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Ausgabe:

1956 Nr. 11

Spalte:

663-670

Autor/Hrsg.:

Schoeps, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1956

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 11

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besonders zur weiteren Klärung und Durchdenkung seiner Thesen
durch M. selbst, würde m. E. am Kern der Sache vorbeizielen und
dem Wesen des von M. gegebenen Geschichtsbildes nicht gerecht
werden. Zu seiner grundsätzlichen Sicht — Christus, die Mitte
der Zeit, der Drehpunkt der Geschichte der gefallenen Schöpfung
— können wir nur dankbar ja sagen. Es kann wohl kaum
genug betont werden, wie notwendig und zugleich hilfreich eine
solche Besinnung auf die dem christlichen Glauben und Denken
allein gemäße Geschichtsschau, man kann fast sagen: Geschichtstheologie
, gerade heute ist. Demgegenüber fällt auch kaum ins
Gewicht, daß die kurze Definition des Kirchenbegriffes, die wir
skizzenhaft wiedergaben, kaum ausreicht und vor allem sehr
wesentliche Gesichtspunkte der offiziellen katholischen Definition
vom Wesen der Kirche unberücksichtigt läßt. Das hier näher
auszuführen, scheint gerade an diesem Orte nun nicht notwendig
. Da für die Thesen des Büchleins diese Mängel im Kirchenbegriff
nicht ausschlaggebend sind und auch nicht sein können,
dürfen wir uns mit dieser Andeutung wohl begnügen.

Fassen wir abschließend zusammen, so wird die Antwort
auf diesen schönen und auch kühnen Versuch nur aufrichtiger
Dank sein können. Wenn wir auch nicht in jedem Punkte gleicher
Ansicht sein können, so muß doch erneut hervorgehoben werden
, daß das Büchlein von M. wie kaum ein anderes zu ähnlichen
Fragestellungen in reichstem Maße anregt und geradezu
zum eigenen Durchdenken seiner Probleme zwingt. Darin liegt
sein bleibender Wert. Man möchte wünschen, daß M. Gelegenheit
finden wird, seine im vorliegenden, aus einem Vortrag erwachsenen
Büchlein vorgetragenen und oft nur allzu knappen
Gedanken und Aussagen einmal weiter ausgebreitet, klarer formuliert
und besser fundiert darzustellen. Die vorliegende Arbeit
wäre eine solche Erweiterung und Vertiefung wohl wert! Wenn
es gestattet ist, zu einer solchen Ausarbeitung Anregungen und
Bitten anzumelden, so sei folgendes genannt: eine Vervollständigung
des Kirchenbegriffes; eine ausführlichere Darlegung
der Anschauungen sowohl von der vorchristlichen wie von
der christlichen Kunst unter Nennung von weit mehr Beispielen
und unter Berücksichtigung der einschlägigen religiös bzw. religionsgeschichtlich
wertenden Literatur; eine deutliche Definition
der Begriffe „abstrahierende" und „abstrakte Kunst" (jetzt muß
man mehr erahnen, was damit gemeint ist, so fruchtbar und richtig
die Unterscheidung auch ist) und manches andere mehr. Diese
Wünsche für eine eventuelle Überarbeitung aber sollen keinesfalls
das dankbare und bejahende Urteil über die vorliegende
Form beeinträchtigen.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

35. Die Opposition gegen die Hasmonäer

Von Hans-Joachim S c h o e p s

In meinem Buch „Urgemeinde-Judenchristentum-Gnosis"1
habe ich die Behauptung aufgestellt, daß in den Schriftrollen vom
Toten Meer eine Oppositionsgruppe priesterlicher Legitimisten
gegen die Dynastie der Hasmonäer zu Worte komme, die sich
selber Bene Sadoq nennen2. Mit den Sadduzäern der herodiani-
schen Zeit und des Neuen Testaments haben sie nichts zu tun3.
Der laut 2. Makk. 4, 34 f. (vgl. Dan. 9, 26) um 170 im ägyptischen
Exil in Daphne ermordete letzte Sadoqit Onias III. (hebr.
Chonjo) ist nämlich für diese protestierende Oppositionspartei
der letzte rechtmäßige Hohepriester gewesen, was sich auch noch
aus den Menachot 109b berichteten Kontroversen erkennen läßt.
Das eigentliche Horrendum aber, das ihren religiös bedingten
Protest herausgefordert hat, ist späterhin die hasmonäische Verbindung
der Hohenpriesterwürde mit dem davidischen Königtum
geworden. Wenn diese Behauptungen zutreffen, dann wird es
möglich, den religionsgeschichtlichen Standort der hinter DSS und
CDC stehenden Gemeinde genau zu bestimmen.

