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Ausgabe:

1956 Nr. 10

Spalte:

620

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brune, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Kampf um eine evangelische Kirche im Münsterland 1520 - 1802 1956

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 10

620

gunsten einer neuen Hellenenkonzeption — über die Herodoteische
dicupogr) über das Wirken von Fortuna und Virtus in der Geschichte,
über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge u.a.m. Eine dritte
Richtung knüpft an das traditionalistisch-christliche Geschichtsbewußtsein
an mit der Formel: „Wegen unserer Sünden ist uns dieses widerfahren
" (S. 26), einer Formel, die in jenen Tagen freilich vergiftet ist
durch den Kampf um die kirchliche Union und die zugleich eine solche
Konsequenz zuläßt, welche das dem Georgios Sphrantzes zugeschriebene
Chronicon maius ausspricht (Georgius Phrantzes, Joannes Cananus,
loannes Anagnostes, herausgegeben von Immanuel Bekker, Bonn 1838,
312): Ov Ttävzsg oi xQarovrrss ndvtox; ögtfotio^oi, ov<Y avtfts ol
XQaiovjiFvnt aigetiy.oi (Ivänka übersetzt S. 29: Als ob wirklich immer
die Herrschenden die Rechtgläubigen und die Unterjochten die Häretiker
wären!). Man muß den bedeutsamen Hinweis F. Dölgers, Byzantinische
Zeitschrift 48, 1955, 236 aufnehmen, daß jene humanistischen
Erörterungen der gebildeten und, wie wir hinzufügen möchten, numerisch
kleinen Oberschicht angehörten, während sich die „breiten Massen
", wie die von Ivänka unberücksichtigt gelassene Volksdichtung
zeigt, die Formulierung von der Strafe für Sündenschuld zu eigen machten
, um die geistige Situation jener Zeit voll würdigen zu können. —
Der Homerallegorie in den verschiedenen Verzweigungen, die sie im
Altertum fand, geht S. 3 5 ff. Herbert Hunger nach, um die Ergebnisse
in Vergleich zu setzen zu der Homer-Allegorie des Johannes
Tzetzes, von der er die auf Odyssee 13—24 bezüglichen Texte in einer
Wiener Handschrift12 entdeckte und, mit Einleitung und Kommentar
versehen, inzwischen in der Byzantinischen Zeitschrift 48, 1955, 4 ff.
zugänglich machte. Dabei wird deutlich, daß alle drei Formen der My-
thenallegorese, welche Tzetzes in der Einleitung seiner Xooviy.fi ßißXoc1*
herausarbeitet und in den Allegorien selbst bunt durcheinander verwendet
, nämlich 1. die physikalische, nach den aroixeca benannte,
2. die psychologische und 3. die pragmatisch-historische, in der Antike
ihre Wurzeln haben. — Der Wiener Dozent Polychronis K. E n e p e-
k i d e s macht S. 67 ff. Bemerkungen zu Dokumenten, welche neue
Lichter auf die griechisch-abendländischen Beziehungen des 16. Jhdts.
werfen. Die erste gilt einem Empfehlungsschreiben des konstantinopo-
litanischen Patriarchen Theoleptos II. (1585/86) für den Athener Emmanuel
(Mousikios), das dieser, begleitet von einem griechischen Landsmann
, Martin Crusius vorlegte. Heisenberg hat die Echtheit dieses
Schreibens angezweifelt — zu Unrecht, wie eine Kopie wahrscheinlich
macht, welche sich der Wiener Hofbibliotheksdirektor Blotius, als es ihm
vorgelegt wurde, davon anfertigte (Cod. Vindob. Suppl. gr. 141). Im
gleichen Fond der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
findet sich unter Signatur 139 ein Brief an den Bischof
von Kythera Maximos Margunios (1549—1602). Als den ungenannten
Autor erkennt Enepekides einen Griechen Leontios, der im Frühjahr
1590 mit einem Empfehlungsschreiben des Maximos Margunios bei
Martin Crusius in Tübingen vorsprach; dieses Schreiben hatte Leontios
am 6. September 1 589 in Venedig erhalten, von wo er offenbar nach
Wien reiste, der Stadt, in welcher der Brief an Maximos am 21. Oktober
1589 abgefaßt wurde. Schließlich legt Enepekides zwei Urkunden
der Pariser Nationalbibliothek vor, welche die finanzielle und moralische
Unterstützung dokumentieren, die dem Sinai-Kloster von Ludwig
XIV. und Ludwig XV. zuteil wurde".

