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Ausgabe:

1956 Nr. 10

Spalte:

621

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lähteenmäki, Olavi

Titel/Untertitel:

Sexus und Ehe bei Luther 1956

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Seite 1

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621

Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 10

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KIRCHEN GESCHICHTE: 1MF0IMATI0NSZE1T

Lähteenmäki, Olavi: Sexus und Ehe bei Luther. Helsinki: Aka-
teeminen Kirjakauppa 1955. 195 S. gr. 8° = Schriften der Luther-
Agricola-Gesellschaft 10.

L. versucht, die zahlreichen oft unzusammenhängenden Äußerungen
Luthers zu Fragen der Ehe und des Geschlechtslebens
in die großen Zusammenhänge seiner Theologie hineinzubauen.
Er geht dabei verständnisvoll und besonnen zu Wege und hütet
sich ebenso vor voreiligen Systematisierungen wie vor resignierendem
Verzicht auf eine Gesamtdeutung. In vier Kapiteln behandelt
er nacheinander 1) Sexus und Ehe bei Luther im Lichte
des Schöpfungsglaubens und des Sündenbegriffs, 2) die Ehe als
weltlichen Stand „contra diabolum", 3) als Stand des Glaubens
im geistlichen und weltlichen Reich, 4) als „geistlichen" Stand.
Das gesamte Material wird umsichtig geordnet und ausgewertet.
Die Literatur wird ausreichend berücksichtigt und vielfach berichtigt
. Wertvoll ist für den deutschen Leser, daß vor allem auch
■die nicht übersetzte nordische Literatur herangezogen wird, ohne
daß darüber die deutsche vernachlässigt würde.

L.s Gedankengang ist im ganzen durchaus überzeugend.
Daß im einzelnen manches fragwürdig klingt, liegt z. T. wohl
auch an der Übersetzung. Daß Luther die Rechtsfragen um die
Ehe der Kompetenz der weltlichen Obrigkeit zuweist, wird von
L. mit Recht betont; aber daraus folgt doch nicht, „daß Luther
■die Kirche abseits wissen will, wo praktische Anliegen des Ehelebens
zu regeln sind" (162). Die evangelische Paränese, die der
Kirche obliegt, ist zwar nicht juristischer, aber doch äußerst praktischer
Natur! — Mit Recht weist L. den Vorwurf zurück, als
habe Luther mit seiner Stellungnahme zu Ehescheidung und Bigamie
im Sinn, „ ,das Gesetz aufzuheben' oder ,dem Fleisch nachzugeben
' ". Aber dann darf er Luthers Meinung nicht dahin zusammenfassen
, der Mensch solle Gottes Gesetz (bezüglich der
Unauflöslichkeit der Ehe) einhalten, „soweit seine Kräfte dafür
ausreichen" (175). Eine solche Einschränkung der Gesetzesforde-
rung würde gerade auf ein „dem-Fleisch-nachgeben" hinauslaufen
. Nach Luthers Meinung reichen die Kräfte des Menschen niemals
aus, der Gottesforderung gerecht zu werden; aber darum ist
der Mensch nicht entschuldigt und die Gottesforderung nicht
außer Kraft gesetzt. Vielmehr darf der Mensch in Gebet und
Glauben den Heiligen Geist empfangen, der allein imstande ist,
das Gesetz zu erfüllen. Darum fordert Luther, wie gerade auch
L. nachweist, eindringlich auf, die Ehe in Gebet und Glauben zu
beginnen und zu führen. Unter diesem Aspekt können irgendwelche
Entschuldigungen für sündhaftes Versagen nicht in Betracht
kommen. Für Luthers Stellung zu Ehescheidung und Mehrehe
gilt dagegen der Satz: „Er fragte stets, wie im konkreten Einzelfall
die von Gott geforderte Liebe verwirklicht und dem Nächsten
geholfen werden könnte. Mitunter verlangte das die Preisgabe
eines allgemeinen Grundsatzes .. ." (96). Luthers Gesichtspunkt
ist also nicht, daß der Mensch das Gesetz nur so weit halten
soll, als „seine Kräfte dafür ausreichen", sondern daß der
Weiterbestand einer zerbrochenen Ehe die Erfüllung der Gottesforderung
u. U. hindert. Wenn er dabei gelegentlich sogar der
Bigamie den Vorzug vor der Scheidung gab (trotz grundsätzlichen
Festhaltens an der Monogamie), so spielte dabei auch der Gedanke
an die Schutzlosigkeit der geschiedenen Frau in einer Gesellschaft
, die von der modernen Gleichberechtigung der Frau
nichts wußte, eine Rolle.

Die Zitation ist nicht immer einwandfrei: S. 20 Anm. 1 muß es
in dem Biclzitat wohl „coitus" statt „exitus" heißen; Angabe des Fundorts
fehlt. — S. 41 Z. 7: „Fasten und leibliche Vorbereitung sind gewiß
ein guter äußerer Gebrauch" ohne Stellenangabe. Gemeint ist offenbar
aus dem Kleinen Katechismus (das Sakrament des Altars): „Fasten
und leiblich sich bereiten ist wohl eine feine äußerliche Zucht". —
In der Erklärung zum sechsten Gebot sagt Luther nicht: „jeder solle in
der Ehe .sein Weib ehren und lieben' ", sondern: „daß wir ... ein jeglicher
sein Gemahl lieben und ehren" (S. 56 Z. 4 von unten). — S. 109
Anm.4: Statt: ... et omnibus constrae possit ... muß es richtig heißen
: ut omnibus constare possit.

