür gewinnt.

es entstammte und den Weg, den es durchlief, bis es von der
Antithese zur Parataxe herabsank", heißt es in der ersten Niederschrift
, wie Joh. Stroux, der Herausgeber, im Vorwort berichtet
. III—V sind also erst 1923 neu hinzugekommen, nicht ohne
das Ganze tiefgreifend umzugestalten. Nach welcher Richtung
eine weitere Umarbeitung gegangen wäre, ist nicht zu sagen.

Diese Übersicht beantwortet einen der Einwände, die uns
heute vielleicht näher liegen als damals. Daß Philo kein Philosoph
ist, dafür verweist schon N. auf Ed. Schwartz und Brehier.
Aber immer deutlicher ist seither erkannt und gesagt worden,
daß Philo eigentlich nichts ist als ein Tradent ohne ihn verlorener
Traditionen, nach W. L. Knox ein Lasttier, an dem die Ladung
das Wichtigste ist. Konnte der Anon. an ihm und bei ihm
das finden, was N. voraussetzt? Wo alles seit Jahrhunderten vorhanden
war und Philo als Autor eine etwas zerblasene Figur
darstellte? Dieser erste Einwand hat bei mir jedenfalls nicht vorgehalten
. Bei häufiger Lektüre wurde mir deutlich, daß N. sehr
viel davon auch gesehen und nichts von dem, was er früher gesehen
, beiseite gesetzt hat. Er beklagt sich aber mit Recht über
die blutlosen Beschreibungen Philos in den Philosophiegeschichten
und belebt seinerseits das Bild nach der sozialen und praktischen
Seite mit vielen Belegen aus Philos Schriften als das eines
Mannes von Welt und Teilnehmers am Leben in allen seinen
Formen und an seinen Vergnügungen, in einem Umfang, daß
Philo selbst hinterher Bedenken aufstiegen. Weiter aktualisiert
N. die ganze Frage, indem er betont, daß in Alexandria schon
zur Zeit der Ptolemäer die schärfste demokratische Kritik geübt
wurde und daß die gegebene Zeit für die Aktualisierung dieser
Strömung die nach Gaius' Tod war, den Philo in Rom als ein
persönlich Betroffener erlebte.

Zum ideengeschichtlichen tritt das Moment der lexikalischen
Beobachtung. Was N. über die beiden Autoren gemeinsame Verknüpfung
des Bildes von den anäqyava mit dem derben Wort
xovdvM&iv sagt, hat volles Gewicht, und bei der schließlichen
Rückwendung zum Genesiszitat kann er in gleicher Weise, neben
vielem, das er mit Recht beiseite setzt, auf die ebenso verknüpften
so philonischen Wendungen fieia dvvajuig und xeogetv
.fassen' verweisen, wobei ihm eigne Lektüre weit mehr liefert
als die üblichen Hilfsmittel. Bedenken wir weiter, daß die ganze
1923 neu hinzugekommene Gleichsetzung des „Philosophen' mit
Philo (III—V) aus N.s feinem Stilempfinden heraus bei aller
Exaktheit der Beweisführung in steigendem Maße an den Ton
der abschließenden Mythen Piatos anklingt, so ist uns ein weiteres
Bedenken im voraus aus der Hand genommen. Dieses Bild
von Philo, der die unwürdige Behandlung durch Gaius mannhaft
erträgt und unmittelbar nach dessen Tod durch eine Fülle von
Rehabilitationen seiner Person und Familie hindurchgeht, ist so
neu wie glänzend und überzeugt zum mindesten auf der überbegrifflichen
Wahrheitsebene des platonischen Mythus. N. hat
immer mehr gesehen als andre und manchmal erfahren müssen,
daß diese andern nicht all das sehen konnten, was er ihnen
glaubte gezeigt zu haben. Wie weit das hier zutrifft, wage ich
nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die Weise, in der der neue Abschluß
über den .Philosophen' zum Anfang zurücklenkt und ein
zusätzliches Argument für das Hauptthema liefert, ist äußerst
eindrücklich. Sollte es, bei aller früheren Betonung N.s hinsichtlich
der Herrenlosigkeit all dieser piaton. und stoisierenden Gedanken
, eben doch möglich sein, in Philos verlorener Apologie
die unmittelbare Quelle für den Anon. zu finden? Ist es der Zauber
von N.s Darlegungen oder eine Wirklichkeit dahinter, was
uns bis zum Schluß mit ihm gehen läßt, so wenig die Bedenken
völlig schweigen können? Mit dieser Frage, als Ausdruck der
Bewunderung für den Autor und des Dankes für die endliche
Veröffentlichung, darf ich den Leser entlassen.

Cambridge peter Katz

Honigmann, Ernest: Patristic Studics. Citta del Vaticano: Biblio-
teca Apostolica Vaticana 1953. VII, 255 S. 4* = Studi e Testi 173.

Die in vorliegender Sammlung zusammengestellten Aufsätze
hängen mit Vorarbeiten des Verfassers für eine Neuausgabe des
„Oriens christianus" von Le Quien zusammen. Sie beweisen, daß
dieses begrüßenswerte Vorhaben in den Händen eines hervor-