Drei weitere Beiträge behandeln kunsthistorische Themen. Nach
Venedig führt ein Aufsatz von Otto D e m u s (S. 87 ff.). Der Außenbau
von San Marco hat im wesentlichen in drei Perioden sein Gepräge
erhalten: Das bauliche Gerüst gehört dem 11. Jhdt. an, die Ausschmük-
kung erfolgte im 13. und teilweise im 14./l5. Jhdt.; das 17. und
18. Jhdt. schließlich veränderten den ursprünglichen Mosaikdekor.
Dermis' Aufmerksamkeit richtet sich auf die Westfassade, die seit der
zweiten Hälfte des 13. Jhdts. nahezu unverändert geblieben ist, und
hierbei wiederum auf sechs Reliefs verschiedener Provenienz, die sich
dem flüchtigen Betrachter als nicht funktionsgebundene, rein dekorative
Zutaten geben, während sie Dcmus einem ikonographischen Programm
untergeordnet sehen möchte: Sowohl die eigens angefertigten
Werke (Herakles mit Hirschkuh, Hydra, Sankt Georg, Maria orans) als
auch die mit ihnen korrespondierenden byzantinischen Spolien (Herakles
mit dem Erymanthischen Eber, Sankt Demetrius, Erzengel Gabriel)
werden als Darstellungen von Schützern und Bewahrern der Stadt interpretiert
. — Der von ihr beschriebenen Paduaner Malerschule (vgl. oben
Sp. 618) weist I. Hänsel-Hacker S. 109 ff. die in den Jahren

12) Sie finden sich außerdem in dem Vaticanus Barberinus gr. 30,
den Hunger für seine Edition ebenfalls heranzog (Byzantinische Zeitschrift
a. a. O. 8).

") Dazu Karl Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Littera-
tur, 2. Auflage München 1897, 534.

") Zu S. 8 5 Anm. 3 ist zu bemerken, daß die von Peter Thom-
sen f begründete Bibliographie „Die Palästina-Literatur" vom 6. Bande
an in die Obhut der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
genommen wurde. Von diesem liegen bisher, betreut von Fritz Maaß
und Leonhard Rost, drei Lieferungen vor (1953, 1954, 1956).

1930—1939 freigelegten Fresken der Kapelle des hl. Nikolaus bei Ma-
trei in Osttirol zu, und zwar als eine ihrer eindrucksvollsten Leistungen
. — Schließlich führt J. Croquison S. 123 ff. eine liturgische
Handschrift vor, welche die Gennadionbibliothek zu Athen kürzlich erwarb
(MS 5. 3). Es handelt sich um ein yfp^fgaTixoV des 17. Jhdts.
von wahrscheinlich anatolischer Herkunft, das durch die Vielzahl und
künstlerische Qualität seiner Miniaturen sowie durch seine ikonographischen
Eigenheiten eine Sonderstellung in der nachbyzantinischen
Buchmalerei einnimmt.

Die vorliegende Besprechung berücksichtigte nur diejenigen
Aufsätze der Bände 2 und 3 des Jahrbuchs der Österreichischen
Byzantinischen Gesellschaft, welche zu dem Themenkreis der
Theologischen Literaturzeitung in unmittelbarer Verbindung stehen
; sie wird, glaube ich, gezeigt haben, daß die österreichische
Wissenschaft mit diesem Jahrbuch ein Publikationsorgan geschaffen
hat, dessen Bedeutung weit über den Aufgabenbereich der
verschiedenen byzantinistischen Disziplinen hinausreicht15.