Halle/Saale E. Schott

F a r n e r, Oskar, Prof. Dr.: Huldrych Zwingli. 1.: Seine Jugend, Schulzeit
und Studentenjahre 1484—1506. IL: Seine Entwicklung zum
Reformator 1506—1520. III.: Seine Verkündigung und ihre ersten
Früchte 1520—1525. Zürich: Zwingli-Verlag 1943/1946/1954. IV,
340 S.m. Abb. u. Taf., 1 Kte.; VII, 488 S. m. Abb. u. Taf.j XI, 615 S.,
1 Taf. kl. 8°. Lw. DM 9.50; 14 — u. 15.—.

Das vorliegende, noch nicht abgeschlossene Werk bildet
eine weitgreifende Zusammenfassung der bisherigen biographischen
Zwingli-Forschung in einer hauptsächlich, aber nicht ausschließlich
chronologischen Darstellung seines Lebens. Ein reichhaltiger
und sehr sinnvoll zusammengezogener Anmerkungsteil
fundiert den flüssig erzählten Haupttext. Sehr gut ausgewählte
und meist gut reproduzierte Bilder beleben im I. und II. Bande
die Anschauung, während der III. Band nur das Zürcher Porträt
von der Hand Hans Aspers aufweist. Leider ist nur dem ersten
Bande ein Bild Verzeichnis beigegeben. Eine Überraschung
wird für die meisten Leser die Vermutung sein, das Bildnis eines
jungen Mannes von Dürer aus der Wiener Galerie Czernin stelle
den Zwingli von 1516 dar. Darüber ist dem zweiten Bande eine
ausführliche Abhandlung von Prof. Dr. Hans Hoffmann
beigefügt.

Naturgemäß ist unter den drei bisherigen Bänden der problematischste
der erste, denn er macht den Versuch, Licht in
einen Zeitraum zu bringen, von dem wir Positives an Einzelheiten
nur sehr spärlich wissen. F. läßt uns an sich darüber nicht im
Unklaren. Aber er glaubt, ein Recht zu haben, den späteren
Zwingli auf das abzuhören, was an Bild und Erfahrung aus der
Jugend stammen könnte. So sind zwischen die Darstellung der
Zwingli-Stätten der Jugend des Reformators und seine Schul-
und Hochschuljahre rund 50 Seiten eingeschoben, die aus späteren
Äußerungen ein Bild von den Wurzeln zu geben versuchen, die in
der Jugend sich gebildet haben und den herangewachsenen Baum
dann speisten: angefangen von der „Lebenshaltung im Elternhaus
" bis hin zu einer „Theologia naturalis" und den politischen
Grundanschauungen eines „kleinen Eidgenossen". Dem Band ist
als Beilage ein Abdruck der Seiten 3—54 des Zinsbuches der
Pfrund Wildhaus von 1534 beigegeben, das seine Bedeutung in
der Möglichkeit hat, die Umwelt Zwingiis in seiner Frühzeit aufzuhellen
. Ähnliche Bedeutung hat der Auszug aus der Wiener
Matrikel für die Jahre SS 1500 bis SS 1506. Die Ausführlichkeit
des Ganzen ermöglicht auch die Erörterung bisher nicht gestellter
Fragen, so z.B. die nach der Taufe Z.s (I, 126 ff.). Bedeutsamer
ist es, daß F. im Unterschied zu W. Köhler es für möglich hält,
daß Z. als Student sowohl auf realistischem wie nominalistischem
Wege gewandelt sei (222), Eklektiker schon von Jugend an (220).
Der Band ist der Neigung zur hagiographischen Darstellung nicht
ganz entgangen: Myconius' Angaben über die Disputierkunst
des jungen Z. hatte Köhler (S. 18) bereits als „Phrase" bezeichnet
; hier erscheinen sie wieder als gültiger Beleg (S. 158). Freilich
ist die Wertung von Briefen u. a. im Humanistenstil ja sowieso
kein einfach zu bewältigendes Problem, vgl. etwa Z. an
Myconius 2 5. XI. 1520 über den Tod seines Bruders Andreas
(Bd. III, 204 ff.); hier stört die Floskel doch die Nachempfindung
sehr.

Im zweiten Band werden die drei großen Epochen der ersten
beruflichen Tätigkeit Z.s geschildert, Glarus, Einsiedeln und die
Anfänge in Zürich. Dabei werden dann innerhalb dieser großen
Gruppen einzelne Themen abgehandelt, seien sie rein biographischer
Art wie „Der Amtsbruder", „Der Kaplan des Abtes" von
Einsiedeln, „Die Berufung nach Zürich" u.v. a., sei es, daß sie
in grundsätzliche Fragen übergehen wie „Der Erasmianer" oder
„Die Begegnung mit Luther", womit die Frage nach der Eigenständigkeit
der reformatorischen Anfänge Zwingiis gemeint ist.
Aufs Ganze gesehen, neigt F. dazu, diese Eigenständigkeit zu betonen
, wobei er W. Köhler ausführlich das Wort gibt. Ebenso unterstreicht
er die Distanz, in die sich Z. gegenüber Erasmus begibt
, wenn mir auch dessen „Paulinismus" — allerdings eben humanistischer
Prägung — ebenso wie seine Christusfrömmigkeit
stärker betonenswert zu sein scheint, als das gemeinhin geschieht.
Die Achse, um die sich für F. diese Lebensabschnitte gruppieren,
ist der Wandel, der sich seiner Ansicht nach i. J. 1516 vollzogen
haben muß. Die vielen dafür beigebrachten Quellcnzeugnisse
machen das einleuchtend; trotzdem dürfte das Reden von dem