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Ausgabe:

1956 Nr. 1

Spalte:

45-47

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Diesner, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Studien zur Gesellschaftslehre und sozialen Haltung Augustins 1956

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 1

46

Ullendorf f, Edward: A Mistranslation from Aramaic?
New Testament Studies 2, 1955 S. 50—52.

Unnik, W. C. van: Opmerkingen over het doel van Lucas' geschiedwerk
(Luc. I, 4).

Nedcrlands Theologisch Tijdschrift 9, 1955 S. 323—33 1.
Winter, Paul: Two Notes on Luke 1,2 with Regard to the Theory
of .Imitation Hebraisms'.
Studia Theologica 7, 1954 S. 158-165.

— "077 Recitativum in Luke 1, 25. 61; 2, 23.

The Harvard Theological Review 48, 1955 S. 213—216.

— The Treatment of His Sources by the Third Evangelist in Luke
21—24.

Studia Theologica 8, 1954 S. 138—172.
Wood, H. G.: The Conversion of St. Paul: its Nature, Antecedents
and Conscquences.

New Testament Studies I, 1955 S. 276—282.

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Di es n er, Hans-Joachim: Studien zur Cesellschaftslehre und sozialen
Haltung Augustins. Halle: Niemeyer 1954. 124 S. 8°. DM 7.15.

Der Verfasser der vorliegenden Studie will die Einwirkung
des sozialen Bereichs auf den religiösen bei Augustin schildern,
und zwar in bewußtem Gegensatz zu den bisherigen Darstellungen
der Soziallehren Augustins, wo die Sicht des Gesellschaftlichen
noch zu stark vom Religiösen her erfolge. Dabei soll eine
Wechselwirkung beider Sphären anerkannt bleiben (S. 13).

Der Verfasser, der sich nicht auf eine Klärung der Begriffe
„sozial" und „Gesellschaft" einläßt, vertritt die Ansicht, daß
Augustins „soziale" Lehre und Haltung entscheidend bestimmt
ist von seiner „gutbürgerlichen" Herkunft (S. 13) und seiner Umgebung
, die aus Angehörigen des Bürgertums und der Aristokratie
besteht (S. 19). Augustins Klasseninteressen haben sein
Christentum und seine Menschlichkeit beeinträchtigt (S. 117).
Diese These wird nach einleitenden Bemerkungen über die Wirtschaftslage
des spätantiken Nordafrika (S. 10-12) in Untersuchungen
über Augustins Leben und Umwelt vor und nach seiner
Bekehrung (S. 12-23), über die Besitzlehre Augustins, sein Verhältnis
zu arm und reich, seine Anschauungen über die menschliche
Gesellschaft überhaupt und die einzelnen Herrschaftsverhältnisse
(Staat, Familie, Sklaverei) (S. 23-55), sein soziales Verhalten
im Kampf gegen die Donatisten (S. 5 5-92) und seine Beziehungen
zu einzelnen Angehörigen der Oberschicht (S. 92-112)
entwickelt.

Augustins Bekehrung hat keine Änderung seiner Bindung
an die Oberschicht gebracht. Er erhält seinen gesellschaftlichen
Verkehr aufrecht, auch aus „Geltungsdrang" und „taktischen
Gründen" (S. 21). Seine Askese bedeutet abgesehen von der Befolgung
des Keuschheitsgelübdes „wesentlich nur den Verzicht
auf die mühcvoile, ihm immer unangenehmer werdende wirtschaftliche
Eigenexistenz, für die er eine bescheidene, aber doch
angemessene Lebenshaltung eintauscht" (S. 117).

Daß Augustin „durch Herkunft, Bildung und Umgang immer
darauf angelegt" ist, „sich leicht auf den Standpunkt der
Reichen zu stellen" (S. 31 A. 4), erweist sich auch in seiner Lehre
vom Besitz. Er macht zwar den guten Gebraudi zur Voraussetzung
für jeden rechtmäßigen Besitz, polemisiert aber gegen Neuverteilung
des Besitzes, weil die überwiegende Mehrzahl der jeweils
Besitzenden doch Ungerechte wären (S. 24 f.). Es liegt
Augustin daran, den Besitzstand der herrschenden Klasse zu sichern
(S. 28). Er legt ihren ausbeuterischen Tendenzen nichts
Wesentliches in den Weg, sobald sie nur seiner Caritas Forderung
nachkommt (S. 37).

Aus den Prinzipien der Gesellschaftslehre des Bischofs, die
der Verfasser in durchaus aktuell anmutender Weise von der
Friedenslehre Augustins ausgehend darstellt, wobei er sich an
Harald Fuchs anlehnt, entnimmt er eine weitere Bestätigung seiner
Grundthese, daß Augustin dem Klasseninteresse verfallen
ist. Die Problematik der Gescllschaftslehre Augustins liegt darin,
daß sie „einerseits alle menschlichen Beziehungen auf Friede,
Eintracht und Ordnung im Sinne gegenseitig verpflichtenden

Dienens aufbaut, um andererseits die Obrigkeit durch eine fast
ins Ungemessene gesteigerte Autoritäts- und Machtfülle aus der
Gemeinsdiaft mit der beherrschten Schicht wieder herauszulösen"
(S. 40). Augustin glorifiziert also die irdische Macht und Autorität
weithin wegen der Interessengemeinschaft zwischen der Kirche
und großen Teilen der Oberschicht (S. 45 A. 3).

