Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1956 Nr. 11

Spalte:

653-656

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Die Stellung Hessens in der Reformationsgeschichte 1956

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

653

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 11

654

im Grunde meinen wohl Elliger wie von Rad etwas anderes als
die von uns definierte. Typologie, nämlich die Herausarbeitung
der Strukturverwandtschaft in der Gotteserfahrung des Alten und
Neuen Testaments, kraft deren Gottes Handeln in seiner Gemeinde
hier und dort die gleichen Ziele verfolgt und den einen
Bund durch den anderen erläutert. Darauf deutet wenigstens die
Exegese der Genesis, die von Rad im ATD bietet, soviel ich sehe,
deutlich hin. Baumgärtel hat diese Exegese unter das Gesamtthema
der „Grundverheißung Gottes" gestellt; Jepsen findet diese Bestimmung
zu eng und möchte lieber als das Grundthema die alt-
testamentliche Geschichte als (auf Christus gerichtete) Geschichte
Gottes mit Israel wählen. Man müßte wohl noch stärker die entscheidende
Bedeutung des Gottesvolkes in seiner Berufung zur
Lebensgemeinschaft mit Gott in beiden Testamenten hervorheben
und die Exegese als ex analogia fidei oder communicationis
ergehend charakterisieren. Wie dem auch sei, die Typologie wird
dabei nur eine dienende Rolle spielen, in dieser Stellung aber der
sachgemäßen Exegese nicht unwürdig sein.

Die Stellung Hessens in der Reformationsgeschichte

Aus Anlaß zweier wichtiger Publikationen

Von R. Stupperich, Münster/Westf.

Die territoriale Kirchengeschichte der Reformationszeit ist
in so starkem Maße mit der politischen und kirchlichen Geschichte
des Reiches verbunden, daß Quellen, die aus den Archiven
eines Landes herausgegeben werden, meist weit über die
Grenzen dieses Landes hinausgreifen und deshalb auf ein allgemeines
Interesse rechnen dürfen. Soweit die Bemühungen der Reformationshistoriker
in den letzten hundert Jahren auch gegangen
sind, so muß doch festgestellt werden, daß es an Quellenpublikationen
aus dieser Zeit noch immer in unwahrscheinlichem
Maße fehlt. Bestände wichtigster und größter Archive wie des
Weimarer sind noch gar nicht in Angriff genommen, von vielen
kleineren Archiven, die für die Reformationszeit erhebliches Material
herzugeben haben, ganz zu schweigen. Für die wenigsten
deutschen Territorien gibt es ein Urkundenbuch der Reformation,
wie es in vorzüglicher Weise Paul Tschackert vor fast 70 Jahren
für das Herzogtum Preußen geschaffen hatte. Und doch muß der
Wunsch danach immer wieder vorgebracht werden. Wenn die
quellenmäßigen Grundlagen für die Reformation eines Territoriums
noch nicht in der notwendigen Weise veröffentlicht sind,
dann dürfen wir uns nicht darüber wundern, daß es keine neuen
reformationsgeschichtlichen Darstellungen gibt, deren wir für die
meisten deutschen Länder dringend bedürfen. Der heute bestehende
Zustand, daß die zusammenfassende Darstellung der Reformationszeit
für manche Gebiete mehr als hundert Jahre zurückliegt
, kann nicht mehr als erträglich bezeichnet werden. Um
einem Einwand gleich zu begegnen, muß folgendes festgestellt
werden: Es läßt sich auch einem Territorialkirchenhistoriker in
unseren Tagen nicht mehr zumuten, daß er in allem sein eigener
Kärrner sei. Grundlegende Publikationen sind notwendig, ehe
eine größere Darstellung geboten werden kann. Besitzen wir erst
die Quellenpublikationen, um die sich heute dankenswerterweise
die historischen Kommissionen der verschiedenen Länder bemühen
, dann gewinnen wir die Hoffnung, daß demnächst die Bearbeitung
der heimatlichen Reformationsgeschichte in einzelnen
Gebieten unseres Vaterlandes neue Früchte hervorbringt.

