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1956 Nr. 1

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 1956 Nr. 1

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Ohne sich darauf festzulegen, ob die Urgemeinde die Bezeichnung
Jesu als des Gottesknechtes nach Deuterojesaja geprägt
habe (Harnack) oder ob hier eine Bezeichnung vorliege,
weiche alle alttestamentlichen Frommen und Propheten vor Gott
von sich gebrauchten (Cadbury), will L. prüfen, welche c h r i-
stologische Anschauung hinter diesem Gottesknecht stehe,
welche Deutung sie der Gestalt und dem Werke Jesu im Unterschied
zu anderen Namen gebe und wer denn Träger dieser Got-
tesknechtsanschauung sei.

L. beginnt mit einer gründlichen Exegese der hierzu aus dem
ersten christ. Jahrhundert überlieferten Stellen, nicht ohne die
Septuaginta zu Rate zu ziehen. Sie benutzten iidi; neben
öovkog, ÜEQdTiCDv, oixetrjg, vitTjQetTjs und meinen damit — dem
hebräischen Grundwort ebed entsprechend — einen Mensdien,
dessen Leben und Tun einem fremden Willen untersteht. Werden
für die Erzväter nak und ÖovXog promiscue verwendet,
so heißt der Knecht Gottes bei Deuterojesaja fast durchweg
nalg, ebenso der eschatologische Gesandte in den späteren Apokryphen
, soweit feststellbar, nötig &eov.

Wenn im 2. nachchristlichen Jahrhundert anstelle des naig
■&eov in der jüdischen Literatur der öovkog tritt, möchte L. hier
antichristliche Tendenz für möglich halten und schließen, daß der
naiQ iteov in der Urchristenheit weiter verbreitet war, als die
wenigen Stellen, die im NT religiösen Sinn haben, (es sind 8
von 23) erkennen lassen. Nur fünf beziehen sich auf Jesus, vier
davon stehen in Apg., eine bei Mt. (12, 18). Ergibt die Untersuchung
des Mt.-Abschnittes (12,15—21), daß Mt. das Jesaja-
zitat weder nach dem masoretischen Text noch nach LXX zitierte
und obendrein zwei Zeilen anfügte, die nach L. die Voraussetzung
für den späteren Missionsbefehl schaffen sollen, so steht
über dieser Auffassung des Gottesknechtes jenes „damit erfüllet
werde". Jesus erfüllt alttestamentliche Weissagung. Die Behandlung
der vier Paisstellen in Apg. 3—4 ergebe, daß dieses Knechtes
geheimnisvolles Walten und die Unwissenheit der Juden
einander entsprechen. L. möchte annehmen, daß Apg. 4, 12 und
Mt. 1,21 der gleichen Tradition vom Gottesknecht entstammen.
Apg. 3 und 4 sollen ein vorlukanisches, altertümliches Bild vom
Pais theou ergeben, das durch die Abendmahlsgebete der Di-
dache und 1. Ciem. 59, 2—4 seine Ergänzung finde.

Interessant ist nun L.s Versuch, durch das NT hin eine regelrechte
Traditionslinie nachzuweisen, zu der z. B. 1. Kor.
15, 3 ff. zu rechnen ist, eine ganze Reihe Mt.-Stücke von 1,21
über 5,1 ff.; 9,1—9 zur Weingärtnerparabel. Verschiedene Stücke
der Passionsgeschichte, vornehmlich die Abendmahlsszene, die
Konfrontation Jesu mit Barrabas, die Verspottung, das letzte
Wort am Kreuz seien in diese Paistradition zu rechnen. Doch
gibt der Verf. wiederholt zu, daß diese Tradition mit der Men-
schensohnauffassung des öfteren verknüpft oder von ihr überdeckt
ist, so daß sich eine reine Scheidung nicht mehr vollziehen
lasse (S. 48. 52. 63 f. z.B.). Und mit der Tradition vom Davidssohn
liegt es ganz ähnlich. Sind in der Einzugsgeschichte „Grundzüge
der Gottesknechtsanschauung faßbar" (S. 49), so wird dennoch
die Tradition vom Davidssohn stärker betont. Ähnlich soll
es bei der Tempelaustreibung liegen. Die Davidssohnschaft des
Messias ist im Judentum nicht einhellig vertreten worden, aber
neutestamentlich und durch eine kerygmatische Formel geprägt
(vgl. Rm. 1, 3; 2. Tim. 2, 8; Ign. Eph. 18, 2 und Rom. 7, 3), als
Tradition ausgesprochen lukanisch (Lk. 1, 32; 2, 1 ff. und Apg.
13, 34 ff.). Aus den vier Anrufen in Mt. 9, 27; 15,22 und
20, 30—31 wird eine Volkserwartung deutlich, die einen Glauben
an die helfende Macht des Davidssohnes erkennen läßt. Der
Glaube (vgl. Mk. 10, 52) ist Voraussetzung des Wunders, während
in den Menschensohnerzählungen das Wunder den Glauben
wecken soll (vgl. Mk. 2, 1 ff.). Rückt hier die Anschauung
vom Davidssohn vom Menschensohnsgedanken ab, so nähert sie
sich dem Glauben an den Gottesknecht (vgl. Apg. 3, 16). Jedoch
sehe letztere in der Sünde die tiefste Not, während die erstere
sie in dem körperlichen Leiden erblicke (S. 7l/72). Zu beachten
ist auch L.s Auffassung der Davidssohnfrage (Mt. 22,41 ff.).
Diese Frage lehne nicht Namen und Tatsache des Davidssohnes
ab, um den eschatologischen Gesandten als Davids Herrn zu