Damit dürfte das Anliegen des Buches hinreichend gekennzeichnet
sein. Es kommt auch bei der Einstellung Augustins zur
Sklaverei und in seinem Verhalten gegenüber den Donatisten
und einzelnen Angehörigen der Oberschicht zum gleichen Ergebnis
: Augustin mißt die Menschen mit zweierlei Maß (S. 100). Er
hat weitgehendes Verständnis für die Höherstehenden, nicht
aber für die Unterschicht (S. 114) und bleibt damit zum Teil
„selbst hinter der israelitischen Moral" zurück (S. 45 A. 1).

Der Verfasser, dem eine bestimmte Lösung der sozialen
Frage vorschwebt, vermißt diese Lösung bei Augustin und gelangt
dadurch zu einer Kritik an ihm, die an die berüchtigte Au-
gustindarstellung Otto Seecks erinnert. Demgegenüber muß die
Forderung erhoben werden, die Soziallehren Augustins zunächst
in ihrer Eigenart und ihren Absiditen zu verstehen. Das soziologische
Denken des Bischofs ist durchaus auf das summum bo-
num bezogen. Die menschliche Gesellung entsteht nicht bloß aus
dem Sozialtrieb (De civ. 19, 12), sondern vor allem aus der Liebe
zu einem höchsten Gut, welche die Menschen zusammenführt
(De doctr. ehr. 1, 29, 30; De civ. 14, 28). Da für Augustin Gott
dieses höchste Gut ist, kann seine Soziallehre und sein soziales
Verhalten nicht vom Ökonomischen, sondern nur vom Religiösen
her begriffen werden. Er betrachtet die mensdilichen societa-
tes daraufhin, ob sie von der Liebe zu Gott oder von der Liebe
zur Welt zusammengehalten werden. Die aus B. Legewie (Augustinus
, eine Psychographie, Bonn 1925, S. 123) übernommene Bemerkung
des Verfassers, daß die „egozentrische" Hinwendung
auf Gott bei Augustin zur Vernadilässigung der Nächstenliebe
führt (S. 112), zeigt, daß er die Verwurzelung der Soziologie
Augustins in der Gottesliebe nicht erkannt hat. Ja, Augustin ist
soweit von „egozentrischer" Hinwendung auf Gott entfernt, daß
für ihn Gott gegenwärtig ist in unserer Liebe zueinander. Dazu
sei auf das schöne Augustinbudi von J. Burnaby, Amor Dei, London
1947, S. 161 verwiesen.

Diesner gewinnt seine Ergebnisse z. T. aus unzutreffenden
Interpretationen augustinischer Texte. Nur einige Beispiele seien
genannt.

Die Stelle De serm. Dni. in monte 1, 19, 59 enthält, wie Van der
Meer (Augustinus der Seelsorger, Köln 1953, S. 154) richtig gesehen hat,
die Mahnung, daß „man mit einem Sklaven nicht so umspringen kann,
wie mit Geld oder einem Pferd, audi wenn sein Handelswert manchmal
niedriger war". Diesner bemerkt jedoch dazu: „Der Eigenwert des Sklaven
wird hier in herkömmlicher Weise als niedrig veranschlagt; die gesamte
äußere Existenz sowie sein Menschsein tritt bei der Erörterung der
Eigentumsübertragung völlig zurück" (S. 42 f.).

En. in ps. 124, 7 heißt es: Ecce non feeit (Christus) de servis liberos,
seil de malll servis bonos servos. Quantum debent divites Christo qui
illis componit domuml Ut si fuit ibi servus infidelis, convertat illum
Christus, et non ei dicat, Dimitte dominum tuum. Diesner deutet diese
Stelle so, daß Augustin hier die Herren auf den materiellen irdischen
Nutzen hinweist, der ihnen aus der kirchlichen Beeinflussung der Sklaven
entsteht. Den Sklaven dagegen wird die Nutzlosigkeit irdisdier Güter
und die Gottgewolltheit ihres Zustands vorgehalten (S. 44). Auch hier
sind die Worte Augustins, der sich im Sinne des Neuen Testaments nicht
um Abschaffung der Sklaverei, sondern um eine Veredelung des Verhältnisses
zwischen Herren und Sklaven bemüht, durchaus mißverstanden.

Die wesentlich auf De civ. 19, 16 gestützte Behauptung, Augustin
habe die Obrigkeit der beherrschten Schidit „nicht nur in den irdischen,
sondern auch in den sittlich-religiösen Dingen" übergeordnet, so daß
„die Obrigkeit quasi eine Mittlerstellung zwischen Gott und den Untergebenen
erlangt", geht zu weit. Augustin lehrt zwar, daß Obrigkeit und
Staat für die eigentlichen Ziele der Kirche benutzt werden können und
müssen. Er hat aber andererseits deutlich auf den gottfremden Charakter
des Staates hingewiesen, als einer menschlichen Gesellschaft, die sich
abseits von Gott organisiert. Vgl. Gilson, Introduction ä l'etude de S.
Augustin, Paris 1943, S. 239 und F. Hofmann, Der KirchenbegriS des
hl. Augustinus, München 1933, S. 505—508.

Die Fragestellung der Arbeit von Diesner bedeutet einen
Rückschritt gegenüber Troeltsdi, der in den „Soziallehrcn der
christlichen Kirchen und Gruppen" die Probleme tiefer gesehen