Berlin Joh. Irmscher

15) Ein Hinweis technischer Natur sei bei dieser Gelegenheit gestattet
. Es würde die Benutzung des Jahrbuches, das sich ja mit fast
allen Beiträgen vornehmlich an ein gelehrtes Publikum wendet, wesentlich
erleichtern, wenn die Anmerkungen nicht am Schlüsse der einzelnen
Aufsätze, sondern jeweils auf den Textseiten angebracht würden,
zu denen sie gehören.

Brune, Friedrich: Der Kampf um eine evangelische Kirche im Münsterland
1520—1802. Witten/Ruhr: Luther-Verlag [1953]. 195 S.
gr. 8°.

Eine Geschichte der evangelischen Kirche im Münsterlande
zu schreiben ist eine lohnende und seit langem notwendige Aufgabe
. Abgesehen von den Anfängen der Reformationsbewegung
in der Stadt Münster ist die Geschichte der evangelischen Gemeinden
im Hochstift Münster so wenig untersucht, daß sie geradezu
als Neuland bezeichnet werden kann. Wenn auch einige
Spezialarbeiten vorliegen, so stellt das vorliegende Buch den ersten
Versuch eines zusammenfassenden geschichtlichen Berichtes
dar. Angesichts des Rückgangs der territorialen Kirchengeschichtsforschung
ist dieser Versuch um so mehr zu begrüßen.

Die Anfänge der reformatorischen Bewegung in Münster,
ihre Verkehrung ins Täufertum und die Katastrophe des „Königreiches
Zion" sind nur in einem Überblick geschildert, da der
Verf. der Meinung ist, daß dieses Kapitel bereits gründlich erforscht
sei. Wer diese Auffassung nicht teilt, wird allerdings der
Ansicht sein, daß eine umfassendere Darstellung der Ereignisse
bis 1 535 der weiteren Schilderung zugute gekommen wäre. Dieses
erste Kapitel kann nicht als Einleitung angesehen werden,
sondern muß die Grundlegung des ganzen Berichtes abgeben. Dazu
kommt, daß die Erforschung dieses Gebietes noch in vollem
Gange ist, so daß hier nichts als bekannt vorausgesetzt werden
kann.

Das Schwergewicht seiner Arbeit hat der Verf. auf die Zeit
der Gegenreformation gelegt. Die Dekrete von Trient ließen eine
vermittelnde Haltung der Bischöfe nicht mehr zu, sondern zwangen
sie zu einem scharfen Kurs. Dieser Hauptteil des Buches ist
quellenmäßig gut fundiert. Was aus den Visitationsprotokollen
und Berichten der Gegenseite über die Reste der evangelischen
Bewegung zu entnehmen ist, wird zusammengetragen. Die Darstellung
ist nach den regierenden Bischöfen eingeteilt und übersichtlich
geordnet. Die Bilanz, die hier gezogen wird, ist freilich
eine traurige. Es ist die Geschichte der planmäßigen Unterdrük-
kung der evangelischen Gemeinden. Im Unterschiede zu den
Nachbargebieten können die Evangelischen im Bereich des Hochstiftes
Münster sich im 17. und 18. Jhdt. kaum halten, geschweige
denn ein reiches kirchliches Leben entfalten. Sie müssen der Gewalt
immer mehr weichen, bis ihnen die Säkularisation des geistlichen
Fürstentums einen neuen Anfang ermöglicht.

Das Buch ist für einen weiteren Leserkreis berechnet. Es hat
aber nicht nur seine Bedeutung als Heimatbuch der Evangelischen
im Münsterlande, sondern wird auch über 6eine Grenzen hinaus
Interesse beanspruchen dürfen.

Münster/Westf. Robert Stupperich