proklamieren, Jesus kämpfe gegen das pharisäische Messiasbild,
welches natürlidi den Sohn Davids nicht als seinen Herrn verstehen
könne, um die paradoxe Einheit des Abkömmlings von
David und des transzendenten Herrn, der sich durch göttliche
Wundermacht als der erkorene Vollender erwiesen hat, zu behaupten
(S. 75).

Indessen muß L. zugeben (S. 79 f.), daß die Davidssohngeschichten
eine Mischform bilden und sich in ihnen kein Zug
findet, der nicht bei den verwandten Überlieferungen vom Gottesknecht
wie vom Menschensohn auch aufzuweisen wäre. Das
Ergebnis weiter ausgesprochener Reflexionen ist dann zunächst
dieses: die Namen Gottesknecht und Mensdiensohn und Davidssohn
gehören nahe zusammen, der Name Davidssohn ist der
jüngere Sproß jener beiden älteren Ansdiauungen auf palästinensischem
Boden gewesen (S. 84). Vielleicht wird es hier manchem
Leser wie dem Rezensenten gehen, daß er einigermaßen verwundert
ein Fragezeichen an den Rand setzt.

Und das wird man nun wohl des öfteren tun müssen, wenn
L. (S. 92) aus der Petrusrede Apg. 3 folgert, hier sei von einem
Kreis die Rede, der zwar die Ansdiauung vom Gottesknecht
präge und trage, aber nichts von der Notwendigkeit der Taufe
wisse und den Namen einer Ecclesia nicht verdiene, „noch nicht
Gemeinde und nicht einmal Sekte" zu nennen sei, höchstens, dem
Sauerteig vergleichbar, „eine in sich geschlossene Bewegung,
weldie die gegebene und bejahte Gemeinschaft des Volkes durchdringen
soll und will und nur in der besonderen eudiaristischen
Feier den Quell seiner Kraft und den Halt ihrer Hoffnung und
ihres Glaubens hat". Kann man Act 3 so einfach gegen 1,21 f.
und 2, 3 8 ausspielen? Rez. hofft in Kürze in anderem Zusammenhang
zu zeigen, daß diese Konstruktion nicht haltbar ist.

So fein und bedeutungsvoll vieles ist, was L. zur Interpretation
der Begriffe Nazoraios und Menschensohn des Weiteren
vorträgt — so bald er daraus die Konstruktion einer in Galiläa
beheimateten Art von Kerngemeinde ableiten will, welche die
Abendmahlsfeier als innig bindendes Band hatte, ohne die
Taufe — die die Trennung vom Volke vollzog — zu fordern,
sträubt sich der aufmerksame und für vieles dankbare Leser hier
mitzugehen (S. 143). Und die Meinung, das täglich gefeierte
Abendmahl anstelle des Opferdienstes im Tempel sei „das Heiligtum
, das allen jüdisdien Kultus eschatologisch überwindet" widerspricht
dodi wohl allzusehr den Angaben der (nicht nur in
Kap. 3 und 4!) aus älteren Quellen schöpfenden Apostelgeschichte
.

So hat L.s tiefgrabende Untersuchung wohl — um an den
Eingang seiner Darstellung anzuknüpfen — der Gestalt und dem
Werke Jesu zu besserem Verständnis verholfen, aber einen besonderen
„Träger der Gottesknechtsanschauung" als geschichtlich
wirksame Realität nicht aufzuweisen vermocht. Die zahlreichen
Übergänge und Vermischungen der einzelnen Traditionsstränge
, welche der Verfasser ja selbst feststellen muß, verbieten
eine solche eindeutige Abgrenzung schon innerhalb des hier untersuchten
Traditionsstoffes, erst recht aber, wenn die Einordnung
soldier Sondergruppe in den weiteren Rahmen der urchristlichen
Überlieferung vollzogen werden soll.

Das alles hindert die Feststellung nicht: auch von diesem
Werk Lohmeyers wird der Leser reich beschenkt.

Berlin Erich Pascher

S t e 1 m a, J. H.: De verkondiging der opstanding naar Johannes bij
R. Bultmann.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 9, 1955 S. 338-348.
Stempvoort, P. A. van: De betekenis van /Jywv zix Tisgl zfjg

ßaoilelas zo$ &sod in Hand. [Act] 1, 3.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 9, 1955 S. 349—355.
Stommel, Eduard: Das „Abbild seines Todes" (Rom. 6, 5) und der

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Römische Quartalschrift für christlidie Altertumskunde und Kirdien-

geschichte 50, 1955 S. 1—21.
Tinsley, E. J.: The Sign of the Son of Man.

Scottish Journal of Theology 8, 1955 S. 297—306.
Ullendorf f, Edward: Candace (Acts 8, 27) and the Queen o£

Sheba.

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