Wir gehen vom historischen Sachverhalt aus: Als die Mak-
kabäer im Jahre 167 die jüdische Volkserhebung gegen die seleu-
cidische Fremdherrschaft begannen, den Freiheitskampf gegen
Antiochus IV. Epiphanes proklamierten und durch ruhmreiche
Waffentaten zu einem siegreichen Ende führten, war eine gänzlich
unvorhersehbare Situation geschaffen worden. Ein neuer selbständiger
Judenstaat begann sich zu formieren, der an territorialem
Umfang bald das davidische und salomonische Reich übertreffen
sollte. Die nationale Begeisterung und die Dankbarkeit
des Volkes war so groß, daß man nunmehr sogar bereit war,
einem depravierten niederen Priestergeschlecht, einer Familie
ohne jeden Jichuß wegen ihrer militärischen Erfolge die poli-

*) Tübingen (Verlag J. C. B. Mohr) 1956, 76 — Anhang: Dead Sea
Scrolls und Pseudoklementinen

2) CDC 4, 3 f.; 6, 2 f.; 11,1 f. u. ö.; DSD 5, 2; 5,9; 8,8-10;
9, 6—7; 9, 14 u. ö. DSH kennt den Namen nicht.

3) Was der Priestersohn Josephus über die Sadduzäer als Partei und
Weltanschauung sagt, ist unhistorisch. Durch die Identifikation von
Gruppenbildungen verschiedener Jahrhunderte und die Vermischung
heterogener Motive hat Josephus — vielleicht mit bewußter Absicht —
die tatsächlichen Ereignisse und Entwicklungen eingenebelt.

*) Es handelt sich um die Familie eines gewissen Hasmon in Modein
aus dem Priestergeschlecht Jojarib (Neh. 12, 6, 19; l.Chr. 24, 7).
Vgl. E. Stauf f er: Probleme der Priestertradition, ThLZ 19 56, 140:
„Die Hasmonäer sind von Haus aus kleine Dorfpriester und gehören
nicht zum aaronidischen, noch viel weniger zum sadoqitischen Uradel."
Ich ergänze, daß nach einer Taanith 27b, Arakhin 13a par. überlieferten
Nachricht sogar ihre Zugehörigkeit zur Tempelpriesterschaft fragwürdig

tische Führung zuzugestehen. Judas Makkabäus war ein Freiheitsheld
; er wird von den beiden Makkabäerbüchern auch geziemend
verherrlicht; seine ihm nachfolgenden Brüder Jonathan und Simon
treten in ihrer Schilderung im Vergleich mit ihm zurück.

Aus der Geschichtsschreibung des Josephus, der noch lange
post rem factam ihre Partei ergreift, ist uns bekannt, daß seit
dem Tode des Aaroniden Jakim (gräzisiert: Alkimos) im Mai
160 — dieser hatte das Hohepriesteramt zu einer Denunziationsbehörde
für den Feind erniedrigt — das Amt mehr als sieben Jahre
unbesetzt geblieben war. Aber im Oktober 152 legte der noch
von Alexander Balas eingesetzte Jonathan Makkabäus das Priestergewand
an (l. Makk. 10, 1 ff.). Diese „Machtergreifung"
wurde nachträglich legalisiert und die Hohepriesterwürde sogar
zum hasmonäischen Erbprivileg erklärt, als nämlich am 18. Elul
141 eine große Versammlung der Priester und des Volkes in Jerusalem
zusammentrat, um folgenden Beschluß zu fassen: Von
nun ab solle Simon Makkabäus aQxisQer'ig, OTQarriydg xal e#-
vaQXVG (bzw. fiyov/jiEvos) rcöv'Iovdatcov sein, — und zwar auf
ewig, bis ein wahrer Prophet aufstünde (l. Makk. 14, 41). Damit
war die Prätendentschaft Onias IV., der in Leontopolis am Gegentempel
als Hohepriester amtierte, endgültig ausgeschaltet. Die
Makkabäerbücher und Josephus haben uns aber verschwiegen, daß
dieser Beschluß nicht ohne Protest geblieben, sondern auf erbitterten
Widerstand der Legitimisten gestoßen ist. Daß es gegen
die neue Dynastie Protest von Anfang an gegeben hat, war bereits
aus apokryphen Texten des 2. und 1. Jahrhunderts zu entnehmen
; mit den neuen DSS bekommen wir heute das eigene
Schrifttum der Opposition in die Hände.

Im folgenden sei dargestellt, welche Gründe die Opposition
eigentlich gehabt hat.

1. An erster Stelle aller Erwägungen ist das traditionalistische
Motiv zu vermuten, denn die Opposition ist von den seit Generationen
der Fremdherrschaft angepaßten Priesterfamilien getragen
worden, in deren Verband die Hohepriesterwürde bislang
erblich gewesen war. Nach der priesterlichen Geschichtsdarstellung
hat Israel Hohepriester in ununterbrochenem Erbgang gehabt, die
aus dem Geschlecht de6 Oberpriesters Sadoq unter König Salo-
mon stammen. Die Liste in 1. Chr. 5, 29—34 führt von Aaron
bis Sadoq und wird weitergeführt bis zum babylonischen Exil
(35—41); nach Neh. 12, 10—11 bis ins 4. vorchristliche Jahrhun-

geworden war. Die Jojaribs waren nämlich zu lange im Exil geblieben:
als sie zurückkehrten, waren die 24 Priesterwachen des zweiten Tempels
bereits eingeteilt.