Die historische Kommission für Hessen und Waldeck ist in
dieser Hinsicht vorangegangen. Mit großer Freude können wir
gleich auf zwei Publikationen hinweisen, die für die hessische wie
für die allgemeine Reformationsgeschichte von Bedeutung sein
werden. Die erste nennt sich „Urkundliche Quellen zur hessischen
Reformationsgeschichte 1525—1547"1 und kommt in etwa
schon einem Urkundenbuch nahe. Mit vollem Recht betont der
Herausgeber, daß in den letzten fünfzig Jahren über solchen Editionen
ein Unstern gestanden hat. Die meisten der um die Jahrhundertwende
begonnenen Unternehmungen dieser Art sind stekken
geblieben und konnten aus den verschiedensten Gründen
nicht zu Ende geführt werden. In unseren Tagen ist für den einzelnen
Bearbeiter die Bewältigung einer solchen Aufgabe, wenn
er sie nicht gerade hauptamtlich zu betreiben hat, kaum mehr
möglich. Notwendigerweise werden auf diesem Gebiet Gemeinmensen
Materials, dazu kamen aber Zeitschwierigkeiten, die den
einzelnen Bearbeiter sich nicht ausschließlich auf diese Aufgabe
konzentrieren ließen. So kommt es, daß ein halbes Jahrhundert
vergehen mußte, ehe der Band fertig vorlag. Drei Generationen
haben daran gewirkt, wobei ein Bearbeiter das Werk an den anderen
vererbte. Das Manuskript, das Günther Franz zuletzt entscheidend
bestimmt und gestaltet hat, enthält auch die Arbeitsleistung
von Walther Köhler, Walter Sohm und Theodor Sippel.
Die Tatsache, daß die Korrespondenz Adam Kraffts, die F. W.
Schäfer gesammelt hat, in diesen Band eingearbeitet werden
konnte, wird bei ihrem vorwiegend allgemeinen Charakter nur
begrüßt werden. Hatte Walter Sohm in seinem Einleitungsbande
„Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte
1525—1 555" den engen Zusammenhang von staatlichem und
kirchlichem Wirken bereits hervorgehoben, so wird nunmehr die
gesamte landeskirchliche Verwaltung für Hessen neu dargestellt
werden müssen.

Die neue Publikation hebt aber darüber hinaus die Bedeutung
Hessens für die allgemeine Reformationsgeschichte stark
heraus. Landgraf Philipp von Hessen ist eine zentrale Figur für
das gesamte Zeitalter. Vorläufig gehen die Ansichten über seinen
Charakter und seine religiösen Überzeugungen noch sehr weit
auseinander. Daher ist es von entscheidender Wichtigkeit, das
Material zu erweitern, das uns die Möglichkeit gibt, zu einhelligeren
Auffassungen zu gelangen. Für das Jahr 1524, in dem Landgraf
Philipp sich für die Reformation entschied, trägt allerdings
das Marburger Archivmaterial nichts Neues aus, wohl aber für
die folgenden Jahre, in denen der Landesherr dem gesamten kirchlichen
Leben ein bestimmtes Gepräge zu geben weiß in Gottesdienst
, Synoden und Besetzungen. Hessen wird zum Kirchengebiet
, das neben Sachsen häufig in anderen Formen das Beispiel
bietet, wie die reformatorischen Gedanken in die Praxis umgesetzt
werden. Von Bedeutung sind dabei die Frage der Verwendung
des Kirchengutes, der Stellung der Bruderschaften, der Kastenordnungen
usw. Tritt uns hierin die hessische Lösung der
Reformationsaufgaben entgegen, so finden wir entsprechend der
führenden Rolle, die der Landgraf unter den evangelischen Ständen
und im Reich spielte, in dieser Publikation eine Fülle von
Dokumenten, die die allgemeinen Fragen des Zeitalters beleuchten
. Aus der Fülle der Probleme braucht nur die Frage nach der
Stellung zu den Religionsgesprächen und zum Konzil herausgegriffen
zu werden, um ihre Weite zu kennzeichnen. Daß die hessischen
Täuferakten bereits gesondert herausgegeben sind, bedeutete
für diese Edition eine starke Entlastung. Wie es bei derartigen
Publikationen Brauch ist, hat sich der Herausgeber bei
der Kommentierung auf das Allernotwendigste beschränkt. Da
der folgende Band ein ausführliches Register bringen wird, sind
alle biographischen Verweise diesem vorbehalten worden. Bei
allen Schwierigkeiten, unter denen dieser Band entstanden ist,
muß ihm in der Auswahl und Darbietung des Stoffes sachliche

Schaftsarbeiten eintreten müssen. Zu dieser Feststellung führt j Strenge und äußerste Prägnanz nachgerühmt werden,
schon das Schicksal des vorliegenden Bandes. Freilich bestanden ^ickt weniger bedeutsam als der genannte Urkundenband

die Schwierigkeiten in erster Linie in der Bewältigung eines im«

') Franz, Günther: Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte
. II. Bd. 1 52 5—1 547. Bearb. nach Walter Köhler, W
Sohm, Th. Sippell und Fr. W. Schäfer. Marburg: Elwert 1954. XIX,
■456 S. 4° = Veröffentl. d. Histor. Kommission für Hessen und Waldeck
11,2. DM25.— ; geb. DM 27.—.

ist der fast gleichzeitig erschienene 3. Band des Politischen Archivs
des Landgrafen Philipp von Hessen, bearbeitet von Walter
Heinemeyer2. Zwischen dem Erscheinen der ersten beiden Bände

!) Heinemeyer, Walter: Politisches Archiv des Landgrafen
Philipp des Großmütigen von Hessen. Inventar der Bestände. III. Bd.